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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 1. Halle (Saale), 1700.

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Das andere Capitel.
ohne zwang nach und nach sich alle eingestellet. Wo man aber gleich zu erst
alles beysammen haben/ und sich der zwangsmittel gebrauchen will/ werden
die gemüther der leute der sachen selbs schon anfangs abgünstig/ wie alles ge-
zwungene den menschen übel eingehet/ und lernen auch wenig darauß. Wenn
aber dergleichen übung eines orts lang oder doch etliche jahr gewähret hat/ und
finden sich dann noch verächter und halßstarrige die auch nicht zuhören wollen/
da ists erst zeit/ daß man sehe/ auch dieselbe herbey zu nötigen/ welches bey we-
nigen so schwehr darnach nicht mehr seyn wird. Die jugend aber/ die man ein-
mal darzu bekömmt/ muß man sehen daß man noch dabey behalte/ ob sie schon
älter werden/ biß sie heurathen: sie werden es aber auch alsdenn nicht ungern
thun/ wenn sie examinirt zu werden eine zeitlang gewohnt sind. Was die aber
schon etwas erwachsene anlangt/ wären sie itzt mit guten worten zuversuchen/ daß
auffs wenigste ein guter theil derselben sich auch einstellete/ dazu auch hoffnung
habe: mit den übrigen wäre gedult zu tragen/ nur daß sie fleißig sich herbey fin-
den/ allein zuhören samt den übrigen alten: massen wo die examina wie ich sie
verlange/ recht verrichtet werden/ die fleißig zuhören nicht weniger/ als die ant-
worten müssen/ lernen werden. 2. Das meiste lieget an dem examinatore, daß er
alles/ was er vorträgt/ so wohl selbs versteht als nachmal recht zu fragen wisse/ da-
mit in den fragen selbs gleichsam der unterricht stecke. 3 Daß die jugend etwas wei-
ter als den bloß gemeinen Cathechismum Lutheri auswendig zu lernen genö-
tiget würde/ fände ich ich nicht rathsam/ als welches sie nur meistens verdrossen
und klagen macht. Daher auch der jenige Cathechismus so von dem hiesigen
ministerio gemacht/ und ohne zweiffel introduciret werden wird/ nicht dahin
gemeinet ist/ daß die jugend solchen in die gedächtnüß fassen müste/ sondern er
mag dem examinantibus dienen/ daß sie die materie daraus desto besser ler-
nen verstehen/ davon sie examiniren sollen/ so dann daß etwa die kinder in den
schulen ihn offt lesen/ und dadurch die sachen mehr als die wort fassen lernen. 4.
Vielmehr nach dem die wort des Catechismi von dem stück/ welches man jedes
mal examiniren will/ erstlich recitiret worden/ so bestehet alsdann das vornehm-
ste darinnen daß der Prediger was in solcher materie zur aufferbauung seiner
gemeinde dienlich seyn mag/ in lauter fragen fasse/ und sie allemal so formire/
daß die zuhörer leicht/ meistens mit ja und nein/ oder doch mit wenig worten/ und
solches aus den eignen verstand/ (daher etwa eine feine erklärung vorher gehen
solle) antworten können auff daß sie also nicht nötig haben/ vorher viel zu lernen
sondern in dem examine erst die sache recht einfassen: welcherley erkäntnüß nach-
mal so tieff eindringet daß es nicht so bald wieder ausfället/ wie anderes/ so nur
mit mühe in die gedächtnüß gebracht worden. Es sollen auch solche fragen offt
wiederholet/ und die wort derselben immer geändert werden/ damit sie sich ge-

wehnen

Das andere Capitel.
ohne zwang nach und nach ſich alle eingeſtellet. Wo man aber gleich zu erſt
alles beyſammen haben/ und ſich der zwangsmittel gebrauchen will/ werden
die gemuͤther der leute der ſachen ſelbs ſchon anfangs abguͤnſtig/ wie alles ge-
zwungene den menſchen uͤbel eingehet/ und lernen auch wenig darauß. Wenn
aber dergleichen uͤbung eines orts lang oder doch etliche jahr gewaͤhret hat/ und
finden ſich dann noch veraͤchter und halßſtarrige die auch nicht zuhoͤren wollen/
da iſts erſt zeit/ daß man ſehe/ auch dieſelbe herbey zu noͤtigen/ welches bey we-
nigen ſo ſchwehr darnach nicht mehr ſeyn wird. Die jugend aber/ die man ein-
mal darzu bekoͤmmt/ muß man ſehen daß man noch dabey behalte/ ob ſie ſchon
aͤlter werden/ biß ſie heurathen: ſie werden es aber auch alsdenn nicht ungern
thun/ wenn ſie examinirt zu werden eine zeitlang gewohnt ſind. Was die aber
ſchon etwas erwachſene anlangt/ waͤren ſie itzt mit guten worten zuverſuchen/ daß
auffs wenigſte ein guter theil derſelben ſich auch einſtellete/ dazu auch hoffnung
habe: mit den uͤbrigen waͤre gedult zu tragen/ nur daß ſie fleißig ſich herbey fin-
den/ allein zuhoͤren ſamt den uͤbrigen alten: maſſen wo die examina wie ich ſie
verlange/ recht verrichtet werden/ die fleißig zuhoͤren nicht weniger/ als die ant-
worten muͤſſen/ lernen werden. 2. Das meiſte lieget an dem examinatore, daß er
alles/ was er vortraͤgt/ ſo wohl ſelbs verſteht als nachmal recht zu fragen wiſſe/ da-
mit in den fragen ſelbs gleichſam der unterricht ſtecke. 3 Daß die jugend etwas wei-
ter als den bloß gemeinen Cathechismum Lutheri auswendig zu lernen genoͤ-
tiget wuͤrde/ faͤnde ich ich nicht rathſam/ als welches ſie nur meiſtens verdroſſen
und klagen macht. Daher auch der jenige Cathechismus ſo von dem hieſigen
miniſterio gemacht/ und ohne zweiffel introduciret werden wird/ nicht dahin
gemeinet iſt/ daß die jugend ſolchen in die gedaͤchtnuͤß faſſen muͤſte/ ſondern er
mag dem examinantibus dienen/ daß ſie die materie daraus deſto beſſer ler-
nen verſtehen/ davon ſie examiniren ſollen/ ſo dann daß etwa die kinder in den
ſchulen ihn offt leſen/ und dadurch die ſachen mehr als die wort faſſen lernen. 4.
Vielmehr nach dem die wort des Catechismi von dem ſtuͤck/ welches man jedes
mal examiniren will/ erſtlich recitiret worden/ ſo beſtehet alsdann das vornehm-
ſte darinnen daß der Prediger was in ſolcher materie zur aufferbauung ſeiner
gemeinde dienlich ſeyn mag/ in lauter fragen faſſe/ und ſie allemal ſo formire/
daß die zuhoͤrer leicht/ meiſtens mit ja und nein/ oder doch mit wenig worten/ und
ſolches aus den eignen verſtand/ (daher etwa eine feine erklaͤrung vorher gehen
ſolle) antworten koͤnnen auff daß ſie alſo nicht noͤtig haben/ vorher viel zu lernen
ſondern in dem examine erſt die ſache recht einfaſſen: welcherley erkaͤntnuͤß nach-
mal ſo tieff eindringet daß es nicht ſo bald wieder ausfaͤllet/ wie anderes/ ſo nur
mit muͤhe in die gedaͤchtnuͤß gebracht worden. Es ſollen auch ſolche fragen offt
wiederholet/ und die wort derſelben immer geaͤndert werden/ damit ſie ſich ge-

wehnen
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[48/0848] Das andere Capitel. ohne zwang nach und nach ſich alle eingeſtellet. Wo man aber gleich zu erſt alles beyſammen haben/ und ſich der zwangsmittel gebrauchen will/ werden die gemuͤther der leute der ſachen ſelbs ſchon anfangs abguͤnſtig/ wie alles ge- zwungene den menſchen uͤbel eingehet/ und lernen auch wenig darauß. Wenn aber dergleichen uͤbung eines orts lang oder doch etliche jahr gewaͤhret hat/ und finden ſich dann noch veraͤchter und halßſtarrige die auch nicht zuhoͤren wollen/ da iſts erſt zeit/ daß man ſehe/ auch dieſelbe herbey zu noͤtigen/ welches bey we- nigen ſo ſchwehr darnach nicht mehr ſeyn wird. Die jugend aber/ die man ein- mal darzu bekoͤmmt/ muß man ſehen daß man noch dabey behalte/ ob ſie ſchon aͤlter werden/ biß ſie heurathen: ſie werden es aber auch alsdenn nicht ungern thun/ wenn ſie examinirt zu werden eine zeitlang gewohnt ſind. Was die aber ſchon etwas erwachſene anlangt/ waͤren ſie itzt mit guten worten zuverſuchen/ daß auffs wenigſte ein guter theil derſelben ſich auch einſtellete/ dazu auch hoffnung habe: mit den uͤbrigen waͤre gedult zu tragen/ nur daß ſie fleißig ſich herbey fin- den/ allein zuhoͤren ſamt den uͤbrigen alten: maſſen wo die examina wie ich ſie verlange/ recht verrichtet werden/ die fleißig zuhoͤren nicht weniger/ als die ant- worten muͤſſen/ lernen werden. 2. Das meiſte lieget an dem examinatore, daß er alles/ was er vortraͤgt/ ſo wohl ſelbs verſteht als nachmal recht zu fragen wiſſe/ da- mit in den fragen ſelbs gleichſam der unterricht ſtecke. 3 Daß die jugend etwas wei- ter als den bloß gemeinen Cathechismum Lutheri auswendig zu lernen genoͤ- tiget wuͤrde/ faͤnde ich ich nicht rathſam/ als welches ſie nur meiſtens verdroſſen und klagen macht. Daher auch der jenige Cathechismus ſo von dem hieſigen miniſterio gemacht/ und ohne zweiffel introduciret werden wird/ nicht dahin gemeinet iſt/ daß die jugend ſolchen in die gedaͤchtnuͤß faſſen muͤſte/ ſondern er mag dem examinantibus dienen/ daß ſie die materie daraus deſto beſſer ler- nen verſtehen/ davon ſie examiniren ſollen/ ſo dann daß etwa die kinder in den ſchulen ihn offt leſen/ und dadurch die ſachen mehr als die wort faſſen lernen. 4. Vielmehr nach dem die wort des Catechismi von dem ſtuͤck/ welches man jedes mal examiniren will/ erſtlich recitiret worden/ ſo beſtehet alsdann das vornehm- ſte darinnen daß der Prediger was in ſolcher materie zur aufferbauung ſeiner gemeinde dienlich ſeyn mag/ in lauter fragen faſſe/ und ſie allemal ſo formire/ daß die zuhoͤrer leicht/ meiſtens mit ja und nein/ oder doch mit wenig worten/ und ſolches aus den eignen verſtand/ (daher etwa eine feine erklaͤrung vorher gehen ſolle) antworten koͤnnen auff daß ſie alſo nicht noͤtig haben/ vorher viel zu lernen ſondern in dem examine erſt die ſache recht einfaſſen: welcherley erkaͤntnuͤß nach- mal ſo tieff eindringet daß es nicht ſo bald wieder ausfaͤllet/ wie anderes/ ſo nur mit muͤhe in die gedaͤchtnuͤß gebracht worden. Es ſollen auch ſolche fragen offt wiederholet/ und die wort derſelben immer geaͤndert werden/ damit ſie ſich ge- wehnen

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 1. Halle (Saale), 1700, S. 48. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken01_1700/848>, abgerufen am 25.11.2024.