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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 1. Halle (Saale), 1700.

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Das andere Capitel.
vollzogen worden/ ob wol das gewissen/ der solche zusage gethan/ ihn verbin-
det/ davon ohne wichtige ursach nicht zurück zu gehen/ so hat doch der andere zu
der sache noch kein völliges recht/ wo derselbe seinen verspruch retractiret. Daher
wir nicht sehen/ wie auff diese vertröstung man sich zu einer gewaltthätigen ent-
ziehung des kindes genugsam besteiffen könte. So viel mehr weil man entweder/
nachdem das kind getaufft/ es ferner den Jüdischen eltern wieder überlassen
wolte/ oder aber/ daß es ihnen gantz entzogen werden solte: das erste wäre ge-
fährlich/ und daher zu sorgen/ daß das kind doch wieder zu dem Jüdenthum ver-
führet/ und also die tauff nur an ihm profaniret werden möchte; das andere wäre
auch hart/ und möchte nicht bestehen/ wo man betrachtet/ daß gleichwol der va-
ter eine völlige gewalt über sein kind habe/ die ihm ohnverletzt seiner gerechtigkeit
nicht wohl entzogen werden könte/ da wir aber nicht böses thun dörffen/ damit
gutes daraus entstehen möchte. 4. Würde dieses eher die feinde des HErrn/ die
Jüden/ lästern machen/ wo die Christen mit einer solchen ungerechtigkeit/ darü-
ber sie scheinbare klagen führen möchten/ die ihrige ihnen entziehen wolten: ja
dörffte auch gegen uns selbs einige gefährliche principia geben/ wo die unsrige
unter anderer religionen botmäßigkeit wohneten/ ihnen die ihrige auch wider wil-
len zu entziehen/ und die sache von diesem special casu, welcher noch seine son-
derbare bedencken zwar hat/ auff dieses allgemeine axioma zu ziehen/ ob achte-
ten wir es der gerechtigkeit nicht entgegen zu seyn/ daß den eltern von der Obrig-
keit ihre kinder entrissen/ und zu anderer religion wider ihren willen entzogen wür-
den/ dagegen wir sonsten mit recht uns beschweren. Daher 5. unsere meinung
wäre/ daß man nicht nur allein dem vater ernstlich und gütlich zuspreche/ und ihn
seiner gethanen zusage erinnere/ ob man mit gutem willen von ihm erhalten
könte/ daß er das kind zu der tauff und Christenthum übergäbe/ und Jhr Hoch-
gräfl. Gnaden per donationem überliesse/ oder auch selbst mit übrigen seinigen
den vorigen göttlichen trieb bey sich platz gebe/ und seinen vorsatz erfüllete: auffs
wenigste daß er sich sistirte/ und seine scrupel, die er noch hätte/ einem Christlichen
Theologo vorlegte/ und sich auff dieselbe antworten liesse; gleichwol mit dem re-
servat,
sein gewissen nicht zu zwingen/ wo er sich nach angehörtem allen annoch
nicht überzeugt finden solte/ aber allein dieses (wie mans mit recht von ihm for-
dern kan/ ja wo man die flicht an ihm beobachten will/ fordern solle) an ihm zu
suchen/ daß er von dem Christenthum/ dessen fundamenta anhören/ und seine
scrupel dagegen vorlegen solle. Dazu man auch andere zuweilen zu nöthigen
nicht unbefugt wäre/ an diesem aber desto mehr recht hat/ nachdem er sich ein-
mal dazu erboten hatte. Wird er und die seinigen dadurch bekehret und gewon-
nen/ so hat man der gütigen wirckung GOttes hertzlich zu dancken/ und bekommt
mit ihm ebenfalls dieses kind auff eine unsträffliche art; bleibet er verstockt/ so
hat man gleichwol alles vor GOtt mügliche vor ihm gethan/ und das gewissen

geret-

Das andere Capitel.
vollzogen worden/ ob wol das gewiſſen/ der ſolche zuſage gethan/ ihn verbin-
det/ davon ohne wichtige urſach nicht zuruͤck zu gehen/ ſo hat doch der andere zu
der ſache noch kein voͤlliges recht/ wo derſelbe ſeinen verſpruch retractiret. Daher
wir nicht ſehen/ wie auff dieſe vertroͤſtung man ſich zu einer gewaltthaͤtigen ent-
ziehung des kindes genugſam beſteiffen koͤnte. So viel mehr weil man entweder/
nachdem das kind getaufft/ es ferner den Juͤdiſchen eltern wieder uͤberlaſſen
wolte/ oder aber/ daß es ihnen gantz entzogen werden ſolte: das erſte waͤre ge-
faͤhrlich/ und daher zu ſorgen/ daß das kind doch wieder zu dem Juͤdenthum ver-
fuͤhret/ und alſo die tauff nur an ihm profaniret werden moͤchte; das andere waͤre
auch hart/ und moͤchte nicht beſtehen/ wo man betrachtet/ daß gleichwol der va-
ter eine voͤllige gewalt uͤber ſein kind habe/ die ihm ohnverletzt ſeiner gerechtigkeit
nicht wohl entzogen werden koͤnte/ da wir aber nicht boͤſes thun doͤrffen/ damit
gutes daraus entſtehen moͤchte. 4. Wuͤrde dieſes eher die feinde des HErrn/ die
Juͤden/ laͤſtern machen/ wo die Chriſten mit einer ſolchen ungerechtigkeit/ daruͤ-
ber ſie ſcheinbare klagen fuͤhren moͤchten/ die ihrige ihnen entziehen wolten: ja
doͤrffte auch gegen uns ſelbs einige gefaͤhrliche principia geben/ wo die unſrige
unter anderer religionen botmaͤßigkeit wohneten/ ihnen die ihrige auch wider wil-
len zu entziehen/ und die ſache von dieſem ſpecial caſu, welcher noch ſeine ſon-
derbare bedencken zwar hat/ auff dieſes allgemeine axioma zu ziehen/ ob achte-
ten wir es der gerechtigkeit nicht entgegen zu ſeyn/ daß den eltern von der Obrig-
keit ihre kinder entriſſen/ und zu anderer religion wider ihren willen entzogen wuͤr-
den/ dagegen wir ſonſten mit recht uns beſchweren. Daher 5. unſere meinung
waͤre/ daß man nicht nur allein dem vater ernſtlich und guͤtlich zuſpreche/ und ihn
ſeiner gethanen zuſage erinnere/ ob man mit gutem willen von ihm erhalten
koͤnte/ daß er das kind zu der tauff und Chriſtenthum uͤbergaͤbe/ und Jhr Hoch-
graͤfl. Gnaden per donationem uͤberlieſſe/ oder auch ſelbſt mit uͤbrigen ſeinigen
den vorigen goͤttlichen trieb bey ſich platz gebe/ und ſeinen vorſatz erfuͤllete: auffs
wenigſte daß er ſich ſiſtirte/ und ſeine ſcrupel, die er noch haͤtte/ einem Chriſtlichen
Theologo vorlegte/ und ſich auff dieſelbe antworten lieſſe; gleichwol mit dem re-
ſervat,
ſein gewiſſen nicht zu zwingen/ wo er ſich nach angehoͤrtem allen annoch
nicht uͤberzeugt finden ſolte/ aber allein dieſes (wie mans mit recht von ihm for-
dern kan/ ja wo man die flicht an ihm beobachten will/ fordern ſolle) an ihm zu
ſuchen/ daß er von dem Chriſtenthum/ deſſen fundamenta anhoͤren/ und ſeine
ſcrupel dagegen vorlegen ſolle. Dazu man auch andere zuweilen zu noͤthigen
nicht unbefugt waͤre/ an dieſem aber deſto mehr recht hat/ nachdem er ſich ein-
mal dazu erboten hatte. Wird er und die ſeinigen dadurch bekehret und gewon-
nen/ ſo hat man der guͤtigen wirckung GOttes hertzlich zu dancken/ und bekommt
mit ihm ebenfalls dieſes kind auff eine unſtraͤffliche art; bleibet er verſtockt/ ſo
hat man gleichwol alles vor GOtt muͤgliche vor ihm gethan/ und das gewiſſen

geret-
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[156/0956] Das andere Capitel. vollzogen worden/ ob wol das gewiſſen/ der ſolche zuſage gethan/ ihn verbin- det/ davon ohne wichtige urſach nicht zuruͤck zu gehen/ ſo hat doch der andere zu der ſache noch kein voͤlliges recht/ wo derſelbe ſeinen verſpruch retractiret. Daher wir nicht ſehen/ wie auff dieſe vertroͤſtung man ſich zu einer gewaltthaͤtigen ent- ziehung des kindes genugſam beſteiffen koͤnte. So viel mehr weil man entweder/ nachdem das kind getaufft/ es ferner den Juͤdiſchen eltern wieder uͤberlaſſen wolte/ oder aber/ daß es ihnen gantz entzogen werden ſolte: das erſte waͤre ge- faͤhrlich/ und daher zu ſorgen/ daß das kind doch wieder zu dem Juͤdenthum ver- fuͤhret/ und alſo die tauff nur an ihm profaniret werden moͤchte; das andere waͤre auch hart/ und moͤchte nicht beſtehen/ wo man betrachtet/ daß gleichwol der va- ter eine voͤllige gewalt uͤber ſein kind habe/ die ihm ohnverletzt ſeiner gerechtigkeit nicht wohl entzogen werden koͤnte/ da wir aber nicht boͤſes thun doͤrffen/ damit gutes daraus entſtehen moͤchte. 4. Wuͤrde dieſes eher die feinde des HErrn/ die Juͤden/ laͤſtern machen/ wo die Chriſten mit einer ſolchen ungerechtigkeit/ daruͤ- ber ſie ſcheinbare klagen fuͤhren moͤchten/ die ihrige ihnen entziehen wolten: ja doͤrffte auch gegen uns ſelbs einige gefaͤhrliche principia geben/ wo die unſrige unter anderer religionen botmaͤßigkeit wohneten/ ihnen die ihrige auch wider wil- len zu entziehen/ und die ſache von dieſem ſpecial caſu, welcher noch ſeine ſon- derbare bedencken zwar hat/ auff dieſes allgemeine axioma zu ziehen/ ob achte- ten wir es der gerechtigkeit nicht entgegen zu ſeyn/ daß den eltern von der Obrig- keit ihre kinder entriſſen/ und zu anderer religion wider ihren willen entzogen wuͤr- den/ dagegen wir ſonſten mit recht uns beſchweren. Daher 5. unſere meinung waͤre/ daß man nicht nur allein dem vater ernſtlich und guͤtlich zuſpreche/ und ihn ſeiner gethanen zuſage erinnere/ ob man mit gutem willen von ihm erhalten koͤnte/ daß er das kind zu der tauff und Chriſtenthum uͤbergaͤbe/ und Jhr Hoch- graͤfl. Gnaden per donationem uͤberlieſſe/ oder auch ſelbſt mit uͤbrigen ſeinigen den vorigen goͤttlichen trieb bey ſich platz gebe/ und ſeinen vorſatz erfuͤllete: auffs wenigſte daß er ſich ſiſtirte/ und ſeine ſcrupel, die er noch haͤtte/ einem Chriſtlichen Theologo vorlegte/ und ſich auff dieſelbe antworten lieſſe; gleichwol mit dem re- ſervat, ſein gewiſſen nicht zu zwingen/ wo er ſich nach angehoͤrtem allen annoch nicht uͤberzeugt finden ſolte/ aber allein dieſes (wie mans mit recht von ihm for- dern kan/ ja wo man die flicht an ihm beobachten will/ fordern ſolle) an ihm zu ſuchen/ daß er von dem Chriſtenthum/ deſſen fundamenta anhoͤren/ und ſeine ſcrupel dagegen vorlegen ſolle. Dazu man auch andere zuweilen zu noͤthigen nicht unbefugt waͤre/ an dieſem aber deſto mehr recht hat/ nachdem er ſich ein- mal dazu erboten hatte. Wird er und die ſeinigen dadurch bekehret und gewon- nen/ ſo hat man der guͤtigen wirckung GOttes hertzlich zu dancken/ und bekommt mit ihm ebenfalls dieſes kind auff eine unſtraͤffliche art; bleibet er verſtockt/ ſo hat man gleichwol alles vor GOtt muͤgliche vor ihm gethan/ und das gewiſſen geret-

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 1. Halle (Saale), 1700, S. 156. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken01_1700/956>, abgerufen am 25.11.2024.