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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 1. Halle (Saale), 1700.

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Das andere Capitel.
Solte nun meinem werthesten Herrn zu seiner zeit dergleichen auch bevorste-
hen/ so gedencke er/ es begegne ihm nichts frembdes/ und wolle sich auch dar-
über nicht ärgern. Nunmehr auf die vorgelegte fragen zu antworten/ kan ich
die erste deßwegen wol übergehen/ weil ich von denen hohen anfechtungen/
sonderlich GOttes lästerlicher gedancken/ in Franckfurt etzliche predigten ge-
halten/ die auch in kleinem format gedruckt sind/ und davor die göttliche güte
demüthigst preise/ unterschiedlichen gottseligen hertzen zu ihrer erbauung und
trost/ ob sie wol aufs einfältigste geschrieben sind/ gedienet haben. Weil nun
alles/ was zu stärckung schreiben könte in denselbigen beysammen zu finden/
wird nicht nöthig seyn/ ihm dasselbe zu widerholen/ sondern füglicher seyn es in
solchen predigten selbst zu lesen.

Was aber die andre frage anlangt/ ob in diesen verdorbenen zeiten
kein prediger mehr das evangelium/ sondern allein das gesetz predi-
gen solte?
wüste ich dem jenigen durch aus nicht beyzupflichten/ der solches be-
haupten wolte. Wie mir denn Hr. N. sonsten nicht unbekant/ als der in seiner
sache nicht wenig beschäfftiget gewesen/ und nicht alle seine hypotheses habe
billigen können/ insgemein aber seinen eyffer und gute meynung geliebet/ so
kan ich mir kaum einbilden/ daß er dergleichen und so crude von sich geschrieben
haben solle/ sondern hoffe vielmehr/ daß wo man seine wort recht ansehen solle/
sie vielleicht etwas eine andre meynung haben möchten. Dem seye aber wie
ihm wolle/ und von der sache selbs zu reden 1. halte ich/ daß wir predi-
ger von Christo hauptsächlich zu der predigt des evangelii verordnet seyen/
wenn nicht nur unser Heyland Marc. 16/ 15. ausdrücklich das evange-
lium
zu predigen/ seine jünger ausgesandt/ sondern der zweck unsers
amts solches nothwendig mit sich bringet: dann dieser ist je die leute zur se-
ligkeit zuführen/ da aber bekantlich uns kein gesetz gegeben ist/ das da kön-
te lebendig
und selig machen. Gal. 3. sondern das evangelium von
Christo ist allein eine krafft GOttes selig zumachen Rom. 1/ 16. die
predigt von dem glauben
allein ist die jenige dadurch wir den heil. Geist
empfangen Gal. 3/ 2. ohne welche niemand selig wird. Wer uns also die pre-
digt des evangelii nehmen wolte/ der würde damit unserm gantzen amte seine
vornehmste krafft benehmen/ welches ich von keinem nur etwas göttlichen worts
kündigen mann gedencken kan. 2. indessen leugne ich nicht/ daß das gesetz auch
zu treiben seye/ als das jenige so die hertzen zu der frucht des evangelii bereiten/
und das erste stück der buß ausrichten muß/ den menschen zu erkäntnüs und
reue über seine sünde zubringen/ damit er zu dem andern theil/ der aus dem

evange-

Das andere Capitel.
Solte nun meinem wertheſten Herrn zu ſeiner zeit dergleichen auch bevorſte-
hen/ ſo gedencke er/ es begegne ihm nichts frembdes/ und wolle ſich auch dar-
uͤber nicht aͤrgern. Nunmehr auf die vorgelegte fragen zu antworten/ kan ich
die erſte deßwegen wol uͤbergehen/ weil ich von denen hohen anfechtungen/
ſonderlich GOttes laͤſterlicher gedancken/ in Franckfurt etzliche predigten ge-
halten/ die auch in kleinem format gedruckt ſind/ und davor die goͤttliche guͤte
demuͤthigſt preiſe/ unterſchiedlichen gottſeligen hertzen zu ihrer erbauung und
troſt/ ob ſie wol aufs einfaͤltigſte geſchrieben ſind/ gedienet haben. Weil nun
alles/ was zu ſtaͤrckung ſchreiben koͤnte in denſelbigen beyſammen zu finden/
wird nicht noͤthig ſeyn/ ihm daſſelbe zu widerholen/ ſondern fuͤglicher ſeyn es in
ſolchen predigten ſelbſt zu leſen.

Was aber die andre frage anlangt/ ob in dieſen verdorbenen zeiten
kein prediger mehr das evangelium/ ſondern allein das geſetz predi-
gen ſolte?
wuͤſte ich dem jenigen durch aus nicht beyzupflichten/ der ſolches be-
haupten wolte. Wie mir denn Hr. N. ſonſten nicht unbekant/ als der in ſeiner
ſache nicht wenig beſchaͤfftiget geweſen/ und nicht alle ſeine hypotheſes habe
billigen koͤnnen/ insgemein aber ſeinen eyffer und gute meynung geliebet/ ſo
kan ich mir kaum einbilden/ daß er dergleichen uñ ſo crude von ſich geſchrieben
haben ſolle/ ſondern hoffe vielmehr/ daß wo man ſeine wort recht anſehen ſolle/
ſie vielleicht etwas eine andre meynung haben moͤchten. Dem ſeye aber wie
ihm wolle/ und von der ſache ſelbs zu reden 1. halte ich/ daß wir predi-
ger von Chriſto hauptſaͤchlich zu der predigt des evangelii verordnet ſeyen/
wenn nicht nur unſer Heyland Marc. 16/ 15. ausdruͤcklich das evange-
lium
zu predigen/ ſeine juͤnger ausgeſandt/ ſondern der zweck unſers
amts ſolches nothwendig mit ſich bringet: dann dieſer iſt je die leute zur ſe-
ligkeit zufuͤhren/ da aber bekantlich uns kein geſetz gegeben iſt/ das da koͤn-
te lebendig
und ſelig machen. Gal. 3. ſondern das evangelium von
Chriſto iſt allein eine krafft GOttes ſelig zumachen Rom. 1/ 16. die
predigt von dem glauben
allein iſt die jenige dadurch wir den heil. Geiſt
empfangen Gal. 3/ 2. ohne welche niemand ſelig wird. Wer uns alſo die pre-
digt des evangelii nehmen wolte/ der wuͤrde damit unſerm gantzen amte ſeine
vornehmſte krafft benehmen/ welches ich von keinem nur etwas goͤttlichẽ worts
kuͤndigen mann gedencken kan. 2. indeſſen leugne ich nicht/ daß das geſetz auch
zu treiben ſeye/ als das jenige ſo die hertzen zu der frucht des evangelii bereiten/
und das erſte ſtuͤck der buß ausrichten muß/ den menſchen zu erkaͤntnuͤs und
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[738/0754] Das andere Capitel. Solte nun meinem wertheſten Herrn zu ſeiner zeit dergleichen auch bevorſte- hen/ ſo gedencke er/ es begegne ihm nichts frembdes/ und wolle ſich auch dar- uͤber nicht aͤrgern. Nunmehr auf die vorgelegte fragen zu antworten/ kan ich die erſte deßwegen wol uͤbergehen/ weil ich von denen hohen anfechtungen/ ſonderlich GOttes laͤſterlicher gedancken/ in Franckfurt etzliche predigten ge- halten/ die auch in kleinem format gedruckt ſind/ und davor die goͤttliche guͤte demuͤthigſt preiſe/ unterſchiedlichen gottſeligen hertzen zu ihrer erbauung und troſt/ ob ſie wol aufs einfaͤltigſte geſchrieben ſind/ gedienet haben. Weil nun alles/ was zu ſtaͤrckung ſchreiben koͤnte in denſelbigen beyſammen zu finden/ wird nicht noͤthig ſeyn/ ihm daſſelbe zu widerholen/ ſondern fuͤglicher ſeyn es in ſolchen predigten ſelbſt zu leſen. Was aber die andre frage anlangt/ ob in dieſen verdorbenen zeiten kein prediger mehr das evangelium/ ſondern allein das geſetz predi- gen ſolte? wuͤſte ich dem jenigen durch aus nicht beyzupflichten/ der ſolches be- haupten wolte. Wie mir denn Hr. N. ſonſten nicht unbekant/ als der in ſeiner ſache nicht wenig beſchaͤfftiget geweſen/ und nicht alle ſeine hypotheſes habe billigen koͤnnen/ insgemein aber ſeinen eyffer und gute meynung geliebet/ ſo kan ich mir kaum einbilden/ daß er dergleichen uñ ſo crude von ſich geſchrieben haben ſolle/ ſondern hoffe vielmehr/ daß wo man ſeine wort recht anſehen ſolle/ ſie vielleicht etwas eine andre meynung haben moͤchten. Dem ſeye aber wie ihm wolle/ und von der ſache ſelbs zu reden 1. halte ich/ daß wir predi- ger von Chriſto hauptſaͤchlich zu der predigt des evangelii verordnet ſeyen/ wenn nicht nur unſer Heyland Marc. 16/ 15. ausdruͤcklich das evange- lium zu predigen/ ſeine juͤnger ausgeſandt/ ſondern der zweck unſers amts ſolches nothwendig mit ſich bringet: dann dieſer iſt je die leute zur ſe- ligkeit zufuͤhren/ da aber bekantlich uns kein geſetz gegeben iſt/ das da koͤn- te lebendig und ſelig machen. Gal. 3. ſondern das evangelium von Chriſto iſt allein eine krafft GOttes ſelig zumachen Rom. 1/ 16. die predigt von dem glauben allein iſt die jenige dadurch wir den heil. Geiſt empfangen Gal. 3/ 2. ohne welche niemand ſelig wird. Wer uns alſo die pre- digt des evangelii nehmen wolte/ der wuͤrde damit unſerm gantzen amte ſeine vornehmſte krafft benehmen/ welches ich von keinem nur etwas goͤttlichẽ worts kuͤndigen mann gedencken kan. 2. indeſſen leugne ich nicht/ daß das geſetz auch zu treiben ſeye/ als das jenige ſo die hertzen zu der frucht des evangelii bereiten/ und das erſte ſtuͤck der buß ausrichten muß/ den menſchen zu erkaͤntnuͤs und reue uͤber ſeine ſuͤnde zubringen/ damit er zu dem andern theil/ der aus dem evange-

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 1. Halle (Saale), 1700, S. 738. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken01_1700/754>, abgerufen am 25.11.2024.