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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 1. Halle (Saale), 1700.

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Das erste Capitel.
als vielmehr aus seinen früchten des gehorsams und liebe zu GOtt/ zu erken-
nen seye. Deucht auch eine seele/ sie finde gleichwohl solchen freudigen trieb
zu dem guten nicht wie sie verlange/ mag es wohl seyn/ aber zu dero beruhi-
gung dieses ihr gnügen/ daß gleichwohl die begierde GOtt zu gefallen redlich
seye/ und die hertzliche angst/ welche sie darüber fühlet/ daß sie zu jenem gefühl
nicht nach verlangen kommen kan/ ist ein viel sicheres zeugnüß ihrer auffrich-
tigkeit/ als manches fühlen selbs/ in welchem sich auch betrug/ und etwas
von dem fleisch/ einmischen kan. Daß aus dem anhaltenden gebet/ und vor-
satz sich von demselben durch keinen verzug abwendig machen zu lassen/ ein
trost gefast worden/ ist die rechte art; denn solches gebet/ so nichts anders su-
chet/ als in der gnade seines GOttes zu seyn/ ist ein zeugniß/ daß uns diese am
höchsten angelegen/ und also die liebe GOttes in höherm grad bey uns seye/
als wir gläuben; auch die beständigkeit desselben um die zeit/ da wir wegen
lang ausbleibenden trostes scheinen vergebens zu ruffen/ ist abermahl ein
zeugnüß eines nicht geringen glaubens in dem stand/ da wir in dessen magel zu
stehen gedencken. Der spruch Hebr. X, 26. 27. hat wohl durch die angst
können dem gemüth vorgestellet werden/ aber schicket sich nicht auf denselben/
in dem der Apostel nicht von der menschlichen schwachheit/ ja auch nicht von
allen boßhafftigen sünden/ so nach empfangener erkäntnüß der wahrheit be-
gangen werden/ redet/ sondern wo der text nach allem vor- und nachgehenden
erwogen wird/ allein die meinet/ die von dem Christen- zum Juden- oder Hei-
denthum abfiehlen/ und nunmehr das opffer Christi verworffen und verleug-
neten/ da sie also keine hoffnung weiter haben konten/ weil ausser demselben
kein ander opffer mehr ist. Nun dem HErrn sey danck der auch solchen kampff
hat lassen vorbey gehen/ und ihm/ wie aus dem andern brieff ersehen/ einen
sieg/ der seele aber einige ruhe gegeben hat. Diesen sieg trucke er sich auch
also ein/ daß wo er wiederum an den vorigen kampff beruffen werden solte/
(davor ich daß dergleichen nicht wiederkomme/ ihn nicht versichern kan) des-
sen erinnerung ihn zu demselben desto getroster mache. Der HErr lasse ihn a-
ber immer einen sieg nach dem andern davon tragen. Jch komme aber nunmehr
auff solchen andern brieff. Da ich zum ersten mit demselben die himmlische
güte danckbarlich preise/ welche denselben in der see-gefahr dem tode aus
dem rachen gerissen: der himmlische Vater/ welcher ihm also das leben wieder
auffs neue geschencket/ verleihe auch dazu neue gnade/ dasselbe so vielmehr zu
seinem preiß mit aller treue zu heiligen/ und lasse auch durch dieses exempel
seines mächtigen schutzes seinen glauben in aller gefahr/ wie sie nahmen ha-
ben mag/ kräfftig gestärcket werden. Daß so viele der jenigen/ welche son-
sten eine hertzliche begierde GOTT allein zu dienen/ und ihrer seele wahr zu

neh-

Das erſte Capitel.
als vielmehr aus ſeinen fruͤchten des gehorſams und liebe zu GOtt/ zu erken-
nen ſeye. Deucht auch eine ſeele/ ſie finde gleichwohl ſolchen freudigen trieb
zu dem guten nicht wie ſie verlange/ mag es wohl ſeyn/ aber zu dero beruhi-
gung dieſes ihr gnuͤgen/ daß gleichwohl die begierde GOtt zu gefallen redlich
ſeye/ und die hertzliche angſt/ welche ſie daruͤber fuͤhlet/ daß ſie zu jenem gefuͤhl
nicht nach verlangen kommen kan/ iſt ein viel ſicheres zeugnuͤß ihrer auffrich-
tigkeit/ als manches fuͤhlen ſelbs/ in welchem ſich auch betrug/ und etwas
von dem fleiſch/ einmiſchen kan. Daß aus dem anhaltenden gebet/ und vor-
ſatz ſich von demſelben durch keinen verzug abwendig machen zu laſſen/ ein
troſt gefaſt worden/ iſt die rechte art; denn ſolches gebet/ ſo nichts anders ſu-
chet/ als in der gnade ſeines GOttes zu ſeyn/ iſt ein zeugniß/ daß uns dieſe am
hoͤchſten angelegen/ und alſo die liebe GOttes in hoͤherm grad bey uns ſeye/
als wir glaͤuben; auch die beſtaͤndigkeit deſſelben um die zeit/ da wir wegen
lang ausbleibenden troſtes ſcheinen vergebens zu ruffen/ iſt abermahl ein
zeugnuͤß eines nicht geringen glaubens in dem ſtand/ da wir in deſſen magel zu
ſtehen gedencken. Der ſpruch Hebr. X, 26. 27. hat wohl durch die angſt
koͤnnen dem gemuͤth vorgeſtellet werden/ aber ſchicket ſich nicht auf denſelben/
in dem der Apoſtel nicht von der menſchlichen ſchwachheit/ ja auch nicht von
allen boßhafftigen ſuͤnden/ ſo nach empfangener erkaͤntnuͤß der wahrheit be-
gangen werden/ redet/ ſondern wo der text nach allem vor- und nachgehenden
erwogen wird/ allein die meinet/ die von dem Chriſten- zum Juden- oder Hei-
denthum abfiehlen/ und nunmehr das opffer Chriſti verworffen und verleug-
neten/ da ſie alſo keine hoffnung weiter haben konten/ weil auſſer demſelben
kein ander opffer mehr iſt. Nun dem HErrn ſey danck der auch ſolchen kampff
hat laſſen vorbey gehen/ und ihm/ wie aus dem andern brieff erſehen/ einen
ſieg/ der ſeele aber einige ruhe gegeben hat. Dieſen ſieg trucke er ſich auch
alſo ein/ daß wo er wiederum an den vorigen kampff beruffen werden ſolte/
(davor ich daß dergleichen nicht wiederkomme/ ihn nicht verſichern kan) deſ-
ſen erinnerung ihn zu demſelben deſto getroſter mache. Der HErr laſſe ihn a-
ber immer einen ſieg nach dem andern davon tragen. Jch kom̃e aber nunmehr
auff ſolchen andern brieff. Da ich zum erſten mit demſelben die himmliſche
guͤte danckbarlich preiſe/ welche denſelben in der ſee-gefahr dem tode aus
dem rachen geriſſen: der himmliſche Vater/ welcher ihm alſo das leben wieder
auffs neue geſchencket/ verleihe auch dazu neue gnade/ daſſelbe ſo vielmehr zu
ſeinem preiß mit aller treue zu heiligen/ und laſſe auch durch dieſes exempel
ſeines maͤchtigen ſchutzes ſeinen glauben in aller gefahr/ wie ſie nahmen ha-
ben mag/ kraͤfftig geſtaͤrcket werden. Daß ſo viele der jenigen/ welche ſon-
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[324/0340] Das erſte Capitel. als vielmehr aus ſeinen fruͤchten des gehorſams und liebe zu GOtt/ zu erken- nen ſeye. Deucht auch eine ſeele/ ſie finde gleichwohl ſolchen freudigen trieb zu dem guten nicht wie ſie verlange/ mag es wohl ſeyn/ aber zu dero beruhi- gung dieſes ihr gnuͤgen/ daß gleichwohl die begierde GOtt zu gefallen redlich ſeye/ und die hertzliche angſt/ welche ſie daruͤber fuͤhlet/ daß ſie zu jenem gefuͤhl nicht nach verlangen kommen kan/ iſt ein viel ſicheres zeugnuͤß ihrer auffrich- tigkeit/ als manches fuͤhlen ſelbs/ in welchem ſich auch betrug/ und etwas von dem fleiſch/ einmiſchen kan. Daß aus dem anhaltenden gebet/ und vor- ſatz ſich von demſelben durch keinen verzug abwendig machen zu laſſen/ ein troſt gefaſt worden/ iſt die rechte art; denn ſolches gebet/ ſo nichts anders ſu- chet/ als in der gnade ſeines GOttes zu ſeyn/ iſt ein zeugniß/ daß uns dieſe am hoͤchſten angelegen/ und alſo die liebe GOttes in hoͤherm grad bey uns ſeye/ als wir glaͤuben; auch die beſtaͤndigkeit deſſelben um die zeit/ da wir wegen lang ausbleibenden troſtes ſcheinen vergebens zu ruffen/ iſt abermahl ein zeugnuͤß eines nicht geringen glaubens in dem ſtand/ da wir in deſſen magel zu ſtehen gedencken. Der ſpruch Hebr. X, 26. 27. hat wohl durch die angſt koͤnnen dem gemuͤth vorgeſtellet werden/ aber ſchicket ſich nicht auf denſelben/ in dem der Apoſtel nicht von der menſchlichen ſchwachheit/ ja auch nicht von allen boßhafftigen ſuͤnden/ ſo nach empfangener erkaͤntnuͤß der wahrheit be- gangen werden/ redet/ ſondern wo der text nach allem vor- und nachgehenden erwogen wird/ allein die meinet/ die von dem Chriſten- zum Juden- oder Hei- denthum abfiehlen/ und nunmehr das opffer Chriſti verworffen und verleug- neten/ da ſie alſo keine hoffnung weiter haben konten/ weil auſſer demſelben kein ander opffer mehr iſt. Nun dem HErrn ſey danck der auch ſolchen kampff hat laſſen vorbey gehen/ und ihm/ wie aus dem andern brieff erſehen/ einen ſieg/ der ſeele aber einige ruhe gegeben hat. Dieſen ſieg trucke er ſich auch alſo ein/ daß wo er wiederum an den vorigen kampff beruffen werden ſolte/ (davor ich daß dergleichen nicht wiederkomme/ ihn nicht verſichern kan) deſ- ſen erinnerung ihn zu demſelben deſto getroſter mache. Der HErr laſſe ihn a- ber immer einen ſieg nach dem andern davon tragen. Jch kom̃e aber nunmehr auff ſolchen andern brieff. Da ich zum erſten mit demſelben die himmliſche guͤte danckbarlich preiſe/ welche denſelben in der ſee-gefahr dem tode aus dem rachen geriſſen: der himmliſche Vater/ welcher ihm alſo das leben wieder auffs neue geſchencket/ verleihe auch dazu neue gnade/ daſſelbe ſo vielmehr zu ſeinem preiß mit aller treue zu heiligen/ und laſſe auch durch dieſes exempel ſeines maͤchtigen ſchutzes ſeinen glauben in aller gefahr/ wie ſie nahmen ha- ben mag/ kraͤfftig geſtaͤrcket werden. Daß ſo viele der jenigen/ welche ſon- ſten eine hertzliche begierde GOTT allein zu dienen/ und ihrer ſeele wahr zu neh-

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 1. Halle (Saale), 1700, S. 324. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken01_1700/340>, abgerufen am 23.11.2024.