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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 1. Halle (Saale), 1700.

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SECTIO LXVI.
se/ nicht aus der etymologie allein sondern aus dem jenigen hernehmen müs-
sen/ wie der heilige Geist selbs/ sonderlich in der offenbahrung und den Pro-
pheten/ auff welche jene zielet/ das Babel beschreibet. Wo sichs aber erge-
ben wird/ daß Babel ein einiges geistliches reich und besonderer/ auch sol-
cher/ feind der rechtschaffenen kirchen seye/ der offentlich wider dieselbe strei-
tet/ und in dessen hände sie eigenlich lange gegeben wird: neben solchem Ba-
bel aber hat die kirche auch noch viel andere widersacher/ da einer auf diese
der andere auf eine andere art die kirche plaget/ ja sie kan in sich selbs/ was de-
ro eusserliche gemeinschafft anlangt feinde haben/ die deswegen nicht Babel
werden. Daher/ ich betrachte die sach nach dem grund der schrifft wie ich will/
das rechte Babel nichts anders seyn kan/ als das geistliche Römische oder
Päpstische reich/ ob wohl die wahre kirche von noch mehr andern einheimi-
schen und auswertigen feinden einiges leiden ausstehen muß. Doch ist dieses
wol wahr/ daß die jenige/ so in unserer eusserlichen gemeinde nicht rechtschaf-
fen sind/ vieles so nach Babel schmecket/ und aus desselben bösen exempel
herkommet/ an sich haben/ die deswegen das corpus nicht zu Babel ma-
chen/ so wenig alles jetzt zum Französischen reich wird/ was auch unter
dessen seinen feinden Französische maximen und laster an sich genommen hat.
Also bleibt bey mir dieses unwidersprechlich/ daß nichts zu dem eigenlichen
von dem heiligen Geist intendirten Babel gehören kan/ was offentliche feind-
schafft mit demselben heget. Man möchte aber sagen/ was dran lige/ wo
man einige verderbnüß unsrer kirchen erkennen müsste/ ob man sie dann
auch Babel nennte: Hingegen meine ich/ daß freylich viel dran lige/ und
uns die redens-art des heiligen Geistes weiter auszudchnen nicht frey ste-
he: denn was von dem auch eusserlichen ausgang aus dem gantzen Babel
den gläubigen befohlen wird/ können wir nicht ziehen auff unsere kirche/ ob
sie wohl verderben an sich hat/ so aber seyn müßte/ wo dieselbe so wohl
als das Papistische reich das eigentliche Babel wäre. Welches ich fleißig
zu beobachten bitte. Unsere heutige Wiedertäuffer anlangende/ ist so
viel schwehrer von ihnen zu urtheilen/ nach dem ihre lehr von allen glaubens-
puncten nicht so genau bekannt/ als etwa zu einem gründlichen urtheil
nöthig/ und sie hingegen die vor 150 und mehr jahren in Teutschland durch
allerley ungereimte dinge und auch auffruhr bekannt gewordene wieder-
täuffer vor die ihrige nicht erkennen wollen. So viel ich von ihrer con-
fession
gesehen/ so wird ihre lehr von den Sacramenten (außgesetzt der
punct von der kinder-tauff) von der Reformirten wenig unterscheids ha-
ben: von der rechtfertigung begreiffe ich ihren sinn nicht recht. Jch ha-
be gehöret/ als wann in Holland ihre gemeinden mehr und mehr mit
dem Socinismo eingenommen würden/ welches hertzlich zu bedauren wä-

re.
Q q 3

SECTIO LXVI.
ſe/ nicht aus der etymologie allein ſondern aus dem jenigen hernehmen muͤſ-
ſen/ wie der heilige Geiſt ſelbs/ ſonderlich in der offenbahrung und den Pro-
pheten/ auff welche jene zielet/ das Babel beſchreibet. Wo ſichs aber erge-
ben wird/ daß Babel ein einiges geiſtliches reich und beſonderer/ auch ſol-
cher/ feind der rechtſchaffenen kirchen ſeye/ der offentlich wider dieſelbe ſtrei-
tet/ und in deſſen haͤnde ſie eigenlich lange gegeben wird: neben ſolchem Ba-
bel aber hat die kirche auch noch viel andere widerſacher/ da einer auf dieſe
der andere auf eine andere art die kirche plaget/ ja ſie kan in ſich ſelbs/ was de-
ro euſſerliche gemeinſchafft anlangt feinde haben/ die deswegen nicht Babel
werden. Daher/ ich betrachte die ſach nach dem grund der ſchrifft wie ich will/
das rechte Babel nichts anders ſeyn kan/ als das geiſtliche Roͤmiſche oder
Paͤpſtiſche reich/ ob wohl die wahre kirche von noch mehr andern einheimi-
ſchen und auswertigen feinden einiges leiden ausſtehen muß. Doch iſt dieſes
wol wahr/ daß die jenige/ ſo in unſerer euſſerlichen gemeinde nicht rechtſchaf-
fen ſind/ vieles ſo nach Babel ſchmecket/ und aus deſſelben boͤſen exempel
herkommet/ an ſich haben/ die deswegen das corpus nicht zu Babel ma-
chen/ ſo wenig alles jetzt zum Franzoͤſiſchen reich wird/ was auch unter
deſſen ſeinen feinden Franzoͤſiſche maximen und laſter an ſich genommen hat.
Alſo bleibt bey mir dieſes unwiderſprechlich/ daß nichts zu dem eigenlichen
von dem heiligen Geiſt intendirten Babel gehoͤren kan/ was offentliche feind-
ſchafft mit demſelben heget. Man moͤchte aber ſagen/ was dran lige/ wo
man einige verderbnuͤß unſrer kirchen erkennen muͤſſte/ ob man ſie dann
auch Babel nennte: Hingegen meine ich/ daß freylich viel dran lige/ und
uns die redens-art des heiligen Geiſtes weiter auszudchnen nicht frey ſte-
he: denn was von dem auch euſſerlichen ausgang aus dem gantzen Babel
den glaͤubigen befohlen wird/ koͤnnen wir nicht ziehen auff unſere kirche/ ob
ſie wohl verderben an ſich hat/ ſo aber ſeyn muͤßte/ wo dieſelbe ſo wohl
als das Papiſtiſche reich das eigentliche Babel waͤre. Welches ich fleißig
zu beobachten bitte. Unſere heutige Wiedertaͤuffer anlangende/ iſt ſo
viel ſchwehrer von ihnen zu urtheilen/ nach dem ihre lehr von allen glaubens-
puncten nicht ſo genau bekannt/ als etwa zu einem gruͤndlichen urtheil
noͤthig/ und ſie hingegen die vor 150 und mehr jahren in Teutſchland durch
allerley ungereimte dinge und auch auffruhr bekannt gewordene wieder-
taͤuffer vor die ihrige nicht erkennen wollen. So viel ich von ihrer con-
feſſion
geſehen/ ſo wird ihre lehr von den Sacramenten (außgeſetzt der
punct von der kinder-tauff) von der Reformirten wenig unterſcheids ha-
ben: von der rechtfertigung begreiffe ich ihren ſinn nicht recht. Jch ha-
be gehoͤret/ als wann in Holland ihre gemeinden mehr und mehr mit
dem Socinismo eingenommen wuͤrden/ welches hertzlich zu bedauren waͤ-

re.
Q q 3
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[309/0325] SECTIO LXVI. ſe/ nicht aus der etymologie allein ſondern aus dem jenigen hernehmen muͤſ- ſen/ wie der heilige Geiſt ſelbs/ ſonderlich in der offenbahrung und den Pro- pheten/ auff welche jene zielet/ das Babel beſchreibet. Wo ſichs aber erge- ben wird/ daß Babel ein einiges geiſtliches reich und beſonderer/ auch ſol- cher/ feind der rechtſchaffenen kirchen ſeye/ der offentlich wider dieſelbe ſtrei- tet/ und in deſſen haͤnde ſie eigenlich lange gegeben wird: neben ſolchem Ba- bel aber hat die kirche auch noch viel andere widerſacher/ da einer auf dieſe der andere auf eine andere art die kirche plaget/ ja ſie kan in ſich ſelbs/ was de- ro euſſerliche gemeinſchafft anlangt feinde haben/ die deswegen nicht Babel werden. Daher/ ich betrachte die ſach nach dem grund der ſchrifft wie ich will/ das rechte Babel nichts anders ſeyn kan/ als das geiſtliche Roͤmiſche oder Paͤpſtiſche reich/ ob wohl die wahre kirche von noch mehr andern einheimi- ſchen und auswertigen feinden einiges leiden ausſtehen muß. Doch iſt dieſes wol wahr/ daß die jenige/ ſo in unſerer euſſerlichen gemeinde nicht rechtſchaf- fen ſind/ vieles ſo nach Babel ſchmecket/ und aus deſſelben boͤſen exempel herkommet/ an ſich haben/ die deswegen das corpus nicht zu Babel ma- chen/ ſo wenig alles jetzt zum Franzoͤſiſchen reich wird/ was auch unter deſſen ſeinen feinden Franzoͤſiſche maximen und laſter an ſich genommen hat. Alſo bleibt bey mir dieſes unwiderſprechlich/ daß nichts zu dem eigenlichen von dem heiligen Geiſt intendirten Babel gehoͤren kan/ was offentliche feind- ſchafft mit demſelben heget. Man moͤchte aber ſagen/ was dran lige/ wo man einige verderbnuͤß unſrer kirchen erkennen muͤſſte/ ob man ſie dann auch Babel nennte: Hingegen meine ich/ daß freylich viel dran lige/ und uns die redens-art des heiligen Geiſtes weiter auszudchnen nicht frey ſte- he: denn was von dem auch euſſerlichen ausgang aus dem gantzen Babel den glaͤubigen befohlen wird/ koͤnnen wir nicht ziehen auff unſere kirche/ ob ſie wohl verderben an ſich hat/ ſo aber ſeyn muͤßte/ wo dieſelbe ſo wohl als das Papiſtiſche reich das eigentliche Babel waͤre. Welches ich fleißig zu beobachten bitte. Unſere heutige Wiedertaͤuffer anlangende/ iſt ſo viel ſchwehrer von ihnen zu urtheilen/ nach dem ihre lehr von allen glaubens- puncten nicht ſo genau bekannt/ als etwa zu einem gruͤndlichen urtheil noͤthig/ und ſie hingegen die vor 150 und mehr jahren in Teutſchland durch allerley ungereimte dinge und auch auffruhr bekannt gewordene wieder- taͤuffer vor die ihrige nicht erkennen wollen. So viel ich von ihrer con- feſſion geſehen/ ſo wird ihre lehr von den Sacramenten (außgeſetzt der punct von der kinder-tauff) von der Reformirten wenig unterſcheids ha- ben: von der rechtfertigung begreiffe ich ihren ſinn nicht recht. Jch ha- be gehoͤret/ als wann in Holland ihre gemeinden mehr und mehr mit dem Socinismo eingenommen wuͤrden/ welches hertzlich zu bedauren waͤ- re. Q q 3

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 1. Halle (Saale), 1700, S. 309. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken01_1700/325>, abgerufen am 25.11.2024.