Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 2. Halle (Saale), 1701.ARTIC. I. SECTIO III. freyen möchte. 9. Wann dann befunden worden/ daß durch das fastensonderlich des freytags/ wegen der mehrern amts-verrichtungen/ die natur nicht ohne dero wahrhafftigen nachtheil und schwächung/ abgemattet wer- de/ so fället das gelübde/ was den umstand des tages (darauff ohne das nicht hauptsächlich wird gesehen seyn worden) anlangt/ dahin/ und kan damit nicht fortgefahren werden: indem GOtt nicht gefallen kan/ womit wir an uns seine creatur verderbten/ und uns zu anderem seinem dienst untüchtig machten. 10. Wo aber befunden wird/ daß an einigem andern wochentage/ da die wenigste ermüdende verrichtungen wären/ das fasten ohne nachtheil der gesundheit und verstöhrung der andacht angestellet werden könte/ so würde durch solche verlegung dem gelübde in der sache selbs ein gnüge gesche- hen/ und sich das gewissen damit beruhigen. 11. Wo aber letzlich sich erge- ben solte/ daß alles solche fasten nicht ohne schaden der nöthigen leibeskräff- ten und mit stäter hinderung der andern geistlichen übungen zu werck gerich- tet werde/ so wäre mein rath/ gleichwol bey dem ersten gelübde so nahe zu bleiben/ als ohne andere verletzung des gewissens geschehen könte/ und wolte ich vorschlagen/ an statt des einen tages/ sich zwey tag zu wehlen/ da ich die or- dinarie mahlzeit aussetzte/ oder nicht nach sonst gewöhnlicher nothdurfft ässe/ sondern etwa allein auff meinem cabinet mir von speiß und tranck nur so viel reichen liesse/ was die eusserste nothdurfft der stärckung der natur erforderte/ und hingegen die gewöhnliche zeit des speisens über/ allein mit geistlichen übungen und andacht zubrächte. Dieses achtete ich vor das sicherste/ und von dem man künfftig die wenigste unruhe des gewissens zu sorgen hätte: dann also bliebe man bey dem gelübde/ dessen rigor die schwachheit der natur nicht zu gibt/ und uns also gewisser massen davon befreyet/ annoch am nech- sten/ und möchte den durch die erste entschliessung dazu vorgehabten zweck am kräfftigsten dardurch erlangen. Wie dieses nun meine in der forcht des HErrn gefaste einfältige gedancken sind/ die ich zur prüffung meines gelieb- ten bruders eigenem gewissen überlasse/ ob und wie fern er sich überzeuget fin- den möchte/ also ruffe ich schließlich den himmlischen Vater demüthigst an/ daß er nach seiner väterlichen güte und treue gegen seine kinder/ welche wider seinen willen nicht gern thun wolten/ ihm denselben zu völliger beruhigung des gewissens zu erkennen geben/ und uns selbs allezeit mit seinem geist füh- ren/ also auch sonderlich in dieser sache das hertz durchseinegnadevestmachen wolle. SECTIO IV. Von einem nicht mit genugsamen bedacht gethanen gelübde. Was B 2
ARTIC. I. SECTIO III. freyen moͤchte. 9. Wann dann befunden worden/ daß durch das faſtenſonderlich des freytags/ wegen der mehrern amts-verrichtungen/ die natur nicht ohne dero wahrhafftigen nachtheil und ſchwaͤchung/ abgemattet wer- de/ ſo faͤllet das geluͤbde/ was den umſtand des tages (darauff ohne das nicht hauptſaͤchlich wird geſehen ſeyn worden) anlangt/ dahin/ und kan damit nicht fortgefahren werden: indem GOtt nicht gefallen kan/ womit wir an uns ſeine creatur verderbten/ und uns zu anderem ſeinem dienſt untuͤchtig machten. 10. Wo aber befunden wird/ daß an einigem andern wochentage/ da die wenigſte ermuͤdende verrichtungen waͤren/ das faſten ohne nachtheil der geſundheit und verſtoͤhrung der andacht angeſtellet werden koͤnte/ ſo wuͤrde durch ſolche verlegung dem geluͤbde in der ſache ſelbs ein gnuͤge geſche- hen/ und ſich das gewiſſen damit beruhigen. 11. Wo aber letzlich ſich erge- ben ſolte/ daß alles ſolche faſten nicht ohne ſchaden der noͤthigen leibeskraͤff- ten und mit ſtaͤter hinderung der andern geiſtlichen uͤbungen zu werck gerich- tet werde/ ſo waͤre mein rath/ gleichwol bey dem erſten geluͤbde ſo nahe zu bleiben/ als ohne andere verletzung des gewiſſens geſchehen koͤnte/ und wolte ich vorſchlagen/ an ſtatt des einen tages/ ſich zwey tag zu wehlen/ da ich die or- dinarie mahlzeit auſſetzte/ oder nicht nach ſonſt gewoͤhnlicher nothdurfft aͤſſe/ ſondern etwa allein auff meinem cabinet mir von ſpeiß und tranck nur ſo viel reichen lieſſe/ was die euſſerſte nothdurfft der ſtaͤrckung der natur erforderte/ und hingegen die gewoͤhnliche zeit des ſpeiſens uͤber/ allein mit geiſtlichen uͤbungen und andacht zubraͤchte. Dieſes achtete ich vor das ſicherſte/ und von dem man kuͤnfftig die wenigſte unruhe des gewiſſens zu ſorgen haͤtte: dann alſo bliebe man bey dem geluͤbde/ deſſen rigor die ſchwachheit der natur nicht zu gibt/ und uns alſo gewiſſer maſſen davon befreyet/ annoch am nech- ſten/ und moͤchte den durch die erſte entſchlieſſung dazu vorgehabten zweck am kraͤfftigſten dardurch erlangen. Wie dieſes nun meine in der forcht des HErrn gefaſte einfaͤltige gedancken ſind/ die ich zur pruͤffung meines gelieb- ten bruders eigenem gewiſſen uͤberlaſſe/ ob und wie fern er ſich uͤberzeuget fin- den moͤchte/ alſo ruffe ich ſchließlich den himmliſchen Vater demuͤthigſt an/ daß er nach ſeiner vaͤterlichen guͤte und treue gegen ſeine kinder/ welche wider ſeinen willen nicht gern thun wolten/ ihm denſelben zu voͤlliger beruhigung des gewiſſens zu erkennen geben/ und uns ſelbs allezeit mit ſeinem geiſt fuͤh- ren/ alſo auch ſonderlich in dieſer ſache das hertz durchſeinegnadeveſtmachen wolle. SECTIO IV. Von einem nicht mit genugſamen bedacht gethanen geluͤbde. Was B 2
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0019" n="11"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">ARTIC. I. SECTIO III.</hi></hi></fw><lb/> freyen moͤchte. 9. Wann dann befunden worden/ daß durch das <hi rendition="#fr">faſten</hi><lb/> ſonderlich des freytags/ wegen der mehrern amts-verrichtungen/ die natur<lb/> nicht ohne dero wahrhafftigen nachtheil und ſchwaͤchung/ abgemattet wer-<lb/> de/ ſo faͤllet das geluͤbde/ was den umſtand des tages (darauff ohne das nicht<lb/> hauptſaͤchlich wird geſehen ſeyn worden) anlangt/ dahin/ und kan damit<lb/> nicht fortgefahren werden: indem GOtt nicht gefallen kan/ womit wir an<lb/> uns ſeine creatur verderbten/ und uns zu anderem ſeinem dienſt untuͤchtig<lb/> machten. 10. Wo aber befunden wird/ daß an einigem andern wochentage/<lb/> da die wenigſte ermuͤdende verrichtungen waͤren/ das faſten ohne nachtheil<lb/> der geſundheit und verſtoͤhrung der andacht angeſtellet werden koͤnte/ ſo<lb/> wuͤrde durch ſolche verlegung dem geluͤbde in der ſache ſelbs ein gnuͤge geſche-<lb/> hen/ und ſich das gewiſſen damit beruhigen. 11. Wo aber letzlich ſich erge-<lb/> ben ſolte/ daß alles ſolche faſten nicht ohne ſchaden der noͤthigen leibeskraͤff-<lb/> ten und mit ſtaͤter hinderung der andern geiſtlichen uͤbungen zu werck gerich-<lb/> tet werde/ ſo waͤre mein rath/ gleichwol bey dem erſten geluͤbde ſo nahe zu<lb/> bleiben/ als ohne andere verletzung des gewiſſens geſchehen koͤnte/ und wolte<lb/> ich vorſchlagen/ an ſtatt des einen tages/ ſich zwey tag zu wehlen/ da ich die <hi rendition="#aq">or-<lb/> dina</hi>rie mahlzeit auſſetzte/ oder nicht nach ſonſt gewoͤhnlicher nothdurfft aͤſſe/<lb/> ſondern etwa allein auff meinem <hi rendition="#aq">cabinet</hi> mir von ſpeiß und tranck nur ſo viel<lb/> reichen lieſſe/ was die euſſerſte nothdurfft der ſtaͤrckung der natur erforderte/<lb/> und hingegen die gewoͤhnliche zeit des ſpeiſens uͤber/ allein mit geiſtlichen<lb/> uͤbungen und andacht zubraͤchte. Dieſes achtete ich vor das ſicherſte/ und<lb/> von dem man kuͤnfftig die wenigſte unruhe des gewiſſens zu ſorgen haͤtte:<lb/> dann alſo bliebe man bey dem geluͤbde/ deſſen <hi rendition="#aq">rigor</hi> die ſchwachheit der natur<lb/> nicht zu gibt/ und uns alſo gewiſſer maſſen davon befreyet/ annoch am nech-<lb/> ſten/ und moͤchte den durch die erſte entſchlieſſung dazu vorgehabten zweck am<lb/> kraͤfftigſten dardurch erlangen. Wie dieſes nun meine in der forcht des<lb/> HErrn gefaſte einfaͤltige gedancken ſind/ die ich zur pruͤffung meines gelieb-<lb/> ten bruders eigenem gewiſſen uͤberlaſſe/ ob und wie fern er ſich uͤberzeuget fin-<lb/> den moͤchte/ alſo ruffe ich ſchließlich den himmliſchen Vater demuͤthigſt an/<lb/> daß er nach ſeiner vaͤterlichen guͤte und treue gegen ſeine kinder/ welche wider<lb/> ſeinen willen nicht gern thun wolten/ ihm denſelben zu voͤlliger beruhigung<lb/> des gewiſſens zu erkennen geben/ und uns ſelbs allezeit mit ſeinem geiſt fuͤh-<lb/> ren/ alſo auch ſonderlich in dieſer ſache das hertz durchſeinegnadeveſtmachen<lb/> wolle.</p> </div><lb/> <div n="3"> <head> <hi rendition="#b"><hi rendition="#aq"><hi rendition="#g">SECTIO IV</hi>.</hi><lb/> Von einem nicht mit genugſamen bedacht<lb/> gethanen geluͤbde.</hi> </head><lb/> <fw place="bottom" type="sig">B 2</fw> <fw place="bottom" type="catch">Was</fw><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [11/0019]
ARTIC. I. SECTIO III.
freyen moͤchte. 9. Wann dann befunden worden/ daß durch das faſten
ſonderlich des freytags/ wegen der mehrern amts-verrichtungen/ die natur
nicht ohne dero wahrhafftigen nachtheil und ſchwaͤchung/ abgemattet wer-
de/ ſo faͤllet das geluͤbde/ was den umſtand des tages (darauff ohne das nicht
hauptſaͤchlich wird geſehen ſeyn worden) anlangt/ dahin/ und kan damit
nicht fortgefahren werden: indem GOtt nicht gefallen kan/ womit wir an
uns ſeine creatur verderbten/ und uns zu anderem ſeinem dienſt untuͤchtig
machten. 10. Wo aber befunden wird/ daß an einigem andern wochentage/
da die wenigſte ermuͤdende verrichtungen waͤren/ das faſten ohne nachtheil
der geſundheit und verſtoͤhrung der andacht angeſtellet werden koͤnte/ ſo
wuͤrde durch ſolche verlegung dem geluͤbde in der ſache ſelbs ein gnuͤge geſche-
hen/ und ſich das gewiſſen damit beruhigen. 11. Wo aber letzlich ſich erge-
ben ſolte/ daß alles ſolche faſten nicht ohne ſchaden der noͤthigen leibeskraͤff-
ten und mit ſtaͤter hinderung der andern geiſtlichen uͤbungen zu werck gerich-
tet werde/ ſo waͤre mein rath/ gleichwol bey dem erſten geluͤbde ſo nahe zu
bleiben/ als ohne andere verletzung des gewiſſens geſchehen koͤnte/ und wolte
ich vorſchlagen/ an ſtatt des einen tages/ ſich zwey tag zu wehlen/ da ich die or-
dinarie mahlzeit auſſetzte/ oder nicht nach ſonſt gewoͤhnlicher nothdurfft aͤſſe/
ſondern etwa allein auff meinem cabinet mir von ſpeiß und tranck nur ſo viel
reichen lieſſe/ was die euſſerſte nothdurfft der ſtaͤrckung der natur erforderte/
und hingegen die gewoͤhnliche zeit des ſpeiſens uͤber/ allein mit geiſtlichen
uͤbungen und andacht zubraͤchte. Dieſes achtete ich vor das ſicherſte/ und
von dem man kuͤnfftig die wenigſte unruhe des gewiſſens zu ſorgen haͤtte:
dann alſo bliebe man bey dem geluͤbde/ deſſen rigor die ſchwachheit der natur
nicht zu gibt/ und uns alſo gewiſſer maſſen davon befreyet/ annoch am nech-
ſten/ und moͤchte den durch die erſte entſchlieſſung dazu vorgehabten zweck am
kraͤfftigſten dardurch erlangen. Wie dieſes nun meine in der forcht des
HErrn gefaſte einfaͤltige gedancken ſind/ die ich zur pruͤffung meines gelieb-
ten bruders eigenem gewiſſen uͤberlaſſe/ ob und wie fern er ſich uͤberzeuget fin-
den moͤchte/ alſo ruffe ich ſchließlich den himmliſchen Vater demuͤthigſt an/
daß er nach ſeiner vaͤterlichen guͤte und treue gegen ſeine kinder/ welche wider
ſeinen willen nicht gern thun wolten/ ihm denſelben zu voͤlliger beruhigung
des gewiſſens zu erkennen geben/ und uns ſelbs allezeit mit ſeinem geiſt fuͤh-
ren/ alſo auch ſonderlich in dieſer ſache das hertz durchſeinegnadeveſtmachen
wolle.
SECTIO IV.
Von einem nicht mit genugſamen bedacht
gethanen geluͤbde.
Was
B 2
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken02_1701 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken02_1701/19 |
Zitationshilfe: | Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 2. Halle (Saale), 1701, S. 11. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken02_1701/19>, abgerufen am 16.07.2024. |