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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 1. Halle (Saale), 1700.

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Des 1. Capitels.
lich wieder frey werden solte/ weiset/ und also alle von jener historie herge-
nommene analogiae blosser dings abgewiesen werden können: so würde doch
auch wo wir schon diese ansehen wolten/ sich dannoch nichts wider unsre er-
klährung schliessen lassen. Denn so lang der bau Babels währete/ waren die
bauleute unter sich einig: darauff folgte die straff/ aber diese bestunde nicht
in einem unter ihnen erweckten streit/ daß sie einander feindlich angegriffen
hätten/ sondern in einer verwirrung/ daß sie einander nicht mehr verstunden/
und mit einander bauen konten; damit hörte auch der bau Babels insgesamt
auff. Hingegen suchet der verfasser das haupt-werck in Babel in der ver-
wirrung/ und solte diese seyn/ da Babel noch gebauet wird. Welches sich aber-
mal auff die historie nicht schicket/ sondern aus allem erhellet/ es seye mehr ei-
ne verwirrung in dieser erklährung/ als daß in dem Neu-Testamentischen
Babel die verwirrung eigentlich dessen character seye. Wo wir aber auch
dieses nachsehen wolten/ so finden wir auf diese stunde in dem Römischen Ba-
bel zwahr nicht öffentliche feindseligkeiten gegen einander/ sondern wann die-
se folgen/ dörffte es wol an dem ende seyn/ Offenb. 16/ 19. aber verwirrung
gnug. Wie dann freylich ein reich sich untereinander verwirren kan/ ob es
wol nicht in völlige partheyen ausbricht/ sondern unter einem regiment an-
noch zusammen hält.

§. LVIII. Wir gehen auff den 5. einwurff: dieser ist nun abermal einer
unverwerfflichen wahrheit und von grosser krafft/ dann der schluß gehet also:
in welcher kirchen gantzen lehr-systemate alles zu dem rechtschaffenen heili-
gen wesen abzwecket/ und dazu bequem ist/ auch sie darauff bey allen/ die sich
zu ihr bekennen/ treibet/ die kan nicht Babel seyn/ oder der Antichrist in der-
selben herrschen/ als welcher solchem rechtschaffenem wesen vielmehr entge-
gen ist. Was dagegen eingewendet wird/ ist von der krafft nicht/ solchen satz
oder die folge daraus vor unsere kirche umzustossen. Die instanz wegen der
Teutschen Theologie/ so in der Römischen kirchen nicht verworffen werde/
richtet nichts aus/ denn der schluß gehet nicht also/ in welcher kirchen einige
Scripta bey behalten werden/ die recht gut sind/ die ist nicht Babel/ sondern
welcher kirchen gesamte glaubens-bücher also bewandt sind. Wie dann wo man
in der Römischen kirchen bey der Teutschen Theologia allein bliebe/ und nicht
so vieles aus der Scholastischen Theologie und der Päbste satzungen und de-
creten
in die gemeine kirchen-lehr und dienst gebracht/ wir sie nicht vor Ba-
bel halten wolten: Aber durch diese falsche zusätze wird jene wahrheit verdor-
ben: dergleichen man nicht zeigen kan/ daß wir durch einige irrige sätze in un-
sern Symbolischen büchern der übrigen wahrheit entkräffteten. Jm übri-
gen so thäten gutartige kinder nicht wol/ wo sie der mutter offenbahre fehler
vor tugenden achteten/ da die liebe des höchsten Vaters der liebe der mutter

vor-

Des 1. Capitels.
lich wieder frey werden ſolte/ weiſet/ und alſo alle von jener hiſtorie herge-
nommene analogiæ bloſſer dings abgewieſen werden koͤnnen: ſo wuͤrde doch
auch wo wir ſchon dieſe anſehen wolten/ ſich dannoch nichts wider unſre er-
klaͤhrung ſchlieſſen laſſen. Denn ſo lang der bau Babels waͤhrete/ waren die
bauleute unter ſich einig: darauff folgte die ſtraff/ aber dieſe beſtunde nicht
in einem unter ihnen erweckten ſtreit/ daß ſie einander feindlich angegriffen
haͤtten/ ſondern in einer verwirrung/ daß ſie einander nicht mehr verſtunden/
und mit einander bauen konten; damit hoͤrte auch der bau Babels insgeſamt
auff. Hingegen ſuchet der verfaſſer das haupt-werck in Babel in der ver-
wirrung/ und ſolte dieſe ſeyn/ da Babel noch gebauet wird. Welches ſich aber-
mal auff die hiſtorie nicht ſchicket/ ſondern aus allem erhellet/ es ſeye mehr ei-
ne verwirrung in dieſer erklaͤhrung/ als daß in dem Neu-Teſtamentiſchen
Babel die verwirrung eigentlich deſſen character ſeye. Wo wir aber auch
dieſes nachſehen wolten/ ſo finden wir auf dieſe ſtunde in dem Roͤmiſchen Ba-
bel zwahr nicht oͤffentliche feindſeligkeiten gegen einander/ ſondern wann die-
ſe folgen/ doͤrffte es wol an dem ende ſeyn/ Offenb. 16/ 19. aber verwirrung
gnug. Wie dann freylich ein reich ſich untereinander verwirren kan/ ob es
wol nicht in voͤllige partheyen ausbricht/ ſondern unter einem regiment an-
noch zuſammen haͤlt.

§. LVIII. Wir gehen auff den 5. einwurff: dieſer iſt nun abermal einer
unverwerfflichen wahrheit und von groſſer krafft/ dann der ſchluß gehet alſo:
in welcher kirchen gantzen lehr-ſyſtemate alles zu dem rechtſchaffenen heili-
gen weſen abzwecket/ und dazu bequem iſt/ auch ſie darauff bey allen/ die ſich
zu ihr bekennen/ treibet/ die kan nicht Babel ſeyn/ oder der Antichriſt in der-
ſelben herrſchen/ als welcher ſolchem rechtſchaffenem weſen vielmehr entge-
gen iſt. Was dagegen eingewendet wird/ iſt von der krafft nicht/ ſolchen ſatz
oder die folge daraus vor unſere kirche umzuſtoſſen. Die inſtanz wegen der
Teutſchen Theologie/ ſo in der Roͤmiſchen kirchen nicht verworffen werde/
richtet nichts aus/ denn der ſchluß gehet nicht alſo/ in welcher kirchen einige
Scripta bey behalten werden/ die recht gut ſind/ die iſt nicht Babel/ ſondern
welcher kirchen geſamte glaubens-buͤcher alſo bewandt ſind. Wie dañ wo man
in der Roͤmiſchen kirchen bey der Teutſchen Theologia allein bliebe/ und nicht
ſo vieles aus der Scholaſtiſchen Theologie und der Paͤbſte ſatzungen und de-
creten
in die gemeine kirchen-lehr und dienſt gebracht/ wir ſie nicht vor Ba-
bel halten wolten: Aber durch dieſe falſche zuſaͤtze wird jene wahrheit verdor-
ben: dergleichen man nicht zeigen kan/ daß wir durch einige irrige ſaͤtze in un-
ſern Symboliſchen buͤchern der uͤbrigen wahrheit entkraͤffteten. Jm uͤbri-
gen ſo thaͤten gutartige kinder nicht wol/ wo ſie der mutter offenbahre fehler
vor tugenden achteten/ da die liebe des hoͤchſten Vaters der liebe der mutter

vor-
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[383/0399] Des 1. Capitels. lich wieder frey werden ſolte/ weiſet/ und alſo alle von jener hiſtorie herge- nommene analogiæ bloſſer dings abgewieſen werden koͤnnen: ſo wuͤrde doch auch wo wir ſchon dieſe anſehen wolten/ ſich dannoch nichts wider unſre er- klaͤhrung ſchlieſſen laſſen. Denn ſo lang der bau Babels waͤhrete/ waren die bauleute unter ſich einig: darauff folgte die ſtraff/ aber dieſe beſtunde nicht in einem unter ihnen erweckten ſtreit/ daß ſie einander feindlich angegriffen haͤtten/ ſondern in einer verwirrung/ daß ſie einander nicht mehr verſtunden/ und mit einander bauen konten; damit hoͤrte auch der bau Babels insgeſamt auff. Hingegen ſuchet der verfaſſer das haupt-werck in Babel in der ver- wirrung/ und ſolte dieſe ſeyn/ da Babel noch gebauet wird. Welches ſich aber- mal auff die hiſtorie nicht ſchicket/ ſondern aus allem erhellet/ es ſeye mehr ei- ne verwirrung in dieſer erklaͤhrung/ als daß in dem Neu-Teſtamentiſchen Babel die verwirrung eigentlich deſſen character ſeye. Wo wir aber auch dieſes nachſehen wolten/ ſo finden wir auf dieſe ſtunde in dem Roͤmiſchen Ba- bel zwahr nicht oͤffentliche feindſeligkeiten gegen einander/ ſondern wann die- ſe folgen/ doͤrffte es wol an dem ende ſeyn/ Offenb. 16/ 19. aber verwirrung gnug. Wie dann freylich ein reich ſich untereinander verwirren kan/ ob es wol nicht in voͤllige partheyen ausbricht/ ſondern unter einem regiment an- noch zuſammen haͤlt. §. LVIII. Wir gehen auff den 5. einwurff: dieſer iſt nun abermal einer unverwerfflichen wahrheit und von groſſer krafft/ dann der ſchluß gehet alſo: in welcher kirchen gantzen lehr-ſyſtemate alles zu dem rechtſchaffenen heili- gen weſen abzwecket/ und dazu bequem iſt/ auch ſie darauff bey allen/ die ſich zu ihr bekennen/ treibet/ die kan nicht Babel ſeyn/ oder der Antichriſt in der- ſelben herrſchen/ als welcher ſolchem rechtſchaffenem weſen vielmehr entge- gen iſt. Was dagegen eingewendet wird/ iſt von der krafft nicht/ ſolchen ſatz oder die folge daraus vor unſere kirche umzuſtoſſen. Die inſtanz wegen der Teutſchen Theologie/ ſo in der Roͤmiſchen kirchen nicht verworffen werde/ richtet nichts aus/ denn der ſchluß gehet nicht alſo/ in welcher kirchen einige Scripta bey behalten werden/ die recht gut ſind/ die iſt nicht Babel/ ſondern welcher kirchen geſamte glaubens-buͤcher alſo bewandt ſind. Wie dañ wo man in der Roͤmiſchen kirchen bey der Teutſchen Theologia allein bliebe/ und nicht ſo vieles aus der Scholaſtiſchen Theologie und der Paͤbſte ſatzungen und de- creten in die gemeine kirchen-lehr und dienſt gebracht/ wir ſie nicht vor Ba- bel halten wolten: Aber durch dieſe falſche zuſaͤtze wird jene wahrheit verdor- ben: dergleichen man nicht zeigen kan/ daß wir durch einige irrige ſaͤtze in un- ſern Symboliſchen buͤchern der uͤbrigen wahrheit entkraͤffteten. Jm uͤbri- gen ſo thaͤten gutartige kinder nicht wol/ wo ſie der mutter offenbahre fehler vor tugenden achteten/ da die liebe des hoͤchſten Vaters der liebe der mutter vor-

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 1. Halle (Saale), 1700, S. 383. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken01_1700/399>, abgerufen am 22.11.2024.