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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 2. Halle (Saale), 1701.

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SECTIO VI.
Dann weil kein göttliches verbot in dem weg stehet (dann dieses liesse sich von
menschen nicht auffheben) auch die alte canones auffgehoben sind/ daß nun-
mehr jure canonum das secundum genus affinitatis allerdings frey ist/ so kan
das obstaculum juris civilis (so ohne das in matrimonialibus wenig zu at-
tendi
ren) und provincialis von demjenigen/ der den legem gegeben/ auch wol
auffgehoben/ und also dispensiret werden: So vielmehr weil die prohibitio
fast auf dem blossen argumento so genannter publicae honestatis (dann das
argument, daß deren kinder sich nicht unter einander heyrathen könten/ ein-
ander auch selbs verboten seyn müsten/ hat gar keine krafft/ und ist gnugsam
von dem stattlichen Juristen Herrn Stryken refutirt worden/ so ist auch der
praetendirte respectus paternitatis zu schwach) beruhet/ welche publica hone-
stas
gleichwol nichts anders ist/ als die sorgfalt anderer ärgernüß zu verhü-
ten. Nun bin nicht in abrede/ daß die versäumung derselben wol so wichtig
ist/ daß man sich seiner freyheit um anderer zu schohnen bißweilen zu begeben
habe. Jch sehe aber nicht/ wie dieses ärgernüß/ so zum grunde hat des gemei-
nen volcks unverstand/ so sich durch die nahmen vater und sohns frau bestär-
cket/ allerdings alle die rationen/ welche eine person zu einer solchen heyrath
bewegen möchten/ überwiegen solte: Nachdem so wol sonsten auch mittel
seynd/ und gesucht werden mögen/ dem gemeinen volck solche unrechte mei-
nung/ als die ursach des ärgernüsses/ zu benehmen/ als auch eben durch die di-
spensation
der hohen Obrigkeit dieselbe wircklich benommen wird. Jndem
das vertrauen der unterthanen/ daß dero hohe Obrigkeit nichts ungebührli-
ches sua autoritate confirmiren würde/ billich ihren eigenen gedancken praeva-
li
ren solle. Weswegen dann bey Dedek. vol. 3. p. 396. 397. die berathschla-
gung des Chur-S. Consistorii zu Wittenberg befindlich/ da verlangt wor-
den/ weil die canones a civili discrepiren/ daß der sache durch eine constitution
und gewisse ordnung zu helffen/ so dann wiro vor gewiß gesetzt/ daß solche pro-
hibitio,
welche ratione honestatis publicae geschehen/ per dispensationem
könne erlassen werden. Also führet eben solcher Dedekennus an p. 399. ein
responsum der Theolog. Fac. zu Rostock 1570. so zwahr eine solche ehe/ weil
sie wider die Käyserliche rechte und die kirchen-ordnung streite/ nicht billichet/
aber nicht nur bekant/ daß sie nicht in göttlichem gesetz eigenlich verboten seye/
sondern auch rathet/ daß man bey dem Landes-Fürsten oder General-Super-
intendent
en um dispensation ansuchen möchte. So dann von Jena 1599.
in casu analogo, wo auch der hohen Obrigkeit die dispensation zugestanden
wird. Er führet ferner an/ die responsa der Consistoriorum zu Dreßden
und Wittenberg/ welche einem seiner frauen stieff-tochter (so auch ein analo-
gon
) zugeben. Weswegen auch Herr D. Carpzov. Jur. Cons. L. 2. def. 119.
die dispensation zugibet/ und ein praejudicium des Ober-Consistorii anfüh-

ret/
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SECTIO VI.
Dann weil kein goͤttliches verbot in dem weg ſtehet (dann dieſes lieſſe ſich von
menſchen nicht auffheben) auch die alte canones auffgehoben ſind/ daß nun-
mehr jure canonum das ſecundum genus affinitatis allerdings frey iſt/ ſo kan
das obſtaculum juris civilis (ſo ohne das in matrimonialibus wenig zu at-
tendi
ren) und provincialis von demjenigen/ der den legem gegeben/ auch wol
auffgehoben/ und alſo diſpenſiret werden: So vielmehr weil die prohibitio
faſt auf dem bloſſen argumento ſo genannter publicæ honeſtatis (dann das
argument, daß deren kinder ſich nicht unter einander heyrathen koͤnten/ ein-
ander auch ſelbs verboten ſeyn muͤſten/ hat gar keine krafft/ und iſt gnugſam
von dem ſtattlichen Juriſten Herrn Stryken refutirt worden/ ſo iſt auch der
prætendirte reſpectus paternitatis zu ſchwach) beruhet/ welche publica hone-
ſtas
gleichwol nichts anders iſt/ als die ſorgfalt anderer aͤrgernuͤß zu verhuͤ-
ten. Nun bin nicht in abrede/ daß die verſaͤumung derſelben wol ſo wichtig
iſt/ daß man ſich ſeiner freyheit um anderer zu ſchohnen bißweilen zu begeben
habe. Jch ſehe aber nicht/ wie dieſes aͤrgernuͤß/ ſo zum grunde hat des gemei-
nen volcks unverſtand/ ſo ſich durch die nahmen vater und ſohns frau beſtaͤr-
cket/ allerdings alle die rationen/ welche eine perſon zu einer ſolchen heyrath
bewegen moͤchten/ uͤberwiegen ſolte: Nachdem ſo wol ſonſten auch mittel
ſeynd/ und geſucht werden moͤgen/ dem gemeinen volck ſolche unrechte mei-
nung/ als die urſach des aͤrgernuͤſſes/ zu benehmen/ als auch eben durch die di-
ſpenſation
der hohen Obrigkeit dieſelbe wircklich benommen wird. Jndem
das vertrauen der unterthanen/ daß dero hohe Obrigkeit nichts ungebuͤhrli-
ches ſua autoritate confirmiren wuͤrde/ billich ihren eigenen gedancken præva-
li
ren ſolle. Weswegen dann bey Dedek. vol. 3. p. 396. 397. die berathſchla-
gung des Chur-S. Conſiſtorii zu Wittenberg befindlich/ da verlangt wor-
den/ weil die canones à civili diſcrepiren/ daß der ſache durch eine conſtitution
und gewiſſe ordnung zu helffen/ ſo dann wiro vor gewiß geſetzt/ daß ſolche pro-
hibitio,
welche ratione honeſtatis publicæ geſchehen/ per diſpenſationem
koͤnne erlaſſen werden. Alſo fuͤhret eben ſolcher Dedekennus an p. 399. ein
reſponſum der Theolog. Fac. zu Roſtock 1570. ſo zwahr eine ſolche ehe/ weil
ſie wider die Kaͤyſerliche rechte und die kirchen-ordnung ſtreite/ nicht billichet/
aber nicht nur bekant/ daß ſie nicht in goͤttlichem geſetz eigenlich verboten ſeye/
ſondern auch rathet/ daß man bey dem Landes-Fuͤrſten oder General-Super-
intendent
en um diſpenſation anſuchen moͤchte. So dann von Jena 1599.
in caſu analogo, wo auch der hohen Obrigkeit die diſpenſation zugeſtanden
wird. Er fuͤhret ferner an/ die reſponſa der Conſiſtoriorum zu Dreßden
und Wittenberg/ welche einem ſeiner frauen ſtieff-tochter (ſo auch ein analo-
gon
) zugeben. Weswegen auch Herr D. Carpzov. Jur. Conſ. L. 2. def. 119.
die diſpenſation zugibet/ und ein præjudicium des Ober-Conſiſtorii anfuͤh-

ret/
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[525/0533] SECTIO VI. Dann weil kein goͤttliches verbot in dem weg ſtehet (dann dieſes lieſſe ſich von menſchen nicht auffheben) auch die alte canones auffgehoben ſind/ daß nun- mehr jure canonum das ſecundum genus affinitatis allerdings frey iſt/ ſo kan das obſtaculum juris civilis (ſo ohne das in matrimonialibus wenig zu at- tendiren) und provincialis von demjenigen/ der den legem gegeben/ auch wol auffgehoben/ und alſo diſpenſiret werden: So vielmehr weil die prohibitio faſt auf dem bloſſen argumento ſo genannter publicæ honeſtatis (dann das argument, daß deren kinder ſich nicht unter einander heyrathen koͤnten/ ein- ander auch ſelbs verboten ſeyn muͤſten/ hat gar keine krafft/ und iſt gnugſam von dem ſtattlichen Juriſten Herrn Stryken refutirt worden/ ſo iſt auch der prætendirte reſpectus paternitatis zu ſchwach) beruhet/ welche publica hone- ſtas gleichwol nichts anders iſt/ als die ſorgfalt anderer aͤrgernuͤß zu verhuͤ- ten. Nun bin nicht in abrede/ daß die verſaͤumung derſelben wol ſo wichtig iſt/ daß man ſich ſeiner freyheit um anderer zu ſchohnen bißweilen zu begeben habe. Jch ſehe aber nicht/ wie dieſes aͤrgernuͤß/ ſo zum grunde hat des gemei- nen volcks unverſtand/ ſo ſich durch die nahmen vater und ſohns frau beſtaͤr- cket/ allerdings alle die rationen/ welche eine perſon zu einer ſolchen heyrath bewegen moͤchten/ uͤberwiegen ſolte: Nachdem ſo wol ſonſten auch mittel ſeynd/ und geſucht werden moͤgen/ dem gemeinen volck ſolche unrechte mei- nung/ als die urſach des aͤrgernuͤſſes/ zu benehmen/ als auch eben durch die di- ſpenſation der hohen Obrigkeit dieſelbe wircklich benommen wird. Jndem das vertrauen der unterthanen/ daß dero hohe Obrigkeit nichts ungebuͤhrli- ches ſua autoritate confirmiren wuͤrde/ billich ihren eigenen gedancken præva- liren ſolle. Weswegen dann bey Dedek. vol. 3. p. 396. 397. die berathſchla- gung des Chur-S. Conſiſtorii zu Wittenberg befindlich/ da verlangt wor- den/ weil die canones à civili diſcrepiren/ daß der ſache durch eine conſtitution und gewiſſe ordnung zu helffen/ ſo dann wiro vor gewiß geſetzt/ daß ſolche pro- hibitio, welche ratione honeſtatis publicæ geſchehen/ per diſpenſationem koͤnne erlaſſen werden. Alſo fuͤhret eben ſolcher Dedekennus an p. 399. ein reſponſum der Theolog. Fac. zu Roſtock 1570. ſo zwahr eine ſolche ehe/ weil ſie wider die Kaͤyſerliche rechte und die kirchen-ordnung ſtreite/ nicht billichet/ aber nicht nur bekant/ daß ſie nicht in goͤttlichem geſetz eigenlich verboten ſeye/ ſondern auch rathet/ daß man bey dem Landes-Fuͤrſten oder General-Super- intendenten um diſpenſation anſuchen moͤchte. So dann von Jena 1599. in caſu analogo, wo auch der hohen Obrigkeit die diſpenſation zugeſtanden wird. Er fuͤhret ferner an/ die reſponſa der Conſiſtoriorum zu Dreßden und Wittenberg/ welche einem ſeiner frauen ſtieff-tochter (ſo auch ein analo- gon) zugeben. Weswegen auch Herr D. Carpzov. Jur. Conſ. L. 2. def. 119. die diſpenſation zugibet/ und ein præjudicium des Ober-Conſiſtorii anfuͤh- ret/ U u u 3

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 2. Halle (Saale), 1701, S. 525. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken02_1701/533>, abgerufen am 22.11.2024.