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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 2. Halle (Saale), 1701.

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Das fünffte Capitel.
solchen ursachen und motiven erstlich bewegtem gemüth liset/ mag den wah-
ren göttlichen glauben empfangen aus der krafft der schrifft selbs) sondern
dieses wird allein damit gemeint/ daß aus deroselben krafft in sich selbs/ wie
sie ein vernünfftiger schluß sind/ die wahrheit des glaubens nicht herkom-
men kan/ sondern aus der wahrheit selbs/ die uns solchen schluß vorleget. Al-
so sind sie an sich selbs diejenige dinge/ welche das gemüth etlicher massen be-
reiten/ und sonderlich die natürliche widersetzung und etwa übel gegen die
schrifft gefaßte concepta, wegnehmen/ hingegen eine gute opinion von sol-
chem wort machen/ damit der mensch also geschickter und beqvemer wird/
daß alsdenn/ wo wir die schrifft lesen/ hören/ oder einige stücke und sprüche
derselben unserm gemüth vorstellen/ durch göttliche würckung der glaube
entstehet. Jm übrigen daß eine göttliche gewißheit und doch auch nieder-
schlagung des gemüths beysammen seyn können/ achte ich keine ungereimte
oder auch ungemeine sache zuseyn. Denn warum solte nicht in diesem stück
des unglaubens sowol als in andern stücken das fleisch wider den geist gelü-
sten? indem der unglaube sowol gleichsam das hertz des fleisches/ wie der
glaube des geistes ist. Was anlanget/ ob der wille des glaubens der wah-
re glaube seye/ oder denselben vielmehr praesupponire/ meine ich zwahr
nicht/ daß man so bloß dahin dergleichen zu sagen hätte/ aber doch will ich
kein bedencken machen/ zusagen/ daß unmüglich seye/ daß ein auffrichtiger
wille und verlangen nach dem glauben und göttlicher gnade in einer seele/ die
ihr elend erkennet/ dero es auch redlich und allein um ihre seeligkeit zuthun ist/
sich auch in allen stücken willig der göttlichen ordnung zu untergeben begeh-
ret/ ja mit der gnade/ wie gering sie seye/ wo es nur die wahre gnade seye/
gern zu frieden seyn will/ und sich sowol sehnet GOtt gefällig in allem wand-
len zu können/ als sich stracks dessen befleisset/ gefunden werden möge/ die nicht
schon zum grunde in dem grund der seelen den wahren/ ob zwahr ihr verbor-
genen glauben habe. Dann es sind jene früchten viel zu edel/ als daß sie
aus natürlichen kräfften kommen könten/ sondern gewisse würckungen des heili-
gen Geistes/ welcher wo er wohnet/ ein Geist des glaubens ist. So müsten
wir die haupt-fundamenta unserer Theologiae von den natürlichen kräfften
und des heiligen Geistes gnade überhauffen stossen/ wo wir anders halten
wolten. Zu dem wie solte müglich seyn/ daß göttliche so sehr in der schrifft ge-
priesene barmhertzigkeit/ welche so viele tausend mitten aus ihrem boßhaffti-
gen lauff herausreisset/ und zu dem glauben bekehret/ eine seele verlassen und
ihr den glauben versagen solte/ dero inbrünstiges verlangen nach nichts an-
ders als nach derselben gehet/ und dasjenige allein begehret/ wozu sie GOtt
erschaffen/ beruffen und erlöset hat. Mir ists gewiß unbegreifflich/ wie ein

sol-

Das fuͤnffte Capitel.
ſolchen urſachen und motiven erſtlich bewegtem gemuͤth liſet/ mag den wah-
ren goͤttlichen glauben empfangen aus der krafft der ſchrifft ſelbs) ſondern
dieſes wird allein damit gemeint/ daß aus deroſelben krafft in ſich ſelbs/ wie
ſie ein vernuͤnfftiger ſchluß ſind/ die wahrheit des glaubens nicht herkom-
men kan/ ſondern aus der wahrheit ſelbs/ die uns ſolchen ſchluß vorleget. Al-
ſo ſind ſie an ſich ſelbs diejenige dinge/ welche das gemuͤth etlicher maſſen be-
reiten/ und ſonderlich die natuͤrliche widerſetzung und etwa uͤbel gegen die
ſchrifft gefaßte concepta, wegnehmen/ hingegen eine gute opinion von ſol-
chem wort machen/ damit der menſch alſo geſchickter und beqvemer wird/
daß alsdenn/ wo wir die ſchrifft leſen/ hoͤren/ oder einige ſtuͤcke und ſpruͤche
derſelben unſerm gemuͤth vorſtellen/ durch goͤttliche wuͤrckung der glaube
entſtehet. Jm uͤbrigen daß eine goͤttliche gewißheit und doch auch nieder-
ſchlagung des gemuͤths beyſammen ſeyn koͤnnen/ achte ich keine ungereimte
oder auch ungemeine ſache zuſeyn. Denn warum ſolte nicht in dieſem ſtuͤck
des unglaubens ſowol als in andern ſtuͤcken das fleiſch wider den geiſt geluͤ-
ſten? indem der unglaube ſowol gleichſam das hertz des fleiſches/ wie der
glaube des geiſtes iſt. Was anlanget/ ob der wille des glaubens der wah-
re glaube ſeye/ oder denſelben vielmehr præſupponire/ meine ich zwahr
nicht/ daß man ſo bloß dahin dergleichen zu ſagen haͤtte/ aber doch will ich
kein bedencken machen/ zuſagen/ daß unmuͤglich ſeye/ daß ein auffrichtiger
wille und verlangen nach dem glauben und goͤttlicher gnade in einer ſeele/ die
ihr elend erkennet/ dero es auch redlich und allein um ihre ſeeligkeit zuthun iſt/
ſich auch in allen ſtuͤcken willig der goͤttlichen ordnung zu untergeben begeh-
ret/ ja mit der gnade/ wie gering ſie ſeye/ wo es nur die wahre gnade ſeye/
gern zu frieden ſeyn will/ und ſich ſowol ſehnet GOtt gefaͤllig in allem wand-
len zu koͤnnen/ als ſich ſtracks deſſen befleiſſet/ gefunden weꝛden moͤge/ die nicht
ſchon zum grunde in dem grund der ſeelen den wahren/ ob zwahr ihr verbor-
genen glauben habe. Dann es ſind jene fruͤchten viel zu edel/ als daß ſie
aus natuͤrlichen kraͤfften kom̃en koͤnten/ ſondern gewiſſe wuͤrckungen des heili-
gen Geiſtes/ welcher wo er wohnet/ ein Geiſt des glaubens iſt. So muͤſten
wir die haupt-fundamenta unſerer Theologiæ von den natuͤrlichen kraͤfften
und des heiligen Geiſtes gnade uͤberhauffen ſtoſſen/ wo wir anders halten
wolten. Zu dem wie ſolte muͤglich ſeyn/ daß goͤttliche ſo ſehr in der ſchrifft ge-
prieſene barmhertzigkeit/ welche ſo viele tauſend mitten aus ihrem boßhaffti-
gen lauff herausreiſſet/ und zu dem glauben bekehret/ eine ſeele verlaſſen und
ihr den glauben verſagen ſolte/ dero inbruͤnſtiges verlangen nach nichts an-
ders als nach derſelben gehet/ und dasjenige allein begehret/ wozu ſie GOtt
erſchaffen/ beruffen und erloͤſet hat. Mir iſts gewiß unbegreifflich/ wie ein

ſol-
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[810/0818] Das fuͤnffte Capitel. ſolchen urſachen und motiven erſtlich bewegtem gemuͤth liſet/ mag den wah- ren goͤttlichen glauben empfangen aus der krafft der ſchrifft ſelbs) ſondern dieſes wird allein damit gemeint/ daß aus deroſelben krafft in ſich ſelbs/ wie ſie ein vernuͤnfftiger ſchluß ſind/ die wahrheit des glaubens nicht herkom- men kan/ ſondern aus der wahrheit ſelbs/ die uns ſolchen ſchluß vorleget. Al- ſo ſind ſie an ſich ſelbs diejenige dinge/ welche das gemuͤth etlicher maſſen be- reiten/ und ſonderlich die natuͤrliche widerſetzung und etwa uͤbel gegen die ſchrifft gefaßte concepta, wegnehmen/ hingegen eine gute opinion von ſol- chem wort machen/ damit der menſch alſo geſchickter und beqvemer wird/ daß alsdenn/ wo wir die ſchrifft leſen/ hoͤren/ oder einige ſtuͤcke und ſpruͤche derſelben unſerm gemuͤth vorſtellen/ durch goͤttliche wuͤrckung der glaube entſtehet. Jm uͤbrigen daß eine goͤttliche gewißheit und doch auch nieder- ſchlagung des gemuͤths beyſammen ſeyn koͤnnen/ achte ich keine ungereimte oder auch ungemeine ſache zuſeyn. Denn warum ſolte nicht in dieſem ſtuͤck des unglaubens ſowol als in andern ſtuͤcken das fleiſch wider den geiſt geluͤ- ſten? indem der unglaube ſowol gleichſam das hertz des fleiſches/ wie der glaube des geiſtes iſt. Was anlanget/ ob der wille des glaubens der wah- re glaube ſeye/ oder denſelben vielmehr præſupponire/ meine ich zwahr nicht/ daß man ſo bloß dahin dergleichen zu ſagen haͤtte/ aber doch will ich kein bedencken machen/ zuſagen/ daß unmuͤglich ſeye/ daß ein auffrichtiger wille und verlangen nach dem glauben und goͤttlicher gnade in einer ſeele/ die ihr elend erkennet/ dero es auch redlich und allein um ihre ſeeligkeit zuthun iſt/ ſich auch in allen ſtuͤcken willig der goͤttlichen ordnung zu untergeben begeh- ret/ ja mit der gnade/ wie gering ſie ſeye/ wo es nur die wahre gnade ſeye/ gern zu frieden ſeyn will/ und ſich ſowol ſehnet GOtt gefaͤllig in allem wand- len zu koͤnnen/ als ſich ſtracks deſſen befleiſſet/ gefunden weꝛden moͤge/ die nicht ſchon zum grunde in dem grund der ſeelen den wahren/ ob zwahr ihr verbor- genen glauben habe. Dann es ſind jene fruͤchten viel zu edel/ als daß ſie aus natuͤrlichen kraͤfften kom̃en koͤnten/ ſondern gewiſſe wuͤrckungen des heili- gen Geiſtes/ welcher wo er wohnet/ ein Geiſt des glaubens iſt. So muͤſten wir die haupt-fundamenta unſerer Theologiæ von den natuͤrlichen kraͤfften und des heiligen Geiſtes gnade uͤberhauffen ſtoſſen/ wo wir anders halten wolten. Zu dem wie ſolte muͤglich ſeyn/ daß goͤttliche ſo ſehr in der ſchrifft ge- prieſene barmhertzigkeit/ welche ſo viele tauſend mitten aus ihrem boßhaffti- gen lauff herausreiſſet/ und zu dem glauben bekehret/ eine ſeele verlaſſen und ihr den glauben verſagen ſolte/ dero inbruͤnſtiges verlangen nach nichts an- ders als nach derſelben gehet/ und dasjenige allein begehret/ wozu ſie GOtt erſchaffen/ beruffen und erloͤſet hat. Mir iſts gewiß unbegreifflich/ wie ein ſol-

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 2. Halle (Saale), 1701, S. 810. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken02_1701/818>, abgerufen am 23.11.2024.