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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 2. Halle (Saale), 1701.

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Das fünffte Capitel.
also gar alle schuld schieben dörffte/ vielmehr wird sie ursach gnug finden/ wes-
wegen sie sich vor GOtt zu demüthigen/ und ihr eigen sünden-elend zubejammern
hat. (1) Jst die gewalt/ die der teuffel über uns hat/ und zu übung derselben an ihr
von GOtt/ sondere verhängnüß bekommen/ eine frucht unserer erb-schulde: und
muß sie sich selbst erkennen/ unter der zahl derjenigen zu seyn/ welche über sich in
Adam durch die sünde dem teuffel gewalt gegeben haben/ und also deswegen
schuld haben an allem/ wozu sie nachmal dieser mißbrauchet. (2) Wo sie schon
nicht durch vorher gegangene sünden göttliches gericht über sich gezogen/ als da-
von ich nichts weiß/ und also auch nicht temere argwohnen solle/ ist gleichwol
der verdruß und ungedult in der ihr mißfälligen ehe bereits eine solche sünde/ wel-
che/ wie sie vermuthlich GOtt zu dieser zulassung ursach gegeben/ die schuld des
darauff gesolgten auff die person selbsten zeucht. (3) Ob wol seinen glaubigen
der getreue himmlische Vater die von ihnen ohne willen und aus schwachheit
begangene sünden nicht zurechnen will/ geschihets doch nicht daher/ gleich ob ver-
dienten dieselbe nicht göttlichen zorn/ weil ja freylich der fluch des gesetzes über
alles gehet/ wo das hertz aus eignen oder anders her angeflognen gedancken nicht
in der ordnung vor GOTT stehet/ wie es stehen solle; weswegen glaubige
auch solcher ihrer schwachheit-sünden wegen sich in täglicher buß vor
GOtt demüthigen/ und die nicht zurechnung derselben allein ihres GOttes väter-
licher liebe und Christi verdienst/ ja aber nicht deme zuschreiben/ daß die sünde an
sich selbst geringe wäre: So dann nun bekantlich glaubige ihre sünde/ die sie aus
schwachheit in dem stand der gnaden begangen/ ob sie wol ihnen niemal zugerech-
net worden/ nicht gering schätzen/ sondern schmertzlich bereuen/ so hat diese person
so vielmehr ursach/ bey dero/ wie weit sie mit gewircket oder nicht/ und ob sie in
solcher zeit allerdings den glauben und heiligen Geist verlohren gehabt/ oder als
eine ihres verstands allerdings damal in diesen dingen beraubte (die deßwegen
würcklicher boßheit nicht fähig gewesen) vor GOtt in dem stand geblieben/ in wel-
chem sie mit dergleichen betreten worden/ noch den heiligen Geist behalten/ (ob
zwahr derselbe seine wirckung nicht weiter spüren lassen/ als daß er sie vor dem
eussersten verderben bewahret) ungewiß seyn mag/ alle ihre sünde/ so damal vor-
gegangen/ als schwehre greuel anzusehen/ und schmertzlich sie zubereuen. Jm
übrigen meyne ich nicht nothwendig zu seyn/ daß die angedeutete zweiffelhaffte
frage decidiret werde; das sicherste wohin auch die meiste rationes gehen
möchten/ würde seyn/ sie halte solche ihre sünde vielmehr schwehrer als leichter/
und suche sie in nichts zuentschuldigen. (4) Sonderlich weil solche teufflische
impressiones bey ihr keinen widerstand gefunden/ vielmehr sie denselben nach-
gehänget/ darein gewilliget/ zum öfftern solch votum wiederholet/ andere sün-
den zubegehen/ als mit gifft zuvergeben/ ehebruch zutreiben etc. getrachtet/ und
ohne
Das fuͤnffte Capitel.
alſo gar alle ſchuld ſchieben doͤrffte/ vielmehr wird ſie urſach gnug finden/ wes-
wegen ſie ſich vor GOtt zu demuͤthigen/ und ihr eigen ſuͤnden-elend zubejammern
hat. (1) Jſt die gewalt/ die der teuffel uͤber uns hat/ und zu uͤbung derſelben an ihr
von GOtt/ ſondere verhaͤngnuͤß bekommen/ eine frucht unſerer erb-ſchulde: und
muß ſie ſich ſelbſt erkennen/ unter der zahl derjenigen zu ſeyn/ welche uͤber ſich in
Adam durch die ſuͤnde dem teuffel gewalt gegeben haben/ und alſo deswegen
ſchuld haben an allem/ wozu ſie nachmal dieſer mißbrauchet. (2) Wo ſie ſchon
nicht durch vorher gegangene ſuͤnden goͤttliches gericht uͤber ſich gezogen/ als da-
von ich nichts weiß/ und alſo auch nicht temere argwohnen ſolle/ iſt gleichwol
der verdruß und ungedult in der ihr mißfaͤlligen ehe bereits eine ſolche ſuͤnde/ wel-
che/ wie ſie vermuthlich GOtt zu dieſer zulaſſung urſach gegeben/ die ſchuld des
darauff geſolgten auff die perſon ſelbſten zeucht. (3) Ob wol ſeinen glaubigen
der getreue himmliſche Vater die von ihnen ohne willen und aus ſchwachheit
begangene ſuͤnden nicht zurechnen will/ geſchihets doch nicht daher/ gleich ob ver-
dienten dieſelbe nicht goͤttlichen zorn/ weil ja freylich der fluch des geſetzes uͤber
alles gehet/ wo das hertz aus eignen oder anders her angeflognen gedancken nicht
in der ordnung vor GOTT ſtehet/ wie es ſtehen ſolle; weswegen glaubige
auch ſolcher ihrer ſchwachheit-ſuͤnden wegen ſich in taͤglicher buß vor
GOtt demuͤthigen/ und die nicht zurechnung derſelben allein ihres GOttes vaͤter-
licher liebe und Chriſti verdienſt/ ja aber nicht deme zuſchreiben/ daß die ſuͤnde an
ſich ſelbſt geringe waͤre: So dann nun bekantlich glaubige ihre ſuͤnde/ die ſie aus
ſchwachheit in dem ſtand der gnaden begangen/ ob ſie wol ihnen niemal zugerech-
net worden/ nicht gering ſchaͤtzen/ ſondern ſchmertzlich bereuen/ ſo hat dieſe perſon
ſo vielmehr urſach/ bey dero/ wie weit ſie mit gewircket oder nicht/ und ob ſie in
ſolcher zeit allerdings den glauben und heiligen Geiſt verlohren gehabt/ oder als
eine ihres verſtands allerdings damal in dieſen dingen beraubte (die deßwegen
wuͤrcklicher boßheit nicht faͤhig geweſen) vor GOtt in dem ſtand geblieben/ in wel-
chem ſie mit dergleichen betreten worden/ noch den heiligen Geiſt behalten/ (ob
zwahr derſelbe ſeine wirckung nicht weiter ſpuͤren laſſen/ als daß er ſie vor dem
euſſerſten verderben bewahret) ungewiß ſeyn mag/ alle ihre ſuͤnde/ ſo damal vor-
gegangen/ als ſchwehre greuel anzuſehen/ und ſchmertzlich ſie zubereuen. Jm
uͤbrigen meyne ich nicht nothwendig zu ſeyn/ daß die angedeutete zweiffelhaffte
frage decidiret werde; das ſicherſte wohin auch die meiſte rationes gehen
moͤchten/ wuͤrde ſeyn/ ſie halte ſolche ihre ſuͤnde vielmehr ſchwehrer als leichter/
und ſuche ſie in nichts zuentſchuldigen. (4) Sonderlich weil ſolche teuffliſche
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gehaͤnget/ darein gewilliget/ zum oͤfftern ſolch votum wiederholet/ andere ſuͤn-
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[782/0790] Das fuͤnffte Capitel. alſo gar alle ſchuld ſchieben doͤrffte/ vielmehr wird ſie urſach gnug finden/ wes- wegen ſie ſich vor GOtt zu demuͤthigen/ und ihr eigen ſuͤnden-elend zubejammern hat. (1) Jſt die gewalt/ die der teuffel uͤber uns hat/ und zu uͤbung derſelben an ihr von GOtt/ ſondere verhaͤngnuͤß bekommen/ eine frucht unſerer erb-ſchulde: und muß ſie ſich ſelbſt erkennen/ unter der zahl derjenigen zu ſeyn/ welche uͤber ſich in Adam durch die ſuͤnde dem teuffel gewalt gegeben haben/ und alſo deswegen ſchuld haben an allem/ wozu ſie nachmal dieſer mißbrauchet. (2) Wo ſie ſchon nicht durch vorher gegangene ſuͤnden goͤttliches gericht uͤber ſich gezogen/ als da- von ich nichts weiß/ und alſo auch nicht temere argwohnen ſolle/ iſt gleichwol der verdruß und ungedult in der ihr mißfaͤlligen ehe bereits eine ſolche ſuͤnde/ wel- che/ wie ſie vermuthlich GOtt zu dieſer zulaſſung urſach gegeben/ die ſchuld des darauff geſolgten auff die perſon ſelbſten zeucht. (3) Ob wol ſeinen glaubigen der getreue himmliſche Vater die von ihnen ohne willen und aus ſchwachheit begangene ſuͤnden nicht zurechnen will/ geſchihets doch nicht daher/ gleich ob ver- dienten dieſelbe nicht goͤttlichen zorn/ weil ja freylich der fluch des geſetzes uͤber alles gehet/ wo das hertz aus eignen oder anders her angeflognen gedancken nicht in der ordnung vor GOTT ſtehet/ wie es ſtehen ſolle; weswegen glaubige auch ſolcher ihrer ſchwachheit-ſuͤnden wegen ſich in taͤglicher buß vor GOtt demuͤthigen/ und die nicht zurechnung derſelben allein ihres GOttes vaͤter- licher liebe und Chriſti verdienſt/ ja aber nicht deme zuſchreiben/ daß die ſuͤnde an ſich ſelbſt geringe waͤre: So dann nun bekantlich glaubige ihre ſuͤnde/ die ſie aus ſchwachheit in dem ſtand der gnaden begangen/ ob ſie wol ihnen niemal zugerech- net worden/ nicht gering ſchaͤtzen/ ſondern ſchmertzlich bereuen/ ſo hat dieſe perſon ſo vielmehr urſach/ bey dero/ wie weit ſie mit gewircket oder nicht/ und ob ſie in ſolcher zeit allerdings den glauben und heiligen Geiſt verlohren gehabt/ oder als eine ihres verſtands allerdings damal in dieſen dingen beraubte (die deßwegen wuͤrcklicher boßheit nicht faͤhig geweſen) vor GOtt in dem ſtand geblieben/ in wel- chem ſie mit dergleichen betreten worden/ noch den heiligen Geiſt behalten/ (ob zwahr derſelbe ſeine wirckung nicht weiter ſpuͤren laſſen/ als daß er ſie vor dem euſſerſten verderben bewahret) ungewiß ſeyn mag/ alle ihre ſuͤnde/ ſo damal vor- gegangen/ als ſchwehre greuel anzuſehen/ und ſchmertzlich ſie zubereuen. Jm uͤbrigen meyne ich nicht nothwendig zu ſeyn/ daß die angedeutete zweiffelhaffte frage decidiret werde; das ſicherſte wohin auch die meiſte rationes gehen moͤchten/ wuͤrde ſeyn/ ſie halte ſolche ihre ſuͤnde vielmehr ſchwehrer als leichter/ und ſuche ſie in nichts zuentſchuldigen. (4) Sonderlich weil ſolche teuffliſche impreſſiones bey ihr keinen widerſtand gefunden/ vielmehr ſie denſelben nach- gehaͤnget/ darein gewilliget/ zum oͤfftern ſolch votum wiederholet/ andere ſuͤn- den zubegehen/ als mit gifft zuvergeben/ ehebruch zutreiben ꝛc. getrachtet/ und ohne

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 2. Halle (Saale), 1701, S. 782. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken02_1701/790>, abgerufen am 23.11.2024.