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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 1. Halle (Saale), 1700.

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Des 1. Capitels.
dienet hätten/ noch nicht ein Antichristenthum inferirte. Dann vieles was
der Antichrist thut/ auch von andern geschehen kan/ die durch ein stück nicht
der Antichrist selbs sind. Daß von dieser sache soll auch in wahrheit und ge-
rechtigkeit geurtheilet werden/ ist gleichermassen wahr/ dabey aber zu mer-
cken/ daß in allen beschuldigungen solche argumenta müssen gebracht werden/
welche die sache gründlich darthun/ wo dieses nicht geschihet/ ist der beschul-
digte so bald frey: und bleibet auch ohne das diese Christliche schuldigkeit/
daß man alles jedesmahl/ als lang es seyn kan/ lieber am besten als übelsten
ausdeuten solle/ welche liebesregel der wahrheit und gerechtigkeit nicht ent-
gegen ist/ sondern auch in dieser urtheil platz hat.

§. LIII. Wir gehen hiemit auff die vermeinte ableinung der selbs ma-
chenden einwürffe. Was nun n. 62. den ersten anlangt/ ists nicht ohn/ daß
es fast entsetzlich ist/ wo wir die Fürsten und stände des reichs also ansehen
wolten/ nemlich vor solche Babelische bauleute. Nicht aber als wann es an
sich unrecht oder nicht vielmehr nöthig wäre/ dieselbe da sie gefehlet hätten/
zu straffen/ und ihres unrechts zu erinnern/ in dem die wahrheit keinen un-
terscheid der personen leidet: sondern weil solche beschuldigung falsch ist. Al-
so darff das ansehen solcher hohen häupter uns an unpartheyischer untersu-
chung der lehre nicht hindern/ sondern die bleibet befohlen/ es betreffe nachmal
die schuld/ welche man finden möchte/ wen sie wolte: wo auch das geklagte
unrecht sich bey ihnen findet/ ists nicht nur nicht verbothen/ sondern befohlen
und liget GOttes ehre/ und solchen hohen häuptern daran/ daß sie erinnert
werden. Aber so viel solle doch die betrachtung der hoheit jener Fürsten son-
derlich die sich auf vielerley art um die kirche wohl verdient gemacht haben/
ausrichten/ daß man in der untersuchung behutsam gehe/ und alles in der
forcht GOttes nicht aus vorgefaßter einbildung erwege/ weil sonsten da man
ihnen in der sache unrecht thut/ eine so viel schwehrere sünde nemlich die läste-
rung einiger Majestäten/ welche göttliches bild tragen/ und in so thaner sa-
che/ was sie gethan/ aus krafft ihres amts gethan hätten/ begangen würde/
davor man sich ja zu hüten/ und GOtt nicht selbs in seinem ihnen angehäng-
ten bilde zu verunehren hat.

§. LIV. Nach dem zweyten einwurff/ bleibet billig stehen/ was n. 64.
aus 2. Thess. 2. von dem grossen Antichrist angeführet/ und zum majori ge-
macht wird/ aber n. 65. ist bey weitem noch nicht der minor auf unsere Fürsten
und stände erwiesen: daß alles sich auff den Papst eigentlich appliciren lasse/
kan verfasser nicht leugnen/ er versuche aber/ wie es ihm angehen werde/ wo
er alle solche membra (wie wir sie dann nicht ursach haben von einander tren-
nen zu lassen) will auff die stellere der Form. concord. und publicirende Für-

sten
B b b 2

Des 1. Capitels.
dienet haͤtten/ noch nicht ein Antichriſtenthum inferirte. Dann vieles was
der Antichriſt thut/ auch von andern geſchehen kan/ die durch ein ſtuͤck nicht
der Antichriſt ſelbs ſind. Daß von dieſer ſache ſoll auch in wahrheit und ge-
rechtigkeit geurtheilet werden/ iſt gleichermaſſen wahr/ dabey aber zu mer-
cken/ daß in allen beſchuldigungen ſolche argumenta muͤſſen gebracht werden/
welche die ſache gruͤndlich darthun/ wo dieſes nicht geſchihet/ iſt der beſchul-
digte ſo bald frey: und bleibet auch ohne das dieſe Chriſtliche ſchuldigkeit/
daß man alles jedesmahl/ als lang es ſeyn kan/ lieber am beſten als uͤbelſten
ausdeuten ſolle/ welche liebesregel der wahrheit und gerechtigkeit nicht ent-
gegen iſt/ ſondern auch in dieſer urtheil platz hat.

§. LIII. Wir gehen hiemit auff die vermeinte ableinung der ſelbs ma-
chenden einwuͤrffe. Was nun n. 62. den erſten anlangt/ iſts nicht ohn/ daß
es faſt entſetzlich iſt/ wo wir die Fuͤrſten und ſtaͤnde des reichs alſo anſehen
wolten/ nemlich vor ſolche Babeliſche bauleute. Nicht aber als wann es an
ſich unrecht oder nicht vielmehr noͤthig waͤre/ dieſelbe da ſie gefehlet haͤtten/
zu ſtraffen/ und ihres unrechts zu erinnern/ in dem die wahrheit keinen un-
terſcheid der perſonen leidet: ſondern weil ſolche beſchuldigung falſch iſt. Al-
ſo darff das anſehen ſolcher hohen haͤupter uns an unpartheyiſcher unterſu-
chung der lehre nicht hindern/ ſondern die bleibet befohlen/ es betreffe nachmal
die ſchuld/ welche man finden moͤchte/ wen ſie wolte: wo auch das geklagte
unrecht ſich bey ihnen findet/ iſts nicht nur nicht verbothen/ ſondern befohlen
und liget GOttes ehre/ und ſolchen hohen haͤuptern daran/ daß ſie erinnert
werden. Aber ſo viel ſolle doch die betrachtung der hoheit jener Fuͤrſten ſon-
derlich die ſich auf vielerley art um die kirche wohl verdient gemacht haben/
ausrichten/ daß man in der unterſuchung behutſam gehe/ und alles in der
forcht GOttes nicht aus vorgefaßter einbildung erwege/ weil ſonſten da man
ihnen in der ſache unrecht thut/ eine ſo viel ſchwehrere ſuͤnde nemlich die laͤſte-
rung einiger Majeſtaͤten/ welche goͤttliches bild tragen/ und in ſo thaner ſa-
che/ was ſie gethan/ aus krafft ihres amts gethan haͤtten/ begangen wuͤrde/
davor man ſich ja zu huͤten/ und GOtt nicht ſelbs in ſeinem ihnen angehaͤng-
ten bilde zu verunehren hat.

§. LIV. Nach dem zweyten einwurff/ bleibet billig ſtehen/ was n. 64.
aus 2. Theſſ. 2. von dem groſſen Antichriſt angefuͤhret/ und zum majori ge-
macht wird/ aber n. 65. iſt bey weitem noch nicht der minor auf unſere Fuͤrſten
und ſtaͤnde erwieſen: daß alles ſich auff den Papſt eigentlich appliciren laſſe/
kan verfaſſer nicht leugnen/ er verſuche aber/ wie es ihm angehen werde/ wo
er alle ſolche membra (wie wir ſie dann nicht urſach haben von einander tren-
nen zu laſſen) will auff die ſtellere der Form. concord. und publicirende Fuͤr-

ſten
B b b 2
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[379/0395] Des 1. Capitels. dienet haͤtten/ noch nicht ein Antichriſtenthum inferirte. Dann vieles was der Antichriſt thut/ auch von andern geſchehen kan/ die durch ein ſtuͤck nicht der Antichriſt ſelbs ſind. Daß von dieſer ſache ſoll auch in wahrheit und ge- rechtigkeit geurtheilet werden/ iſt gleichermaſſen wahr/ dabey aber zu mer- cken/ daß in allen beſchuldigungen ſolche argumenta muͤſſen gebracht werden/ welche die ſache gruͤndlich darthun/ wo dieſes nicht geſchihet/ iſt der beſchul- digte ſo bald frey: und bleibet auch ohne das dieſe Chriſtliche ſchuldigkeit/ daß man alles jedesmahl/ als lang es ſeyn kan/ lieber am beſten als uͤbelſten ausdeuten ſolle/ welche liebesregel der wahrheit und gerechtigkeit nicht ent- gegen iſt/ ſondern auch in dieſer urtheil platz hat. §. LIII. Wir gehen hiemit auff die vermeinte ableinung der ſelbs ma- chenden einwuͤrffe. Was nun n. 62. den erſten anlangt/ iſts nicht ohn/ daß es faſt entſetzlich iſt/ wo wir die Fuͤrſten und ſtaͤnde des reichs alſo anſehen wolten/ nemlich vor ſolche Babeliſche bauleute. Nicht aber als wann es an ſich unrecht oder nicht vielmehr noͤthig waͤre/ dieſelbe da ſie gefehlet haͤtten/ zu ſtraffen/ und ihres unrechts zu erinnern/ in dem die wahrheit keinen un- terſcheid der perſonen leidet: ſondern weil ſolche beſchuldigung falſch iſt. Al- ſo darff das anſehen ſolcher hohen haͤupter uns an unpartheyiſcher unterſu- chung der lehre nicht hindern/ ſondern die bleibet befohlen/ es betreffe nachmal die ſchuld/ welche man finden moͤchte/ wen ſie wolte: wo auch das geklagte unrecht ſich bey ihnen findet/ iſts nicht nur nicht verbothen/ ſondern befohlen und liget GOttes ehre/ und ſolchen hohen haͤuptern daran/ daß ſie erinnert werden. Aber ſo viel ſolle doch die betrachtung der hoheit jener Fuͤrſten ſon- derlich die ſich auf vielerley art um die kirche wohl verdient gemacht haben/ ausrichten/ daß man in der unterſuchung behutſam gehe/ und alles in der forcht GOttes nicht aus vorgefaßter einbildung erwege/ weil ſonſten da man ihnen in der ſache unrecht thut/ eine ſo viel ſchwehrere ſuͤnde nemlich die laͤſte- rung einiger Majeſtaͤten/ welche goͤttliches bild tragen/ und in ſo thaner ſa- che/ was ſie gethan/ aus krafft ihres amts gethan haͤtten/ begangen wuͤrde/ davor man ſich ja zu huͤten/ und GOtt nicht ſelbs in ſeinem ihnen angehaͤng- ten bilde zu verunehren hat. §. LIV. Nach dem zweyten einwurff/ bleibet billig ſtehen/ was n. 64. aus 2. Theſſ. 2. von dem groſſen Antichriſt angefuͤhret/ und zum majori ge- macht wird/ aber n. 65. iſt bey weitem noch nicht der minor auf unſere Fuͤrſten und ſtaͤnde erwieſen: daß alles ſich auff den Papſt eigentlich appliciren laſſe/ kan verfaſſer nicht leugnen/ er verſuche aber/ wie es ihm angehen werde/ wo er alle ſolche membra (wie wir ſie dann nicht urſach haben von einander tren- nen zu laſſen) will auff die ſtellere der Form. concord. und publicirende Fuͤr- ſten B b b 2

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 1. Halle (Saale), 1700, S. 379. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken01_1700/395>, abgerufen am 22.11.2024.