Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 2. Halle (Saale), 1701.Das dritte Capitel. nicht eher zu übernehmen wäre/ als wo man seiner tüchtigkeit gantz gewiß.Solte aber 6. nach aller solcher prüffung und versuch unser hertz darzu zu di- sponiren ein stäter und unüberwindlicher widerspruch des hertzens sich fin- den/ und dasselbe auf seiner sorgenden unvermöglichkeit verbleiben/ so ists freylich wahr/ daß ein solcher mensch in solcher gemüths-beschaffenheit einen beruff nicht annehmen könte. Dann was uns schlechterdings unmöglich wäre/ und GOTT uns zu geben nicht zusaget/ können wir uns nicht auffla- den lassen/ solches aber hält ein solcher mensch vor gewiß/ darff also wider sein/ obwol aus einer irrigen hypothesi widersprechendes/ gewissen nicht thun/ als welches werck nicht aus dem glauben gehen würde/ welcher etwaanderer freunde gutem urtheil (aus bewust seiner eigenen forchtsamkeit) über sich de- feriret/ und sich nachmal auf göttliche treue verlässet. Jch wolte auch als- dann davor halten/ daß göttlicher rath sich eben hierinnen offenbahre/ der ei- nen solchen menschen nicht müsse darzu bestimmet/ sondern einiges zu dessen versuchung vorgehen lassen/ weil er bey ihm allerdings/ nachdem alles mügli- che in seiner ordnung treulich probiret worden/ keine anzeigung seiner wür- ckung wiederfahren lassen. Wie wir dann freylich glauben müssen/ daß gött- liche gedancken manchmal auch von unsern besten gedancken differiren kön- nen: Und also nicht allemal dasjenige wahrhafftig sein wille über uns gewe- sen/ was wir oder andere scheinbarlich davor gehalten haben. 2. Was von denjenigen zu halten/ die einen solchen bey sich zweif- können/
Das dritte Capitel. nicht eher zu uͤbernehmen waͤre/ als wo man ſeiner tuͤchtigkeit gantz gewiß.Solte aber 6. nach aller ſolcher pruͤffung und verſuch unſer hertz darzu zu di- ſponiren ein ſtaͤter und unuͤberwindlicher widerſpruch des hertzens ſich fin- den/ und daſſelbe auf ſeiner ſorgenden unvermoͤglichkeit verbleiben/ ſo iſts freylich wahr/ daß ein ſolcher menſch in ſolcher gemuͤths-beſchaffenheit einen beruff nicht annehmen koͤnte. Dann was uns ſchlechterdings unmoͤglich waͤre/ und GOTT uns zu geben nicht zuſaget/ koͤnnen wir uns nicht auffla- den laſſen/ ſolches aber haͤlt ein ſolcher menſch vor gewiß/ darff alſo wider ſein/ obwol aus einer irrigen hypotheſi widerſprechendes/ gewiſſen nicht thun/ als welches werck nicht aus dem glauben gehen wuͤrde/ welcher etwaanderer freunde gutem urtheil (aus bewuſt ſeiner eigenen forchtſamkeit) uͤber ſich de- feriret/ und ſich nachmal auf goͤttliche treue verlaͤſſet. Jch wolte auch als- dann davor halten/ daß goͤttlicher rath ſich eben hierinnen offenbahre/ der ei- nen ſolchen menſchen nicht muͤſſe darzu beſtimmet/ ſondern einiges zu deſſen verſuchung vorgehen laſſen/ weil er bey ihm allerdings/ nachdem alles muͤgli- che in ſeiner ordnung treulich probiret worden/ keine anzeigung ſeiner wuͤr- ckung wiederfahren laſſen. Wie wir dann freylich glauben muͤſſen/ daß goͤtt- liche gedancken manchmal auch von unſern beſten gedancken differiren koͤn- nen: Und alſo nicht allemal dasjenige wahrhafftig ſein wille uͤber uns gewe- ſen/ was wir oder andere ſcheinbarlich davor gehalten haben. 2. Was von denjenigen zu halten/ die einen ſolchen bey ſich zweif- koͤnnen/
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Das dritte Capitel.
nicht eher zu uͤbernehmen waͤre/ als wo man ſeiner tuͤchtigkeit gantz gewiß.
Solte aber 6. nach aller ſolcher pruͤffung und verſuch unſer hertz darzu zu di-
ſponiren ein ſtaͤter und unuͤberwindlicher widerſpruch des hertzens ſich fin-
den/ und daſſelbe auf ſeiner ſorgenden unvermoͤglichkeit verbleiben/ ſo iſts
freylich wahr/ daß ein ſolcher menſch in ſolcher gemuͤths-beſchaffenheit einen
beruff nicht annehmen koͤnte. Dann was uns ſchlechterdings unmoͤglich
waͤre/ und GOTT uns zu geben nicht zuſaget/ koͤnnen wir uns nicht auffla-
den laſſen/ ſolches aber haͤlt ein ſolcher menſch vor gewiß/ darff alſo wider ſein/
obwol aus einer irrigen hypotheſi widerſprechendes/ gewiſſen nicht thun/ als
welches werck nicht aus dem glauben gehen wuͤrde/ welcher etwaanderer
freunde gutem urtheil (aus bewuſt ſeiner eigenen forchtſamkeit) uͤber ſich de-
feriret/ und ſich nachmal auf goͤttliche treue verlaͤſſet. Jch wolte auch als-
dann davor halten/ daß goͤttlicher rath ſich eben hierinnen offenbahre/ der ei-
nen ſolchen menſchen nicht muͤſſe darzu beſtimmet/ ſondern einiges zu deſſen
verſuchung vorgehen laſſen/ weil er bey ihm allerdings/ nachdem alles muͤgli-
che in ſeiner ordnung treulich probiret worden/ keine anzeigung ſeiner wuͤr-
ckung wiederfahren laſſen. Wie wir dann freylich glauben muͤſſen/ daß goͤtt-
liche gedancken manchmal auch von unſern beſten gedancken differiren koͤn-
nen: Und alſo nicht allemal dasjenige wahrhafftig ſein wille uͤber uns gewe-
ſen/ was wir oder andere ſcheinbarlich davor gehalten haben.
2. Was von denjenigen zu halten/ die einen ſolchen bey ſich zweif-
felhafftigen menſchen dazu faſt noͤthigen/ daraus er nachmal unter-
ſchiedliche incommoda leiden muß/ und welche aus fleiſchlichen urſa-
chen und abſichten es dahin richten/ daß es einem goͤttlichen beruff aͤhn-
lich ſehe/ was ihre anſtalt effectuiret haͤtte? Dieſes waͤre die andere fra-
ge/ ſo in der dritten general-frage ſtecket. Meine gedancken gehen dahin.
1. Wer aus fleiſchlichen abſichten von ſich oder andern einen beruf practiciret/
verſuͤndiget ſich ſehr ſchwehrlich/ ſonderlich an einem ſolchen/ den er damit in
gewiſſens-zweiffel oder andere ungemach ſtuͤrtzet/ ob er auch wol ſolches eben
nicht intendiret haͤtte; dann da wir in einer an ſich ſelbs unrechten ſache ſte-
hen/ kommet auf unſere verantwortung alles dasjenige/ was einigerley maſ-
ſen daraus uͤbels entſtehet. Ob aber dieſer oder jener einen beruff aus fleiſch-
lichen urſachen erpracticiret habe/ ſolte nachmal in diſcuſſione einer ſache
meines erachtens ſehr ſchwehr werden/ und hielte auffs wenigſte davor/ daß
mit ſolchem verdacht aus zweiffelhafften/ obwol ſcheinbaren/ vermuthungen
niemand beſchwehret werden muͤſte/ ſondern ſolche beſchuldigung gantz deut-
liche und das gewiſſen zur gnuͤge uͤberzeugende gruͤnde haben muͤſte. 3. Hin-
gegen kan es wol geſchehen/ daß chriſtliche/ gewiſſenhaffte und verſtaͤndige
leute in hoc puncto vocationis von einander differirende meinungen haben
koͤnnen/
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Zitationshilfe: | Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 2. Halle (Saale), 1701, S. 400. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken02_1701/408>, abgerufen am 29.06.2024. |