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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 2. Halle (Saale), 1701.

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ARTIC. II. SECTIO XXIII.
mitleiden tragen/ und uns seiner schmertzen nicht freuen/ daß wir uns gleichwol freuen
über die güte unsers Vaters und unsers JEsu/ so denn über den heylsamen zweck seiner
leiden/ den auch in gewisser frucht erhalten zu werden nicht zweifle. Ja ich will ihm die-
ses zutrauen/ wie schwehr es dem eussern menschen wird/ dieses feuer/ in welches ihn
der HErr geworffen/ von den hart anklebenden schlacken ihn zu läutern/ er werde
gleichwol auch in allem solchen leiden (ob es ihm wol jetzo/ da es empfunden wird/
keine freude ist) die liebe seines Vaters und dieses gnaden-gericht über ihn also er-
kennen/ daß er aus gegenhaltung des so viel schrecklichern feuers/ in welches man
endlich durch geistlichen hochmuth stürtzen mögen/ vor diese gelindere heimsuchung
und ob wol schmertzlichste cur einer sonst gefährlichsten kranckheit/ die hand mit de-
müthigem danck küssen/ die ihn noch schläget; ja sich gedultig dazu resolviren/
ob ihn der HErr noch eine weil eusserl. seinen zorn (da ihme hingegen der glaube die
gnade innerlich vorstellet und gewiß machet) fühlen lassen wolte/ sich in solchem feuer
noch ferner reinigen zulassen: dann gewiß die errettung der seelen aus voriger gefahr
ist so viel werth/ auch etwas zu leiden. Er lasse nur diese beyde stücken seine einige
übung seyn/ und verlange von denen/ die mit ihm umgehen nechst der leiblichen
pflege/ welche er auch in göttlicher ordnung mit danck anzunehmen hat/ keine
andere liebe als ihn in derselben mit zuspruch und gebet zu stärcken: Eines theils
sich stets noch vor dem HErrn zu demüthigen über dasjenige/ was ihm derselbe
in seinem gewissen nunmehr vorgestellet/ auch wo ihm das fleisch/ da es wieder
etwas in ruhe käme/ einiges auffs neue davon wolte verkleistern/ weder demselben
noch auch andern/ die sichs unterstehen würden/ gehör zugeben: Sonderlich bey
allem zuerwegen/ wie die sünde dadurch so viel grösser worden/ da auch andern zu
sündigen gelegenheit gegeben/ und sie mit worten und exempel verleitet worden sind.
Diese demuth wird die glaubens-freudigkeit nicht aufheben/ sondern das hertz immer
dazu desto tüchtiger erhalten/ wie er denn andern theils dahin zutrachten hat/ nunmehr
die gnade seines JEsu/ welche er mit beysetzung eigener gerechtigkeit beschimpffet
hatte/ destomehr nun zu ehren/ daß er glaube/ sie sey unendlich grösser/ als alle
seine und übriger menschen sünde/ daher ihr ja die schande nicht anzuthun/
daß wir nur eine stunde gedencken wolten/ daß einige unsere sünde dieselbe überwi-
get. Er gedencke offt an die wort des heiligen Pauli 1. Tim. 1. das ist je ge-
wißlich etc.
die ich ihm zum gruß und anspruch voran geschrieben hab/ und lasse sie
auch nun den festen grund werden seines vertrauens/ itzo und im künfftigen gan-
tzen leben. Er behertzige seinen tauff-bund/ als einen ewigen bund/ ob nun
wol derselbe ihn/ als der allein auff der gerechtigkeit des todes JEsu CHristi/
so uns zugerechnet wird beruhet/ mit der suchung eigener gerechtigkeit/ so fern
verleugnet/ so seye doch serne daß der himmlische Vater denselben oder sich in dem-
selben verleugnen/ und ihn auch auffgehoben haben solte; sondern bey dem stehet er

him-
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ARTIC. II. SECTIO XXIII.
mitleiden tragen/ und uns ſeiner ſchmertzen nicht freuen/ daß wir uns gleichwol freuen
uͤber die guͤte unſers Vaters und unſers JEſu/ ſo deñ uͤber den heylſamen zweck ſeiner
leiden/ den auch in gewiſſer frucht erhalten zu werden nicht zweifle. Ja ich will ihm die-
ſes zutrauen/ wie ſchwehr es dem euſſern menſchen wird/ dieſes feuer/ in welches ihn
der HErr geworffen/ von den hart anklebenden ſchlacken ihn zu laͤutern/ er werde
gleichwol auch in allem ſolchen leiden (ob es ihm wol jetzo/ da es empfunden wird/
keine freude iſt) die liebe ſeines Vaters und dieſes gnaden-gericht uͤber ihn alſo er-
kennen/ daß er aus gegenhaltung des ſo viel ſchrecklichern feuers/ in welches man
endlich durch geiſtlichen hochmuth ſtuͤrtzen moͤgen/ vor dieſe gelindere heimſuchung
und ob wol ſchmertzlichſte cur einer ſonſt gefaͤhrlichſten kranckheit/ die hand mit de-
muͤthigem danck kuͤſſen/ die ihn noch ſchlaͤget; ja ſich gedultig dazu reſolviren/
ob ihn der HErr noch eine weil euſſerl. ſeinen zorn (da ihme hingegen der glaube die
gnade innerlich vorſtellet und gewiß machet) fuͤhlen laſſen wolte/ ſich in ſolchem feuer
noch ferner reinigen zulaſſen: dann gewiß die errettung der ſeelen aus voriger gefahr
iſt ſo viel werth/ auch etwas zu leiden. Er laſſe nur dieſe beyde ſtuͤcken ſeine einige
uͤbung ſeyn/ und verlange von denen/ die mit ihm umgehen nechſt der leiblichen
pflege/ welche er auch in goͤttlicher ordnung mit danck anzunehmen hat/ keine
andere liebe als ihn in derſelben mit zuſpruch und gebet zu ſtaͤrcken: Eines theils
ſich ſtets noch vor dem HErrn zu demuͤthigen uͤber dasjenige/ was ihm derſelbe
in ſeinem gewiſſen nunmehr vorgeſtellet/ auch wo ihm das fleiſch/ da es wieder
etwas in ruhe kaͤme/ einiges auffs neue davon wolte verkleiſtern/ weder demſelben
noch auch andern/ die ſichs unterſtehen wuͤrden/ gehoͤr zugeben: Sonderlich bey
allem zuerwegen/ wie die ſuͤnde dadurch ſo viel groͤſſer worden/ da auch andern zu
ſuͤndigen gelegenheit gegeben/ und ſie mit worten und exempel verleitet worden ſind.
Dieſe demuth wird die glaubens-freudigkeit nicht aufheben/ ſondern das hertz im̃er
dazu deſto tuͤchtiger erhalten/ wie er deñ andeꝛn theils dahin zutrachten hat/ nunmehr
die gnade ſeines JEſu/ welche er mit beyſetzung eigener gerechtigkeit beſchimpffet
hatte/ deſtomehr nun zu ehren/ daß er glaube/ ſie ſey unendlich groͤſſer/ als alle
ſeine und uͤbriger menſchen ſuͤnde/ daher ihr ja die ſchande nicht anzuthun/
daß wir nur eine ſtunde gedencken wolten/ daß einige unſere ſuͤnde dieſelbe uͤberwi-
get. Er gedencke offt an die wort des heiligen Pauli 1. Tim. 1. das iſt je ge-
wißlich ꝛc.
die ich ihm zum gruß und anſpruch voran geſchrieben hab/ und laſſe ſie
auch nun den feſten grund werden ſeines vertrauens/ itzo und im kuͤnfftigen gan-
tzen leben. Er behertzige ſeinen tauff-bund/ als einen ewigen bund/ ob nun
wol derſelbe ihn/ als der allein auff der gerechtigkeit des todes JEſu CHriſti/
ſo uns zugerechnet wird beruhet/ mit der ſuchung eigener gerechtigkeit/ ſo fern
verleugnet/ ſo ſeye doch ſerne daß der himmliſche Vater denſelben oder ſich in dem-
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[797/0805] ARTIC. II. SECTIO XXIII. mitleiden tragen/ und uns ſeiner ſchmertzen nicht freuen/ daß wir uns gleichwol freuen uͤber die guͤte unſers Vaters und unſers JEſu/ ſo deñ uͤber den heylſamen zweck ſeiner leiden/ den auch in gewiſſer frucht erhalten zu werden nicht zweifle. Ja ich will ihm die- ſes zutrauen/ wie ſchwehr es dem euſſern menſchen wird/ dieſes feuer/ in welches ihn der HErr geworffen/ von den hart anklebenden ſchlacken ihn zu laͤutern/ er werde gleichwol auch in allem ſolchen leiden (ob es ihm wol jetzo/ da es empfunden wird/ keine freude iſt) die liebe ſeines Vaters und dieſes gnaden-gericht uͤber ihn alſo er- kennen/ daß er aus gegenhaltung des ſo viel ſchrecklichern feuers/ in welches man endlich durch geiſtlichen hochmuth ſtuͤrtzen moͤgen/ vor dieſe gelindere heimſuchung und ob wol ſchmertzlichſte cur einer ſonſt gefaͤhrlichſten kranckheit/ die hand mit de- muͤthigem danck kuͤſſen/ die ihn noch ſchlaͤget; ja ſich gedultig dazu reſolviren/ ob ihn der HErr noch eine weil euſſerl. ſeinen zorn (da ihme hingegen der glaube die gnade innerlich vorſtellet und gewiß machet) fuͤhlen laſſen wolte/ ſich in ſolchem feuer noch ferner reinigen zulaſſen: dann gewiß die errettung der ſeelen aus voriger gefahr iſt ſo viel werth/ auch etwas zu leiden. Er laſſe nur dieſe beyde ſtuͤcken ſeine einige uͤbung ſeyn/ und verlange von denen/ die mit ihm umgehen nechſt der leiblichen pflege/ welche er auch in goͤttlicher ordnung mit danck anzunehmen hat/ keine andere liebe als ihn in derſelben mit zuſpruch und gebet zu ſtaͤrcken: Eines theils ſich ſtets noch vor dem HErrn zu demuͤthigen uͤber dasjenige/ was ihm derſelbe in ſeinem gewiſſen nunmehr vorgeſtellet/ auch wo ihm das fleiſch/ da es wieder etwas in ruhe kaͤme/ einiges auffs neue davon wolte verkleiſtern/ weder demſelben noch auch andern/ die ſichs unterſtehen wuͤrden/ gehoͤr zugeben: Sonderlich bey allem zuerwegen/ wie die ſuͤnde dadurch ſo viel groͤſſer worden/ da auch andern zu ſuͤndigen gelegenheit gegeben/ und ſie mit worten und exempel verleitet worden ſind. Dieſe demuth wird die glaubens-freudigkeit nicht aufheben/ ſondern das hertz im̃er dazu deſto tuͤchtiger erhalten/ wie er deñ andeꝛn theils dahin zutrachten hat/ nunmehr die gnade ſeines JEſu/ welche er mit beyſetzung eigener gerechtigkeit beſchimpffet hatte/ deſtomehr nun zu ehren/ daß er glaube/ ſie ſey unendlich groͤſſer/ als alle ſeine und uͤbriger menſchen ſuͤnde/ daher ihr ja die ſchande nicht anzuthun/ daß wir nur eine ſtunde gedencken wolten/ daß einige unſere ſuͤnde dieſelbe uͤberwi- get. Er gedencke offt an die wort des heiligen Pauli 1. Tim. 1. das iſt je ge- wißlich ꝛc. die ich ihm zum gruß und anſpruch voran geſchrieben hab/ und laſſe ſie auch nun den feſten grund werden ſeines vertrauens/ itzo und im kuͤnfftigen gan- tzen leben. Er behertzige ſeinen tauff-bund/ als einen ewigen bund/ ob nun wol derſelbe ihn/ als der allein auff der gerechtigkeit des todes JEſu CHriſti/ ſo uns zugerechnet wird beruhet/ mit der ſuchung eigener gerechtigkeit/ ſo fern verleugnet/ ſo ſeye doch ſerne daß der himmliſche Vater denſelben oder ſich in dem- ſelben verleugnen/ und ihn auch auffgehoben haben ſolte; ſondern bey dem ſtehet er him- H h h h h 3

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 2. Halle (Saale), 1701, S. 797. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken02_1701/805>, abgerufen am 23.11.2024.