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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 2. Halle (Saale), 1701.

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Das dritte Capitel.
m[e]inem GOTT für seine gnade demüthigsten danck. Er gebe uns allen je
l[ä]nger je mehr die bewandnüß unsrer zeiten/ und was nun in denselben sein
wille an uns seye/ also zu erkennen/ daß wir ihn getrost thun/ arbeiten was
durch seine gnad uns vorkommet/ und ihm endlich allen ausgang mit kindli-
cher gelässenheit empfehlen/ so dann unauffhörlich bitten/ daß er die zeiten
seines gerichts bald wolle lassen vorbey seyn/ und mit reicherem maaß seine
gnade der kirche erscheinen lassen. Jch komme endlich auf die frage/ ob ein
Cyrist mit gutem gewissen etwas übriges/ und also auf einen noch
nicht bewusten nothfall ligen habon könne?
Mich deucht aber/ die ent-
scheidung solcher frage seye so übrig schwehr nicht/ wo der status controversiae
wol macht genommen wird. Dann die frage ist nicht davon/ ob wegen eines
noch nicht erscheinenden nothfalls denjenigen wercken der liebe/ welche mir
GOTT vorkommen lässet/ und mich durch solche gelegenheit und regung
meines gewissens dazu beruffet/ abgebrochen/ und sie darum unterlassen wer-
den sollen/ welches ich bekenne nicht recht zu seyn/ sondern es muß die liebe des
nechsten desselben noth mir so mit eigen machen/ als mir meine eigene ist/ wie
ich nun meiner mittel/ dero ich wahrhafftig in dem gegenwärtigen bedarff/
und sonsten schaden leiden würde/ nicht wegen des künfftigen falles schohne/
sondern sie anwende/ wie meine jetzige noth mit sich bringet/ also muß mich
ebenfals die noth des nechsten/ damit der HErr meine liebe versucht/ bewe-
gen/ daß ich das gegenwärtige dem künfftigen vorziehe/ und die sorge dessen
dem HErrn überlasse. Wann aber sonsten weiter gefragt wird/ ob ausser
dem fall einer solchen redlichen und zur hülffe mich verbindenden noth des
nechsten/ ich einige mittel/ dero ich eben dieses mal nicht bedarff/ behalten und
verwahren möge/ traue ich ohne bedencken mit ja zu antworten. Dann wir
finden dessen nirgend einiges verbot/ vielmehr gibt Paulus 1. Tim. 6. den
reichen dieser welt/
das ist/ die an weltlichen gütern reich sind/ ihre reglen der
gutthätigkeit nicht aber die weglegung alles ihres reichthums/ welches er
doch thun müssen/ dafern alles übrige blosserdings verboten wäre. So ach-
tet Christus den reichthum zwahr gefährlich (wie wir auch allen vornehmen
stand vor gefährlich achten mögen) nicht aber vor sündlich/ und stehet die mei-
nung des HErrn sonderlich erklähret Marc. 10/ 24. daß der HErr sehe auf
diejenige/ welche ihr vertrauen auf den reichthum setzen/ welches sich
zwahr etwa meistentheils bey den reichen findet/ jedoch von dem reichthum
nicht unabsonderlich ist. Des orts 1. Tim. 5/ 8. wer die seinige nicht ver-
sorget/
mißbrauchen sich zwahr ihrer viel/ dähnen ihn zu weit aus/ und be-
mänteln damit allen ihren geitz/ indessen wird doch die betrachtung des textes
zeigen/ daß an solchem ort gleichwol auch nicht allein geredet werde von der

geist-

Das dritte Capitel.
m[e]inem GOTT fuͤr ſeine gnade demuͤthigſten danck. Er gebe uns allen je
l[aͤ]nger je mehr die bewandnuͤß unſrer zeiten/ und was nun in denſelben ſein
wille an uns ſeye/ alſo zu erkennen/ daß wir ihn getroſt thun/ arbeiten was
durch ſeine gnad uns vorkommet/ und ihm endlich allen ausgang mit kindli-
cher gelaͤſſenheit empfehlen/ ſo dann unauffhoͤrlich bitten/ daß er die zeiten
ſeines gerichts bald wolle laſſen vorbey ſeyn/ und mit reicherem maaß ſeine
gnade der kirche erſcheinen laſſen. Jch komme endlich auf die frage/ ob ein
Cyriſt mit gutem gewiſſen etwas uͤbriges/ und alſo auf einen noch
nicht bewuſten nothfall ligen habon koͤnne?
Mich deucht aber/ die ent-
ſcheidung ſolcher frage ſeye ſo uͤbrig ſchwehr nicht/ wo der ſtatus controverſiæ
wol macht genommen wird. Dann die frage iſt nicht davon/ ob wegen eines
noch nicht erſcheinenden nothfalls denjenigen wercken der liebe/ welche mir
GOTT vorkommen laͤſſet/ und mich durch ſolche gelegenheit und regung
meines gewiſſens dazu beruffet/ abgebrochen/ und ſie darum unterlaſſen wer-
den ſollen/ welches ich bekenne nicht recht zu ſeyn/ ſondern es muß die liebe des
nechſten deſſelben noth mir ſo mit eigen machen/ als mir meine eigene iſt/ wie
ich nun meiner mittel/ dero ich wahrhafftig in dem gegenwaͤrtigen bedarff/
und ſonſten ſchaden leiden wuͤrde/ nicht wegen des kuͤnfftigen falles ſchohne/
ſondern ſie anwende/ wie meine jetzige noth mit ſich bringet/ alſo muß mich
ebenfals die noth des nechſten/ damit der HErr meine liebe verſucht/ bewe-
gen/ daß ich das gegenwaͤrtige dem kuͤnfftigen vorziehe/ und die ſorge deſſen
dem HErrn uͤberlaſſe. Wann aber ſonſten weiter gefragt wird/ ob auſſer
dem fall einer ſolchen redlichen und zur huͤlffe mich verbindenden noth des
nechſten/ ich einige mittel/ dero ich eben dieſes mal nicht bedarff/ behalten und
verwahren moͤge/ traue ich ohne bedencken mit ja zu antworten. Dann wir
finden deſſen nirgend einiges verbot/ vielmehr gibt Paulus 1. Tim. 6. den
reichen dieſer welt/
das iſt/ die an weltlichen guͤtern reich ſind/ ihre reglen der
gutthaͤtigkeit nicht aber die weglegung alles ihres reichthums/ welches er
doch thun muͤſſen/ dafern alles uͤbrige bloſſerdings verboten waͤre. So ach-
tet Chriſtus den reichthum zwahr gefaͤhrlich (wie wir auch allen vornehmen
ſtand vor gefaͤhrlich achten moͤgen) nicht aber vor ſuͤndlich/ und ſtehet die mei-
nung des HErrn ſonderlich erklaͤhret Marc. 10/ 24. daß der HErr ſehe auf
diejenige/ welche ihr vertrauen auf den reichthum ſetzen/ welches ſich
zwahr etwa meiſtentheils bey den reichen findet/ jedoch von dem reichthum
nicht unabſonderlich iſt. Des orts 1. Tim. 5/ 8. wer die ſeinige nicht ver-
ſorget/
mißbrauchen ſich zwahr ihrer viel/ daͤhnen ihn zu weit aus/ und be-
maͤnteln damit allen ihren geitz/ indeſſen wird doch die betrachtung des textes
zeigen/ daß an ſolchem ort gleichwol auch nicht allein geredet werde von der

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[384/0392] Das dritte Capitel. meinem GOTT fuͤr ſeine gnade demuͤthigſten danck. Er gebe uns allen je laͤnger je mehr die bewandnuͤß unſrer zeiten/ und was nun in denſelben ſein wille an uns ſeye/ alſo zu erkennen/ daß wir ihn getroſt thun/ arbeiten was durch ſeine gnad uns vorkommet/ und ihm endlich allen ausgang mit kindli- cher gelaͤſſenheit empfehlen/ ſo dann unauffhoͤrlich bitten/ daß er die zeiten ſeines gerichts bald wolle laſſen vorbey ſeyn/ und mit reicherem maaß ſeine gnade der kirche erſcheinen laſſen. Jch komme endlich auf die frage/ ob ein Cyriſt mit gutem gewiſſen etwas uͤbriges/ und alſo auf einen noch nicht bewuſten nothfall ligen habon koͤnne? Mich deucht aber/ die ent- ſcheidung ſolcher frage ſeye ſo uͤbrig ſchwehr nicht/ wo der ſtatus controverſiæ wol macht genommen wird. Dann die frage iſt nicht davon/ ob wegen eines noch nicht erſcheinenden nothfalls denjenigen wercken der liebe/ welche mir GOTT vorkommen laͤſſet/ und mich durch ſolche gelegenheit und regung meines gewiſſens dazu beruffet/ abgebrochen/ und ſie darum unterlaſſen wer- den ſollen/ welches ich bekenne nicht recht zu ſeyn/ ſondern es muß die liebe des nechſten deſſelben noth mir ſo mit eigen machen/ als mir meine eigene iſt/ wie ich nun meiner mittel/ dero ich wahrhafftig in dem gegenwaͤrtigen bedarff/ und ſonſten ſchaden leiden wuͤrde/ nicht wegen des kuͤnfftigen falles ſchohne/ ſondern ſie anwende/ wie meine jetzige noth mit ſich bringet/ alſo muß mich ebenfals die noth des nechſten/ damit der HErr meine liebe verſucht/ bewe- gen/ daß ich das gegenwaͤrtige dem kuͤnfftigen vorziehe/ und die ſorge deſſen dem HErrn uͤberlaſſe. Wann aber ſonſten weiter gefragt wird/ ob auſſer dem fall einer ſolchen redlichen und zur huͤlffe mich verbindenden noth des nechſten/ ich einige mittel/ dero ich eben dieſes mal nicht bedarff/ behalten und verwahren moͤge/ traue ich ohne bedencken mit ja zu antworten. Dann wir finden deſſen nirgend einiges verbot/ vielmehr gibt Paulus 1. Tim. 6. den reichen dieſer welt/ das iſt/ die an weltlichen guͤtern reich ſind/ ihre reglen der gutthaͤtigkeit nicht aber die weglegung alles ihres reichthums/ welches er doch thun muͤſſen/ dafern alles uͤbrige bloſſerdings verboten waͤre. So ach- tet Chriſtus den reichthum zwahr gefaͤhrlich (wie wir auch allen vornehmen ſtand vor gefaͤhrlich achten moͤgen) nicht aber vor ſuͤndlich/ und ſtehet die mei- nung des HErrn ſonderlich erklaͤhret Marc. 10/ 24. daß der HErr ſehe auf diejenige/ welche ihr vertrauen auf den reichthum ſetzen/ welches ſich zwahr etwa meiſtentheils bey den reichen findet/ jedoch von dem reichthum nicht unabſonderlich iſt. Des orts 1. Tim. 5/ 8. wer die ſeinige nicht ver- ſorget/ mißbrauchen ſich zwahr ihrer viel/ daͤhnen ihn zu weit aus/ und be- maͤnteln damit allen ihren geitz/ indeſſen wird doch die betrachtung des textes zeigen/ daß an ſolchem ort gleichwol auch nicht allein geredet werde von der geiſt-

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 2. Halle (Saale), 1701, S. 384. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken02_1701/392>, abgerufen am 22.11.2024.