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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 1. Halle (Saale), 1700.

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Das erste Capitel.
recht begreiffen könne. Welches ich davor halte/ daß unser aller eigene er-
fahrung bezeuge/ wie so gar wir/ auch die allergelehrteste/ nicht völlig ver-
gnügen an demjenigen finden/ was uns unsere vernunfft von uns selbs an
hand gibet; welches bereits ein ziemlich argument seyn solte/ daß wir nicht
mehr in dem stand seyn müssen/ in dem unsere natur/ die doch verständig ist/
und also billig sich selbs vor allen andern dingen begreiffen solte/ anfangs ge-
wesen seyn muß. Also muß einmahl ein ander liecht uns auffgehen/ und sich
GOtt uns durch seinen Geist/ als den Geist der weißheit und offenbahrung/
selbs offenbahren/ so unserer Christlichen religion auch allerdings gemäß ist/
daher wo es zum glauben kommen solle/ kan derselbige kein ander fundament
haben/ als die offenbahrung GOttes selbs/ und zwahr nicht nur wie GOtt
sich andern/ als nemlich den propheten und Aposteln/ offenbahret habe/ son-
dern auch wie eben derselbige Geist aus jenem offenbahrtem wort/ auch sein
liecht in unsere seelen bringet. Also ist dieses zeugnüß GOttes in jeder see-
len selbs das unmittelbahre und nechste fundament des wahren glaubens;
daher daß es denen allermeisten an diesem mangelt/ ist solches die ursach/ daß
so wenig wahrer glaube bey den menschen ist. 2. Jndessen bleibet das gött-
liche wort selbs/ das wir in der schrifft vor augen ligen haben/ das mittel der
offenbahrung des Heil. Geistes in der seele/ und wird/ was in dem wort ist/
durch dessen gebrauch in diese eingetruckt. Daher dann nöthig ist/ daß unser
gewissen von der göttlichkeit dieses buchs muß überzeuget seyn; Nun haben
die Theologi derjenigen ursachen viele/ welche sie anführen/ dadurch zu er-
weisen/ wie die schrifft GOttes wort seye/ als da sind/ die älte der schrifft/ die
darinnen vorgestellte hohe geheimnüssen/ harmonie der biblischen bücher/ er-
füllungen der prophezeyungen/ wunderwercke/ erhaltung gegen alle gewalt
der verfolger/ versieglung durch das blut der so viel tausend märtyrer/ und
dergleichen mehrere: es sind aber dieselbige ursachen noch nicht der grund un-
sers glaubens/ als der keine Conclusion eines syllogismi seyn kan/ sondern eine
wirckung Gottes seyn muß/ sondern nichts anders als/ wie sie auch genannt wer-
den/ motiva fidei, oder auch credibilitatis, dero erwegung ein nicht eingenom-
menes gemüth so weit bewegen kan/ daß es eine gute meinung und hoffnung
von solcher schrifft fasse/ und zu der lesung derselben bringe/ folglich sie ohne
widrigkeit lese/ und in solchem stande desto fähiger seye die wirckungen GOt-
tes aus derselben anzunehmen. Was ich hier setze/ ist nicht meine absonder-
liche meinung/ sondern auch unserer Theologorum: wie mir davon diese
conclusiones des berühmten D. Dorschei Theolog. Zachar. p. 2. disp. 1. L. 1. q.
1. sehr wohl bereits zeit meiner studiorum Theologicorum gefallen/ die also
lauten: Fides divina, qua fiducialiter adhaeremus veritati revelanti & reve-

latae

Das erſte Capitel.
recht begreiffen koͤnne. Welches ich davor halte/ daß unſer aller eigene er-
fahrung bezeuge/ wie ſo gar wir/ auch die allergelehrteſte/ nicht voͤllig ver-
gnuͤgen an demjenigen finden/ was uns unſere vernunfft von uns ſelbs an
hand gibet; welches bereits ein ziemlich argument ſeyn ſolte/ daß wir nicht
mehr in dem ſtand ſeyn muͤſſen/ in dem unſere natur/ die doch verſtaͤndig iſt/
und alſo billig ſich ſelbs vor allen andern dingen begreiffen ſolte/ anfangs ge-
weſen ſeyn muß. Alſo muß einmahl ein ander liecht uns auffgehen/ und ſich
GOtt uns durch ſeinen Geiſt/ als den Geiſt der weißheit und offenbahrung/
ſelbs offenbahren/ ſo unſerer Chriſtlichen religion auch allerdings gemaͤß iſt/
daher wo es zum glauben kommen ſolle/ kan derſelbige kein ander fundament
haben/ als die offenbahrung GOttes ſelbs/ und zwahr nicht nur wie GOtt
ſich andern/ als nemlich den propheten und Apoſteln/ offenbahret habe/ ſon-
dern auch wie eben derſelbige Geiſt aus jenem offenbahrtem wort/ auch ſein
liecht in unſere ſeelen bringet. Alſo iſt dieſes zeugnuͤß GOttes in jeder ſee-
len ſelbs das unmittelbahre und nechſte fundament des wahren glaubens;
daher daß es denen allermeiſten an dieſem mangelt/ iſt ſolches die urſach/ daß
ſo wenig wahrer glaube bey den menſchen iſt. 2. Jndeſſen bleibet das goͤtt-
liche wort ſelbs/ das wir in der ſchrifft vor augen ligen haben/ das mittel der
offenbahrung des Heil. Geiſtes in der ſeele/ und wird/ was in dem wort iſt/
durch deſſen gebrauch in dieſe eingetruckt. Daher dann noͤthig iſt/ daß unſer
gewiſſen von der goͤttlichkeit dieſes buchs muß uͤberzeuget ſeyn; Nun haben
die Theologi derjenigen urſachen viele/ welche ſie anfuͤhren/ dadurch zu er-
weiſen/ wie die ſchrifft GOttes wort ſeye/ als da ſind/ die aͤlte der ſchrifft/ die
darinnen vorgeſtellte hohe geheimnuͤſſen/ harmonie der bibliſchen buͤcher/ er-
fuͤllungen der prophezeyungen/ wunderwercke/ erhaltung gegen alle gewalt
der verfolger/ verſieglung durch das blut der ſo viel tauſend maͤrtyrer/ und
dergleichen mehrere: es ſind aber dieſelbige urſachen noch nicht der grund un-
ſeꝛs glaubens/ als deꝛ keine Concluſion eines ſyllogiſmi ſeyn kan/ ſondeꝛn eine
wiꝛckung Gottes ſeyn muß/ ſondern nichts andeꝛs als/ wie ſie auch genañt weꝛ-
den/ motiva fidei, oder auch credibilitatis, dero erwegung ein nicht eingenom-
menes gemuͤth ſo weit bewegen kan/ daß es eine gute meinung und hoffnung
von ſolcher ſchrifft faſſe/ und zu der leſung derſelben bringe/ folglich ſie ohne
widrigkeit leſe/ und in ſolchem ſtande deſto faͤhiger ſeye die wirckungen GOt-
tes aus derſelben anzunehmen. Was ich hier ſetze/ iſt nicht meine abſonder-
liche meinung/ ſondern auch unſerer Theologorum: wie mir davon dieſe
concluſiones des beruͤhmten D. Dorſchei Theolog. Zachar. p. 2. diſp. 1. L. 1. q.
1. ſehr wohl bereits zeit meiner ſtudiorum Theologicorum gefallen/ die alſo
lauten: Fides divina, quâ fiducialiter adhæremus veritati revelanti & reve-

latæ
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[40/0056] Das erſte Capitel. recht begreiffen koͤnne. Welches ich davor halte/ daß unſer aller eigene er- fahrung bezeuge/ wie ſo gar wir/ auch die allergelehrteſte/ nicht voͤllig ver- gnuͤgen an demjenigen finden/ was uns unſere vernunfft von uns ſelbs an hand gibet; welches bereits ein ziemlich argument ſeyn ſolte/ daß wir nicht mehr in dem ſtand ſeyn muͤſſen/ in dem unſere natur/ die doch verſtaͤndig iſt/ und alſo billig ſich ſelbs vor allen andern dingen begreiffen ſolte/ anfangs ge- weſen ſeyn muß. Alſo muß einmahl ein ander liecht uns auffgehen/ und ſich GOtt uns durch ſeinen Geiſt/ als den Geiſt der weißheit und offenbahrung/ ſelbs offenbahren/ ſo unſerer Chriſtlichen religion auch allerdings gemaͤß iſt/ daher wo es zum glauben kommen ſolle/ kan derſelbige kein ander fundament haben/ als die offenbahrung GOttes ſelbs/ und zwahr nicht nur wie GOtt ſich andern/ als nemlich den propheten und Apoſteln/ offenbahret habe/ ſon- dern auch wie eben derſelbige Geiſt aus jenem offenbahrtem wort/ auch ſein liecht in unſere ſeelen bringet. Alſo iſt dieſes zeugnuͤß GOttes in jeder ſee- len ſelbs das unmittelbahre und nechſte fundament des wahren glaubens; daher daß es denen allermeiſten an dieſem mangelt/ iſt ſolches die urſach/ daß ſo wenig wahrer glaube bey den menſchen iſt. 2. Jndeſſen bleibet das goͤtt- liche wort ſelbs/ das wir in der ſchrifft vor augen ligen haben/ das mittel der offenbahrung des Heil. Geiſtes in der ſeele/ und wird/ was in dem wort iſt/ durch deſſen gebrauch in dieſe eingetruckt. Daher dann noͤthig iſt/ daß unſer gewiſſen von der goͤttlichkeit dieſes buchs muß uͤberzeuget ſeyn; Nun haben die Theologi derjenigen urſachen viele/ welche ſie anfuͤhren/ dadurch zu er- weiſen/ wie die ſchrifft GOttes wort ſeye/ als da ſind/ die aͤlte der ſchrifft/ die darinnen vorgeſtellte hohe geheimnuͤſſen/ harmonie der bibliſchen buͤcher/ er- fuͤllungen der prophezeyungen/ wunderwercke/ erhaltung gegen alle gewalt der verfolger/ verſieglung durch das blut der ſo viel tauſend maͤrtyrer/ und dergleichen mehrere: es ſind aber dieſelbige urſachen noch nicht der grund un- ſeꝛs glaubens/ als deꝛ keine Concluſion eines ſyllogiſmi ſeyn kan/ ſondeꝛn eine wiꝛckung Gottes ſeyn muß/ ſondern nichts andeꝛs als/ wie ſie auch genañt weꝛ- den/ motiva fidei, oder auch credibilitatis, dero erwegung ein nicht eingenom- menes gemuͤth ſo weit bewegen kan/ daß es eine gute meinung und hoffnung von ſolcher ſchrifft faſſe/ und zu der leſung derſelben bringe/ folglich ſie ohne widrigkeit leſe/ und in ſolchem ſtande deſto faͤhiger ſeye die wirckungen GOt- tes aus derſelben anzunehmen. Was ich hier ſetze/ iſt nicht meine abſonder- liche meinung/ ſondern auch unſerer Theologorum: wie mir davon dieſe concluſiones des beruͤhmten D. Dorſchei Theolog. Zachar. p. 2. diſp. 1. L. 1. q. 1. ſehr wohl bereits zeit meiner ſtudiorum Theologicorum gefallen/ die alſo lauten: Fides divina, quâ fiducialiter adhæremus veritati revelanti & reve- latæ

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 1. Halle (Saale), 1700, S. 40. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken01_1700/56>, abgerufen am 24.11.2024.