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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 1. Halle (Saale), 1700.

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würde/ oder mit guten grund sorgte/ so müßte man/ so in predigten als auch bey
anderer gelegenheit/ ja etwa auch bey solchen actibus selbs/ die gemeinde nicht
allein insgemein belehren (so ohne das allezeit nöthig ist) wie der exorcismus
ein freyes und mittelding und ohne denselben die tauff von nicht weniger kräfftig
seye/ sondern auch dieses stets treiben/ daß er eine ceremonie, welche nicht von
allen unsern kirchen behalten werde/ und das mit jeweiliger dessen auslassung we-
der der wahrheit der lehr/ noch der freyheit/ etwas abgehe. Wo nun die leute
solches begreiffen/ daß es nichts nothwendiges seye/ so ist ohne das alles ärger-
nüß gehoben/ und weil sie/ weil man ihnen den exorcismum vor sie lässet/ da
sie lust dazu haben/ hingegen selbs derjenigen billigkeit seye/ daß sie andern/ die
denselben mit eckel ansehen/ auch hinwieder ihre freyheit lassen. Wolten aber
die leute sich nicht bedeuten lassen/ sondern auff der nothwendigkeit bestehen/ so
hat der Prediger solchen ihren irrthum allerdings zu bestraffen/ da sie sich mit nicht
ihrer freyheit vergnügen/ sondern aus ihrem gewissen eines andern freyheit wider
1. Cor. 10/ 29. urtheilen wolten. Worinnen man ihnen gewiß nicht nachzuse-
hen hätte. Zwahr möchte man sich auch auff Pauli lehr Rom. 14/ 21. beruffen/
der lieber sich des fleischessens und weintrinckens enthalten/ als seinen bruder/
welcher schwach wäre/ und sich daran stiesse/ ärgern wolte. Aber es folget dar-
aus nichts auff dieses exempel. Dann 1. Paulus und ein ander erleuchteter
Christ könte ohne einigen scrupel seines gewissens das fleisch essen und lassen/ hin-
gegen reden wir hie von einer ceremonie, darüber sich viele wegen der unbeqve-
men redensart/ die einer den worten nicht gemässen erklährung bedarff/ einen scru-
pel
machen; da nun die liebe erfordert/ jenes gewissen zu schonen durch ein mit-
tel/ so meinem gewissen den geringsten anstoß nicht giebet/ so obligiret sie mich
eben nicht/ meinem gewissen selbs um des andern unnöthigen scrupels willen
auffs wenigste eine unruhe zu machen. 2. Eine der verhaßten ursachen des be-
fohlenen enthaltens von dem essen wird 1. Cor. 8/ 10. Rom. 14/ 23. gezeiget diese
zu seyn/ denn daß der bruder verleitet werde auch zu essen/ und solches mit zweiff-
lendem gewissen/ und also mit sünden: dergleichen aber ist hie nicht zu sorgen/
daß niemand sein kind auch deswegen werde ohne exorcismum tauffen lassen/ und
sein gewissen verletzen. 3. Müsten wir gedencken/ wir haben hier bey diesem
fall nicht nur einen/ sondern so zu reden zwey/ schwache personen/ die eine die sich
mit den entschuldigungen des exorcismi nicht gnug überwinden kan/ daß nicht
allemal ein eckel über denselben entstehe/ und ihre andacht stöhre/ wo sie ihn hö-
ren muß; die andre/ welche sich über die auslassung ärgert: wo man nun der
schwachheit/ wie insgemein nicht zu läugnen stehet; schonen solle/ so kommts auff
die frage an/ welcher schwache unter den beyden meistens zu beobachten? da ich
hoffe/ ein unpartheyischer richter werde nothwendig müssen aussprechen/ die
schwachheit desjenigen verdiene eher geschonet zu werden/ der nur vor sich seines ge-

wissens
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ARTIC. V. SECTIO VI.
wuͤrde/ oder mit guten grund ſorgte/ ſo muͤßte man/ ſo in predigten als auch bey
anderer gelegenheit/ ja etwa auch bey ſolchen actibus ſelbs/ die gemeinde nicht
allein insgemein belehren (ſo ohne das allezeit noͤthig iſt) wie der exorciſmus
ein freyes und mittelding und ohne denſelben die tauff von nicht weniger kraͤfftig
ſeye/ ſondern auch dieſes ſtets treiben/ daß er eine ceremonie, welche nicht von
allen unſern kirchen behalten werde/ und das mit jeweiliger deſſen auslaſſung we-
der der wahrheit der lehr/ noch der freyheit/ etwas abgehe. Wo nun die leute
ſolches begreiffen/ daß es nichts nothwendiges ſeye/ ſo iſt ohne das alles aͤrger-
nuͤß gehoben/ und weil ſie/ weil man ihnen den exorciſmum vor ſie laͤſſet/ da
ſie luſt dazu haben/ hingegen ſelbs derjenigen billigkeit ſeye/ daß ſie andern/ die
denſelben mit eckel anſehen/ auch hinwieder ihre freyheit laſſen. Wolten aber
die leute ſich nicht bedeuten laſſen/ ſondern auff der nothwendigkeit beſtehen/ ſo
hat der Prediger ſolchen ihren irrthum allerdings zu beſtraffen/ da ſie ſich mit nicht
ihrer freyheit vergnuͤgen/ ſondern aus ihrem gewiſſen eines andern freyheit wider
1. Cor. 10/ 29. urtheilen wolten. Worinnen man ihnen gewiß nicht nachzuſe-
hen haͤtte. Zwahr moͤchte man ſich auch auff Pauli lehr Rom. 14/ 21. beruffen/
der lieber ſich des fleiſcheſſens und weintrinckens enthalten/ als ſeinen bruder/
welcher ſchwach waͤre/ und ſich daran ſtieſſe/ aͤrgern wolte. Aber es folget dar-
aus nichts auff dieſes exempel. Dann 1. Paulus und ein ander erleuchteter
Chriſt koͤnte ohne einigen ſcrupel ſeines gewiſſens das fleiſch eſſen und laſſen/ hin-
gegen reden wir hie von einer ceremonie, daruͤber ſich viele wegen der unbeqve-
men redensart/ die einer den worten nicht gemaͤſſen erklaͤhrung bedarff/ einen ſcru-
pel
machen; da nun die liebe erfordert/ jenes gewiſſen zu ſchonen durch ein mit-
tel/ ſo meinem gewiſſen den geringſten anſtoß nicht giebet/ ſo obligiret ſie mich
eben nicht/ meinem gewiſſen ſelbs um des andern unnoͤthigen ſcrupels willen
auffs wenigſte eine unruhe zu machen. 2. Eine der verhaßten urſachen des be-
fohlenen enthaltens von dem eſſen wird 1. Cor. 8/ 10. Rom. 14/ 23. gezeiget dieſe
zu ſeyn/ denn daß der bruder verleitet werde auch zu eſſen/ und ſolches mit zweiff-
lendem gewiſſen/ und alſo mit ſuͤnden: dergleichen aber iſt hie nicht zu ſorgen/
daß niemand ſein kind auch deswegen werde ohne exorciſmum tauffen laſſen/ und
ſein gewiſſen verletzen. 3. Muͤſten wir gedencken/ wir haben hier bey dieſem
fall nicht nur einen/ ſondern ſo zu reden zwey/ ſchwache perſonen/ die eine die ſich
mit den entſchuldigungen des exorciſmi nicht gnug uͤberwinden kan/ daß nicht
allemal ein eckel uͤber denſelben entſtehe/ und ihre andacht ſtoͤhre/ wo ſie ihn hoͤ-
ren muß; die andre/ welche ſich uͤber die auslaſſung aͤrgert: wo man nun der
ſchwachheit/ wie insgemein nicht zu laͤugnen ſtehet; ſchonen ſolle/ ſo kommts auff
die frage an/ welcher ſchwache unter den beyden meiſtens zu beobachten? da ich
hoffe/ ein unpartheyiſcher richter werde nothwendig muͤſſen ausſprechen/ die
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wiſſens
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[169/0969] ARTIC. V. SECTIO VI. wuͤrde/ oder mit guten grund ſorgte/ ſo muͤßte man/ ſo in predigten als auch bey anderer gelegenheit/ ja etwa auch bey ſolchen actibus ſelbs/ die gemeinde nicht allein insgemein belehren (ſo ohne das allezeit noͤthig iſt) wie der exorciſmus ein freyes und mittelding und ohne denſelben die tauff von nicht weniger kraͤfftig ſeye/ ſondern auch dieſes ſtets treiben/ daß er eine ceremonie, welche nicht von allen unſern kirchen behalten werde/ und das mit jeweiliger deſſen auslaſſung we- der der wahrheit der lehr/ noch der freyheit/ etwas abgehe. Wo nun die leute ſolches begreiffen/ daß es nichts nothwendiges ſeye/ ſo iſt ohne das alles aͤrger- nuͤß gehoben/ und weil ſie/ weil man ihnen den exorciſmum vor ſie laͤſſet/ da ſie luſt dazu haben/ hingegen ſelbs derjenigen billigkeit ſeye/ daß ſie andern/ die denſelben mit eckel anſehen/ auch hinwieder ihre freyheit laſſen. Wolten aber die leute ſich nicht bedeuten laſſen/ ſondern auff der nothwendigkeit beſtehen/ ſo hat der Prediger ſolchen ihren irrthum allerdings zu beſtraffen/ da ſie ſich mit nicht ihrer freyheit vergnuͤgen/ ſondern aus ihrem gewiſſen eines andern freyheit wider 1. Cor. 10/ 29. urtheilen wolten. Worinnen man ihnen gewiß nicht nachzuſe- hen haͤtte. Zwahr moͤchte man ſich auch auff Pauli lehr Rom. 14/ 21. beruffen/ der lieber ſich des fleiſcheſſens und weintrinckens enthalten/ als ſeinen bruder/ welcher ſchwach waͤre/ und ſich daran ſtieſſe/ aͤrgern wolte. Aber es folget dar- aus nichts auff dieſes exempel. Dann 1. Paulus und ein ander erleuchteter Chriſt koͤnte ohne einigen ſcrupel ſeines gewiſſens das fleiſch eſſen und laſſen/ hin- gegen reden wir hie von einer ceremonie, daruͤber ſich viele wegen der unbeqve- men redensart/ die einer den worten nicht gemaͤſſen erklaͤhrung bedarff/ einen ſcru- pel machen; da nun die liebe erfordert/ jenes gewiſſen zu ſchonen durch ein mit- tel/ ſo meinem gewiſſen den geringſten anſtoß nicht giebet/ ſo obligiret ſie mich eben nicht/ meinem gewiſſen ſelbs um des andern unnoͤthigen ſcrupels willen auffs wenigſte eine unruhe zu machen. 2. Eine der verhaßten urſachen des be- fohlenen enthaltens von dem eſſen wird 1. Cor. 8/ 10. Rom. 14/ 23. gezeiget dieſe zu ſeyn/ denn daß der bruder verleitet werde auch zu eſſen/ und ſolches mit zweiff- lendem gewiſſen/ und alſo mit ſuͤnden: dergleichen aber iſt hie nicht zu ſorgen/ daß niemand ſein kind auch deswegen werde ohne exorciſmum tauffen laſſen/ und ſein gewiſſen verletzen. 3. Muͤſten wir gedencken/ wir haben hier bey dieſem fall nicht nur einen/ ſondern ſo zu reden zwey/ ſchwache perſonen/ die eine die ſich mit den entſchuldigungen des exorciſmi nicht gnug uͤberwinden kan/ daß nicht allemal ein eckel uͤber denſelben entſtehe/ und ihre andacht ſtoͤhre/ wo ſie ihn hoͤ- ren muß; die andre/ welche ſich uͤber die auslaſſung aͤrgert: wo man nun der ſchwachheit/ wie insgemein nicht zu laͤugnen ſtehet; ſchonen ſolle/ ſo kommts auff die frage an/ welcher ſchwache unter den beyden meiſtens zu beobachten? da ich hoffe/ ein unpartheyiſcher richter werde nothwendig muͤſſen ausſprechen/ die ſchwachheit desjenigen veꝛdiene eher geſchonet zu weꝛden/ deꝛ nur vor ſich ſeines ge- wiſſens y

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 1. Halle (Saale), 1700, S. 169. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken01_1700/969>, abgerufen am 22.11.2024.