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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 1. Halle (Saale), 1700.

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SECTIO XII.
vielem gefolget/ und sich auff ihn bezogen. Daher er das buch mit nach hau-
se nahm/ und nach einiger zeit mir alles entdeckte/ wie es eine zeitlang mit
ihm gestanden/ aber daß/ als er nach Varenio Taulerum mit weniger sorge
wieder zu lesen angefangen/ und seinem anweisen gefolget hätte/ er nunmehr
der göttlichen krafft der schrifft in dero lesung selbs gewahr/ auch seine vorige
buchstäbliche erkäntnüß recht lebendig in ihm worden seye. Welches sich auch
in seinem ferneren leben gnugsam geoffenbahret hat. Aus welchem exempel
auch erhellen kan/ wie gemüther/ die auch nicht böse sind/ bey allem buchstäb-
lichen wissen in die gefahr des Atheismi gerathen können/ wo sie nicht sonder-
lich von GOtt davor bewahret/ oder wieder heraus gerissen werden.

§. XIV. Es kan aber nicht allein so zureden natürlich geschehen/ daß ein
mensch/ der bloß in natürlichem wissen stehet/ in solche gefahr gerathe/ sondern
wir bemercken auch dabey ein gerechtes göttliches gericht/ das sich darzu
schläget/ wann GOtt denjenigen/ welche gleichwie das natürliche liecht/ da-
von §. VII. gehandelt/ also auch das liecht des worts/ das er ihnen gegeben/
nicht recht gebrauchen/ wie sie solten/ daß es nemlich nicht allein in die gedan-
cken käme/ sondern in das hertz getruckt würde/ daher ihm auch die früchten
nicht bringen/ auch dasjenige was sie gehabt/ nemlich das vergnügen eines
buchstäblichen wissens wieder genommen werden lässet. Matth. 25/ 29. So
viel mehr wo sie mit allerley sünden wider ihr gewissen/ demjenigen schnur-
stracks entgegen leben/ was sie noch in solchem zustand göttlichen willen zu
seyn erachtet. Und bestehet das göttliche straff-gericht sonderlich darinn/
daß einmahl zwahr/ weil das gewissen/ das sie noch vorhin nicht so gar in alle
laster ausbrechen lassen/ sondern sie noch zu weilen zurück gehalten/ alsdann
wenn sie allen concept von GOtt und dessen straff verliehren/ damit auch ei-
ne weil geschweiget und stille wird/ sie desto ungescheuter in alle boßheit aus-
brechen/ ihr maaß fein bald voll machen/ und die hölle ja recht verdienen/ nach-
dem sie sich den himmel nicht ernstlicher angelegen seyn lassen. Welches ge-
wiß ein schreckliches gericht ist. Nechst dem ist das gericht auch darinn zu er-
kennen/ daß sie auch nicht mehr mit einem falschen trost/ wie andre aus ihrer
buchstäblichen erkäntnüß zu weilen thun/ ihr gemüth beruhigen können/ son-
dern ihr elend desto mehr fühlen müssen. Wie dann die ruhe/ die sich solche
gottlose mit ausbannung aller furcht GOttes machen wollen/ ihnen auch
nicht gedeyen/ sondern offte aber allezeit mit mangel alles trostes/ verstöhret
werden muß. Wie ich einen vertraulich gekennt/ der mir seinen Atheismun inge-
heim gestund/ und auch sich nicht helffen lassen wolte/ aber auch bekannte/ daß
er dabey miserabel seye/ und diejenige glücklicher achtete/ die einen trost von
göttlichen dingen ihnen selbs machen könten/ ob er wol denselben falsch hielte.
Daher er mich versicherte/ da er weib und kind dermaleins bekommen würde/

daß
G 3

SECTIO XII.
vielem gefolget/ und ſich auff ihn bezogen. Daher er das buch mit nach hau-
ſe nahm/ und nach einiger zeit mir alles entdeckte/ wie es eine zeitlang mit
ihm geſtanden/ aber daß/ als er nach Varenio Taulerum mit weniger ſorge
wieder zu leſen angefangen/ und ſeinem anweiſen gefolget haͤtte/ er nunmehr
der goͤttlichen krafft der ſchrifft in dero leſung ſelbs gewahr/ auch ſeine vorige
buchſtaͤbliche erkaͤntnuͤß recht lebendig in ihm worden ſeye. Welches ſich auch
in ſeinem ferneren leben gnugſam geoffenbahret hat. Aus welchem exempel
auch erhellen kan/ wie gemuͤther/ die auch nicht boͤſe ſind/ bey allem buchſtaͤb-
lichen wiſſen in die gefahr des Atheiſmi gerathen koͤnnen/ wo ſie nicht ſonder-
lich von GOtt davor bewahret/ oder wieder heraus geriſſen werden.

§. XIV. Es kan aber nicht allein ſo zureden natuͤrlich geſchehen/ daß ein
menſch/ der bloß in natuͤrlichem wiſſen ſtehet/ in ſolche gefahr gerathe/ ſondern
wir bemercken auch dabey ein gerechtes goͤttliches gericht/ das ſich darzu
ſchlaͤget/ wann GOtt denjenigen/ welche gleichwie das natuͤrliche liecht/ da-
von §. VII. gehandelt/ alſo auch das liecht des worts/ das er ihnen gegeben/
nicht recht gebrauchen/ wie ſie ſolten/ daß es nemlich nicht allein in die gedan-
cken kaͤme/ ſondern in das hertz getruckt wuͤrde/ daher ihm auch die fruͤchten
nicht bringen/ auch dasjenige was ſie gehabt/ nemlich das vergnuͤgen eines
buchſtaͤblichen wiſſens wieder genommen werden laͤſſet. Matth. 25/ 29. So
viel mehr wo ſie mit allerley ſuͤnden wider ihr gewiſſen/ demjenigen ſchnur-
ſtracks entgegen leben/ was ſie noch in ſolchem zuſtand goͤttlichen willen zu
ſeyn erachtet. Und beſtehet das goͤttliche ſtraff-gericht ſonderlich darinn/
daß einmahl zwahr/ weil das gewiſſen/ das ſie noch vorhin nicht ſo gar in alle
laſter ausbrechen laſſen/ ſondern ſie noch zu weilen zuruͤck gehalten/ alsdann
wenn ſie allen concept von GOtt und deſſen ſtraff verliehren/ damit auch ei-
ne weil geſchweiget und ſtille wird/ ſie deſto ungeſcheuter in alle boßheit aus-
brechen/ ihr maaß fein bald voll machen/ und die hoͤlle ja recht verdienen/ nach-
dem ſie ſich den himmel nicht ernſtlicher angelegen ſeyn laſſen. Welches ge-
wiß ein ſchreckliches gericht iſt. Nechſt dem iſt das gericht auch darinn zu er-
kennen/ daß ſie auch nicht mehr mit einem falſchen troſt/ wie andre aus ihrer
buchſtaͤblichen erkaͤntnuͤß zu weilen thun/ ihr gemuͤth beruhigen koͤnnen/ ſon-
dern ihr elend deſto mehr fuͤhlen muͤſſen. Wie dann die ruhe/ die ſich ſolche
gottloſe mit ausbannung aller furcht GOttes machen wollen/ ihnen auch
nicht gedeyen/ ſondern offte aber allezeit mit mangel alles troſtes/ verſtoͤhret
werden muß. Wie ich einen vertraulich gekennt/ der mir ſeinen Atheiſmũ inge-
heim geſtund/ und auch ſich nicht helffen laſſen wolte/ aber auch bekannte/ daß
er dabey miſerabel ſeye/ und diejenige gluͤcklicher achtete/ die einen troſt von
goͤttlichen dingen ihnen ſelbs machen koͤnten/ ob er wol denſelben falſch hielte.
Daher er mich verſicherte/ da er weib und kind dermaleins bekommen wuͤrde/

daß
G 3
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[53/0069] SECTIO XII. vielem gefolget/ und ſich auff ihn bezogen. Daher er das buch mit nach hau- ſe nahm/ und nach einiger zeit mir alles entdeckte/ wie es eine zeitlang mit ihm geſtanden/ aber daß/ als er nach Varenio Taulerum mit weniger ſorge wieder zu leſen angefangen/ und ſeinem anweiſen gefolget haͤtte/ er nunmehr der goͤttlichen krafft der ſchrifft in dero leſung ſelbs gewahr/ auch ſeine vorige buchſtaͤbliche erkaͤntnuͤß recht lebendig in ihm worden ſeye. Welches ſich auch in ſeinem ferneren leben gnugſam geoffenbahret hat. Aus welchem exempel auch erhellen kan/ wie gemuͤther/ die auch nicht boͤſe ſind/ bey allem buchſtaͤb- lichen wiſſen in die gefahr des Atheiſmi gerathen koͤnnen/ wo ſie nicht ſonder- lich von GOtt davor bewahret/ oder wieder heraus geriſſen werden. §. XIV. Es kan aber nicht allein ſo zureden natuͤrlich geſchehen/ daß ein menſch/ der bloß in natuͤrlichem wiſſen ſtehet/ in ſolche gefahr gerathe/ ſondern wir bemercken auch dabey ein gerechtes goͤttliches gericht/ das ſich darzu ſchlaͤget/ wann GOtt denjenigen/ welche gleichwie das natuͤrliche liecht/ da- von §. VII. gehandelt/ alſo auch das liecht des worts/ das er ihnen gegeben/ nicht recht gebrauchen/ wie ſie ſolten/ daß es nemlich nicht allein in die gedan- cken kaͤme/ ſondern in das hertz getruckt wuͤrde/ daher ihm auch die fruͤchten nicht bringen/ auch dasjenige was ſie gehabt/ nemlich das vergnuͤgen eines buchſtaͤblichen wiſſens wieder genommen werden laͤſſet. Matth. 25/ 29. So viel mehr wo ſie mit allerley ſuͤnden wider ihr gewiſſen/ demjenigen ſchnur- ſtracks entgegen leben/ was ſie noch in ſolchem zuſtand goͤttlichen willen zu ſeyn erachtet. Und beſtehet das goͤttliche ſtraff-gericht ſonderlich darinn/ daß einmahl zwahr/ weil das gewiſſen/ das ſie noch vorhin nicht ſo gar in alle laſter ausbrechen laſſen/ ſondern ſie noch zu weilen zuruͤck gehalten/ alsdann wenn ſie allen concept von GOtt und deſſen ſtraff verliehren/ damit auch ei- ne weil geſchweiget und ſtille wird/ ſie deſto ungeſcheuter in alle boßheit aus- brechen/ ihr maaß fein bald voll machen/ und die hoͤlle ja recht verdienen/ nach- dem ſie ſich den himmel nicht ernſtlicher angelegen ſeyn laſſen. Welches ge- wiß ein ſchreckliches gericht iſt. Nechſt dem iſt das gericht auch darinn zu er- kennen/ daß ſie auch nicht mehr mit einem falſchen troſt/ wie andre aus ihrer buchſtaͤblichen erkaͤntnuͤß zu weilen thun/ ihr gemuͤth beruhigen koͤnnen/ ſon- dern ihr elend deſto mehr fuͤhlen muͤſſen. Wie dann die ruhe/ die ſich ſolche gottloſe mit ausbannung aller furcht GOttes machen wollen/ ihnen auch nicht gedeyen/ ſondern offte aber allezeit mit mangel alles troſtes/ verſtoͤhret werden muß. Wie ich einen vertraulich gekennt/ der mir ſeinen Atheiſmũ inge- heim geſtund/ und auch ſich nicht helffen laſſen wolte/ aber auch bekannte/ daß er dabey miſerabel ſeye/ und diejenige gluͤcklicher achtete/ die einen troſt von goͤttlichen dingen ihnen ſelbs machen koͤnten/ ob er wol denſelben falſch hielte. Daher er mich verſicherte/ da er weib und kind dermaleins bekommen wuͤrde/ daß G 3

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 1. Halle (Saale), 1700, S. 53. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken01_1700/69>, abgerufen am 24.11.2024.