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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 2. Halle (Saale), 1701.

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ARTIC. I. SECTIO XXVII.
ordentlich sollen zugehen/ wie der Apostel gelehret hat. Es ist zwey-
erley/ daß einer ein gemeines recht durch der gemeinde befehl ausrich-
te/ oder daß einer sich desselben rechten in der noth gebraucht. Jn ei-
ner gemeine/ da jedem das recht frey ist/ soll sich desselbenniemand an-
nehmen/ ohne der gantzen gemeinde willen und erwehlung/ aber in
der noth braucht sich desselbigen ein jeder/ wer da will.
Dieses ist Lu-
theri lehr und göttlicher ordnung gemäß. Also 4. hebet das allgemeine prie-
sterthum die verwaltung des predigamts nicht auff: und haben alle ihren
theil an den geheimnüssen GOttes/ aber es sind deswegen nicht alle Christi/
in solchem verstand/ diener/ und haußhalter über seine geheimnüß. 1.
Cor. 4/ 1.
Sie sind nicht alle bothschaffter an Christi statt. Wann es
dann heisset: daß ein Priester in puncto der absolution nicht ein haar
mehr gilt/ als ein gemeiner Christ:
hat es ent weder den verstand/ daß ei-
nes gemeinen Christen absolution/ die er in einigem nothfall/ der unterschied-
licher art seyn kan/ dem andern ertheilet/ eben so kräfftig seye/ als die absolu-
tion eines Predigers/ so ists wahr/ und keine absolution kräfftiger als die
andre: oder es hat die meinung/ ein Prediger habe nicht mehr macht zu der
absolution/ dieselbe zu ertheilen/ und die leute seyn nicht mehr an ihn/ als an
einen andern in dem werck gewiesen; so streitet solche meinung mit göttlicher
ordnung. Hingegen daß ein Prediger in dergleichen sache/ nemlich in ange-
deutetem verstande/ mehr gelte/ als ein gemeiner Christ/ ist so gar keine Ba-
bylonische lehr/ daß vielmehr nach unsers Lutheri angeführter bemerckung/
die kirche erst ein Babylon werden würde/ wenn man solchen unterscheid gantz
auffheben wolte. 5. Jndessen bleibet dieses freylich auch recht/ weil es auch
andre geübte und von GOtt begabte Christen giebet/ die von göttlichen din-
gen so viele/ auch zuweilen mehrere erkäntnüß und erfahrung haben/ als Pre-
diger/ daß einem andern Christen/ der rath und trost bedarff/ und einen sol-
chen kennet/ nicht allein vergönnet/ sondern auch ihm zu rathen seye/ daß er
sich dessen auch gebrauche/ der auch alsdenn seine gabe mittheilen/ und in lie-
be dienen kan/ aber wo er ordnung liebet/ neben sich gleichwol seinen bruder
auch an seine beruffene diener weisen wird. So bleibet das geistliche Prie-
sterthum in seinen schrancken/ und hilfft der göttlichen und kirchlichen ord-
nung/ gegen die es nicht zu mißbrauchen ist.

Es wird auch der erb-sünde in dem bericht gedacht/ daß dieselbe vor
keinen beicht-stuhl oder menschen gehöre/ sondern der sünder wende
sich mit täglichem und stündlichem gebet und flehen zu seinem GOtt/
und bete um krafft aus der höhe/ solcher erb-lust zu widerstehen.

Aber

ARTIC. I. SECTIO XXVII.
ordentlich ſollen zugehen/ wie der Apoſtel gelehret hat. Es iſt zwey-
erley/ daß einer ein gemeines recht durch der gemeinde befehl ausrich-
te/ oder daß einer ſich deſſelben rechten in der noth gebraucht. Jn ei-
ner gemeine/ da jedem das recht frey iſt/ ſoll ſich deſſelbenniemand an-
nehmen/ ohne der gantzen gemeinde willen und erwehlung/ aber in
der noth braucht ſich deſſelbigen ein jeder/ wer da will.
Dieſes iſt Lu-
theri lehr und goͤttlicher ordnung gemaͤß. Alſo 4. hebet das allgemeine prie-
ſterthum die verwaltung des predigamts nicht auff: und haben alle ihren
theil an den geheimnuͤſſen GOttes/ aber es ſind deswegen nicht alle Chriſti/
in ſolchem verſtand/ diener/ und haußhalter uͤber ſeine geheimnuͤß. 1.
Cor. 4/ 1.
Sie ſind nicht alle bothſchaffter an Chriſti ſtatt. Wann es
dann heiſſet: daß ein Prieſter in puncto der abſolution nicht ein haar
mehr gilt/ als ein gemeiner Chriſt:
hat es ent weder den verſtand/ daß ei-
nes gemeinen Chriſten abſolution/ die er in einigem nothfall/ der unterſchied-
licher art ſeyn kan/ dem andern ertheilet/ eben ſo kraͤfftig ſeye/ als die abſolu-
tion eines Predigers/ ſo iſts wahr/ und keine abſolution kraͤfftiger als die
andre: oder es hat die meinung/ ein Prediger habe nicht mehr macht zu der
abſolution/ dieſelbe zu ertheilen/ und die leute ſeyn nicht mehr an ihn/ als an
einen andern in dem werck gewieſen; ſo ſtreitet ſolche meinung mit goͤttlicher
ordnung. Hingegen daß ein Prediger in dergleichen ſache/ nemlich in ange-
deutetem verſtande/ mehr gelte/ als ein gemeiner Chriſt/ iſt ſo gar keine Ba-
byloniſche lehr/ daß vielmehr nach unſers Lutheri angefuͤhrter bemerckung/
die kirche erſt ein Babylon werden wuͤrde/ wenn man ſolchen unterſcheid gantz
auffheben wolte. 5. Jndeſſen bleibet dieſes freylich auch recht/ weil es auch
andre geuͤbte und von GOtt begabte Chriſten giebet/ die von goͤttlichen din-
gen ſo viele/ auch zuweilen mehrere erkaͤntnuͤß und erfahrung haben/ als Pre-
diger/ daß einem andern Chriſten/ der rath und troſt bedarff/ und einen ſol-
chen kennet/ nicht allein vergoͤnnet/ ſondern auch ihm zu rathen ſeye/ daß er
ſich deſſen auch gebrauche/ der auch alsdenn ſeine gabe mittheilen/ und in lie-
be dienen kan/ aber wo er ordnung liebet/ neben ſich gleichwol ſeinen bruder
auch an ſeine beruffene diener weiſen wird. So bleibet das geiſtliche Prie-
ſterthum in ſeinen ſchrancken/ und hilfft der goͤttlichen und kirchlichen ord-
nung/ gegen die es nicht zu mißbrauchen iſt.

Es wird auch der erb-ſuͤnde in dem bericht gedacht/ daß dieſelbe vor
keinen beicht-ſtuhl oder menſchen gehoͤre/ ſondern der ſuͤnder wende
ſich mit taͤglichem und ſtuͤndlichem gebet und flehen zu ſeinem GOtt/
und bete um krafft aus der hoͤhe/ ſolcher erb-luſt zu widerſtehen.

Aber
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[167/0175] ARTIC. I. SECTIO XXVII. ordentlich ſollen zugehen/ wie der Apoſtel gelehret hat. Es iſt zwey- erley/ daß einer ein gemeines recht durch der gemeinde befehl ausrich- te/ oder daß einer ſich deſſelben rechten in der noth gebraucht. Jn ei- ner gemeine/ da jedem das recht frey iſt/ ſoll ſich deſſelbenniemand an- nehmen/ ohne der gantzen gemeinde willen und erwehlung/ aber in der noth braucht ſich deſſelbigen ein jeder/ wer da will. Dieſes iſt Lu- theri lehr und goͤttlicher ordnung gemaͤß. Alſo 4. hebet das allgemeine prie- ſterthum die verwaltung des predigamts nicht auff: und haben alle ihren theil an den geheimnuͤſſen GOttes/ aber es ſind deswegen nicht alle Chriſti/ in ſolchem verſtand/ diener/ und haußhalter uͤber ſeine geheimnuͤß. 1. Cor. 4/ 1. Sie ſind nicht alle bothſchaffter an Chriſti ſtatt. Wann es dann heiſſet: daß ein Prieſter in puncto der abſolution nicht ein haar mehr gilt/ als ein gemeiner Chriſt: hat es ent weder den verſtand/ daß ei- nes gemeinen Chriſten abſolution/ die er in einigem nothfall/ der unterſchied- licher art ſeyn kan/ dem andern ertheilet/ eben ſo kraͤfftig ſeye/ als die abſolu- tion eines Predigers/ ſo iſts wahr/ und keine abſolution kraͤfftiger als die andre: oder es hat die meinung/ ein Prediger habe nicht mehr macht zu der abſolution/ dieſelbe zu ertheilen/ und die leute ſeyn nicht mehr an ihn/ als an einen andern in dem werck gewieſen; ſo ſtreitet ſolche meinung mit goͤttlicher ordnung. Hingegen daß ein Prediger in dergleichen ſache/ nemlich in ange- deutetem verſtande/ mehr gelte/ als ein gemeiner Chriſt/ iſt ſo gar keine Ba- byloniſche lehr/ daß vielmehr nach unſers Lutheri angefuͤhrter bemerckung/ die kirche erſt ein Babylon werden wuͤrde/ wenn man ſolchen unterſcheid gantz auffheben wolte. 5. Jndeſſen bleibet dieſes freylich auch recht/ weil es auch andre geuͤbte und von GOtt begabte Chriſten giebet/ die von goͤttlichen din- gen ſo viele/ auch zuweilen mehrere erkaͤntnuͤß und erfahrung haben/ als Pre- diger/ daß einem andern Chriſten/ der rath und troſt bedarff/ und einen ſol- chen kennet/ nicht allein vergoͤnnet/ ſondern auch ihm zu rathen ſeye/ daß er ſich deſſen auch gebrauche/ der auch alsdenn ſeine gabe mittheilen/ und in lie- be dienen kan/ aber wo er ordnung liebet/ neben ſich gleichwol ſeinen bruder auch an ſeine beruffene diener weiſen wird. So bleibet das geiſtliche Prie- ſterthum in ſeinen ſchrancken/ und hilfft der goͤttlichen und kirchlichen ord- nung/ gegen die es nicht zu mißbrauchen iſt. Es wird auch der erb-ſuͤnde in dem bericht gedacht/ daß dieſelbe vor keinen beicht-ſtuhl oder menſchen gehoͤre/ ſondern der ſuͤnder wende ſich mit taͤglichem und ſtuͤndlichem gebet und flehen zu ſeinem GOtt/ und bete um krafft aus der hoͤhe/ ſolcher erb-luſt zu widerſtehen. Aber

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 2. Halle (Saale), 1701, S. 167. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken02_1701/175>, abgerufen am 23.11.2024.