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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 2. Halle (Saale), 1701.

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ARTIC. IV. SECTIO XIV.
doch segnet der HErr auch der einfältigenworte/ so sie zu ihres nechsten er-
bauung aus hertzlicher liebe in seiner furcht thun. Die angelegenheit aber
selbs belangend/ ist mir erstlich dieses ein liebes und gewisses zeugnüß einer
auffrichtigen seele und rechtschaffener meinung bey diesem lieben freund/ daß
er in sich selbs gehet/ auff sein thun und lassen/ auch die beschaffenheit seines
hertzens/ dabey fleißig acht gibet/ da leider die wenigste nur dahin gebracht
werden können/ auff sich selbs zu achten/ und wie ihrer seele bey jeglicher ver-
richtung zu muth seye/ vorzunehmen/ am wenigsten aber zu zweiflen/ ob et-
was auch vor GOtt gültig seye/ was in der welt gäng und gebe ist. So gar
daß die welt und in derselben auch so viele/ welche doch den nahmen guter
Christen tragen wollen/ wo sie von dergleichen scrupuln höreten/ einen solchen
freund vor einen simpel oder thoren halten würden. Und gleichwol ist solche
allgemeine unachtsamkeit recht der grund alles verderbens und ein unfehlbar
zeugnüß unseres so schrecklichen verfalles. Mir ist lieb/ daß ich sehe/ daß der
liebe freund/ was die kauffmannschafft selbs anlanget/ keinen scrupul hat/
sondern sie vor eine lebens-art erkennet/ wie sie auch ist/ damit dem menschli-
chen geschlecht vieles genutzet/ und also nach GOttes willen die liebe geübet
werde. Jch sehe aber seine scrupul vornemlich über zweyerley dinge. 1.
wegen der allzuvielen geschäfften
und sorgen/ so dem gemüth niemal die
rechte ruhe/ so es in GOtt haben solte/ vergönnten. 2. wegen der waaren/
mit denen er umzugehen habe/ so aber mehr zur sünde als GOttes ehre ge-
brauchet würden. Was den ersten scrupul anlangt/ ist solcher erheblich. Jn-
dem ja freylich/ so wenig als unser leib seiner leiblichen speise und ruhe entra-
then kan/ sondern uns zeit muß gegönnet werden/ desselben nach nothdurfft zu
pflegen/ so wenig können wir unsre seele versorgen/ daß nicht auch sie ihre nah-
rung in GOtt und seinem wort suche/ wozu aber einige freyheit des gemüths
nöthig ist. Wer also findet/ daß er mit so viel geschäfften beladen/ welche stä-
tig das gemüth mit sorgen erfüllen/ dem will ich rathen/ daß er nicht nur zum
fordristen den lieben sonntag einig und allein dahin anwende/ daß er von sei-
nem thun lasse ab/ damit GOtt sein werck in ihm hab; wie wir dann den sab-
bath als eine göttliche wolthat anzusehen haben/ daß da wir sonsten zur straff
unseres falles zu der arbeit/ die auch eine beängstigung und verunruhigung
des gemüths/ so wol als bemühung des leibes ist/ verdammet sind/ der gütig-
ste Vater einen tag aus der woche ausgenommen/ da wir von solchem urtheil
frey seyn/ das ist/ das recht haben solten/ daß wir nicht eben arbeiten/ sondern
unserer seele die ruhe in ihm gönnen solten: worbey wir stattlichen geistlichen
segen zu hoffen haben. Sondern daß er auch suche sich mit gewalt des tages
einige zeit von seinen übrigen sorgen abzureissen/ und an seine seele zu geden-
cken. Worzu sonderlich dienlich/ wo man etwan morgens eine halbe s[t]unde

seiner
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ARTIC. IV. SECTIO XIV.
doch ſegnet der HErr auch der einfaͤltigenworte/ ſo ſie zu ihres nechſten er-
bauung aus hertzlicher liebe in ſeiner furcht thun. Die angelegenheit aber
ſelbs belangend/ iſt mir erſtlich dieſes ein liebes und gewiſſes zeugnuͤß einer
auffrichtigen ſeele und rechtſchaffener meinung bey dieſem lieben freund/ daß
er in ſich ſelbs gehet/ auff ſein thun und laſſen/ auch die beſchaffenheit ſeines
hertzens/ dabey fleißig acht gibet/ da leider die wenigſte nur dahin gebracht
werden koͤnnen/ auff ſich ſelbs zu achten/ und wie ihrer ſeele bey jeglicher ver-
richtung zu muth ſeye/ vorzunehmen/ am wenigſten aber zu zweiflen/ ob et-
was auch vor GOtt guͤltig ſeye/ was in der welt gaͤng und gebe iſt. So gar
daß die welt und in derſelben auch ſo viele/ welche doch den nahmen guter
Chriſten tragen wollen/ wo ſie von dergleichen ſcrupuln hoͤreten/ einen ſolchen
freund vor einen ſimpel oder thoren halten wuͤrden. Und gleichwol iſt ſolche
allgemeine unachtſamkeit recht der grund alles verderbens und ein unfehlbar
zeugnuͤß unſeres ſo ſchrecklichen verfalles. Mir iſt lieb/ daß ich ſehe/ daß der
liebe freund/ was die kauffmannſchafft ſelbs anlanget/ keinen ſcrupul hat/
ſondern ſie vor eine lebens-art erkennet/ wie ſie auch iſt/ damit dem menſchli-
chen geſchlecht vieles genutzet/ und alſo nach GOttes willen die liebe geuͤbet
werde. Jch ſehe aber ſeine ſcrupul vornemlich uͤber zweyerley dinge. 1.
wegen der allzuvielen geſchaͤfften
und ſorgen/ ſo dem gemuͤth niemal die
rechte ruhe/ ſo es in GOtt haben ſolte/ vergoͤnnten. 2. wegen der waaren/
mit denen er umzugehen habe/ ſo aber mehr zur ſuͤnde als GOttes ehre ge-
brauchet wuͤrden. Was den erſten ſcrupul anlangt/ iſt ſolcher erheblich. Jn-
dem ja freylich/ ſo wenig als unſer leib ſeiner leiblichen ſpeiſe und ruhe entra-
then kan/ ſondern uns zeit muß gegoͤnnet werden/ deſſelben nach nothdurfft zu
pflegen/ ſo wenig koͤnnen wir unſre ſeele verſorgen/ daß nicht auch ſie ihre nah-
rung in GOtt und ſeinem wort ſuche/ wozu aber einige freyheit des gemuͤths
noͤthig iſt. Wer alſo findet/ daß er mit ſo viel geſchaͤfften beladen/ welche ſtaͤ-
tig das gemuͤth mit ſorgen erfuͤllen/ dem will ich rathen/ daß er nicht nur zum
fordriſten den lieben ſonntag einig und allein dahin anwende/ daß er von ſei-
nem thun laſſe ab/ damit GOtt ſein werck in ihm hab; wie wir dann den ſab-
bath als eine goͤttliche wolthat anzuſehen haben/ daß da wir ſonſten zur ſtraff
unſeres falles zu der arbeit/ die auch eine beaͤngſtigung und verunruhigung
des gemuͤths/ ſo wol als bemuͤhung des leibes iſt/ verdammet ſind/ der guͤtig-
ſte Vater einen tag aus der woche ausgenommen/ da wir von ſolchem urtheil
frey ſeyn/ das iſt/ das recht haben ſolten/ daß wir nicht eben arbeiten/ ſondern
unſerer ſeele die ruhe in ihm goͤnnen ſolten: worbey wir ſtattlichen geiſtlichen
ſegen zu hoffen haben. Sondern daß er auch ſuche ſich mit gewalt des tages
einige zeit von ſeinen uͤbrigen ſorgen abzureiſſen/ und an ſeine ſeele zu geden-
cken. Worzu ſonderlich dienlich/ wo man etwan morgens eine halbe ſ[t]unde

ſeiner
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[429/0437] ARTIC. IV. SECTIO XIV. doch ſegnet der HErr auch der einfaͤltigenworte/ ſo ſie zu ihres nechſten er- bauung aus hertzlicher liebe in ſeiner furcht thun. Die angelegenheit aber ſelbs belangend/ iſt mir erſtlich dieſes ein liebes und gewiſſes zeugnuͤß einer auffrichtigen ſeele und rechtſchaffener meinung bey dieſem lieben freund/ daß er in ſich ſelbs gehet/ auff ſein thun und laſſen/ auch die beſchaffenheit ſeines hertzens/ dabey fleißig acht gibet/ da leider die wenigſte nur dahin gebracht werden koͤnnen/ auff ſich ſelbs zu achten/ und wie ihrer ſeele bey jeglicher ver- richtung zu muth ſeye/ vorzunehmen/ am wenigſten aber zu zweiflen/ ob et- was auch vor GOtt guͤltig ſeye/ was in der welt gaͤng und gebe iſt. So gar daß die welt und in derſelben auch ſo viele/ welche doch den nahmen guter Chriſten tragen wollen/ wo ſie von dergleichen ſcrupuln hoͤreten/ einen ſolchen freund vor einen ſimpel oder thoren halten wuͤrden. Und gleichwol iſt ſolche allgemeine unachtſamkeit recht der grund alles verderbens und ein unfehlbar zeugnuͤß unſeres ſo ſchrecklichen verfalles. Mir iſt lieb/ daß ich ſehe/ daß der liebe freund/ was die kauffmannſchafft ſelbs anlanget/ keinen ſcrupul hat/ ſondern ſie vor eine lebens-art erkennet/ wie ſie auch iſt/ damit dem menſchli- chen geſchlecht vieles genutzet/ und alſo nach GOttes willen die liebe geuͤbet werde. Jch ſehe aber ſeine ſcrupul vornemlich uͤber zweyerley dinge. 1. wegen der allzuvielen geſchaͤfften und ſorgen/ ſo dem gemuͤth niemal die rechte ruhe/ ſo es in GOtt haben ſolte/ vergoͤnnten. 2. wegen der waaren/ mit denen er umzugehen habe/ ſo aber mehr zur ſuͤnde als GOttes ehre ge- brauchet wuͤrden. Was den erſten ſcrupul anlangt/ iſt ſolcher erheblich. Jn- dem ja freylich/ ſo wenig als unſer leib ſeiner leiblichen ſpeiſe und ruhe entra- then kan/ ſondern uns zeit muß gegoͤnnet werden/ deſſelben nach nothdurfft zu pflegen/ ſo wenig koͤnnen wir unſre ſeele verſorgen/ daß nicht auch ſie ihre nah- rung in GOtt und ſeinem wort ſuche/ wozu aber einige freyheit des gemuͤths noͤthig iſt. Wer alſo findet/ daß er mit ſo viel geſchaͤfften beladen/ welche ſtaͤ- tig das gemuͤth mit ſorgen erfuͤllen/ dem will ich rathen/ daß er nicht nur zum fordriſten den lieben ſonntag einig und allein dahin anwende/ daß er von ſei- nem thun laſſe ab/ damit GOtt ſein werck in ihm hab; wie wir dann den ſab- bath als eine goͤttliche wolthat anzuſehen haben/ daß da wir ſonſten zur ſtraff unſeres falles zu der arbeit/ die auch eine beaͤngſtigung und verunruhigung des gemuͤths/ ſo wol als bemuͤhung des leibes iſt/ verdammet ſind/ der guͤtig- ſte Vater einen tag aus der woche ausgenommen/ da wir von ſolchem urtheil frey ſeyn/ das iſt/ das recht haben ſolten/ daß wir nicht eben arbeiten/ ſondern unſerer ſeele die ruhe in ihm goͤnnen ſolten: worbey wir ſtattlichen geiſtlichen ſegen zu hoffen haben. Sondern daß er auch ſuche ſich mit gewalt des tages einige zeit von ſeinen uͤbrigen ſorgen abzureiſſen/ und an ſeine ſeele zu geden- cken. Worzu ſonderlich dienlich/ wo man etwan morgens eine halbe ſtunde ſeiner H h h 3

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 2. Halle (Saale), 1701, S. 429. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken02_1701/437>, abgerufen am 25.11.2024.