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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 1. Halle (Saale), 1700.

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Das andere Capitel.
GOtt auff mich/ als sie es den ersten augenblick meiner bekehrung war: nicht
anders/ als wo ich etliche stunden in der sonnen stehe/ sowol in dem letzten augen-
blick das liecht und der strahl der sonnen auff mich schiesset/ als es bey dem ersten
bescheinen geschehen war. Also bedarff ich sowol diesen augenblick/ da ich doch
in GOttes gnade und genuß der vergebung stehe/ daß mir GOtt seines Sohns
verdienst zur vergebung meiner sünden zurechne/ und also die sünde vergebe/ als
da er mich in seine gnade auffnahm. Daß man deswegen sichs nicht ungereimt
muß lassen vorkommen/ wo man sagt/ daß einem der in einer steten vergebung ste-
het/ die sünde vergeben werde: wie wirs ja nicht vor ungereimt halten/ daß Chri-
stus bey seinen gläubigen bereits wohne/ und dannoch immer widerum in dem
wort und Sacramenten zu ihnen komme. Wann wir also wiederum zu unsrer
beicht kommen bekenne ich/ daß ein bußfertiger/ der sich von schwehren fällen be-
kehret hat/ sobald in seiner buß durch den glauben die vergebung vor GOttes ge-
richt erlangt habe/ und wo er auch zu der absolution zu kommen die gelegenheit
nicht hätte/ nichts destoweniger eine vollkommene vergebung geniessen würde: in-
dessen wird in der absolution wo er dazu kommet/ die vergebung ihn bekräfftigt/
und auffs neue/ wie oben erklähret/ die sünde vergeben. Was auch diejenige an-
langet/ welche nun eine zeitlang in der widergeburt treulich gewandelt haben/ daß
sie aus der gnade Gottes nicht wider gefallen sind/ wann sie zu dem heil. Abendmahl
gehen wollen/ und also bey dem beichtstuhl sich einzustellen haben/ bringen sie
zwar keine sünden mit sich/ die in dem ersten verstand der vergebung bedörfften/
daß sie erst aus GOttes zorn in die gnade kommen müsten/ weil die gnade GOttes/
in der sie stehen/ augenblicklich ihre sünden tilget/ und ihre schwachheit-fehler
(denn boßhafftige und herrschende sünden kommen ihnen in solchen stand nicht zu)
ihnen nicht vor GOtt zugerechnet werden (nachdem bey denen die in Christo JE-
su sind keine verdammung und also kein göttlicher zorn gegen sie ist. Rom. 8/ 1.)
indessen kommen sie nicht vergebens zu dem beichtstuhl/ sondern wie sie zwar nicht
der buß der gefallenen/ welche eine neue bekehrung erfordert/ jedoch der buß der
stehenden/ und also täglicher reu und leid und glaubens/ bedörffen/ bringen sie eine
an sich selbs verderbte natur/ und solche auffs wenigste mit vielen schwachheit-
fehlern beladen/ mit sich/ daher sie nicht allein geistlicher stärckung und raths be-
dörffen/ daß die einwohnende sünde/ wie sie allezeit darnach trachtet/ die herr-
schafft über sie nicht wiederum erlange/ sondern auch trostes gegen solche ihre sün-
den/ dero sie ihr gewissen beschuldigt: und diese werden ihnen dann auch in der
absolution vergeben/ oder die stets über sie/ so lang sie in der gnade stehen/ wal-
tende vergebung fortgesetzt oder widerholet. Was aber unbußfertige anlangt/
ists freylich wahr/ daß die sünde denselben nicht gelöset werden/ es wäre dann sach
(so gleichwol bey GOtt nicht unmüglich ist) daß bey einem/ so noch unbußfertig
zu der beicht gekommen war/ durch beweglichen zuspruch eines gottseligen Predi-

gers

Das andere Capitel.
GOtt auff mich/ als ſie es den erſten augenblick meiner bekehrung war: nicht
anders/ als wo ich etliche ſtunden in der ſonnen ſtehe/ ſowol in dem letzten augen-
blick das liecht und der ſtrahl der ſonnen auff mich ſchieſſet/ als es bey dem erſten
beſcheinen geſchehen war. Alſo bedarff ich ſowol dieſen augenblick/ da ich doch
in GOttes gnade und genuß der vergebung ſtehe/ daß mir GOtt ſeines Sohns
verdienſt zur vergebung meiner ſuͤnden zurechne/ und alſo die ſuͤnde vergebe/ als
da er mich in ſeine gnade auffnahm. Daß man deswegen ſichs nicht ungereimt
muß laſſen vorkommen/ wo man ſagt/ daß einem der in einer ſteten vergebung ſte-
het/ die ſuͤnde vergeben werde: wie wirs ja nicht vor ungereimt halten/ daß Chri-
ſtus bey ſeinen glaͤubigen bereits wohne/ und dannoch immer widerum in dem
wort und Sacramenten zu ihnen komme. Wann wir alſo wiederum zu unſrer
beicht kommen bekenne ich/ daß ein bußfertiger/ der ſich von ſchwehren faͤllen be-
kehret hat/ ſobald in ſeiner buß durch den glauben die vergebung vor GOttes ge-
richt erlangt habe/ und wo er auch zu der abſolution zu kommen die gelegenheit
nicht haͤtte/ nichts deſtoweniger eine vollkommene vergebung genieſſen wuͤrde: in-
deſſen wird in der abſolution wo er dazu kommet/ die vergebung ihn bekraͤfftigt/
und auffs neue/ wie oben erklaͤhret/ die ſuͤnde vergeben. Was auch diejenige an-
langet/ welche nun eine zeitlang in der widergeburt treulich gewandelt haben/ daß
ſie aus der gnade Gottes nicht wider gefallen ſind/ wann ſie zu dem heil. Abendmahl
gehen wollen/ und alſo bey dem beichtſtuhl ſich einzuſtellen haben/ bringen ſie
zwar keine ſuͤnden mit ſich/ die in dem erſten verſtand der vergebung bedoͤrfften/
daß ſie erſt aus GOttes zorn in die gnade kommen muͤſten/ weil die gnade GOttes/
in der ſie ſtehen/ augenblicklich ihre ſuͤnden tilget/ und ihre ſchwachheit-fehler
(denn boßhafftige und herrſchende ſuͤnden kommen ihnen in ſolchen ſtand nicht zu)
ihnen nicht vor GOtt zugerechnet werden (nachdem bey denen die in Chriſto JE-
ſu ſind keine verdammung und alſo kein goͤttlicher zorn gegen ſie iſt. Rom. 8/ 1.)
indeſſen kommen ſie nicht vergebens zu dem beichtſtuhl/ ſondern wie ſie zwar nicht
der buß der gefallenen/ welche eine neue bekehrung erfordert/ jedoch der buß der
ſtehenden/ und alſo taͤglicher reu und leid und glaubens/ bedoͤrffen/ bringen ſie eine
an ſich ſelbs verderbte natur/ und ſolche auffs wenigſte mit vielen ſchwachheit-
fehlern beladen/ mit ſich/ daher ſie nicht allein geiſtlicher ſtaͤrckung und raths be-
doͤrffen/ daß die einwohnende ſuͤnde/ wie ſie allezeit darnach trachtet/ die herr-
ſchafft uͤber ſie nicht wiederum erlange/ ſondern auch troſtes gegen ſolche ihre ſuͤn-
den/ dero ſie ihr gewiſſen beſchuldigt: und dieſe werden ihnen dann auch in der
abſolution vergeben/ oder die ſtets uͤber ſie/ ſo lang ſie in der gnade ſtehen/ wal-
tende vergebung fortgeſetzt oder widerholet. Was aber unbußfertige anlangt/
iſts freylich wahr/ daß die ſuͤnde denſelben nicht geloͤſet werden/ es waͤre dann ſach
(ſo gleichwol bey GOtt nicht unmuͤglich iſt) daß bey einem/ ſo noch unbußfertig
zu der beicht gekommen war/ durch beweglichen zuſpruch eines gottſeligen Predi-

gers
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[196/0996] Das andere Capitel. GOtt auff mich/ als ſie es den erſten augenblick meiner bekehrung war: nicht anders/ als wo ich etliche ſtunden in der ſonnen ſtehe/ ſowol in dem letzten augen- blick das liecht und der ſtrahl der ſonnen auff mich ſchieſſet/ als es bey dem erſten beſcheinen geſchehen war. Alſo bedarff ich ſowol dieſen augenblick/ da ich doch in GOttes gnade und genuß der vergebung ſtehe/ daß mir GOtt ſeines Sohns verdienſt zur vergebung meiner ſuͤnden zurechne/ und alſo die ſuͤnde vergebe/ als da er mich in ſeine gnade auffnahm. Daß man deswegen ſichs nicht ungereimt muß laſſen vorkommen/ wo man ſagt/ daß einem der in einer ſteten vergebung ſte- het/ die ſuͤnde vergeben werde: wie wirs ja nicht vor ungereimt halten/ daß Chri- ſtus bey ſeinen glaͤubigen bereits wohne/ und dannoch immer widerum in dem wort und Sacramenten zu ihnen komme. Wann wir alſo wiederum zu unſrer beicht kommen bekenne ich/ daß ein bußfertiger/ der ſich von ſchwehren faͤllen be- kehret hat/ ſobald in ſeiner buß durch den glauben die vergebung vor GOttes ge- richt erlangt habe/ und wo er auch zu der abſolution zu kommen die gelegenheit nicht haͤtte/ nichts deſtoweniger eine vollkommene vergebung genieſſen wuͤrde: in- deſſen wird in der abſolution wo er dazu kommet/ die vergebung ihn bekraͤfftigt/ und auffs neue/ wie oben erklaͤhret/ die ſuͤnde vergeben. Was auch diejenige an- langet/ welche nun eine zeitlang in der widergeburt treulich gewandelt haben/ daß ſie aus der gnade Gottes nicht wider gefallen ſind/ wann ſie zu dem heil. Abendmahl gehen wollen/ und alſo bey dem beichtſtuhl ſich einzuſtellen haben/ bringen ſie zwar keine ſuͤnden mit ſich/ die in dem erſten verſtand der vergebung bedoͤrfften/ daß ſie erſt aus GOttes zorn in die gnade kommen muͤſten/ weil die gnade GOttes/ in der ſie ſtehen/ augenblicklich ihre ſuͤnden tilget/ und ihre ſchwachheit-fehler (denn boßhafftige und herrſchende ſuͤnden kommen ihnen in ſolchen ſtand nicht zu) ihnen nicht vor GOtt zugerechnet werden (nachdem bey denen die in Chriſto JE- ſu ſind keine verdammung und alſo kein goͤttlicher zorn gegen ſie iſt. Rom. 8/ 1.) indeſſen kommen ſie nicht vergebens zu dem beichtſtuhl/ ſondern wie ſie zwar nicht der buß der gefallenen/ welche eine neue bekehrung erfordert/ jedoch der buß der ſtehenden/ und alſo taͤglicher reu und leid und glaubens/ bedoͤrffen/ bringen ſie eine an ſich ſelbs verderbte natur/ und ſolche auffs wenigſte mit vielen ſchwachheit- fehlern beladen/ mit ſich/ daher ſie nicht allein geiſtlicher ſtaͤrckung und raths be- doͤrffen/ daß die einwohnende ſuͤnde/ wie ſie allezeit darnach trachtet/ die herr- ſchafft uͤber ſie nicht wiederum erlange/ ſondern auch troſtes gegen ſolche ihre ſuͤn- den/ dero ſie ihr gewiſſen beſchuldigt: und dieſe werden ihnen dann auch in der abſolution vergeben/ oder die ſtets uͤber ſie/ ſo lang ſie in der gnade ſtehen/ wal- tende vergebung fortgeſetzt oder widerholet. Was aber unbußfertige anlangt/ iſts freylich wahr/ daß die ſuͤnde denſelben nicht geloͤſet werden/ es waͤre dann ſach (ſo gleichwol bey GOtt nicht unmuͤglich iſt) daß bey einem/ ſo noch unbußfertig zu der beicht gekommen war/ durch beweglichen zuſpruch eines gottſeligen Predi- gers

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 1. Halle (Saale), 1700, S. 196. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken01_1700/996>, abgerufen am 22.11.2024.