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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 2. Halle (Saale), 1701.

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ARTIC. II. SECTIO VII.
ren nach dem es sonst scheinet/ daß die schärffe der ihnen obligenden pflicht/
die ihrer seelen heil starck an der anvertrauten ihres bindet/ mit sich brächte/
sondern mit vielem schonen/ mit ihnen zu handeln. Dieses vertrauen aber
recht zu gründen/ und sich fest darinnen zu setzen ist nöthig/ nicht allein daß
man in dem articul der rechtfertigung wol gegründet seye/ sondern insge-
samt getrachtet habe/ in einer lebendigen erkänntnüß des evangelii zustehen/
und mit demselben immer umzugehen/ damit es tieffe wurtzel in dem hertzen
fasse. Da wird sich auch der scrupel, darüber derselbe klaget/ bald heben
lassen/ wann er sorget/ er habe nicht die gaben in demjenigen maaß/ als etwa
einige geistreiche Theologi hätten: Dann daß ich nicht sage/ daß er selbs von
dem maaß seiner gaben nicht wol zu urtheilen vermöge/ in dem insgemein
der HErr seinen kindern solches maaß also verbirget/ daß was in anderer au-
gen groß ist/ in den ihrigen ihnen klein vorkommet/ so lehret uns das Evange-
lium/ wo wir es uns recht eingetruckt/ also bald daß GOtt nicht nach dem
maaß unserer gaben/ oder auch was wir damit ausrichten/ vor seinem ge-
richt mit uns handele/ sondern nach seiner gnade in CHristo JEsu/ daran
sich unser glaube hält; daß aber dieser ein wahrer lebendiger glaube seye/ ist
uns zum zeugnüß genug/ daß wirs in unserm amt treulich meinen/ und die-
ses/ ob wol in schwachheit/ doch in aufrichtiger liebe CHristi und der seelen
verwalten. Wie nun das maaß der gaben nicht in unserer hand stehet/ son-
dern der HErr dasselbe nach seinem wolgefallen austheilet/ so fordert der
HErr von uns mehr nicht/ als er uns gegeben hat/ und wieweit solches hin-
reichet. Daß das sontags-tantzen eine schwere last auf dem hertzen seye/
kan ich leicht ermessen/ so vielmehr weil keine müglichkeit zu sehen durch
menschliche hülffe solchem unwesen zu steuren. Wie denn leicht erachte/ daß
bey dem Abt nichts zu erhalten/ in dem man in der Römischen kirchen insge-
mein über der sontags-feyr/ wo nur der meß ihre zeit gegönnet ist/ wenig ge-
halten/ oder sie sehr nothwendig geachtet wird. Ja wie so viele noch bey
uns im schwang gehende sünden aus dem Papstum ihren ursprung herha-
ben/ also sonderlich entstehet auch daher die vermeinte freyheit allerley welt-
liche ergötzlichkeiten auff den sontag anzustellen/ damit ihrer viele wol gar
gedencken dem heiligen tage eine ehre zu erweisen. Was aber den Hr. von
N N. anlanget/ wo ich an seiner stelle wäre (da ich gleich wol im übrigen
nechst geliebten Bruders ihm zu getheilten ruhm auch ander gutes zeugnüß
von ihm gehöret) hielte ich mich verbunden/ daß ich aufs wenigste an mei-
nem ort nach vermögen solcher üppigkeit steurete/ denn ob es wol an dem/ daß
man den leuten nicht gnug verwehren kan/ anderwertlich hinzulauffen/ wo
sie es etwa ärger als zu hause machen/ so hielte doch 1. daß ich aufs wenigste

mein
B b b b b 2

ARTIC. II. SECTIO VII.
ren nach dem es ſonſt ſcheinet/ daß die ſchaͤrffe der ihnen obligenden pflicht/
die ihrer ſeelen heil ſtarck an der anvertrauten ihres bindet/ mit ſich braͤchte/
ſondern mit vielem ſchonen/ mit ihnen zu handeln. Dieſes vertrauen aber
recht zu gruͤnden/ und ſich feſt darinnen zu ſetzen iſt noͤthig/ nicht allein daß
man in dem articul der rechtfertigung wol gegruͤndet ſeye/ ſondern insge-
ſamt getrachtet habe/ in einer lebendigen erkaͤnntnuͤß des evangelii zuſtehen/
und mit demſelben immer umzugehen/ damit es tieffe wurtzel in dem hertzen
faſſe. Da wird ſich auch der ſcrupel, daruͤber derſelbe klaget/ bald heben
laſſen/ wann er ſorget/ er habe nicht die gaben in demjenigen maaß/ als etwa
einige geiſtreiche Theologi haͤtten: Dann daß ich nicht ſage/ daß er ſelbs von
dem maaß ſeiner gaben nicht wol zu urtheilen vermoͤge/ in dem insgemein
der HErr ſeinen kindern ſolches maaß alſo verbirget/ daß was in anderer au-
gen groß iſt/ in den ihrigen ihnen klein vorkom̃et/ ſo lehret uns das Evange-
lium/ wo wir es uns recht eingetruckt/ alſo bald daß GOtt nicht nach dem
maaß unſerer gaben/ oder auch was wir damit ausrichten/ vor ſeinem ge-
richt mit uns handele/ ſondern nach ſeiner gnade in CHriſto JEſu/ daran
ſich unſer glaube haͤlt; daß aber dieſer ein wahrer lebendiger glaube ſeye/ iſt
uns zum zeugnuͤß genug/ daß wirs in unſerm amt treulich meinen/ und die-
ſes/ ob wol in ſchwachheit/ doch in aufrichtiger liebe CHriſti und der ſeelen
verwalten. Wie nun das maaß der gaben nicht in unſerer hand ſtehet/ ſon-
dern der HErr daſſelbe nach ſeinem wolgefallen austheilet/ ſo fordert der
HErr von uns mehr nicht/ als er uns gegeben hat/ und wieweit ſolches hin-
reichet. Daß das ſontags-tantzen eine ſchwere laſt auf dem hertzen ſeye/
kan ich leicht ermeſſen/ ſo vielmehr weil keine muͤglichkeit zu ſehen durch
menſchliche huͤlffe ſolchem unweſen zu ſteuren. Wie denn leicht erachte/ daß
bey dem Abt nichts zu erhalten/ in dem man in der Roͤmiſchen kirchen insge-
mein uͤber der ſontags-feyr/ wo nur der meß ihre zeit gegoͤnnet iſt/ wenig ge-
halten/ oder ſie ſehr nothwendig geachtet wird. Ja wie ſo viele noch bey
uns im ſchwang gehende ſuͤnden aus dem Papſtum ihren urſprung herha-
ben/ alſo ſonderlich entſtehet auch daher die vermeinte freyheit allerley welt-
liche ergoͤtzlichkeiten auff den ſontag anzuſtellen/ damit ihrer viele wol gar
gedencken dem heiligen tage eine ehre zu erweiſen. Was aber den Hr. von
N N. anlanget/ wo ich an ſeiner ſtelle waͤre (da ich gleich wol im uͤbrigen
nechſt geliebten Bruders ihm zu getheilten ruhm auch ander gutes zeugnuͤß
von ihm gehoͤret) hielte ich mich verbunden/ daß ich aufs wenigſte an mei-
nem ort nach vermoͤgen ſolcher uͤppigkeit ſteurete/ denn ob es wol an dem/ daß
man den leuten nicht gnug verwehren kan/ anderwertlich hinzulauffen/ wo
ſie es etwa aͤrger als zu hauſe machen/ ſo hielte doch 1. daß ich aufs wenigſte

mein
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[747/0755] ARTIC. II. SECTIO VII. ren nach dem es ſonſt ſcheinet/ daß die ſchaͤrffe der ihnen obligenden pflicht/ die ihrer ſeelen heil ſtarck an der anvertrauten ihres bindet/ mit ſich braͤchte/ ſondern mit vielem ſchonen/ mit ihnen zu handeln. Dieſes vertrauen aber recht zu gruͤnden/ und ſich feſt darinnen zu ſetzen iſt noͤthig/ nicht allein daß man in dem articul der rechtfertigung wol gegruͤndet ſeye/ ſondern insge- ſamt getrachtet habe/ in einer lebendigen erkaͤnntnuͤß des evangelii zuſtehen/ und mit demſelben immer umzugehen/ damit es tieffe wurtzel in dem hertzen faſſe. Da wird ſich auch der ſcrupel, daruͤber derſelbe klaget/ bald heben laſſen/ wann er ſorget/ er habe nicht die gaben in demjenigen maaß/ als etwa einige geiſtreiche Theologi haͤtten: Dann daß ich nicht ſage/ daß er ſelbs von dem maaß ſeiner gaben nicht wol zu urtheilen vermoͤge/ in dem insgemein der HErr ſeinen kindern ſolches maaß alſo verbirget/ daß was in anderer au- gen groß iſt/ in den ihrigen ihnen klein vorkom̃et/ ſo lehret uns das Evange- lium/ wo wir es uns recht eingetruckt/ alſo bald daß GOtt nicht nach dem maaß unſerer gaben/ oder auch was wir damit ausrichten/ vor ſeinem ge- richt mit uns handele/ ſondern nach ſeiner gnade in CHriſto JEſu/ daran ſich unſer glaube haͤlt; daß aber dieſer ein wahrer lebendiger glaube ſeye/ iſt uns zum zeugnuͤß genug/ daß wirs in unſerm amt treulich meinen/ und die- ſes/ ob wol in ſchwachheit/ doch in aufrichtiger liebe CHriſti und der ſeelen verwalten. Wie nun das maaß der gaben nicht in unſerer hand ſtehet/ ſon- dern der HErr daſſelbe nach ſeinem wolgefallen austheilet/ ſo fordert der HErr von uns mehr nicht/ als er uns gegeben hat/ und wieweit ſolches hin- reichet. Daß das ſontags-tantzen eine ſchwere laſt auf dem hertzen ſeye/ kan ich leicht ermeſſen/ ſo vielmehr weil keine muͤglichkeit zu ſehen durch menſchliche huͤlffe ſolchem unweſen zu ſteuren. Wie denn leicht erachte/ daß bey dem Abt nichts zu erhalten/ in dem man in der Roͤmiſchen kirchen insge- mein uͤber der ſontags-feyr/ wo nur der meß ihre zeit gegoͤnnet iſt/ wenig ge- halten/ oder ſie ſehr nothwendig geachtet wird. Ja wie ſo viele noch bey uns im ſchwang gehende ſuͤnden aus dem Papſtum ihren urſprung herha- ben/ alſo ſonderlich entſtehet auch daher die vermeinte freyheit allerley welt- liche ergoͤtzlichkeiten auff den ſontag anzuſtellen/ damit ihrer viele wol gar gedencken dem heiligen tage eine ehre zu erweiſen. Was aber den Hr. von N N. anlanget/ wo ich an ſeiner ſtelle waͤre (da ich gleich wol im uͤbrigen nechſt geliebten Bruders ihm zu getheilten ruhm auch ander gutes zeugnuͤß von ihm gehoͤret) hielte ich mich verbunden/ daß ich aufs wenigſte an mei- nem ort nach vermoͤgen ſolcher uͤppigkeit ſteurete/ denn ob es wol an dem/ daß man den leuten nicht gnug verwehren kan/ anderwertlich hinzulauffen/ wo ſie es etwa aͤrger als zu hauſe machen/ ſo hielte doch 1. daß ich aufs wenigſte mein B b b b b 2

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 2. Halle (Saale), 1701, S. 747. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken02_1701/755>, abgerufen am 23.11.2024.