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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 1. Halle (Saale), 1700.

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wissens schon will/ und einem andern seine freyheit lässet/ vor der schwachheit
dessen/ der aus seines gewissens einbildung eines andern gewissen einen strick an-
werffen will: davon man noch zweiffeln möchte/ ob solches den nahmen der
schwachheit tragen möge.

4. Es wird ferner eingewendet/ daß etwa die meiste väter dergleichen aus-
lassung nicht aus scrupel ihres gewissens/ sondern fleischlichen ursachen begehen.
Wo aber dieses letztere geschehe/ so ist wol alles/ so in geistlichen dingen aus fleisch-
lichen ursachen geschiehet/ so fern unrecht. Wie aber die verantwortung der un-
rechten absicht eines solchen mannes auff seine rechnung kommt/ so wird deswe-
gen die auslassung des exorcismi als eine freye sache dem Predigrr nicht unrecht/
so wenig als da er ein kind taufft/ dessen eltern so gottloß sind/ daß sie dasselbe
nicht aus heiliger absicht/ ihrer christlichen schuldigkeit nach dasselbe dem HErrn
Christo einzuverleiben/ sondern allein weil es in der Christenheit so gebräuchlich
ist/ und sie sonsten straffe von der Obrigkeit tragen müßten/ zur tauff bringen:
um welcher der eltern fleischlicher absicht willen die tauffe dannoch an ihrer würde
oder gültigkeit nichts verliehret/ ob sich schon jene daran versündigen. Also ists
dem Prediger gnug/ daß der vater macht hat/ die auslassung von ihm zu for-
dern/ und überlässet dessen gewissen/ warum ers fordere/ sonderlich in einer sol-
chen sache/ da ohne das eine mehrere freyheit zu wünschen wäre/ und also die auch
von der hohen Obrigkeit gegebene lieber auszudehnen als einzuschrencken ist.

5. Ein mehrer gewicht mag darinnen stecken/ wo man sich auff die Augsp.
Conf. berufft/ in dero 15. art. stehet/ von kirchen ordnung von menschen ge-
macht/ lehret man diejenigen halten/ so ohne sünde mögen gehalten wer-
den/ und zu frieden und guter ordnung in der kirchen dienen/ als gewisse
feyer/ feste und dergleichen.
Hier fragt sie nun/ ob sich die Evangelische kir-
che hiemit verbindlich gemachet habe/ allerdings alle kirchen-ordnungen/ oder
in dem Papstum gebräuchlich geweste ceremonie, so noch ohne sünde könten
gehalten werden/ zu behalten/ oder ob nicht vielmehr die meinung allein seye/
daß man sie halten möge/ nicht aber müsse/ und daß daher noch allezeit in der
kirchen belieben stehe/ nach befinden sie zu ändern? daß es nun nicht in dem ersten
verstand zu nehmen/ und eine solche blosse nothwendigkeit gemeinet seye/ kan
ich also erweisen. 1. Aus unsers lieben Lueheri worten/ der seine meinung also
eingesendet hat/ wie sie 17. art. gelautet: daß man die ceremonie der kirchen/
welche wider GOttes wort streben/ auch abthue/ die andre aber frey las-
se seyn/ derselbigen zu gebrauchen oder nicht/ nach der liebe/ darmit
man nicht ohne ursach leichtfertige ärgernüß gebe/ oder gemeinen frie-
den ohne noth betrübe.
2. Aus unsrer Theologorum erklährung. D. Men-
zerus in Exeg. p.
240. setzt die gantze thesin, darinnen 1. affirmat ritus in Eccle-
sia habere locum. 2. Eosdem describit &c. 3. Exempla subjicit &c. D. Carpz.

ini-

Das andere Capitel.
wiſſens ſchon will/ und einem andern ſeine freyheit laͤſſet/ vor der ſchwachheit
deſſen/ der aus ſeines gewiſſens einbildung eines andern gewiſſen einen ſtrick an-
werffen will: davon man noch zweiffeln moͤchte/ ob ſolches den nahmen der
ſchwachheit tragen moͤge.

4. Es wird ferner eingewendet/ daß etwa die meiſte vaͤter dergleichen aus-
laſſung nicht aus ſcrupel ihres gewiſſens/ ſondern fleiſchlichen urſachen begehen.
Wo aber dieſes letztere geſchehe/ ſo iſt wol alles/ ſo in geiſtlichen dingen aus fleiſch-
lichen urſachen geſchiehet/ ſo fern unrecht. Wie aber die verantwortung der un-
rechten abſicht eines ſolchen mannes auff ſeine rechnung kommt/ ſo wird deswe-
gen die auslaſſung des exorciſmi als eine freye ſache dem Predigrr nicht unrecht/
ſo wenig als da er ein kind taufft/ deſſen eltern ſo gottloß ſind/ daß ſie daſſelbe
nicht aus heiliger abſicht/ ihrer chriſtlichen ſchuldigkeit nach daſſelbe dem HErrn
Chriſto einzuverleiben/ ſondern allein weil es in der Chriſtenheit ſo gebraͤuchlich
iſt/ und ſie ſonſten ſtraffe von der Obrigkeit tragen muͤßten/ zur tauff bringen:
um welcher der eltern fleiſchlicher abſicht willen die tauffe dannoch an ihrer wuͤrde
oder guͤltigkeit nichts verliehret/ ob ſich ſchon jene daran verſuͤndigen. Alſo iſts
dem Prediger gnug/ daß der vater macht hat/ die auslaſſung von ihm zu for-
dern/ und uͤberlaͤſſet deſſen gewiſſen/ warum ers fordere/ ſonderlich in einer ſol-
chen ſache/ da ohne das eine mehrere freyheit zu wuͤnſchen waͤre/ und alſo die auch
von der hohen Obrigkeit gegebene lieber auszudehnen als einzuſchrencken iſt.

5. Ein mehrer gewicht mag darinnen ſtecken/ wo man ſich auff die Augſp.
Conf. berufft/ in dero 15. art. ſtehet/ von kirchen ordnung von menſchen ge-
macht/ lehret man diejenigen halten/ ſo ohne ſuͤnde moͤgen gehalten wer-
den/ und zu frieden und guter ordnung in der kirchen dienen/ als gewiſſe
feyer/ feſte und dergleichen.
Hier fragt ſie nun/ ob ſich die Evangeliſche kir-
che hiemit verbindlich gemachet habe/ allerdings alle kirchen-ordnungen/ oder
in dem Papſtum gebraͤuchlich geweſte ceremonie, ſo noch ohne ſuͤnde koͤnten
gehalten werden/ zu behalten/ oder ob nicht vielmehr die meinung allein ſeye/
daß man ſie halten moͤge/ nicht aber muͤſſe/ und daß daher noch allezeit in der
kirchen belieben ſtehe/ nach befinden ſie zu aͤndern? daß es nun nicht in dem erſten
verſtand zu nehmen/ und eine ſolche bloſſe nothwendigkeit gemeinet ſeye/ kan
ich alſo erweiſen. 1. Aus unſers lieben Lueheri worten/ der ſeine meinung alſo
eingeſendet hat/ wie ſie 17. art. gelautet: daß man die ceremonie der kirchen/
welche wider GOttes wort ſtreben/ auch abthue/ die andre aber frey laſ-
ſe ſeyn/ derſelbigen zu gebrauchen oder nicht/ nach der liebe/ darmit
man nicht ohne urſach leichtfertige aͤrgernuͤß gebe/ oder gemeinen frie-
den ohne noth betruͤbe.
2. Aus unſrer Theologorum erklaͤhrung. D. Men-
zerus in Exeg. p.
240. ſetzt die gantze theſin, darinnen 1. affirmat ritus in Eccle-
ſia habere locum. 2. Eosdem deſcribit &c. 3. Exempla ſubjicit &c. D. Carpz.

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[170/0970] Das andere Capitel. wiſſens ſchon will/ und einem andern ſeine freyheit laͤſſet/ vor der ſchwachheit deſſen/ der aus ſeines gewiſſens einbildung eines andern gewiſſen einen ſtrick an- werffen will: davon man noch zweiffeln moͤchte/ ob ſolches den nahmen der ſchwachheit tragen moͤge. 4. Es wird ferner eingewendet/ daß etwa die meiſte vaͤter dergleichen aus- laſſung nicht aus ſcrupel ihres gewiſſens/ ſondern fleiſchlichen urſachen begehen. Wo aber dieſes letztere geſchehe/ ſo iſt wol alles/ ſo in geiſtlichen dingen aus fleiſch- lichen urſachen geſchiehet/ ſo fern unrecht. Wie aber die verantwortung der un- rechten abſicht eines ſolchen mannes auff ſeine rechnung kommt/ ſo wird deswe- gen die auslaſſung des exorciſmi als eine freye ſache dem Predigrr nicht unrecht/ ſo wenig als da er ein kind taufft/ deſſen eltern ſo gottloß ſind/ daß ſie daſſelbe nicht aus heiliger abſicht/ ihrer chriſtlichen ſchuldigkeit nach daſſelbe dem HErrn Chriſto einzuverleiben/ ſondern allein weil es in der Chriſtenheit ſo gebraͤuchlich iſt/ und ſie ſonſten ſtraffe von der Obrigkeit tragen muͤßten/ zur tauff bringen: um welcher der eltern fleiſchlicher abſicht willen die tauffe dannoch an ihrer wuͤrde oder guͤltigkeit nichts verliehret/ ob ſich ſchon jene daran verſuͤndigen. Alſo iſts dem Prediger gnug/ daß der vater macht hat/ die auslaſſung von ihm zu for- dern/ und uͤberlaͤſſet deſſen gewiſſen/ warum ers fordere/ ſonderlich in einer ſol- chen ſache/ da ohne das eine mehrere freyheit zu wuͤnſchen waͤre/ und alſo die auch von der hohen Obrigkeit gegebene lieber auszudehnen als einzuſchrencken iſt. 5. Ein mehrer gewicht mag darinnen ſtecken/ wo man ſich auff die Augſp. Conf. berufft/ in dero 15. art. ſtehet/ von kirchen ordnung von menſchen ge- macht/ lehret man diejenigen halten/ ſo ohne ſuͤnde moͤgen gehalten wer- den/ und zu frieden und guter ordnung in der kirchen dienen/ als gewiſſe feyer/ feſte und dergleichen. Hier fragt ſie nun/ ob ſich die Evangeliſche kir- che hiemit verbindlich gemachet habe/ allerdings alle kirchen-ordnungen/ oder in dem Papſtum gebraͤuchlich geweſte ceremonie, ſo noch ohne ſuͤnde koͤnten gehalten werden/ zu behalten/ oder ob nicht vielmehr die meinung allein ſeye/ daß man ſie halten moͤge/ nicht aber muͤſſe/ und daß daher noch allezeit in der kirchen belieben ſtehe/ nach befinden ſie zu aͤndern? daß es nun nicht in dem erſten verſtand zu nehmen/ und eine ſolche bloſſe nothwendigkeit gemeinet ſeye/ kan ich alſo erweiſen. 1. Aus unſers lieben Lueheri worten/ der ſeine meinung alſo eingeſendet hat/ wie ſie 17. art. gelautet: daß man die ceremonie der kirchen/ welche wider GOttes wort ſtreben/ auch abthue/ die andre aber frey laſ- ſe ſeyn/ derſelbigen zu gebrauchen oder nicht/ nach der liebe/ darmit man nicht ohne urſach leichtfertige aͤrgernuͤß gebe/ oder gemeinen frie- den ohne noth betruͤbe. 2. Aus unſrer Theologorum erklaͤhrung. D. Men- zerus in Exeg. p. 240. ſetzt die gantze theſin, darinnen 1. affirmat ritus in Eccle- ſia habere locum. 2. Eosdem deſcribit &c. 3. Exempla ſubjicit &c. D. Carpz. ini-

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 1. Halle (Saale), 1700, S. 170. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken01_1700/970>, abgerufen am 25.11.2024.