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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 1. Halle (Saale), 1700.

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Das erste Capitel.
hand die sünde decke/ weil in diesem werck und bedeckung der glaube noch da-
zu nicht eigentlich als eine tugend sondern allein als ein von GOtt geordne-
tes mittel an zusehen ist/ welches nichts thut/ sondern allein empfängt: da-
hingegen die liebe in solchem allgemeinen verstand auff alle weise als eine tu-
gend und etwas nicht sowol empfangendes als wirckendes angesehen werden
müste. 4. Daher wolte ich bitten/ solche gebrauchte redens-art/ wo ferner davon
gehandelt werden solte/ nicht so wol zu behaupten/ als nur zu entschuldigen/
und allein zu zeigen/ daß die meinung nichts irriges und wider unsre Evan-
gelische wahrheit streitendes gewesen seye/ da gleichwol geliebter bruder sich
gern solcher redens-art künfftig enthalten wolle/ nachdem er sie so vielen
wichtigen bedencken unterworffen sehe/ und finde daß sie auch von denen zu-
hörern leicht anders/ als er sie gemeinet/ weil ohne weitläufftige erklährung
wol niemand auff solchen verstand kommen würde/ angenommen werden
könte. 5. Jndessen ists gnung/ daß doch die redens-art nicht in sich selbs und
in allem verstand irrig seye/ und mit einigen fast gleichlautenden orten und
redens-arten der schrifft sich etwas vergleichen lasse. Als wann 1. Joh. 4/
17. 18. stehet/ daß die liebe die furcht austreibe/ und auch eine freudig-
keit
mache auff den tag des gerichts/ welches dann durch den glauben ge-
schehen muß/ daß also dieses ein exempel wäre/ wo in gewisser maaß der liebe
zugeschrieben würde/ was doch dem glauben eigentlich zukommet. Zwahr ist
nicht ohne/ daß unterschiedliche der vornehmsten Theologen auch dieses orts
die liebe nicht verstehen wollen von unsrer liebe/ sondern von der versicherung
der göttlichen liebe/ oder wie diese von dem glauben angenommen wird; in-
dessen hat gleichwol unser wolverdiente Theologus AEgid. Hunnius kein be-
dencken/ diese liebe von unserer liebe und also den spruch auff solche meinung
zuverstehen. Also Dan. 4/ 24. lauten die worte Danielis auch hart/ ma-
che dich loß von deinen sünden durch gerechtigkeit/ und ledig von dei-
ner missethat durch wolthat an den armen/ so wird er gedult haben
mit deinen sünden/
wo dann der gerechtigkeit und allmosen/ so zu der liebe
gehören/ dasjenige zugeschrieben wird/ was der busse und dem glauben zu-
kömmet. Noch härter lautets Tob. 4/ 11. die allmosen erlösen von al-
len sünden/ auch vom todt/ und lassen nicht in der noth.
Ob wir nun
wol das büchlein Tobiä nicht unter die vollgültige bücher der schrifft setzen/ so
trachten gleichwol unsre Theologi auch diese wort in einen gesunden ver-
stand zu ziehen: daher die Weinmarische auslegung also lautet: diejenige
welche aus wahrem glauben und gehorsam gegen GOTTes gebot
gern allmosen geben/ werden hinwiederum vor sünden und einem

bösen

Das erſte Capitel.
hand die ſuͤnde decke/ weil in dieſem werck und bedeckung der glaube noch da-
zu nicht eigentlich als eine tugend ſondern allein als ein von GOtt geordne-
tes mittel an zuſehen iſt/ welches nichts thut/ ſondern allein empfaͤngt: da-
hingegen die liebe in ſolchem allgemeinen verſtand auff alle weiſe als eine tu-
gend und etwas nicht ſowol empfangendes als wirckendes angeſehen werden
muͤſte. 4. Daheꝛ wolte ich bitten/ ſolche gebrauchte redens-art/ wo ferneꝛ davon
gehandelt werden ſolte/ nicht ſo wol zu behaupten/ als nur zu entſchuldigen/
und allein zu zeigen/ daß die meinung nichts irriges und wider unſre Evan-
geliſche wahrheit ſtreitendes geweſen ſeye/ da gleichwol geliebter bruder ſich
gern ſolcher redens-art kuͤnfftig enthalten wolle/ nachdem er ſie ſo vielen
wichtigen bedencken unterworffen ſehe/ und finde daß ſie auch von denen zu-
hoͤrern leicht anders/ als er ſie gemeinet/ weil ohne weitlaͤufftige erklaͤhrung
wol niemand auff ſolchen verſtand kommen wuͤrde/ angenommen werden
koͤnte. 5. Jndeſſen iſts gnung/ daß doch die redens-art nicht in ſich ſelbs und
in allem verſtand irrig ſeye/ und mit einigen faſt gleichlautenden orten und
redens-arten der ſchrifft ſich etwas vergleichen laſſe. Als wann 1. Joh. 4/
17. 18. ſtehet/ daß die liebe die furcht austreibe/ und auch eine freudig-
keit
mache auff den tag des gerichts/ welches dann durch den glauben ge-
ſchehen muß/ daß alſo dieſes ein exempel waͤre/ wo in gewiſſer maaß der liebe
zugeſchrieben wuͤrde/ was doch dem glauben eigentlich zukommet. Zwahr iſt
nicht ohne/ daß unterſchiedliche der vornehmſten Theologen auch dieſes orts
die liebe nicht verſtehen wollen von unſrer liebe/ ſondern von der verſicherung
der goͤttlichen liebe/ oder wie dieſe von dem glauben angenommen wird; in-
deſſen hat gleichwol unſer wolverdiente Theologus Ægid. Hunnius kein be-
dencken/ dieſe liebe von unſerer liebe und alſo den ſpruch auff ſolche meinung
zuverſtehen. Alſo Dan. 4/ 24. lauten die worte Danielis auch hart/ ma-
che dich loß von deinen ſuͤnden durch gerechtigkeit/ und ledig von dei-
ner miſſethat durch wolthat an den armen/ ſo wird er gedult haben
mit deinen ſuͤnden/
wo dann der gerechtigkeit und allmoſen/ ſo zu der liebe
gehoͤren/ dasjenige zugeſchrieben wird/ was der buſſe und dem glauben zu-
koͤmmet. Noch haͤrter lautets Tob. 4/ 11. die allmoſen erloͤſen von al-
len ſuͤnden/ auch vom todt/ und laſſen nicht in der noth.
Ob wir nun
wol das buͤchlein Tobiaͤ nicht unter die vollguͤltige buͤcher der ſchrifft ſetzen/ ſo
trachten gleichwol unſre Theologi auch dieſe wort in einen geſunden ver-
ſtand zu ziehen: daher die Weinmariſche auslegung alſo lautet: diejenige
welche aus wahrem glauben und gehorſam gegen GOTTes gebot
gern allmoſen geben/ werden hinwiederum vor ſuͤnden und einem

boͤſen
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[20/0036] Das erſte Capitel. hand die ſuͤnde decke/ weil in dieſem werck und bedeckung der glaube noch da- zu nicht eigentlich als eine tugend ſondern allein als ein von GOtt geordne- tes mittel an zuſehen iſt/ welches nichts thut/ ſondern allein empfaͤngt: da- hingegen die liebe in ſolchem allgemeinen verſtand auff alle weiſe als eine tu- gend und etwas nicht ſowol empfangendes als wirckendes angeſehen werden muͤſte. 4. Daheꝛ wolte ich bitten/ ſolche gebrauchte redens-art/ wo ferneꝛ davon gehandelt werden ſolte/ nicht ſo wol zu behaupten/ als nur zu entſchuldigen/ und allein zu zeigen/ daß die meinung nichts irriges und wider unſre Evan- geliſche wahrheit ſtreitendes geweſen ſeye/ da gleichwol geliebter bruder ſich gern ſolcher redens-art kuͤnfftig enthalten wolle/ nachdem er ſie ſo vielen wichtigen bedencken unterworffen ſehe/ und finde daß ſie auch von denen zu- hoͤrern leicht anders/ als er ſie gemeinet/ weil ohne weitlaͤufftige erklaͤhrung wol niemand auff ſolchen verſtand kommen wuͤrde/ angenommen werden koͤnte. 5. Jndeſſen iſts gnung/ daß doch die redens-art nicht in ſich ſelbs und in allem verſtand irrig ſeye/ und mit einigen faſt gleichlautenden orten und redens-arten der ſchrifft ſich etwas vergleichen laſſe. Als wann 1. Joh. 4/ 17. 18. ſtehet/ daß die liebe die furcht austreibe/ und auch eine freudig- keit mache auff den tag des gerichts/ welches dann durch den glauben ge- ſchehen muß/ daß alſo dieſes ein exempel waͤre/ wo in gewiſſer maaß der liebe zugeſchrieben wuͤrde/ was doch dem glauben eigentlich zukommet. Zwahr iſt nicht ohne/ daß unterſchiedliche der vornehmſten Theologen auch dieſes orts die liebe nicht verſtehen wollen von unſrer liebe/ ſondern von der verſicherung der goͤttlichen liebe/ oder wie dieſe von dem glauben angenommen wird; in- deſſen hat gleichwol unſer wolverdiente Theologus Ægid. Hunnius kein be- dencken/ dieſe liebe von unſerer liebe und alſo den ſpruch auff ſolche meinung zuverſtehen. Alſo Dan. 4/ 24. lauten die worte Danielis auch hart/ ma- che dich loß von deinen ſuͤnden durch gerechtigkeit/ und ledig von dei- ner miſſethat durch wolthat an den armen/ ſo wird er gedult haben mit deinen ſuͤnden/ wo dann der gerechtigkeit und allmoſen/ ſo zu der liebe gehoͤren/ dasjenige zugeſchrieben wird/ was der buſſe und dem glauben zu- koͤmmet. Noch haͤrter lautets Tob. 4/ 11. die allmoſen erloͤſen von al- len ſuͤnden/ auch vom todt/ und laſſen nicht in der noth. Ob wir nun wol das buͤchlein Tobiaͤ nicht unter die vollguͤltige buͤcher der ſchrifft ſetzen/ ſo trachten gleichwol unſre Theologi auch dieſe wort in einen geſunden ver- ſtand zu ziehen: daher die Weinmariſche auslegung alſo lautet: diejenige welche aus wahrem glauben und gehorſam gegen GOTTes gebot gern allmoſen geben/ werden hinwiederum vor ſuͤnden und einem boͤſen

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 1. Halle (Saale), 1700, S. 20. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken01_1700/36>, abgerufen am 27.11.2024.