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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 1. Halle (Saale), 1700.

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SECTIO XII.
verdammnüßbeforderten seelen einem solchen sein schwehrstes leiden in derwelt/
und recht als ein pfahl im fleisch: unter welchem nahmen der theure Pau-
lus 2. Cor. 12/ 7. auch seine betrübnüß/ die er über die jenige seelen gefaßt/
die er in seiner verfolgungs wuth besorglich in das verderben mag gestürtzet
haben/ nach Apost. Gesch. 26/ 10. 11. mit begreiffen mag: Daher eine stäte
bußfertige demüthigung vor GOtt erfolgt/ auch eine glaubige verwun-
derung über die güte GOttes/ der einer seelen annoch barmhertzigkeit erzei-
ge/ die andern schaden gethan/ und also rechtswegen an statt der andern mit
verlohren gehen sollen. Ob dann wol der glaube mit einigen darüber auff-
steigen den zweiffleu zu kämpffen bekommt/ behält er doch zum grunde/ daß
göttliche gnade die grösse aller unser sünden weit übertreffe/ und den lieben
Paulum der verlust anderer nach seiner bekehrung zwahr ängstigen und offt
anfechten/ nicht aber verdammen/ können.

§. XXX. Wie denn einem solchen wieder bekehrtern dieses fest für augen
stehen/ und in das hertz eingetrucket werden muß/ daß GOTT nicht allein
vor eine und andere/ sondern alle/ sünden/ also auch diese gottlosigkeit der
atheisterey/ buß annehmen/ Weißh. 12/ 19. und wo diese folget/ dessen/
der sich bekehret hat/ übertretung gar nicht mehr gedencken wolle. Ezech.
18/ 22. Jndem sich seine gnade so viel hertzlicher erhebet/ als die sünde/ die
sie vergeben hat/ schwehrer gewesen. So offt er auch seinen vorigen sündli-
lichen zustand/ da er ohne GOtt und dessen trost gelebet/ betrachtet/ und ge-
gen den gegenwärtigen gnadenstand hält/ kan unmüglich das hertz anders/
als mit inniglicher freude erfüllet/ das leben in einer wahren seelen ruhe ge-
führet/ und deswegen tägliche danckopffer der überschwenglichen barmher-
tzigkeit des himmlischen vaters dargebracht werden: sonderlich wenn er offt
erweget/ was vor ein schreckliches gericht und unauf hörliche pein/ wo ihn
jene nicht aus dem verderben heraus gerissen/ seiner nach dem abschied aus
dieser zeit gewartet haben würde. Da er nunmehr mit getroster freudig-
keit seinem todt/ der ihn der ewigen herrlichkeit überlieffert/ entgegen sehen/
und mit solcher lebendigen hoffnung alles zustoßende leiden dieser welt ver-
süssen kan.

§. XXXI. Wir ruffen billich den grossen GOtt inbrünstig an/ der das liecht
seiner erkäntnüß immer sich weiter ausbreiten/ und auch in die finsternüß/ sie
zu vertreiben/ eintringen lassen wolle. Er lasse dem satan/ dem fürsten der
finsternüß/ die macht nicht/ daß er immer bey mehrern auch so gar das na-
türliche liecht der erkäntnüß Gottes auslösche/ sonderlich aber die hertzen al-
so verstocke/ daß sie dem liecht der offenbahrung allen eingang verwehren.
Vielmehr erzeige er in der that die macht seines liechtes stärcker zuseyn alsje-
ner finsternüß/ reinige die hertzen von aller boßheit/ und was die gottlosig-

keit
J 2

SECTIO XII.
verdam̃nuͤßbeforderten ſeelen einem ſolchen ſein ſchwehrſtes leidẽ in derwelt/
und recht als ein pfahl im fleiſch: unter welchem nahmen der theure Pau-
lus 2. Cor. 12/ 7. auch ſeine betruͤbnuͤß/ die er uͤber die jenige ſeelen gefaßt/
die er in ſeiner verfolgungs wuth beſorglich in das verderben mag geſtuͤrtzet
haben/ nach Apoſt. Geſch. 26/ 10. 11. mit begreiffen mag: Daher eine ſtaͤte
bußfertige demuͤthigung vor GOtt erfolgt/ auch eine glaubige verwun-
derung uͤber die guͤte GOttes/ der einer ſeelen annoch barmhertzigkeit erzei-
ge/ die andern ſchaden gethan/ und alſo rechtswegen an ſtatt der andern mit
verlohren gehen ſollen. Ob dann wol der glaube mit einigen daruͤber auff-
ſteigen den zweiffleu zu kaͤmpffen bekommt/ behaͤlt er doch zum grunde/ daß
goͤttliche gnade die groͤſſe aller unſer ſuͤnden weit uͤbertreffe/ und den lieben
Paulum der verluſt anderer nach ſeiner bekehrung zwahr aͤngſtigen und offt
anfechten/ nicht aber verdammen/ koͤnnen.

§. XXX. Wie denn einem ſolchen wieder bekehrtern dieſes feſt fuͤr augen
ſtehen/ und in das hertz eingetrucket werden muß/ daß GOTT nicht allein
vor eine und andere/ ſondern alle/ ſuͤnden/ alſo auch dieſe gottloſigkeit der
atheiſterey/ buß annehmen/ Weißh. 12/ 19. und wo dieſe folget/ deſſen/
der ſich bekehret hat/ uͤbertretung gar nicht mehr gedencken wolle. Ezech.
18/ 22. Jndem ſich ſeine gnade ſo viel hertzlicher erhebet/ als die ſuͤnde/ die
ſie vergeben hat/ ſchwehrer geweſen. So offt er auch ſeinen vorigen ſuͤndli-
lichen zuſtand/ da er ohne GOtt und deſſen troſt gelebet/ betrachtet/ und ge-
gen den gegenwaͤrtigen gnadenſtand haͤlt/ kan unmuͤglich das hertz anders/
als mit inniglicher freude erfuͤllet/ das leben in einer wahren ſeelen ruhe ge-
fuͤhret/ und deswegen taͤgliche danckopffer der uͤberſchwenglichen barmher-
tzigkeit des himmliſchen vaters dargebracht werden: ſonderlich wenn er offt
erweget/ was vor ein ſchreckliches gericht und unauf hoͤrliche pein/ wo ihn
jene nicht aus dem verderben heraus geriſſen/ ſeiner nach dem abſchied aus
dieſer zeit gewartet haben wuͤrde. Da er nunmehr mit getroſter freudig-
keit ſeinem todt/ der ihn der ewigen herrlichkeit uͤberlieffert/ entgegen ſehen/
und mit ſolcher lebendigen hoffnung alles zuſtoßende leiden dieſer welt ver-
ſuͤſſen kan.

§. XXXI. Wir ruffen billich den groſſen GOtt inbruͤnſtig an/ der das liecht
ſeiner erkaͤntnuͤß immer ſich weiter ausbreiten/ und auch in die finſternuͤß/ ſie
zu vertreiben/ eintringen laſſen wolle. Er laſſe dem ſatan/ dem fuͤrſten der
finſternuͤß/ die macht nicht/ daß er immer bey mehrern auch ſo gar das na-
tuͤrliche liecht der erkaͤntnuͤß Gottes ausloͤſche/ ſonderlich aber die hertzen al-
ſo verſtocke/ daß ſie dem liecht der offenbahrung allen eingang verwehren.
Vielmehr erzeige er in der that die macht ſeines liechtes ſtaͤrcker zuſeyn alsje-
ner finſternuͤß/ reinige die hertzen von aller boßheit/ und was die gottloſig-

keit
J 2
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[67/0083] SECTIO XII. verdam̃nuͤßbeforderten ſeelen einem ſolchen ſein ſchwehrſtes leidẽ in derwelt/ und recht als ein pfahl im fleiſch: unter welchem nahmen der theure Pau- lus 2. Cor. 12/ 7. auch ſeine betruͤbnuͤß/ die er uͤber die jenige ſeelen gefaßt/ die er in ſeiner verfolgungs wuth beſorglich in das verderben mag geſtuͤrtzet haben/ nach Apoſt. Geſch. 26/ 10. 11. mit begreiffen mag: Daher eine ſtaͤte bußfertige demuͤthigung vor GOtt erfolgt/ auch eine glaubige verwun- derung uͤber die guͤte GOttes/ der einer ſeelen annoch barmhertzigkeit erzei- ge/ die andern ſchaden gethan/ und alſo rechtswegen an ſtatt der andern mit verlohren gehen ſollen. Ob dann wol der glaube mit einigen daruͤber auff- ſteigen den zweiffleu zu kaͤmpffen bekommt/ behaͤlt er doch zum grunde/ daß goͤttliche gnade die groͤſſe aller unſer ſuͤnden weit uͤbertreffe/ und den lieben Paulum der verluſt anderer nach ſeiner bekehrung zwahr aͤngſtigen und offt anfechten/ nicht aber verdammen/ koͤnnen. §. XXX. Wie denn einem ſolchen wieder bekehrtern dieſes feſt fuͤr augen ſtehen/ und in das hertz eingetrucket werden muß/ daß GOTT nicht allein vor eine und andere/ ſondern alle/ ſuͤnden/ alſo auch dieſe gottloſigkeit der atheiſterey/ buß annehmen/ Weißh. 12/ 19. und wo dieſe folget/ deſſen/ der ſich bekehret hat/ uͤbertretung gar nicht mehr gedencken wolle. Ezech. 18/ 22. Jndem ſich ſeine gnade ſo viel hertzlicher erhebet/ als die ſuͤnde/ die ſie vergeben hat/ ſchwehrer geweſen. So offt er auch ſeinen vorigen ſuͤndli- lichen zuſtand/ da er ohne GOtt und deſſen troſt gelebet/ betrachtet/ und ge- gen den gegenwaͤrtigen gnadenſtand haͤlt/ kan unmuͤglich das hertz anders/ als mit inniglicher freude erfuͤllet/ das leben in einer wahren ſeelen ruhe ge- fuͤhret/ und deswegen taͤgliche danckopffer der uͤberſchwenglichen barmher- tzigkeit des himmliſchen vaters dargebracht werden: ſonderlich wenn er offt erweget/ was vor ein ſchreckliches gericht und unauf hoͤrliche pein/ wo ihn jene nicht aus dem verderben heraus geriſſen/ ſeiner nach dem abſchied aus dieſer zeit gewartet haben wuͤrde. Da er nunmehr mit getroſter freudig- keit ſeinem todt/ der ihn der ewigen herrlichkeit uͤberlieffert/ entgegen ſehen/ und mit ſolcher lebendigen hoffnung alles zuſtoßende leiden dieſer welt ver- ſuͤſſen kan. §. XXXI. Wir ruffen billich den groſſen GOtt inbruͤnſtig an/ der das liecht ſeiner erkaͤntnuͤß immer ſich weiter ausbreiten/ und auch in die finſternuͤß/ ſie zu vertreiben/ eintringen laſſen wolle. Er laſſe dem ſatan/ dem fuͤrſten der finſternuͤß/ die macht nicht/ daß er immer bey mehrern auch ſo gar das na- tuͤrliche liecht der erkaͤntnuͤß Gottes ausloͤſche/ ſonderlich aber die hertzen al- ſo verſtocke/ daß ſie dem liecht der offenbahrung allen eingang verwehren. Vielmehr erzeige er in der that die macht ſeines liechtes ſtaͤrcker zuſeyn alsje- ner finſternuͤß/ reinige die hertzen von aller boßheit/ und was die gottloſig- keit J 2

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 1. Halle (Saale), 1700, S. 67. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken01_1700/83>, abgerufen am 25.11.2024.