Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 2. Halle (Saale), 1701.Das vierdte Capitel. 18/ 18. zwahr die schwägerin mit deutlichen worten/ aber mit dem zusatz ver-boten werde/ neben ihr/ ihr zuwider weil sie noch lebet: woraus nicht zu leugnen/ daß unterschiedliche gelehrte leute solcherley ehen/ da zwo schwe- stern nach einander geehliget worden seynd/ nicht verboten haben/ sondern sich vielmehr dieser ausflucht gebraucht: daß wo die ursach des verbots auff- höre/ so werde damit auch das gebot selbs auffgehoben. Jch leugne auch nicht/ daß solcher einwurff nicht von geringem schein ist/ so dann daß die ursachen/ welche angezogen werden/ warum GOTT zu dem allgemeinen verbot eine solche special-ursach/ die jenes enger einzuziehen scheinet/ angehenget habe/ nicht alle von gleicher würde/ und so bewandt/ daß sie einem harten wider- sprecher ein völlig genüge allemal geben. Daher wo nicht die vorige ange- führte gründe der allgemeinen regel und der in noch weitere grade erstreckter verbietung mich in dem gewissen zur genüge überzeugten/ ich solche restricti- on glaublich achten würde. Jch finde aber jene so starck/ daß ob ich wol keine genugsame ursach solches besondern zusatzes finden solte können/ wie dennoch unterschiedliche der unsrigen anziehende auch so bewandt/ daß sie nicht zu ver- achten sind/ mir schon genugsam seyn solte/ aus jenen kräfftigen rationen, die wahrheit also zu erkennen/ daß der andere zweiffel die sach nicht auffhebe. So ists nicht eben ungemein/ daß einige dinge zuweilen in göttlichem wort sich finden/ die ihre difficultäten haben/ da wir aber/ wo wir aus andern unzweiffelichen orten der wahrheit einer sache überzeugt seynd/ uns an andere duncklere oder in zweiffel gezogene wort nicht also halten/ daß wir jene wahrheit drüber fahren lassen wolten/ sondern diese gilt dermassen bey uns/ daß wir alsdann lieber jene mit einer commoda in- terpretatione damit zu vereinbaren suchen. Daß deßwegen jene regel Basi- lii M. wol statt hat: Ex eo quod scriptum est, non temere colligendum, quod scriptum non est. So dann der Juristen axioma: Argumentum a con- trario sensu non procedere, cum inde sequitur absurdum (sihe D. Menzer. l. c. p. 1096.) Jetzo zu geschweigen/ daß unterschiedliche vornehme und gelehrte Theologi dieses in dem 18. vers stehende verbot gar in einem andern verstand annehmen/ daß nichts anders damit gemeinet seye/ als daß man neben seinem weib kein anders eheweib/ so hie nach der gemeinen hebräischen redens-art ih- re schwester (das ist/ ihres gleichen) genennet werde/ heyrathen solte. Jn welchem verstand der ort allein der viel-weiberey oder polygamiae entgegen gesetzt wäre/ nicht aber von den verbotenen graden der freundschafft handelte. So wir an seinen ort gestellt seyn lassen. Wie nun dieses das erste fundament ist/ so folget nechst demselben das nen
Das vierdte Capitel. 18/ 18. zwahr die ſchwaͤgerin mit deutlichen worten/ aber mit dem zuſatz ver-boten werde/ neben ihr/ ihr zuwider weil ſie noch lebet: woraus nicht zu leugnen/ daß unterſchiedliche gelehrte leute ſolcherley ehen/ da zwo ſchwe- ſtern nach einander geehliget worden ſeynd/ nicht verboten haben/ ſondern ſich vielmehr dieſer ausflucht gebraucht: daß wo die urſach des verbots auff- hoͤre/ ſo werde damit auch das gebot ſelbs auffgehoben. Jch leugne auch nicht/ daß ſolcher einwurff nicht von geringem ſchein iſt/ ſo dann daß die urſachen/ welche angezogen werden/ warum GOTT zu dem allgemeinen verbot eine ſolche ſpecial-urſach/ die jenes enger einzuziehen ſcheinet/ angehenget habe/ nicht alle von gleicher wuͤrde/ und ſo bewandt/ daß ſie einem harten wider- ſprecher ein voͤllig genuͤge allemal geben. Daher wo nicht die vorige ange- fuͤhrte gruͤnde der allgemeinen regel und der in noch weitere grade erſtreckter verbietung mich in dem gewiſſen zur genuͤge uͤberzeugten/ ich ſolche reſtricti- on glaublich achten wuͤrde. Jch finde aber jene ſo ſtarck/ daß ob ich wol keine genugſame urſach ſolches beſondern zuſatzes finden ſolte koͤnnen/ wie dennoch unterſchiedliche der unſrigen anziehende auch ſo bewandt/ daß ſie nicht zu ver- achten ſind/ mir ſchon genugſam ſeyn ſolte/ aus jenen kraͤfftigen rationen, die wahrheit alſo zu erkennen/ daß der andere zweiffel die ſach nicht auffhebe. So iſts nicht eben ungemein/ daß einige dinge zuweilen in goͤttlichem wort ſich finden/ die ihre difficultaͤten haben/ da wir aber/ wo wir aus andern unzweiffelichen orten der wahrheit einer ſache uͤberzeugt ſeynd/ uns an andere duncklere oder in zweiffel gezogene wort nicht alſo halten/ daß wir jene wahrheit druͤber fahren laſſen wolten/ ſondern dieſe gilt dermaſſen bey uns/ daß wir alsdann lieber jene mit einer commoda in- terpretatione damit zu vereinbaren ſuchen. Daß deßwegen jene regel Baſi- lii M. wol ſtatt hat: Ex eo quod ſcriptum eſt, non temere colligendum, quod ſcriptum non eſt. So dann der Juriſten axioma: Argumentum à con- trario ſenſu non procedere, cum inde ſequitur abſurdum (ſihe D. Menzer. l. c. p. 1096.) Jetzo zu geſchweigen/ daß unterſchiedliche vornehme und gelehrte Theologi dieſes in dem 18. vers ſtehende verbot gar in einem andern verſtand annehmen/ daß nichts anders damit gemeinet ſeye/ als daß man neben ſeinem weib kein anders eheweib/ ſo hie nach der gemeinen hebraͤiſchen redens-art ih- re ſchweſter (das iſt/ ihres gleichen) genennet werde/ heyrathen ſolte. Jn welchem verſtand der ort allein der viel-weiberey oder polygamiæ entgegen geſetzt waͤre/ nicht aber von den verbotenen graden der freundſchafft handelte. So wir an ſeinen ort geſtellt ſeyn laſſen. Wie nun dieſes das erſte fundament iſt/ ſo folget nechſt demſelben das nen
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Das vierdte Capitel.
18/ 18. zwahr die ſchwaͤgerin mit deutlichen worten/ aber mit dem zuſatz ver-
boten werde/ neben ihr/ ihr zuwider weil ſie noch lebet: woraus nicht
zu leugnen/ daß unterſchiedliche gelehrte leute ſolcherley ehen/ da zwo ſchwe-
ſtern nach einander geehliget worden ſeynd/ nicht verboten haben/ ſondern
ſich vielmehr dieſer ausflucht gebraucht: daß wo die urſach des verbots auff-
hoͤre/ ſo werde damit auch das gebot ſelbs auffgehoben. Jch leugne auch nicht/
daß ſolcher einwurff nicht von geringem ſchein iſt/ ſo dann daß die urſachen/
welche angezogen werden/ warum GOTT zu dem allgemeinen verbot eine
ſolche ſpecial-urſach/ die jenes enger einzuziehen ſcheinet/ angehenget habe/
nicht alle von gleicher wuͤrde/ und ſo bewandt/ daß ſie einem harten wider-
ſprecher ein voͤllig genuͤge allemal geben. Daher wo nicht die vorige ange-
fuͤhrte gruͤnde der allgemeinen regel und der in noch weitere grade erſtreckter
verbietung mich in dem gewiſſen zur genuͤge uͤberzeugten/ ich ſolche reſtricti-
on glaublich achten wuͤrde. Jch finde aber jene ſo ſtarck/ daß ob ich wol keine
genugſame urſach ſolches beſondern zuſatzes finden ſolte koͤnnen/ wie dennoch
unterſchiedliche der unſrigen anziehende auch ſo bewandt/ daß ſie nicht zu ver-
achten ſind/ mir ſchon genugſam ſeyn ſolte/ aus jenen kraͤfftigen rationen,
die wahrheit alſo zu erkennen/ daß der andere zweiffel die ſach nicht
auffhebe. So iſts nicht eben ungemein/ daß einige dinge zuweilen
in goͤttlichem wort ſich finden/ die ihre difficultaͤten haben/ da wir
aber/ wo wir aus andern unzweiffelichen orten der wahrheit einer ſache
uͤberzeugt ſeynd/ uns an andere duncklere oder in zweiffel gezogene wort nicht
alſo halten/ daß wir jene wahrheit druͤber fahren laſſen wolten/ ſondern dieſe
gilt dermaſſen bey uns/ daß wir alsdann lieber jene mit einer commoda in-
terpretatione damit zu vereinbaren ſuchen. Daß deßwegen jene regel Baſi-
lii M. wol ſtatt hat: Ex eo quod ſcriptum eſt, non temere colligendum,
quod ſcriptum non eſt. So dann der Juriſten axioma: Argumentum à con-
trario ſenſu non procedere, cum inde ſequitur abſurdum (ſihe D. Menzer.
l. c. p. 1096.) Jetzo zu geſchweigen/ daß unterſchiedliche vornehme und gelehrte
Theologi dieſes in dem 18. vers ſtehende verbot gar in einem andern verſtand
annehmen/ daß nichts anders damit gemeinet ſeye/ als daß man neben ſeinem
weib kein anders eheweib/ ſo hie nach der gemeinen hebraͤiſchen redens-art ih-
re ſchweſter (das iſt/ ihres gleichen) genennet werde/ heyrathen ſolte. Jn
welchem verſtand der ort allein der viel-weiberey oder polygamiæ entgegen
geſetzt waͤre/ nicht aber von den verbotenen graden der freundſchafft handelte.
So wir an ſeinen ort geſtellt ſeyn laſſen.
Wie nun dieſes das erſte fundament iſt/ ſo folget nechſt demſelben das
andere/ daß wo auch die ſache einigerley maſſen zweiffelhafftig waͤre/ das ge-
wiſſen erfordert/ daß man allezeit den ſicherſten weg erwehlen muͤſſe/ worin-
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Zitationshilfe: | Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 2. Halle (Saale), 1701, S. 540. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken02_1701/548>, abgerufen am 30.06.2024. |