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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 1. Halle (Saale), 1700.

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Das erste Capitel.
hand lasse/ wie er mit andern umgehen wolle. Jch habe auch kürtzlich mit
einem sehr Christlichen und gottseligen/ auch sonsten hauptverständigem/
mann geredet/ der mich auch in solcher meinung bekräfftigte/ mit anzeige/
wie so leicht/ wo man dergleichen wege/ die hie gewiesen werden/ eingehe/ al-
lerley illusiones erfolgen können. Wie er dann sagt/ auch sich auff seine eig-
ne erfahrung berufft/ daß nach langer angst und versuchung der seelen/ und
wo sie auch starck mit meditiren angegriffen/ so dann dem leib mit fasten zu-
gesetzet worden/ natürlicher weise geschehen könne/ daß der mensch nicht an-
ders meine/ als in lauter liecht und feuer zu seyn/ mit gröster freude/ so auch
eine weil währe: wo dann ein mensch solches vor ein göttliches übernatürli-
ches liecht annehme/ und wolle immer weiter forttringen/ seye er aufdem we-
ge/ darauff er unwissend sich und andere betriegen könne/ alles vor göttliche
würckungen und offenbahrungen zu halten/ was doch in der that natürlich ist:
wie er auch in den gedancken ist/ daß Jacob Böhmen und andern diese
sach zum anstoß gediehen/ daß sie was sie in solchem stande erkant/ vor lau-
ter göttliche offenbahrungen gehalten. Nach dem er aber an sich selbs diese
würckung der natur recht eingesehen/ so ihm auch seither mehrmahl begegnet/
habe er weiter fort zu setzen nicht getrauet/ um sich nicht selbs in gefahr der-
gleichen selbs betrugs zu geben. Also zeigte er/ wie weit ihm alles in dem au-
tore
leicht seye/ biß es zu dieser offenbahrung oder öffnung des liechts kom-
me: nach demselben aber/ weil er nicht fortgehen wollen/ seye ihm das übri-
ge nicht bekant/ ohne daß er leicht sehe/ wie nothwendig eines aus dem an-
dern folgen müsse/ und zwahr durch eine natürliche nothwendigkeit. Habe
solches freundlich auch communiciren wollen/ so vielleicht zu einiger nach-
richt dienen mag. Der HErr aber zeige uns selbs in allen stücken mit einer
versicherung seinen willen an uns/ weder seinem zug in einigem zu widerste-
hen/ noch hingegen uns selbs in gefahr des irrens zu begeben. Das büchlein
aber will ich gern mit gelegenheit wieder zurücke senden. Die klagen über
die verderbnüß auch in unserer kirchen erkenne ich leider nur allzu wahr zu
seyn/ in dessen ist sie deß wegen nicht das Babel. Wie ich meine/ solche ma-
terie in dem tractätlein von der klagen über das verdorbne Christen-
thum mißbrauch und rechtem gebrauch
dermassen einfältig aber gründ-
lich ausgeführet zu haben/ daß Christliche hertzen damit zu frieden seyn kön-
nen. Zwahr wo man Babel nach der deutung des blossen worts vor alles
das jenige nehmen will/ was eine verwirrung in sich hat/ so ist nicht zu leug-
nen/ daß wir auch so fern Babel heissen müssten/ und hierauff mögen einige
Christliche leute gesehen haben/ wo sie solchen nahmen auch unser verderb-
nüß zu weilen geben: aber ich halte davor/ daß wir was Babel eigenlich heis-

se/

Das erſte Capitel.
hand laſſe/ wie er mit andern umgehen wolle. Jch habe auch kuͤrtzlich mit
einem ſehr Chriſtlichen und gottſeligen/ auch ſonſten hauptverſtaͤndigem/
mann geredet/ der mich auch in ſolcher meinung bekraͤfftigte/ mit anzeige/
wie ſo leicht/ wo man dergleichen wege/ die hie gewieſen werden/ eingehe/ al-
lerley illuſiones erfolgen koͤnnen. Wie er dann ſagt/ auch ſich auff ſeine eig-
ne erfahrung berufft/ daß nach langer angſt und verſuchung der ſeelen/ und
wo ſie auch ſtarck mit meditiren angegriffen/ ſo dann dem leib mit faſten zu-
geſetzet worden/ natuͤrlicher weiſe geſchehen koͤnne/ daß der menſch nicht an-
ders meine/ als in lauter liecht und feuer zu ſeyn/ mit groͤſter freude/ ſo auch
eine weil waͤhre: wo dann ein menſch ſolches vor ein goͤttliches uͤbernatuͤrli-
ches liecht annehme/ und wolle immer weiter forttringen/ ſeye er aufdem we-
ge/ darauff er unwiſſend ſich und andere betriegen koͤnne/ alles vor goͤttliche
wuͤrckungen und offenbahrungen zu halten/ was doch in der that natuͤrlich iſt:
wie er auch in den gedancken iſt/ daß Jacob Boͤhmen und andern dieſe
ſach zum anſtoß gediehen/ daß ſie was ſie in ſolchem ſtande erkant/ vor lau-
ter goͤttliche offenbahrungen gehalten. Nach dem er aber an ſich ſelbs dieſe
wuͤrckung der natur recht eingeſehen/ ſo ihm auch ſeither mehrmahl begegnet/
habe er weiter fort zu ſetzen nicht getrauet/ um ſich nicht ſelbs in gefahr der-
gleichen ſelbs betrugs zu geben. Alſo zeigte er/ wie weit ihm alles in dem au-
tore
leicht ſeye/ biß es zu dieſer offenbahrung oder oͤffnung des liechts kom-
me: nach demſelben aber/ weil er nicht fortgehen wollen/ ſeye ihm das uͤbri-
ge nicht bekant/ ohne daß er leicht ſehe/ wie nothwendig eines aus dem an-
dern folgen muͤſſe/ und zwahr durch eine natuͤrliche nothwendigkeit. Habe
ſolches freundlich auch communiciren wollen/ ſo vielleicht zu einiger nach-
richt dienen mag. Der HErr aber zeige uns ſelbs in allen ſtuͤcken mit einer
verſicherung ſeinen willen an uns/ weder ſeinem zug in einigem zu widerſte-
hen/ noch hingegen uns ſelbs in gefahr des irrens zu begeben. Das buͤchlein
aber will ich gern mit gelegenheit wieder zuruͤcke ſenden. Die klagen uͤber
die verderbnuͤß auch in unſerer kirchen erkenne ich leider nur allzu wahr zu
ſeyn/ in deſſen iſt ſie deß wegen nicht das Babel. Wie ich meine/ ſolche ma-
terie in dem tractaͤtlein von der klagen uͤber das verdorbne Chriſten-
thum mißbrauch und rechtem gebrauch
dermaſſen einfaͤltig aber gruͤnd-
lich ausgefuͤhret zu haben/ daß Chriſtliche hertzen damit zu frieden ſeyn koͤn-
nen. Zwahr wo man Babel nach der deutung des bloſſen worts vor alles
das jenige nehmen will/ was eine verwirrung in ſich hat/ ſo iſt nicht zu leug-
nen/ daß wir auch ſo fern Babel heiſſen muͤſſten/ und hierauff moͤgen einige
Chriſtliche leute geſehen haben/ wo ſie ſolchen nahmen auch unſer verderb-
nuͤß zu weilen geben: aber ich halte davor/ daß wir was Babel eigenlich heiſ-

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[308/0324] Das erſte Capitel. hand laſſe/ wie er mit andern umgehen wolle. Jch habe auch kuͤrtzlich mit einem ſehr Chriſtlichen und gottſeligen/ auch ſonſten hauptverſtaͤndigem/ mann geredet/ der mich auch in ſolcher meinung bekraͤfftigte/ mit anzeige/ wie ſo leicht/ wo man dergleichen wege/ die hie gewieſen werden/ eingehe/ al- lerley illuſiones erfolgen koͤnnen. Wie er dann ſagt/ auch ſich auff ſeine eig- ne erfahrung berufft/ daß nach langer angſt und verſuchung der ſeelen/ und wo ſie auch ſtarck mit meditiren angegriffen/ ſo dann dem leib mit faſten zu- geſetzet worden/ natuͤrlicher weiſe geſchehen koͤnne/ daß der menſch nicht an- ders meine/ als in lauter liecht und feuer zu ſeyn/ mit groͤſter freude/ ſo auch eine weil waͤhre: wo dann ein menſch ſolches vor ein goͤttliches uͤbernatuͤrli- ches liecht annehme/ und wolle immer weiter forttringen/ ſeye er aufdem we- ge/ darauff er unwiſſend ſich und andere betriegen koͤnne/ alles vor goͤttliche wuͤrckungen und offenbahrungen zu halten/ was doch in der that natuͤrlich iſt: wie er auch in den gedancken iſt/ daß Jacob Boͤhmen und andern dieſe ſach zum anſtoß gediehen/ daß ſie was ſie in ſolchem ſtande erkant/ vor lau- ter goͤttliche offenbahrungen gehalten. Nach dem er aber an ſich ſelbs dieſe wuͤrckung der natur recht eingeſehen/ ſo ihm auch ſeither mehrmahl begegnet/ habe er weiter fort zu ſetzen nicht getrauet/ um ſich nicht ſelbs in gefahr der- gleichen ſelbs betrugs zu geben. Alſo zeigte er/ wie weit ihm alles in dem au- tore leicht ſeye/ biß es zu dieſer offenbahrung oder oͤffnung des liechts kom- me: nach demſelben aber/ weil er nicht fortgehen wollen/ ſeye ihm das uͤbri- ge nicht bekant/ ohne daß er leicht ſehe/ wie nothwendig eines aus dem an- dern folgen muͤſſe/ und zwahr durch eine natuͤrliche nothwendigkeit. Habe ſolches freundlich auch communiciren wollen/ ſo vielleicht zu einiger nach- richt dienen mag. Der HErr aber zeige uns ſelbs in allen ſtuͤcken mit einer verſicherung ſeinen willen an uns/ weder ſeinem zug in einigem zu widerſte- hen/ noch hingegen uns ſelbs in gefahr des irrens zu begeben. Das buͤchlein aber will ich gern mit gelegenheit wieder zuruͤcke ſenden. Die klagen uͤber die verderbnuͤß auch in unſerer kirchen erkenne ich leider nur allzu wahr zu ſeyn/ in deſſen iſt ſie deß wegen nicht das Babel. Wie ich meine/ ſolche ma- terie in dem tractaͤtlein von der klagen uͤber das verdorbne Chriſten- thum mißbrauch und rechtem gebrauch dermaſſen einfaͤltig aber gruͤnd- lich ausgefuͤhret zu haben/ daß Chriſtliche hertzen damit zu frieden ſeyn koͤn- nen. Zwahr wo man Babel nach der deutung des bloſſen worts vor alles das jenige nehmen will/ was eine verwirrung in ſich hat/ ſo iſt nicht zu leug- nen/ daß wir auch ſo fern Babel heiſſen muͤſſten/ und hierauff moͤgen einige Chriſtliche leute geſehen haben/ wo ſie ſolchen nahmen auch unſer verderb- nuͤß zu weilen geben: aber ich halte davor/ daß wir was Babel eigenlich heiſ- ſe/

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 1. Halle (Saale), 1700, S. 308. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken01_1700/324>, abgerufen am 25.11.2024.