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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 2. Halle (Saale), 1701.

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SECTIO VIII.
du solt deines bruders weibs schaam nicht blössen/ denn sie ist etc.
des weibes schwester schaam aber in gleichem grad stehet/ es auch heisse:
Du solt deiner schwester manns schaam nicht blössen/ denn es ist dei-
ner schwester schaam/ der bruder oder die schwester lebe oder seye todt.

Resp.

So lang das obige fundament stehet aus v. 6. so ich der übrigen gantzen
abhandlung solcher materie in selbigem capitel gemäß finde/ und daher noch
keine gnugsame ursach habe/ davon abzutreten/ kan ichs nicht anders als vor
einerley recht und ursach halten. Dann es wird austrücklich v. 16. die ur-
sach angezogen/ daß sie seines bruders schaam seye. Da wird weder von
uneinigen ehen noch anderer sorge eines inconvenientis, so der ehe wegen
entstehen möchte/ meldung gethan/ sondern daß sie des bruders schaam/ und
ihm also zu nahe zugehörig seye. Wann wir noch weiter sehen in diesem ca-
pitel/ wo diese art zu reden stehet v. 8. 10. so folget dieses draus/ diejenige/
welche mein oder derjenigen/ welche mein fleisch und blut sind/ schaam sind/
sind mir zu ehelichen verboten. Denn v. 8. du solt deines vaters weibes
schaam nicht blössen/ dann sie ist deines vaters schaam/
also alle die deines
vaters schaam ist/ darffstu nicht nehmen. v. 10. Du solt deines sohns
oder deiner tochter schaam nicht blössen/ denn es ist deine schaam.
Also
darff ich meine schaam nicht blössen. Hie v. 16. darff ich auch meines bruders
weibs schaam nicht blössen/ dann sie ist meines bruders schaam. Von den er-
sten exempeln ist kein zweiffel/ daß sie verboten seyen wegen der nahen anver-
wandschafft/ das eine in der affinität/ das andere in der consanguinität/ so lei-
det sich nicht/ daß das dritte exempel einen andern verstand habe: Sondern
kommt vielmehr diese regel heraus/ alle diejenige personen/ welche entweder
meine nechste bluts-freundin/ mein würcklich fleisch und blut ist/ oder mit mei-
nem fleisch und blut ein fleisch worden ist/ die ist mir verboten: Denn sie ist
meine oder meines nechsten bluts-freundes schaam. Und ist nicht erdencklich/
wie in dieser redens-art/ daß die person verboten seye/ weil sie dessen und des-
sen schaam seye/ etwas anders als eine propinquität könte gemeinet seyn.
Nun wo diese regel stehet/ so ist meines weibes schwester zwahr nicht meine/
aber derjenigen/ die mit mir ein fleisch gewesen ist/ schaame: oder auffs wenig-
ste/ ist der mann die schaam seines weibes/ und also deroselben schwester ihm
verboten.

4.

Ob die wort (ihr zu wider/ weil sie noch lebet) zu der substanz des
verbots oder nur zu der dem verbot angehengten ursach (nempe, ihr zu wider/
oder sie zu ängstigen in ihrem leben) gehören? und also zwo ursachen dieses

ver-

SECTIO VIII.
du ſolt deines bruders weibs ſchaam nicht bloͤſſen/ denn ſie iſt ꝛc.
des weibes ſchweſter ſchaam aber in gleichem grad ſtehet/ es auch heiſſe:
Du ſolt deiner ſchweſter manns ſchaam nicht bloͤſſen/ denn es iſt dei-
ner ſchweſter ſchaam/ der bruder oder die ſchweſter lebe oder ſeye todt.

Reſp.

So lang das obige fundament ſtehet aus v. 6. ſo ich der uͤbrigen gantzen
abhandlung ſolcher materie in ſelbigem capitel gemaͤß finde/ und daher noch
keine gnugſame urſach habe/ davon abzutreten/ kan ichs nicht anders als vor
einerley recht und urſach halten. Dann es wird austruͤcklich v. 16. die ur-
ſach angezogen/ daß ſie ſeines bruders ſchaam ſeye. Da wird weder von
uneinigen ehen noch anderer ſorge eines inconvenientis, ſo der ehe wegen
entſtehen moͤchte/ meldung gethan/ ſondern daß ſie des bruders ſchaam/ und
ihm alſo zu nahe zugehoͤrig ſeye. Wann wir noch weiter ſehen in dieſem ca-
pitel/ wo dieſe art zu reden ſtehet v. 8. 10. ſo folget dieſes draus/ diejenige/
welche mein oder derjenigen/ welche mein fleiſch und blut ſind/ ſchaam ſind/
ſind mir zu ehelichen verboten. Denn v. 8. du ſolt deines vaters weibes
ſchaam nicht bloͤſſen/ dann ſie iſt deines vaters ſchaam/
alſo alle die deines
vaters ſchaam iſt/ darffſtu nicht nehmen. v. 10. Du ſolt deines ſohns
oder deiner tochter ſchaam nicht bloͤſſen/ denn es iſt deine ſchaam.
Alſo
darff ich meine ſchaam nicht bloͤſſen. Hie v. 16. darff ich auch meines bruders
weibs ſchaam nicht bloͤſſen/ dann ſie iſt meines bruders ſchaam. Von den er-
ſten exempeln iſt kein zweiffel/ daß ſie verboten ſeyen wegen der nahen anver-
wandſchafft/ das eine in der affinitaͤt/ das andere in der conſanguinitaͤt/ ſo lei-
det ſich nicht/ daß das dritte exempel einen andern verſtand habe: Sondern
kommt vielmehr dieſe regel heraus/ alle diejenige perſonen/ welche entweder
meine nechſte bluts-freundin/ mein wuͤrcklich fleiſch und blut iſt/ oder mit mei-
nem fleiſch und blut ein fleiſch worden iſt/ die iſt mir verboten: Denn ſie iſt
meine oder meines nechſten bluts-freundes ſchaam. Und iſt nicht erdencklich/
wie in dieſer redens-art/ daß die perſon verboten ſeye/ weil ſie deſſen und deſ-
ſen ſchaam ſeye/ etwas anders als eine propinquitaͤt koͤnte gemeinet ſeyn.
Nun wo dieſe regel ſtehet/ ſo iſt meines weibes ſchweſter zwahr nicht meine/
aber derjenigen/ die mit mir ein fleiſch geweſen iſt/ ſchaame: oder auffs wenig-
ſte/ iſt der mann die ſchaam ſeines weibes/ und alſo deroſelben ſchweſter ihm
verboten.

4.

Ob die wort (ihr zu wider/ weil ſie noch lebet) zu der ſubſtanz des
verbots oder nur zu der dem verbot angehengten urſach (nempe, ihr zu wider/
oder ſie zu aͤngſtigen in ihrem leben) gehoͤren? und alſo zwo urſachen dieſes

ver-
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[535/0543] SECTIO VIII. du ſolt deines bruders weibs ſchaam nicht bloͤſſen/ denn ſie iſt ꝛc. des weibes ſchweſter ſchaam aber in gleichem grad ſtehet/ es auch heiſſe: Du ſolt deiner ſchweſter manns ſchaam nicht bloͤſſen/ denn es iſt dei- ner ſchweſter ſchaam/ der bruder oder die ſchweſter lebe oder ſeye todt. Reſp. So lang das obige fundament ſtehet aus v. 6. ſo ich der uͤbrigen gantzen abhandlung ſolcher materie in ſelbigem capitel gemaͤß finde/ und daher noch keine gnugſame urſach habe/ davon abzutreten/ kan ichs nicht anders als vor einerley recht und urſach halten. Dann es wird austruͤcklich v. 16. die ur- ſach angezogen/ daß ſie ſeines bruders ſchaam ſeye. Da wird weder von uneinigen ehen noch anderer ſorge eines inconvenientis, ſo der ehe wegen entſtehen moͤchte/ meldung gethan/ ſondern daß ſie des bruders ſchaam/ und ihm alſo zu nahe zugehoͤrig ſeye. Wann wir noch weiter ſehen in dieſem ca- pitel/ wo dieſe art zu reden ſtehet v. 8. 10. ſo folget dieſes draus/ diejenige/ welche mein oder derjenigen/ welche mein fleiſch und blut ſind/ ſchaam ſind/ ſind mir zu ehelichen verboten. Denn v. 8. du ſolt deines vaters weibes ſchaam nicht bloͤſſen/ dann ſie iſt deines vaters ſchaam/ alſo alle die deines vaters ſchaam iſt/ darffſtu nicht nehmen. v. 10. Du ſolt deines ſohns oder deiner tochter ſchaam nicht bloͤſſen/ denn es iſt deine ſchaam. Alſo darff ich meine ſchaam nicht bloͤſſen. Hie v. 16. darff ich auch meines bruders weibs ſchaam nicht bloͤſſen/ dann ſie iſt meines bruders ſchaam. Von den er- ſten exempeln iſt kein zweiffel/ daß ſie verboten ſeyen wegen der nahen anver- wandſchafft/ das eine in der affinitaͤt/ das andere in der conſanguinitaͤt/ ſo lei- det ſich nicht/ daß das dritte exempel einen andern verſtand habe: Sondern kommt vielmehr dieſe regel heraus/ alle diejenige perſonen/ welche entweder meine nechſte bluts-freundin/ mein wuͤrcklich fleiſch und blut iſt/ oder mit mei- nem fleiſch und blut ein fleiſch worden iſt/ die iſt mir verboten: Denn ſie iſt meine oder meines nechſten bluts-freundes ſchaam. Und iſt nicht erdencklich/ wie in dieſer redens-art/ daß die perſon verboten ſeye/ weil ſie deſſen und deſ- ſen ſchaam ſeye/ etwas anders als eine propinquitaͤt koͤnte gemeinet ſeyn. Nun wo dieſe regel ſtehet/ ſo iſt meines weibes ſchweſter zwahr nicht meine/ aber derjenigen/ die mit mir ein fleiſch geweſen iſt/ ſchaame: oder auffs wenig- ſte/ iſt der mann die ſchaam ſeines weibes/ und alſo deroſelben ſchweſter ihm verboten. 4. Ob die wort (ihr zu wider/ weil ſie noch lebet) zu der ſubſtanz des verbots oder nur zu der dem verbot angehengten urſach (nempe, ihr zu wider/ oder ſie zu aͤngſtigen in ihrem leben) gehoͤren? und alſo zwo urſachen dieſes ver-

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 2. Halle (Saale), 1701, S. 535. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken02_1701/543>, abgerufen am 22.11.2024.