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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 2. Halle (Saale), 1701.

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ARTIC. II. SECTIO VIII.
diese: weil das reich Christi in dem geistlichen von keiner eusserlichen gewalt
nicht weiß/ sondern nur in einer krafft des Geistes bestehet; daher alle eusser-
liche gewalt und straffen in das reich der welt gehören/ und also nicht diejeni-
ge dinge unter sich begreiffen können/ die in einem irrthum bestehen oder dar-
aus herkommen. So ist jeglicher irrthum der ein blosser irrthum ist/ von
Christen an ihrem nechsten nicht anders anzusehen/ als eine kranckheit/ um
welcherley willen man mit dem krancken mehr mitleiden und gedult hat/ als
daß man ihn wegen derselben und derer symptomatum hassen wolte: daher
unsre pflicht vielmehr von uns eine erbarmende liebe gegen die irrige/ und ei-
ne gedult gegen dasjenige/ was sie aus dem irrthum thun/ wircken solle; als
daß wir uns zu einem gehäßigen eiffer gegen sie/ und also ihnen zu schaden/
bewegen lassen wolten. Gnug ists also/ daß wir gegen solche materiales
blasphemias
als eine geistliche sünde/ mit geistlichen waffen kämpffen/ und
mit grosser gedult/ wie GOtt selbs zu thun pfleget/ die irrende/ biß sie etwa
möchten bekehret werden/ tragen: oder nach allem gethanen versuch die sache
deme/ dessen sie ist/ befehlen/ der endlich hart gnug diejenige/ so seiner wahr-
heit widerstanden haben/ zu straffen weiß; so dann dabey vorsichtigkeit brau-
chen/ nur das ärgernüß auff alle der christlichen sanfftmuth nicht zu wider-
lauffende mittel von den unsrigen nach vermögen abzuwenden/ welches aller-
dings ohne die eusserliche leibes-straffe gnugsam geschehen kan. Der ort
Hebr. 10/ 28. 29. beweget mich im geringsten nicht/ denn dieses bleibet
wahr/ daß freylich/ wer den Sohn GOttes mit füssen trit/ schwehrere straffen
verdiene/ als derjenige/ so nur das gesetz Mosis gebrochen hat. Aber dar-
aus folget nicht/ daß deßwegen die straffen auch einer art seyn müsten/ nem-
lich beyde leiblich. Ja wo man wolte bey der leiblichen straff bleiben/ könte
keine ärgere straff jetzo den untertretern des bluts Christi angethan werden/
als in dem gesetze Mosis/ in dem mehrern übelthaten die steinigung zuerkant
wurde/ über welche in dem leiblichen keine höhere straffe war. Solte also
die straffe jetzo des N. T. ärger und schwehrer seyn/ so muß sie gantz eine an-
dere/ das ist/ desselben art gemäß/ geistlich und ewigseyn. Unser Hr. D. Schmidt
mag hievon wol gelesen werden in seinem Commentario; und ist sehr fein/
wenn er austrücklich sagt: Siquidem eadem etiam ratio fuit, quae haereticos
morte capitali puniverit, quod N. T. non facit.
Er verstehet auch an die-
sem ort die sünde in dem Heil. Geist/ die ich doch nicht wol hoffe/ daß man sie
am leben straffen wolte. Also gibt er die krafft des spruchs sehr wohl: Si is,
qui politiam legis Mosaicae violavit & irritam fecit, quat. hoc fecit, sine
miserationibus in suo genere mortis poena civili afficiendus fuit: quanto
putatis majorem poenam in suo genere, h. e. in genere poenarum spirituali-
um & aeternarum afficiendus erit peccans in Spiritum S.?
Mich deucht aber/
die sache seye allzuklahr/ als daß man vieles nicht über den spruch bedörffte.

Wun-
C c 2

ARTIC. II. SECTIO VIII.
dieſe: weil das reich Chriſti in dem geiſtlichen von keiner euſſerlichen gewalt
nicht weiß/ ſondern nur in einer krafft des Geiſtes beſtehet; daher alle euſſer-
liche gewalt und ſtraffen in das reich der welt gehoͤren/ und alſo nicht diejeni-
ge dinge unter ſich begreiffen koͤnnen/ die in einem irrthum beſtehen oder dar-
aus herkommen. So iſt jeglicher irrthum der ein bloſſer irrthum iſt/ von
Chriſten an ihrem nechſten nicht anders anzuſehen/ als eine kranckheit/ um
welcherley willen man mit dem krancken mehr mitleiden und gedult hat/ als
daß man ihn wegen derſelben und derer ſymptomatum haſſen wolte: daher
unſre pflicht vielmehr von uns eine erbarmende liebe gegen die irrige/ und ei-
ne gedult gegen dasjenige/ was ſie aus dem irrthum thun/ wircken ſolle; als
daß wir uns zu einem gehaͤßigen eiffer gegen ſie/ und alſo ihnen zu ſchaden/
bewegen laſſen wolten. Gnug iſts alſo/ daß wir gegen ſolche materiales
blasphemias
als eine geiſtliche ſuͤnde/ mit geiſtlichen waffen kaͤmpffen/ und
mit groſſer gedult/ wie GOtt ſelbs zu thun pfleget/ die irrende/ biß ſie etwa
moͤchten bekehret werden/ tragen: oder nach allem gethanen verſuch die ſache
deme/ deſſen ſie iſt/ befehlen/ der endlich hart gnug diejenige/ ſo ſeiner wahr-
heit widerſtanden haben/ zu ſtraffen weiß; ſo dann dabey vorſichtigkeit brau-
chen/ nur das aͤrgernuͤß auff alle der chriſtlichen ſanfftmuth nicht zu wider-
lauffende mittel von den unſrigen nach vermoͤgen abzuwenden/ welches aller-
dings ohne die euſſerliche leibes-ſtraffe gnugſam geſchehen kan. Der ort
Hebr. 10/ 28. 29. beweget mich im geringſten nicht/ denn dieſes bleibet
wahr/ daß freylich/ wer den Sohn GOttes mit fuͤſſen trit/ ſchwehrere ſtraffen
verdiene/ als derjenige/ ſo nur das geſetz Moſis gebrochen hat. Aber dar-
aus folget nicht/ daß deßwegen die ſtraffen auch einer art ſeyn muͤſten/ nem-
lich beyde leiblich. Ja wo man wolte bey der leiblichen ſtraff bleiben/ koͤnte
keine aͤrgere ſtraff jetzo den untertretern des bluts Chriſti angethan werden/
als in dem geſetze Moſis/ in dem mehrern uͤbelthaten die ſteinigung zuerkant
wurde/ uͤber welche in dem leiblichen keine hoͤhere ſtraffe war. Solte alſo
die ſtraffe jetzo des N. T. aͤrger und ſchwehrer ſeyn/ ſo muß ſie gantz eine an-
deꝛe/ das iſt/ deſſelben art gemaͤß/ geiſtlich und ewigſeyn. Unſeꝛ Hr. D. Schmidt
mag hievon wol geleſen werden in ſeinem Commentario; und iſt ſehr fein/
wenn er austruͤcklich ſagt: Siquidem eadem etiam ratio fuit, quæ hæreticos
morte capitali puniverit, quod N. T. non facit.
Er verſtehet auch an die-
ſem ort die ſuͤnde in dem Heil. Geiſt/ die ich doch nicht wol hoffe/ daß man ſie
am leben ſtraffen wolte. Alſo gibt er die krafft des ſpruchs ſehr wohl: Si is,
qui politiam legis Moſaicæ violavit & irritam fecit, quat. hoc fecit, ſine
miſerationibus in ſuo genere mortis pœna civili afficiendus fuit: quanto
putatis majorem pœnam in ſuo genere, h. e. in genere pœnarum ſpirituali-
um & æternarum afficiendus erit peccans in Spiritum S.?
Mich deucht aber/
die ſache ſeye allzuklahr/ als daß man vieles nicht uͤber den ſpruch bedoͤrffte.

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[203/0211] ARTIC. II. SECTIO VIII. dieſe: weil das reich Chriſti in dem geiſtlichen von keiner euſſerlichen gewalt nicht weiß/ ſondern nur in einer krafft des Geiſtes beſtehet; daher alle euſſer- liche gewalt und ſtraffen in das reich der welt gehoͤren/ und alſo nicht diejeni- ge dinge unter ſich begreiffen koͤnnen/ die in einem irrthum beſtehen oder dar- aus herkommen. So iſt jeglicher irrthum der ein bloſſer irrthum iſt/ von Chriſten an ihrem nechſten nicht anders anzuſehen/ als eine kranckheit/ um welcherley willen man mit dem krancken mehr mitleiden und gedult hat/ als daß man ihn wegen derſelben und derer ſymptomatum haſſen wolte: daher unſre pflicht vielmehr von uns eine erbarmende liebe gegen die irrige/ und ei- ne gedult gegen dasjenige/ was ſie aus dem irrthum thun/ wircken ſolle; als daß wir uns zu einem gehaͤßigen eiffer gegen ſie/ und alſo ihnen zu ſchaden/ bewegen laſſen wolten. Gnug iſts alſo/ daß wir gegen ſolche materiales blasphemias als eine geiſtliche ſuͤnde/ mit geiſtlichen waffen kaͤmpffen/ und mit groſſer gedult/ wie GOtt ſelbs zu thun pfleget/ die irrende/ biß ſie etwa moͤchten bekehret werden/ tragen: oder nach allem gethanen verſuch die ſache deme/ deſſen ſie iſt/ befehlen/ der endlich hart gnug diejenige/ ſo ſeiner wahr- heit widerſtanden haben/ zu ſtraffen weiß; ſo dann dabey vorſichtigkeit brau- chen/ nur das aͤrgernuͤß auff alle der chriſtlichen ſanfftmuth nicht zu wider- lauffende mittel von den unſrigen nach vermoͤgen abzuwenden/ welches aller- dings ohne die euſſerliche leibes-ſtraffe gnugſam geſchehen kan. Der ort Hebr. 10/ 28. 29. beweget mich im geringſten nicht/ denn dieſes bleibet wahr/ daß freylich/ wer den Sohn GOttes mit fuͤſſen trit/ ſchwehrere ſtraffen verdiene/ als derjenige/ ſo nur das geſetz Moſis gebrochen hat. Aber dar- aus folget nicht/ daß deßwegen die ſtraffen auch einer art ſeyn muͤſten/ nem- lich beyde leiblich. Ja wo man wolte bey der leiblichen ſtraff bleiben/ koͤnte keine aͤrgere ſtraff jetzo den untertretern des bluts Chriſti angethan werden/ als in dem geſetze Moſis/ in dem mehrern uͤbelthaten die ſteinigung zuerkant wurde/ uͤber welche in dem leiblichen keine hoͤhere ſtraffe war. Solte alſo die ſtraffe jetzo des N. T. aͤrger und ſchwehrer ſeyn/ ſo muß ſie gantz eine an- deꝛe/ das iſt/ deſſelben art gemaͤß/ geiſtlich und ewigſeyn. Unſeꝛ Hr. D. Schmidt mag hievon wol geleſen werden in ſeinem Commentario; und iſt ſehr fein/ wenn er austruͤcklich ſagt: Siquidem eadem etiam ratio fuit, quæ hæreticos morte capitali puniverit, quod N. T. non facit. Er verſtehet auch an die- ſem ort die ſuͤnde in dem Heil. Geiſt/ die ich doch nicht wol hoffe/ daß man ſie am leben ſtraffen wolte. Alſo gibt er die krafft des ſpruchs ſehr wohl: Si is, qui politiam legis Moſaicæ violavit & irritam fecit, quat. hoc fecit, ſine miſerationibus in ſuo genere mortis pœna civili afficiendus fuit: quanto putatis majorem pœnam in ſuo genere, h. e. in genere pœnarum ſpirituali- um & æternarum afficiendus erit peccans in Spiritum S.? Mich deucht aber/ die ſache ſeye allzuklahr/ als daß man vieles nicht uͤber den ſpruch bedoͤrffte. Wun- C c 2

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 2. Halle (Saale), 1701, S. 203. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken02_1701/211>, abgerufen am 25.11.2024.