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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 2. Halle (Saale), 1701.

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ARTIC. IV. SECTIO XXVII.

WEil beliebet/ einer vornehmen Adl. person und hohen Ministri anli-
gen wegen gebrauch einer perruquen an mich mit gelangen zu lassen/
als habe meiner schuldigkeit erachtet/ so bald die zeit gewinnen kön-
nen/ meine gedancken über dasselbe hiemit in der furcht des HErrn zu über-
schreiben/ und zwahr 1. sende hiebey mein vor einem jahr bereits an andern
ort gestelltes bedencken/ wo von den perruquen, ob man sie in absicht der ge-
sundheit zu tragen befugt seye/ gehandlet worden: weil die Momenta der sa-
chen selbs/ so viel ich davon begreiffe/ allerdings mit darinnen enthalten sind;
und bleiben insgemein die beyden sätze fest/ einstheils/ daß die perruquen ei-
ne an sich selbs unsträffliche decke/ so wol als mützen/ calotten, hüte und der-
gleichen/ zuachten/ daher allein aus andern umständen/ und sonderlich aus
der antreibenden ursach des gebrauchs/ sündlich oder unsündlich werden (wie
fast zwahr insgemein die moralität einer handlung meistens an dem gemüth
des menschen/ der sie thut/ hänget/ und das eußerliche darnach geurtheilet
wird) andern theils aber/ daß auch im tragen derselben könne/ ja pflege/ offt
gesündigt zu werden: maßen die meisten ursachen/ welche andere auch an
sich selbs unsträfflichekleidung sündlich machen/ auch dergleichen schuld auf
die perruquen bringen mögen. Jch sehe aber/ daß die person ohne das
hiermit einig ist. 2. Also kommet es hier vornemlich darauf an/ ob das-
jenige wegen der umstände des hoff-lebens vor recht gehalten werden kön-
te/ was aus ursachen der gesundheit ohne widerspruch unsträfflich ist. Da
ich es denn zu bejahen keinen zweiffel nicht habe/ nicht allein weil die ur-
sach der gesundheit mit darinnen stecket/ und nachdem solche leute bey hoff al-
lezeit ohne andere decke seyn müßen/ der mangel der perruque, wegen des
stets blossen hauptes/ natürlich der gesundheit schaden bringen würde/ son-
dern auch weil gleichwie bey den kleidern/ ob diese oder jene mode, was das
eußerliche anlangt/ (es seye denn sache/ daß eine leichtfertigkeit/ als bey ent-
blößung der weibs-personen geschehen kan/ allzugroße kostbarkeit oder
dergleichen etwan/ sie selbs verwerfflich machte) erlaubt oder nicht erlaubt/
löblich oder sträfflich seye/ daran hanget/ was zeit und landes-sitte mit sich
bringet/ also gleiches auch bey den perruquen gilt/ die dem kopff dasjenige
sind/ was anderes gewand bey dem übrigen leib zu thun hat. Daher/ wie ich
demjenigen das wort nicht reden wolte/ welcher zu erst/ so schwehrlich ohne
sündliche vanität mag geschehen seyn/ die perruquen in solchen allgemeinen
schwang gebracht/ daß auch andern damit fast eine dienstbarkeit aufge-
bürdet worden ist/ so ist hingegen derjenige ohne schuld/ der sich nun
durch die/ so fern was die höfe und vornehmer personen con-
dition
anlangt/ eingeführte allgemeine gewohnheit mit nachziehen lässet/
und was nunmehr nomos und khora mitbringet/ nachahmet. Wie dann ins

ge-
ARTIC. IV. SECTIO XXVII.

WEil beliebet/ einer vornehmen Adl. perſon und hohen Miniſtri anli-
gen wegen gebrauch einer perruquen an mich mit gelangen zu laſſen/
als habe meiner ſchuldigkeit erachtet/ ſo bald die zeit gewinnen koͤn-
nen/ meine gedancken uͤber daſſelbe hiemit in der furcht des HErrn zu uͤber-
ſchreiben/ und zwahr 1. ſende hiebey mein vor einem jahr bereits an andern
ort geſtelltes bedencken/ wo von den perruquen, ob man ſie in abſicht der ge-
ſundheit zu tragen befugt ſeye/ gehandlet worden: weil die Momenta der ſa-
chen ſelbs/ ſo viel ich davon begreiffe/ allerdings mit darinnen enthalten ſind;
und bleiben insgemein die beyden ſaͤtze feſt/ einstheils/ daß die perruquen ei-
ne an ſich ſelbs unſtraͤffliche decke/ ſo wol als muͤtzen/ calotten, huͤte und der-
gleichen/ zuachten/ daher allein aus andern umſtaͤnden/ und ſonderlich aus
der antreibenden urſach des gebrauchs/ ſuͤndlich oder unſuͤndlich werden (wie
faſt zwahr insgemein die moralitaͤt einer handlung meiſtens an dem gemuͤth
des menſchen/ der ſie thut/ haͤnget/ und das eußerliche darnach geurtheilet
wird) andern theils aber/ daß auch im tragen derſelben koͤnne/ ja pflege/ offt
geſuͤndigt zu werden: maßen die meiſten urſachen/ welche andere auch an
ſich ſelbs unſtraͤfflichekleidung ſuͤndlich machen/ auch dergleichen ſchuld auf
die perruquen bringen moͤgen. Jch ſehe aber/ daß die perſon ohne das
hiermit einig iſt. 2. Alſo kommet es hier vornemlich darauf an/ ob das-
jenige wegen der umſtaͤnde des hoff-lebens vor recht gehalten werden koͤn-
te/ was aus urſachen der geſundheit ohne widerſpruch unſtraͤfflich iſt. Da
ich es denn zu bejahen keinen zweiffel nicht habe/ nicht allein weil die ur-
ſach der geſundheit mit darinnen ſtecket/ und nachdem ſolche leute bey hoff al-
lezeit ohne andere decke ſeyn muͤßen/ der mangel der perruque, wegen des
ſtets bloſſen hauptes/ natuͤrlich der geſundheit ſchaden bringen wuͤrde/ ſon-
dern auch weil gleichwie bey den kleidern/ ob dieſe oder jene mode, was das
eußerliche anlangt/ (es ſeye denn ſache/ daß eine leichtfertigkeit/ als bey ent-
bloͤßung der weibs-perſonen geſchehen kan/ allzugroße koſtbarkeit oder
dergleichen etwan/ ſie ſelbs verwerfflich machte) erlaubt oder nicht erlaubt/
loͤblich oder ſtraͤfflich ſeye/ daran hanget/ was zeit und landes-ſitte mit ſich
bringet/ alſo gleiches auch bey den perruquen gilt/ die dem kopff dasjenige
ſind/ was anderes gewand bey dem uͤbrigen leib zu thun hat. Daher/ wie ich
demjenigen das wort nicht reden wolte/ welcher zu erſt/ ſo ſchwehrlich ohne
ſuͤndliche vanitaͤt mag geſchehen ſeyn/ die perruquen in ſolchen allgemeinen
ſchwang gebracht/ daß auch andern damit faſt eine dienſtbarkeit aufge-
buͤrdet worden iſt/ ſo iſt hingegen derjenige ohne ſchuld/ der ſich nun
durch die/ ſo fern was die hoͤfe und vornehmer perſonen con-
dition
anlangt/ eingefuͤhrte allgemeine gewohnheit mit nachziehen laͤſſet/
und was nunmehr νόμος und χώρα mitbringet/ nachahmet. Wie dann ins

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[479/0487] ARTIC. IV. SECTIO XXVII. WEil beliebet/ einer vornehmen Adl. perſon und hohen Miniſtri anli- gen wegen gebrauch einer perruquen an mich mit gelangen zu laſſen/ als habe meiner ſchuldigkeit erachtet/ ſo bald die zeit gewinnen koͤn- nen/ meine gedancken uͤber daſſelbe hiemit in der furcht des HErrn zu uͤber- ſchreiben/ und zwahr 1. ſende hiebey mein vor einem jahr bereits an andern ort geſtelltes bedencken/ wo von den perruquen, ob man ſie in abſicht der ge- ſundheit zu tragen befugt ſeye/ gehandlet worden: weil die Momenta der ſa- chen ſelbs/ ſo viel ich davon begreiffe/ allerdings mit darinnen enthalten ſind; und bleiben insgemein die beyden ſaͤtze feſt/ einstheils/ daß die perruquen ei- ne an ſich ſelbs unſtraͤffliche decke/ ſo wol als muͤtzen/ calotten, huͤte und der- gleichen/ zuachten/ daher allein aus andern umſtaͤnden/ und ſonderlich aus der antreibenden urſach des gebrauchs/ ſuͤndlich oder unſuͤndlich werden (wie faſt zwahr insgemein die moralitaͤt einer handlung meiſtens an dem gemuͤth des menſchen/ der ſie thut/ haͤnget/ und das eußerliche darnach geurtheilet wird) andern theils aber/ daß auch im tragen derſelben koͤnne/ ja pflege/ offt geſuͤndigt zu werden: maßen die meiſten urſachen/ welche andere auch an ſich ſelbs unſtraͤfflichekleidung ſuͤndlich machen/ auch dergleichen ſchuld auf die perruquen bringen moͤgen. Jch ſehe aber/ daß die perſon ohne das hiermit einig iſt. 2. Alſo kommet es hier vornemlich darauf an/ ob das- jenige wegen der umſtaͤnde des hoff-lebens vor recht gehalten werden koͤn- te/ was aus urſachen der geſundheit ohne widerſpruch unſtraͤfflich iſt. Da ich es denn zu bejahen keinen zweiffel nicht habe/ nicht allein weil die ur- ſach der geſundheit mit darinnen ſtecket/ und nachdem ſolche leute bey hoff al- lezeit ohne andere decke ſeyn muͤßen/ der mangel der perruque, wegen des ſtets bloſſen hauptes/ natuͤrlich der geſundheit ſchaden bringen wuͤrde/ ſon- dern auch weil gleichwie bey den kleidern/ ob dieſe oder jene mode, was das eußerliche anlangt/ (es ſeye denn ſache/ daß eine leichtfertigkeit/ als bey ent- bloͤßung der weibs-perſonen geſchehen kan/ allzugroße koſtbarkeit oder dergleichen etwan/ ſie ſelbs verwerfflich machte) erlaubt oder nicht erlaubt/ loͤblich oder ſtraͤfflich ſeye/ daran hanget/ was zeit und landes-ſitte mit ſich bringet/ alſo gleiches auch bey den perruquen gilt/ die dem kopff dasjenige ſind/ was anderes gewand bey dem uͤbrigen leib zu thun hat. Daher/ wie ich demjenigen das wort nicht reden wolte/ welcher zu erſt/ ſo ſchwehrlich ohne ſuͤndliche vanitaͤt mag geſchehen ſeyn/ die perruquen in ſolchen allgemeinen ſchwang gebracht/ daß auch andern damit faſt eine dienſtbarkeit aufge- buͤrdet worden iſt/ ſo iſt hingegen derjenige ohne ſchuld/ der ſich nun durch die/ ſo fern was die hoͤfe und vornehmer perſonen con- dition anlangt/ eingefuͤhrte allgemeine gewohnheit mit nachziehen laͤſſet/ und was nunmehr νόμος und χώρα mitbringet/ nachahmet. Wie dann ins ge-

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 2. Halle (Saale), 1701, S. 479. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken02_1701/487>, abgerufen am 22.11.2024.