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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 1. Halle (Saale), 1700.

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ARTIC. V. SECTIO VI.
um den articul der Christlichen frey heit/ welchen zuerhalten der H. Geist
durch den mnnd des H. Apostels seiner kirchen/ wie jetzt gehöret/ so ernst-
lich befohlen hat. Dann sobald derselbige geschwächet/ und menschen-ge-
bot und zwang der kirchen als nöthig auffgedrungen werden/ als wäre
die unterlassung derselben unrecht und sünde/ ist der abgötterey der weg
schon bereitet/ dardurch nachmals menschen-gebot gehäuffet und für Got-
tesdienst/ nicht allein den geboten GOttes gleichgehalten/ sondern auch
über dieselbige gesetzt werden.
Jch führe mit fleiß die formalia unsrer Formu-
lae
weitläufftiger an/ darmit man sehe/ was eigentlich der status controversiae
wegen der adiaphororum (so aus dem unseligen interim, dadurch der kirchen das
Papstthum unvermercket wiederum hat sollen auffgedrungen werden/ herent-
sprungen) gewesen seye/ und also was unsre bekenner darinnen verworffen haben.
Nun wo eigentlich von der völligen abschaffung des exorcismi geredet würde/ und
diese nicht wegen der formul sondern auch wegen des verstandes/ den wir derselben
geben/ verdammet/ so dann aus solcher ursach jene auffgedrungen werden wolte/
hätte solches etwas mit jener controvers eine verwandschafft/ wiewol sie doch nicht
vor einerley zuhalten/ oder gantz ein urtheil von beyden gefället werden dörffte/ in-
deme noch ein grosser unterscheid wäre/ unter der abschaffung einer ohne daß einem
grossen theil der kirchen ungewöhnlichen und vieler mißdeuttung/ auch selbs der
unsrigen/ unterworffener ceremonie, darbey man der orthodoxie sobald mit an
statt setzung anderer der lehr nach haltender formuln in gebet/ vermahnung oder
sonsten/ versicherung thun könte/ also keinerley massen einigen irrthum darmit be-
kräfftigte/ und unter der einführung solcher ceremonien/ die als nöthig auffge-
drungen würden/ auch aberglauben und abgötterey stärcketen. Aber es wird
nicht einmal von einer abschaffung hier geredet/ sondern von einer dispensation,
welche gewissen personen gegeben werden solle/ von einem ritu, den sie nicht gern
vertragen/ da doch sowol dieser andern nicht verboten wird/ und diejenige/ so ihn
ausgelassen zu werden verlangen/ sich zu derjenigen lehr bekennen/ welche der
exorcismus ausdrücken solle. Daher wird solcher dispensation mit keinem ziem-
lichen schein nur zugemessen werden können/ daß entweder abgötterey und aber-
glauben damit bestätiget/ noch der wahrheit des Evangelii und Christlicher frey-
heit eintrag gethan werde. Wie oben bereits mit mehrerem also gezeiget worden
ist/ daß ich davor halte/ es werde solche wahrheit einem jeglichen/ der ohne passion
die sache ansiehet/ leicht in die augen leuchten.

7. Der letzte einwurff mag meines erachtens wol der schwehrste seyn/ daß
nemlich die änderung der ceremonien der gantzen kirchen zustehe/ und also kei-
nem eintzigen stand/ also auch nicht den obrigkeitlichen allein zu kommen wolle/
hierinnen etwas ohne die übrige anzuordnen. Da bekenne gern/ daß ich selbs
der meinung seye/ daß die gewalt der kirchen in diesen und allen andern wichti-

gen
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ARTIC. V. SECTIO VI.
um den articul der Chriſtlichen frey heit/ welchen zuerhalten der H. Geiſt
durch den mnnd des H. Apoſtels ſeiner kirchen/ wie jetzt gehoͤret/ ſo ernſt-
lich befohlen hat. Dann ſobald derſelbige geſchwaͤchet/ und menſchen-ge-
bot und zwang der kirchen als noͤthig auffgedrungen werden/ als waͤre
die unterlaſſung derſelben unrecht und ſuͤnde/ iſt der abgoͤtterey der weg
ſchon bereitet/ dardurch nachmals menſchen-gebot gehaͤuffet und fuͤr Got-
tesdienſt/ nicht allein den geboten GOttes gleichgehalten/ ſondern auch
uͤber dieſelbige geſetzt werden.
Jch fuͤhre mit fleiß die formalia unſrer Formu-
weitlaͤufftiger an/ darmit man ſehe/ was eigentlich der ſtatus controverſiæ
wegen der adiaphororum (ſo aus dem unſeligen interim, dadurch der kirchen das
Papſtthum unvermercket wiederum hat ſollen auffgedrungen werden/ herent-
ſprungen) geweſen ſeye/ und alſo was unſre bekenner darinnen verworffen haben.
Nun wo eigentlich von der voͤlligen abſchaffung des exorciſmi geredet wuͤrde/ und
dieſe nicht wegen der formul ſondern auch wegen des verſtandes/ den wir derſelben
geben/ verdammet/ ſo dann aus ſolcher urſach jene auffgedrungen werden wolte/
haͤtte ſolches etwas mit jener controvers eine verwandſchafft/ wiewol ſie doch nicht
vor einerley zuhalten/ oder gantz ein urtheil von beyden gefaͤllet werden doͤrffte/ in-
deme noch ein groſſer unterſcheid waͤre/ unter der abſchaffung einer ohne daß einem
groſſen theil der kirchen ungewoͤhnlichen und vieler mißdeuttung/ auch ſelbs der
unſrigen/ unterworffener ceremonie, darbey man der orthodoxie ſobald mit an
ſtatt ſetzung anderer der lehr nach haltender formuln in gebet/ vermahnung oder
ſonſten/ verſicherung thun koͤnte/ alſo keinerley maſſen einigen irrthum darmit be-
kraͤfftigte/ und unter der einfuͤhrung ſolcher ceremonien/ die als noͤthig auffge-
drungen wuͤrden/ auch aberglauben und abgoͤtterey ſtaͤrcketen. Aber es wird
nicht einmal von einer abſchaffung hier geredet/ ſondern von einer diſpenſation,
welche gewiſſen perſonen gegeben werden ſolle/ von einem ritu, den ſie nicht gern
vertragen/ da doch ſowol dieſer andern nicht verboten wird/ und diejenige/ ſo ihn
ausgelaſſen zu werden verlangen/ ſich zu derjenigen lehr bekennen/ welche der
exorciſmus ausdruͤcken ſolle. Daher wird ſolcher diſpenſation mit keinem ziem-
lichen ſchein nur zugemeſſen werden koͤnnen/ daß entweder abgoͤtterey und aber-
glauben damit beſtaͤtiget/ noch der wahrheit des Evangelii und Chriſtlicher frey-
heit eintrag gethan werde. Wie oben bereits mit mehrerem alſo gezeiget worden
iſt/ daß ich davor halte/ es werde ſolche wahrheit einem jeglichen/ der ohne paſſion
die ſache anſiehet/ leicht in die augen leuchten.

7. Der letzte einwurff mag meines erachtens wol der ſchwehrſte ſeyn/ daß
nemlich die aͤnderung der ceremonien der gantzen kirchen zuſtehe/ und alſo kei-
nem eintzigen ſtand/ alſo auch nicht den obrigkeitlichen allein zu kommen wolle/
hierinnen etwas ohne die uͤbrige anzuordnen. Da bekenne gern/ daß ich ſelbs
der meinung ſeye/ daß die gewalt der kirchen in dieſen und allen andern wichti-

gen
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[173/0973] ARTIC. V. SECTIO VI. um den articul der Chriſtlichen frey heit/ welchen zuerhalten der H. Geiſt durch den mnnd des H. Apoſtels ſeiner kirchen/ wie jetzt gehoͤret/ ſo ernſt- lich befohlen hat. Dann ſobald derſelbige geſchwaͤchet/ und menſchen-ge- bot und zwang der kirchen als noͤthig auffgedrungen werden/ als waͤre die unterlaſſung derſelben unrecht und ſuͤnde/ iſt der abgoͤtterey der weg ſchon bereitet/ dardurch nachmals menſchen-gebot gehaͤuffet und fuͤr Got- tesdienſt/ nicht allein den geboten GOttes gleichgehalten/ ſondern auch uͤber dieſelbige geſetzt werden. Jch fuͤhre mit fleiß die formalia unſrer Formu- læ weitlaͤufftiger an/ darmit man ſehe/ was eigentlich der ſtatus controverſiæ wegen der adiaphororum (ſo aus dem unſeligen interim, dadurch der kirchen das Papſtthum unvermercket wiederum hat ſollen auffgedrungen werden/ herent- ſprungen) geweſen ſeye/ und alſo was unſre bekenner darinnen verworffen haben. Nun wo eigentlich von der voͤlligen abſchaffung des exorciſmi geredet wuͤrde/ und dieſe nicht wegen der formul ſondern auch wegen des verſtandes/ den wir derſelben geben/ verdammet/ ſo dann aus ſolcher urſach jene auffgedrungen werden wolte/ haͤtte ſolches etwas mit jener controvers eine verwandſchafft/ wiewol ſie doch nicht vor einerley zuhalten/ oder gantz ein urtheil von beyden gefaͤllet werden doͤrffte/ in- deme noch ein groſſer unterſcheid waͤre/ unter der abſchaffung einer ohne daß einem groſſen theil der kirchen ungewoͤhnlichen und vieler mißdeuttung/ auch ſelbs der unſrigen/ unterworffener ceremonie, darbey man der orthodoxie ſobald mit an ſtatt ſetzung anderer der lehr nach haltender formuln in gebet/ vermahnung oder ſonſten/ verſicherung thun koͤnte/ alſo keinerley maſſen einigen irrthum darmit be- kraͤfftigte/ und unter der einfuͤhrung ſolcher ceremonien/ die als noͤthig auffge- drungen wuͤrden/ auch aberglauben und abgoͤtterey ſtaͤrcketen. Aber es wird nicht einmal von einer abſchaffung hier geredet/ ſondern von einer diſpenſation, welche gewiſſen perſonen gegeben werden ſolle/ von einem ritu, den ſie nicht gern vertragen/ da doch ſowol dieſer andern nicht verboten wird/ und diejenige/ ſo ihn ausgelaſſen zu werden verlangen/ ſich zu derjenigen lehr bekennen/ welche der exorciſmus ausdruͤcken ſolle. Daher wird ſolcher diſpenſation mit keinem ziem- lichen ſchein nur zugemeſſen werden koͤnnen/ daß entweder abgoͤtterey und aber- glauben damit beſtaͤtiget/ noch der wahrheit des Evangelii und Chriſtlicher frey- heit eintrag gethan werde. Wie oben bereits mit mehrerem alſo gezeiget worden iſt/ daß ich davor halte/ es werde ſolche wahrheit einem jeglichen/ der ohne paſſion die ſache anſiehet/ leicht in die augen leuchten. 7. Der letzte einwurff mag meines erachtens wol der ſchwehrſte ſeyn/ daß nemlich die aͤnderung der ceremonien der gantzen kirchen zuſtehe/ und alſo kei- nem eintzigen ſtand/ alſo auch nicht den obrigkeitlichen allein zu kommen wolle/ hierinnen etwas ohne die uͤbrige anzuordnen. Da bekenne gern/ daß ich ſelbs der meinung ſeye/ daß die gewalt der kirchen in dieſen und allen andern wichti- gen y 3

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 1. Halle (Saale), 1700, S. 173. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken01_1700/973>, abgerufen am 22.11.2024.