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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 2. Halle (Saale), 1701.

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Das dritte Capitel.
zuhalten/ daß sich derselben nicht mehrere unter dem volck mit dessen be-
schwehrde niederliessen/ als vielmehr weil dieselbe nicht wol anders als etwa
von einigen handlungen lebeten/ und mit dem gelehnten geld etwas verdien-
ten/ daher sie denn die darleiher auch solches mit geniessen lassen solten. Wie
ich nun diese ursachen/ warum GOTT dieses gesetz gegen allen wucher oder
zinse seinem volck gegeben habe/ wol begreifflich/ und dessen weißheit gemäß
achte/ also haben wir uns nicht zu wundern/ daß sie GOTT dem volck vorge-
schrieben habe. So wenig aber andere ordnungen/ welche GOTT abson-
derlich seinem volck gemacht/ als zum exempel von rückkehr der verkaufften
güter nach gewisser zeit/ von freylassung der knechte u. s. f. uns in dem N. T.
oder andre policeyen verbinden/ sondern jeglichen regenten freystehet/ wie sie
ihres orts die ordnungen machen wollen/ nur daß sie nie die liebe verletzen/ so
wenig verbindet uns auch diese ordnung/ die wir gesehen haben/ aus sonder-
baren ursachen von GOTT seinem volck vorgeschrieben gewesen zu seyn:
Die nun so vielweniger angehet/ nachdem in dem N. T. der unterscheid der
völcker so auffgehoben ist/ daß dessen natur mehr gemäß ist/ derselben vermi-
schung und vereinigung auf allerley rechtmäßige weise zu befördern/ darzu
die commercia auch nicht wenig thun/ dero lauff aber nicht wol ohne zins-
geld bestehen kan. Daher daß GOTT so hefftige straffen denen trohet/ wel-
che dieses verbot übertreten/ macht noch nicht/ daß es ein moral-gebot seyn
müste/ denn GOTT nicht weniger in dem A. T. über die übertretung der po-
licey-gesetze als der sitten-gesetze eifferte/ wie wir Jerem. 34/ 9. u. f. sehen/
wo GOTT auch grausame straffen den Juden trohet über das unrecht/ was
gegen ein gesetz solcher art begangen worden. Ob dann auch bey dem Pro-
pheten Ezechiel der wucher zu andern moral-lastern gesetzet wird/ wie nicht
weniger in dem Psalmen/ machet solches deswegen so wenig/ daß die sünden
einerley art an sich selbs seyen/ als es nicht folget aus Ap. Gesch. 15/ 20.
daß das blut und ersticktes essen einerley art sünde mit abgötterey und hure-
rey seye. Jndessen wo einer in dem A. T. wider das Levitische und weltliche
gesetz sündigte/ that er so wol sünde und verdiente nicht weniger göttlichen
zorn/ als durch sünde wider das moral-gesetz/ dann eben in dem übertrat er
auch dieses durch ungehorsam gegen seinen GOTT. Der aber versündigt
sich nicht dargegen/ dem das gebot nicht gegeben ist.

2. Nechst dem wird auch eingeworffen der ort Luc. 6/ 35. thut wol/
und leihet/ da ihr nichts vor hoffet/ so wird euer lohn groß seyn/ und
werdet kinder des Allerhöchsten seyn.
Jch will da nicht schwehrigkeit
machen wegen des worts meden apelpizontes, so einige anders lieber geben
wolten/ sondern lasse es gern in dem verstand stehen/ wie es insgemein genom-

men

Das dritte Capitel.
zuhalten/ daß ſich derſelben nicht mehrere unter dem volck mit deſſen be-
ſchwehrde niederlieſſen/ als vielmehr weil dieſelbe nicht wol anders als etwa
von einigen handlungen lebeten/ und mit dem gelehnten geld etwas verdien-
ten/ daher ſie denn die darleiher auch ſolches mit genieſſen laſſen ſolten. Wie
ich nun dieſe urſachen/ warum GOTT dieſes geſetz gegen allen wucher oder
zinſe ſeinem volck gegeben habe/ wol begreifflich/ und deſſen weißheit gemaͤß
achte/ alſo haben wir uns nicht zu wundern/ daß ſie GOTT dem volck vorge-
ſchrieben habe. So wenig aber andere ordnungen/ welche GOTT abſon-
derlich ſeinem volck gemacht/ als zum exempel von ruͤckkehr der verkaufften
guͤter nach gewiſſer zeit/ von freylaſſung der knechte u. ſ. f. uns in dem N. T.
oder andre policeyen verbinden/ ſondern jeglichen regenten freyſtehet/ wie ſie
ihres orts die ordnungen machen wollen/ nur daß ſie nie die liebe verletzen/ ſo
wenig verbindet uns auch dieſe ordnung/ die wir geſehen haben/ aus ſonder-
baren urſachen von GOTT ſeinem volck vorgeſchrieben geweſen zu ſeyn:
Die nun ſo vielweniger angehet/ nachdem in dem N. T. der unterſcheid der
voͤlcker ſo auffgehoben iſt/ daß deſſen natur mehr gemaͤß iſt/ derſelben vermi-
ſchung und vereinigung auf allerley rechtmaͤßige weiſe zu befoͤrdern/ darzu
die commercia auch nicht wenig thun/ dero lauff aber nicht wol ohne zins-
geld beſtehen kan. Daher daß GOTT ſo hefftige ſtraffen denen trohet/ wel-
che dieſes verbot uͤbertreten/ macht noch nicht/ daß es ein moral-gebot ſeyn
muͤſte/ denn GOTT nicht weniger in dem A. T. uͤber die uͤbertretung der po-
licey-geſetze als der ſitten-geſetze eifferte/ wie wir Jerem. 34/ 9. u. f. ſehen/
wo GOTT auch grauſame ſtraffen den Juden trohet uͤber das unrecht/ was
gegen ein geſetz ſolcher art begangen worden. Ob dann auch bey dem Pro-
pheten Ezechiel der wucher zu andern moral-laſtern geſetzet wird/ wie nicht
weniger in dem Pſalmen/ machet ſolches deswegen ſo wenig/ daß die ſuͤnden
einerley art an ſich ſelbs ſeyen/ als es nicht folget aus Ap. Geſch. 15/ 20.
daß das blut und erſticktes eſſen einerley art ſuͤnde mit abgoͤtterey und hure-
rey ſeye. Jndeſſen wo einer in dem A. T. wider das Levitiſche und weltliche
geſetz ſuͤndigte/ that er ſo wol ſuͤnde und verdiente nicht weniger goͤttlichen
zorn/ als durch ſuͤnde wider das moral-geſetz/ dann eben in dem uͤbertrat er
auch dieſes durch ungehorſam gegen ſeinen GOTT. Der aber verſuͤndigt
ſich nicht dargegen/ dem das gebot nicht gegeben iſt.

2. Nechſt dem wird auch eingeworffen der ort Luc. 6/ 35. thut wol/
und leihet/ da ihr nichts vor hoffet/ ſo wird euer lohn groß ſeyn/ und
werdet kinder des Allerhoͤchſten ſeyn.
Jch will da nicht ſchwehrigkeit
machen wegen des worts μηδὲν ἀπελπίζοντες, ſo einige anders lieber geben
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[336/0344] Das dritte Capitel. zuhalten/ daß ſich derſelben nicht mehrere unter dem volck mit deſſen be- ſchwehrde niederlieſſen/ als vielmehr weil dieſelbe nicht wol anders als etwa von einigen handlungen lebeten/ und mit dem gelehnten geld etwas verdien- ten/ daher ſie denn die darleiher auch ſolches mit genieſſen laſſen ſolten. Wie ich nun dieſe urſachen/ warum GOTT dieſes geſetz gegen allen wucher oder zinſe ſeinem volck gegeben habe/ wol begreifflich/ und deſſen weißheit gemaͤß achte/ alſo haben wir uns nicht zu wundern/ daß ſie GOTT dem volck vorge- ſchrieben habe. So wenig aber andere ordnungen/ welche GOTT abſon- derlich ſeinem volck gemacht/ als zum exempel von ruͤckkehr der verkaufften guͤter nach gewiſſer zeit/ von freylaſſung der knechte u. ſ. f. uns in dem N. T. oder andre policeyen verbinden/ ſondern jeglichen regenten freyſtehet/ wie ſie ihres orts die ordnungen machen wollen/ nur daß ſie nie die liebe verletzen/ ſo wenig verbindet uns auch dieſe ordnung/ die wir geſehen haben/ aus ſonder- baren urſachen von GOTT ſeinem volck vorgeſchrieben geweſen zu ſeyn: Die nun ſo vielweniger angehet/ nachdem in dem N. T. der unterſcheid der voͤlcker ſo auffgehoben iſt/ daß deſſen natur mehr gemaͤß iſt/ derſelben vermi- ſchung und vereinigung auf allerley rechtmaͤßige weiſe zu befoͤrdern/ darzu die commercia auch nicht wenig thun/ dero lauff aber nicht wol ohne zins- geld beſtehen kan. Daher daß GOTT ſo hefftige ſtraffen denen trohet/ wel- che dieſes verbot uͤbertreten/ macht noch nicht/ daß es ein moral-gebot ſeyn muͤſte/ denn GOTT nicht weniger in dem A. T. uͤber die uͤbertretung der po- licey-geſetze als der ſitten-geſetze eifferte/ wie wir Jerem. 34/ 9. u. f. ſehen/ wo GOTT auch grauſame ſtraffen den Juden trohet uͤber das unrecht/ was gegen ein geſetz ſolcher art begangen worden. Ob dann auch bey dem Pro- pheten Ezechiel der wucher zu andern moral-laſtern geſetzet wird/ wie nicht weniger in dem Pſalmen/ machet ſolches deswegen ſo wenig/ daß die ſuͤnden einerley art an ſich ſelbs ſeyen/ als es nicht folget aus Ap. Geſch. 15/ 20. daß das blut und erſticktes eſſen einerley art ſuͤnde mit abgoͤtterey und hure- rey ſeye. Jndeſſen wo einer in dem A. T. wider das Levitiſche und weltliche geſetz ſuͤndigte/ that er ſo wol ſuͤnde und verdiente nicht weniger goͤttlichen zorn/ als durch ſuͤnde wider das moral-geſetz/ dann eben in dem uͤbertrat er auch dieſes durch ungehorſam gegen ſeinen GOTT. Der aber verſuͤndigt ſich nicht dargegen/ dem das gebot nicht gegeben iſt. 2. Nechſt dem wird auch eingeworffen der ort Luc. 6/ 35. thut wol/ und leihet/ da ihr nichts vor hoffet/ ſo wird euer lohn groß ſeyn/ und werdet kinder des Allerhoͤchſten ſeyn. Jch will da nicht ſchwehrigkeit machen wegen des worts μηδὲν ἀπελπίζοντες, ſo einige anders lieber geben wolten/ ſondern laſſe es gern in dem verſtand ſtehen/ wie es insgemein genom- men

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 2. Halle (Saale), 1701, S. 336. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken02_1701/344>, abgerufen am 25.11.2024.