Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 1. Halle (Saale), 1700.Das erste Capitel. tet hat. So vielmehr weil ohne wiederspruch Sprüchw. 10/ 12. von sol-cher liebe allein geredet/ und solches zur gnüge durch den gegensatz bezeuget wird: Haß erreget hader/ aber liebe decket zu alle übertretung/ daß man nemlich um derselben willen mit dem nechsten nicht hadert oder zancket/ sondern ihm alles zuvergeben gantz willig ist. Jn welcher absicht man sagen könte/ daß diese wort noch eine absicht auch auff die erste erinnerung des ver- ses haben/ wo es geheissen: so seyd nun mäßig und nüchtern zum gebet. Weil denn dem gebet auch sonderlich haß und zorn zuwider ist/ indem der A- postel 1. Tim. 2/ 8. befiehlet auffzuheben heilige hände ohne zorn und zweifel/ so fordert hingegen unser Petrus/ daß sie/ wie auch sonsten aus ge- meiner schuldigkeit/ also auch um des gebets willen (damit auch die wort 1. Petr. 3/ 7. zuvergleichen wären) solten brünstige liebe untereinander haben/ denn solche liebe decket auch der sünden menge/ und also reinige sie das gemüth dessen der beleidiget worden ist/ aber aus liebe dem bruder ver- geben hat/ von der unruhe und zorn/ welche sonsten/ wo die liebe nicht meister ist/ aus der beleidigung entstehet/ und den menschen zum gebet untüchtig ma- chet. Dieser satz/ daß hier geredet werde von der liebe des nechsten/ und daß das decken seye die vergebung der beleidigung und der sünden des nechsten/ ist so offenbahr/ daß ob wol der andere verstand/ daß die liebe auch unsere sün- den vor GOtt decke/ und also mit in die rechtfertigung einfliesse/ denen Pa- pisten zu ihrer hypothesi treflich dienete/ und daher auch solcher spruch von etlichen derselben gegen uns gebraucht zu werden pfleget/ dennoch fast die ge- lahrteste und redlichste unter ihnen den andern verstand behalten/ daß die lie- be des nechsten gebrechen decke. Wobey in acht zunehmen ist/ auch von mir allezeit als eine haupt-regel angesehen wird/ daß zwahr eines jeden orts ver- stand so weit zu nehmen und auszudähnen seye/ als so wol die glaubens-re- gel oder analogie als auch der ort selbs zugiebet/ aber dennoch daß sich sol- ches nicht so weit extendiren lasse/ wo die zusammenfügung eines texts und andere dessen umstände dessen verstand selbs einiger massen restringiren. 2. Bekenne ich/ daß mir auch die redens-art/ daß die liebe vor Gott die sünde/ ob zwahr durch die glaubens-hand/ decke/ oder dero vergebung erlange/ sehr hart vorkomme/ und ich sorge/ daß sie sich gegen einen/ so die wort nach ihrer schärffe examiniren wolte/ sonderlich der gern gelegenheit an den andern such- te/ nicht gnung behaupten lasse. Dann die schrifft sagt wol/ daß der glau- be durch die liebe thätig seye/ Gal. 5/ 6. nicht aber daß die liebe durch den glauben wircke. So ist/ wo wir die rechte ordnung der natur in der bekeh- rung ansehen/ nicht die liebe sondern der glaube das erste/ welches in dem men-
Das erſte Capitel. tet hat. So vielmehr weil ohne wiederſpruch Spruͤchw. 10/ 12. von ſol-cher liebe allein geredet/ und ſolches zur gnuͤge durch den gegenſatz bezeuget wird: Haß erreget hader/ aber liebe decket zu alle uͤbertretung/ daß man nemlich um derſelben willen mit dem nechſten nicht hadert oder zancket/ ſondern ihm alles zuvergeben gantz willig iſt. Jn welcher abſicht man ſagen koͤnte/ daß dieſe wort noch eine abſicht auch auff die erſte erinnerung des ver- ſes haben/ wo es geheiſſen: ſo ſeyd nun maͤßig und nuͤchtern zum gebet. Weil denn dem gebet auch ſonderlich haß und zorn zuwider iſt/ indem der A- poſtel 1. Tim. 2/ 8. befiehlet auffzuheben heilige haͤnde ohne zorn und zweifel/ ſo fordert hingegen unſer Petrus/ daß ſie/ wie auch ſonſten aus ge- meiner ſchuldigkeit/ alſo auch um des gebets willen (damit auch die wort 1. Petr. 3/ 7. zuvergleichen waͤren) ſolten bruͤnſtige liebe untereinander haben/ denn ſolche liebe decket auch der ſuͤnden menge/ und alſo reinige ſie das gemuͤth deſſen der beleidiget worden iſt/ aber aus liebe dem bruder ver- geben hat/ von der unruhe und zorn/ welche ſonſten/ wo die liebe nicht meiſter iſt/ aus der beleidigung entſtehet/ und den menſchen zum gebet untuͤchtig ma- chet. Dieſer ſatz/ daß hier geredet werde von der liebe des nechſten/ und daß das decken ſeye die vergebung der beleidigung und der ſuͤnden des nechſten/ iſt ſo offenbahr/ daß ob wol der andere verſtand/ daß die liebe auch unſere ſuͤn- den vor GOtt decke/ und alſo mit in die rechtfertigung einflieſſe/ denen Pa- piſten zu ihrer hypotheſi treflich dienete/ und daher auch ſolcher ſpruch von etlichen derſelben gegen uns gebraucht zu werden pfleget/ dennoch faſt die ge- lahrteſte und redlichſte unter ihnen den andern verſtand behalten/ daß die lie- be des nechſten gebrechen decke. Wobey in acht zunehmen iſt/ auch von mir allezeit als eine haupt-regel angeſehen wird/ daß zwahr eines jeden orts ver- ſtand ſo weit zu nehmen und auszudaͤhnen ſeye/ als ſo wol die glaubens-re- gel oder analogie als auch der ort ſelbs zugiebet/ aber dennoch daß ſich ſol- ches nicht ſo weit extendiren laſſe/ wo die zuſammenfuͤgung eines texts und andere deſſen umſtaͤnde deſſen verſtand ſelbs einiger maſſen reſtringiren. 2. Bekenne ich/ daß miꝛ auch die redens-art/ daß die liebe vor Gott die ſuͤnde/ ob zwahr durch die glaubens-hand/ decke/ oder dero vergebung erlange/ ſehr hart vorkomme/ und ich ſorge/ daß ſie ſich gegen einen/ ſo die wort nach ihrer ſchaͤrffe examiniren wolte/ ſonderlich der gern gelegenheit an den andern ſuch- te/ nicht gnung behaupten laſſe. Dann die ſchrifft ſagt wol/ daß der glau- be durch die liebe thaͤtig ſeye/ Gal. 5/ 6. nicht aber daß die liebe durch den glauben wircke. So iſt/ wo wir die rechte ordnung der natur in der bekeh- rung anſehen/ nicht die liebe ſondern der glaube das erſte/ welches in dem men-
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Das erſte Capitel.
tet hat. So vielmehr weil ohne wiederſpruch Spruͤchw. 10/ 12. von ſol-
cher liebe allein geredet/ und ſolches zur gnuͤge durch den gegenſatz bezeuget
wird: Haß erreget hader/ aber liebe decket zu alle uͤbertretung/ daß
man nemlich um derſelben willen mit dem nechſten nicht hadert oder zancket/
ſondern ihm alles zuvergeben gantz willig iſt. Jn welcher abſicht man ſagen
koͤnte/ daß dieſe wort noch eine abſicht auch auff die erſte erinnerung des ver-
ſes haben/ wo es geheiſſen: ſo ſeyd nun maͤßig und nuͤchtern zum gebet.
Weil denn dem gebet auch ſonderlich haß und zorn zuwider iſt/ indem der A-
poſtel 1. Tim. 2/ 8. befiehlet auffzuheben heilige haͤnde ohne zorn und
zweifel/ ſo fordert hingegen unſer Petrus/ daß ſie/ wie auch ſonſten aus ge-
meiner ſchuldigkeit/ alſo auch um des gebets willen (damit auch die wort 1.
Petr. 3/ 7. zuvergleichen waͤren) ſolten bruͤnſtige liebe untereinander
haben/ denn ſolche liebe decket auch der ſuͤnden menge/ und alſo reinige ſie
das gemuͤth deſſen der beleidiget worden iſt/ aber aus liebe dem bruder ver-
geben hat/ von der unruhe und zorn/ welche ſonſten/ wo die liebe nicht meiſter
iſt/ aus der beleidigung entſtehet/ und den menſchen zum gebet untuͤchtig ma-
chet. Dieſer ſatz/ daß hier geredet werde von der liebe des nechſten/ und daß
das decken ſeye die vergebung der beleidigung und der ſuͤnden des nechſten/ iſt
ſo offenbahr/ daß ob wol der andere verſtand/ daß die liebe auch unſere ſuͤn-
den vor GOtt decke/ und alſo mit in die rechtfertigung einflieſſe/ denen Pa-
piſten zu ihrer hypotheſi treflich dienete/ und daher auch ſolcher ſpruch von
etlichen derſelben gegen uns gebraucht zu werden pfleget/ dennoch faſt die ge-
lahrteſte und redlichſte unter ihnen den andern verſtand behalten/ daß die lie-
be des nechſten gebrechen decke. Wobey in acht zunehmen iſt/ auch von mir
allezeit als eine haupt-regel angeſehen wird/ daß zwahr eines jeden orts ver-
ſtand ſo weit zu nehmen und auszudaͤhnen ſeye/ als ſo wol die glaubens-re-
gel oder analogie als auch der ort ſelbs zugiebet/ aber dennoch daß ſich ſol-
ches nicht ſo weit extendiren laſſe/ wo die zuſammenfuͤgung eines texts und
andere deſſen umſtaͤnde deſſen verſtand ſelbs einiger maſſen reſtringiren. 2.
Bekenne ich/ daß miꝛ auch die redens-art/ daß die liebe vor Gott die ſuͤnde/
ob zwahr durch die glaubens-hand/ decke/ oder dero vergebung erlange/ ſehr
hart vorkomme/ und ich ſorge/ daß ſie ſich gegen einen/ ſo die wort nach ihrer
ſchaͤrffe examiniren wolte/ ſonderlich der gern gelegenheit an den andern ſuch-
te/ nicht gnung behaupten laſſe. Dann die ſchrifft ſagt wol/ daß der glau-
be durch die liebe thaͤtig ſeye/ Gal. 5/ 6. nicht aber daß die liebe durch den
glauben wircke. So iſt/ wo wir die rechte ordnung der natur in der bekeh-
rung anſehen/ nicht die liebe ſondern der glaube das erſte/ welches in dem
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Zitationshilfe: | Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 1. Halle (Saale), 1700, S. 18. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken01_1700/34>, abgerufen am 17.02.2025. |