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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 2. Halle (Saale), 1701.

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Das dritte Capitel.
seele fordert/ die keine eitelkeit liebe/ an nichts dergleichen ihre sondere freude
suche/ oder es hoch achte/ vielweniger in etwas andern sich vorzuziehen trach-
te: als welches die uns gebotene demuth/ verleugnung unser selbs und be-
scheidenheit ist. 4. Wenn demnach von kleidern gefragt wird/ ob sie sünd-
lich oder nichtseyen/ so folget der ausspruch nicht so wohl aus der betrach-
tung der kleider an sich selbs (es wären denn trachten/ diean sich selbs etwas
garstiges und leichtfertiges an sich hätten) als aus der bewandnüß des ge-
müths und der ursach/ warum man sie so und so trägt: ist nun diese dem Chri-
stenthum gemäß/ so ist das kleid unsträflich/ nicht aber wo die ursach mit dem-
selben streitet. 5. Weil sich aber die menschen sehr offt in dergleichen dingen
schmeicheln/ so ist wohl zu beobachten/ daß um ein rechtes urtheil zu formi-
ren/ man sich sehr genau und sorgfältig prüfen muß/ so bald bey einem kleid/
ob es unserm Christenthum zuwider oder nicht seye/ ein zweiffel entstehe:
was die rechte wahre ursache seye/ nicht aber/ womit wir etwan andere/ oder
wol gar uns selbs/ überreden wollen/ daß dieses die rechte ursache seye/ oder
nicht. Denn weil GOtt nichts/ auch nicht der grund unserer seelen/ verbor-
gen ist/ sihet er ohnfehlbar/ wodurch unser gemüth bewogen werde/ oder wo-
durch wir selbs glauben wolten/ daß es die ursache seye/ um nemlich uns zu
entschuldigen: daher kan durch dieses ihm das auge nicht verkleibet werden.

6. Wo man dann von prächtigen kleidern redet/ so ist nun die gemeinste
ursach/ wo mans recht untersuchet/ diejenige unordentliche selbs-liebe/ daß
der mensch sich selbs so hoch hält/ daß er auch seinen madensack mit einer sol-
chen decke will bedecket haben/ die ihm ein solches ansehen mache/ daß andere
zu einer ehrerbietung gegen ihn bewogen werden/ erhält sich also dessen wür-
dig/ hat gefallen an sich selbs/ suchet sich andern vorzuziehen/ und suchet also
seine würde in einer an sich selbs eitelen sache. Wo also diese dinge in dem her-
tzen sind/ da sind sie nicht nur an sich sünde/ sondern machen auch zur sünde/
was man aus dteser bewegenden ursache thut. Ob nun wol die meisten prächt-
linge nicht gern diese ursache an sich kommen lassen wollen/ sondern allerhand
ursachen der bequemlichkeit/ der gewohnheit oder dergleichen vorwenden/
warum sie sich köstlich tragen/ so wird doch/ wo man in sie tringet/ daß sie auf
alle einwürffe antworten sollen/ gewißlich endlich heraus kommen/ es seye die
ursache gedachte eitelkeit/ hoffarth und selbs-liebe gewesen: wodurch also
ihre kleider durch die unordentliche lust und hochmuth ihrer seelen/ ihnen
verunreiniget und zur sünde werden/ welche sonst nichts unreines oder sünd-
liches an sich hätten. 7. Unter den ursachen/ welche die kleider/ die da schei-
nen etwas über die nothdurfft an sich zu haben/ unsündlich machen/ finde ich
vornemlich zwo/ welche wichtig sind/ nemlich der unterscheid der stände/
und der geborsam gegen Obere/
die zu befehlen haben. Die erste anlan-

gend/

Das dritte Capitel.
ſeele fordert/ die keine eitelkeit liebe/ an nichts dergleichen ihre ſondere freude
ſuche/ oder es hoch achte/ vielweniger in etwas andern ſich vorzuziehen trach-
te: als welches die uns gebotene demuth/ verleugnung unſer ſelbs und be-
ſcheidenheit iſt. 4. Wenn demnach von kleidern gefragt wird/ ob ſie ſuͤnd-
lich oder nichtſeyen/ ſo folget der ausſpruch nicht ſo wohl aus der betrach-
tung der kleider an ſich ſelbs (es waͤren denn trachten/ diean ſich ſelbs etwas
garſtiges und leichtfertiges an ſich haͤtten) als aus der bewandnuͤß des ge-
muͤths und der urſach/ warum man ſie ſo und ſo traͤgt: iſt nun dieſe dem Chri-
ſtenthum gemaͤß/ ſo iſt das kleid unſtraͤflich/ nicht aber wo die urſach mit dem-
ſelben ſtreitet. 5. Weil ſich aber die menſchen ſehr offt in dergleichen dingen
ſchmeicheln/ ſo iſt wohl zu beobachten/ daß um ein rechtes urtheil zu formi-
ren/ man ſich ſehr genau und ſorgfaͤltig pruͤfen muß/ ſo bald bey einem kleid/
ob es unſerm Chriſtenthum zuwider oder nicht ſeye/ ein zweiffel entſtehe:
was die rechte wahre urſache ſeye/ nicht aber/ womit wir etwan andere/ oder
wol gar uns ſelbs/ uͤberreden wollen/ daß dieſes die rechte urſache ſeye/ oder
nicht. Denn weil GOtt nichts/ auch nicht der grund unſerer ſeelen/ verbor-
gen iſt/ ſihet er ohnfehlbar/ wodurch unſer gemuͤth bewogen werde/ oder wo-
durch wir ſelbs glauben wolten/ daß es die urſache ſeye/ um nemlich uns zu
entſchuldigen: daher kan durch dieſes ihm das auge nicht verkleibet werden.

6. Wo man dann von praͤchtigen kleidern redet/ ſo iſt nun die gemeinſte
urſach/ wo mans recht unterſuchet/ diejenige unordentliche ſelbs-liebe/ daß
der menſch ſich ſelbs ſo hoch haͤlt/ daß er auch ſeinen madenſack mit einer ſol-
chen decke will bedecket haben/ die ihm ein ſolches anſehen mache/ daß andere
zu einer ehrerbietung gegen ihn bewogen werden/ erhaͤlt ſich alſo deſſen wuͤr-
dig/ hat gefallen an ſich ſelbs/ ſuchet ſich andern vorzuziehen/ und ſuchet alſo
ſeine wuͤrde in einer an ſich ſelbs eitelen ſache. Wo alſo dieſe dinge in dem her-
tzen ſind/ da ſind ſie nicht nur an ſich ſuͤnde/ ſondern machen auch zur ſuͤnde/
was man aus dteſeꝛ bewegenden uꝛſache thut. Ob nun wol die meiſten pꝛaͤcht-
linge nicht gern dieſe urſache an ſich kommen laſſen wollen/ ſondern allerhand
urſachen der bequemlichkeit/ der gewohnheit oder dergleichen vorwenden/
warum ſie ſich koͤſtlich tragen/ ſo wird doch/ wo man in ſie tringet/ daß ſie auf
alle einwuͤrffe antworten ſollen/ gewißlich endlich heraus kommen/ es ſeye die
urſache gedachte eitelkeit/ hoffarth und ſelbs-liebe geweſen: wodurch alſo
ihre kleider durch die unordentliche luſt und hochmuth ihrer ſeelen/ ihnen
verunreiniget und zur ſuͤnde werden/ welche ſonſt nichts unreines oder ſuͤnd-
liches an ſich haͤtten. 7. Unter den urſachen/ welche die kleider/ die da ſchei-
nen etwas uͤber die nothdurfft an ſich zu haben/ unſuͤndlich machen/ finde ich
vornemlich zwo/ welche wichtig ſind/ nemlich der unterſcheid der ſtaͤnde/
und der geborſam gegen Obere/
die zu befehlen haben. Die erſte anlan-

gend/
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[220/0228] Das dritte Capitel. ſeele fordert/ die keine eitelkeit liebe/ an nichts dergleichen ihre ſondere freude ſuche/ oder es hoch achte/ vielweniger in etwas andern ſich vorzuziehen trach- te: als welches die uns gebotene demuth/ verleugnung unſer ſelbs und be- ſcheidenheit iſt. 4. Wenn demnach von kleidern gefragt wird/ ob ſie ſuͤnd- lich oder nichtſeyen/ ſo folget der ausſpruch nicht ſo wohl aus der betrach- tung der kleider an ſich ſelbs (es waͤren denn trachten/ diean ſich ſelbs etwas garſtiges und leichtfertiges an ſich haͤtten) als aus der bewandnuͤß des ge- muͤths und der urſach/ warum man ſie ſo und ſo traͤgt: iſt nun dieſe dem Chri- ſtenthum gemaͤß/ ſo iſt das kleid unſtraͤflich/ nicht aber wo die urſach mit dem- ſelben ſtreitet. 5. Weil ſich aber die menſchen ſehr offt in dergleichen dingen ſchmeicheln/ ſo iſt wohl zu beobachten/ daß um ein rechtes urtheil zu formi- ren/ man ſich ſehr genau und ſorgfaͤltig pruͤfen muß/ ſo bald bey einem kleid/ ob es unſerm Chriſtenthum zuwider oder nicht ſeye/ ein zweiffel entſtehe: was die rechte wahre urſache ſeye/ nicht aber/ womit wir etwan andere/ oder wol gar uns ſelbs/ uͤberreden wollen/ daß dieſes die rechte urſache ſeye/ oder nicht. Denn weil GOtt nichts/ auch nicht der grund unſerer ſeelen/ verbor- gen iſt/ ſihet er ohnfehlbar/ wodurch unſer gemuͤth bewogen werde/ oder wo- durch wir ſelbs glauben wolten/ daß es die urſache ſeye/ um nemlich uns zu entſchuldigen: daher kan durch dieſes ihm das auge nicht verkleibet werden. 6. Wo man dann von praͤchtigen kleidern redet/ ſo iſt nun die gemeinſte urſach/ wo mans recht unterſuchet/ diejenige unordentliche ſelbs-liebe/ daß der menſch ſich ſelbs ſo hoch haͤlt/ daß er auch ſeinen madenſack mit einer ſol- chen decke will bedecket haben/ die ihm ein ſolches anſehen mache/ daß andere zu einer ehrerbietung gegen ihn bewogen werden/ erhaͤlt ſich alſo deſſen wuͤr- dig/ hat gefallen an ſich ſelbs/ ſuchet ſich andern vorzuziehen/ und ſuchet alſo ſeine wuͤrde in einer an ſich ſelbs eitelen ſache. Wo alſo dieſe dinge in dem her- tzen ſind/ da ſind ſie nicht nur an ſich ſuͤnde/ ſondern machen auch zur ſuͤnde/ was man aus dteſeꝛ bewegenden uꝛſache thut. Ob nun wol die meiſten pꝛaͤcht- linge nicht gern dieſe urſache an ſich kommen laſſen wollen/ ſondern allerhand urſachen der bequemlichkeit/ der gewohnheit oder dergleichen vorwenden/ warum ſie ſich koͤſtlich tragen/ ſo wird doch/ wo man in ſie tringet/ daß ſie auf alle einwuͤrffe antworten ſollen/ gewißlich endlich heraus kommen/ es ſeye die urſache gedachte eitelkeit/ hoffarth und ſelbs-liebe geweſen: wodurch alſo ihre kleider durch die unordentliche luſt und hochmuth ihrer ſeelen/ ihnen verunreiniget und zur ſuͤnde werden/ welche ſonſt nichts unreines oder ſuͤnd- liches an ſich haͤtten. 7. Unter den urſachen/ welche die kleider/ die da ſchei- nen etwas uͤber die nothdurfft an ſich zu haben/ unſuͤndlich machen/ finde ich vornemlich zwo/ welche wichtig ſind/ nemlich der unterſcheid der ſtaͤnde/ und der geborſam gegen Obere/ die zu befehlen haben. Die erſte anlan- gend/

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 2. Halle (Saale), 1701, S. 220. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken02_1701/228>, abgerufen am 22.11.2024.