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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 1. Halle (Saale), 1700.

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SECTIO LV.
thum hauptsächlich zu bestreiten war. Also redet Lutherus unterschiedliche
mal von dem glauben und wercken also/ daß er scheinet jenen allein zu erheben/
und diese gar zuverwerffen/ so gleichwol/ wo allemal alles zusammen genommen
wird/ seine meinung niemals/ sondern was er gegen die wercke schreibet/ der
einbildung von dero mitwirckung zur seligkeit entgegen gesetzt gewesen ist. Jn
welcher absicht alle seine wort zu nehmen/ und ein ort aus dem andern zu er-
klähren sind/ da sich alles fein geben wird. Sonderlich weil der liebe mann
gleichwol auch an so vielen orten (auch in der Kirchen-Postill/ wie etwa nur
zur probe die predigt auff den mittwoch nach Ostern auffzuschlagen wäre)
das gottselige leben so ernstlich treibet/ als einer thun kan: Aber nicht so wol
aus dem gesetz/ und nur wie eine pflicht/ dazu wir getrieben werden müsten/
als vielmehr auff diese art/ daß es eine unausbleibliche frucht des wahren
glaubens seye/ und also/ daß der göttliche glaube/ wie er die gnade GOttes
ergreifft/ also auch in derselben den menschen also wiedergebähre/ und zu ei-
nem gantz andern menschen mache/ daß derselbe alsdenn nicht anders könne/
als aus solcher neuen art des geistes und nicht nur aus zwang des gesetzes/
gutes zu thun/ welche auch allein/ nicht aber jene erzwungene vor recht Gott
gefällige wercke zu achten seyen. Wo aber solche wercke nicht folgen/ da seye
der wahre glaube nicht/ sondern nur ein menschlich gedicht und gedancken im
hertzen/ den aber des hertzens-grund nimmer erfahre/ wie er in der göldnen
vorrede der Epistel an die Römer redet. Also hat der gottselige Martinus Sta-
tius
in einem tractat von dem Christenthum Lutheri stattlich aus lauter sei-
nen worten ausgeführet/ wie heilig der theure mann von der glaubens-krafft
auch in dem leben gelehret habe. Redet er dann gedachter massen zuweilen
hart von den wercken/ ist solches alles von dem mißbrauch und der einschie-
bung derselben in die rechtfertigung zuverstehen/ und müssen wir gedencken/
wie hart der liebe Paulus selbs von dem göttlichen gesetz etliche mal rede/
nicht in absicht auff solches an sich selbs/ als auff den mißbrauch/ den die fal-
sche Apostel damit trieben. Also wird wol Lutherus von solchen absonder-
lichen prüfungen bey jeglicher tugend in uns meines entsinnens nicht eben so
vieles haben/ wo wir aber dasjenige wol behertzigen/ was er insgemein von
der art der wahren wercke/ und wie sie aus dem innern/ nemlich dem glau-
ben/ der wiedergebuhrt und krafft des Heil. Geistes/ herkommen müssen/ so
wird sich der grund alles dessen zeigen/ was mein büchlein von Natur und
Gnade in sich fasset. Daß aber nunmehr von der gottseligkeit des lebens
mehr gehandelt werden muß/ ist die ursach/ weil wir es nun meistens mit ei-
ner solchen zeit und personen zu thun haben/ welche sich des Evangelii und
lehr des glaubens unrecht und mit unrechtem verstand mißbrauchen/ da-
her wir so viel wider die wercke nicht reden dörffen/ denen die gerechtigkeit

bey-
K k 2

SECTIO LV.
thum hauptſaͤchlich zu beſtreiten war. Alſo redet Lutherus unterſchiedliche
mal von dem glauben und weꝛcken alſo/ daß eꝛ ſcheinet jenen allein zu erheben/
und dieſe gaꝛ zuveꝛwerffen/ ſo gleichwol/ wo allemal alles zuſammen genom̃en
wird/ ſeine meinung niemals/ ſondern was er gegen die wercke ſchreibet/ der
einbildung von dero mitwirckung zur ſeligkeit entgegen geſetzt geweſen iſt. Jn
welcher abſicht alle ſeine wort zu nehmen/ und ein ort aus dem andern zu er-
klaͤhren ſind/ da ſich alles fein geben wird. Sonderlich weil der liebe mann
gleichwol auch an ſo vielen orten (auch in der Kirchen-Poſtill/ wie etwa nur
zur probe die predigt auff den mittwoch nach Oſtern auffzuſchlagen waͤre)
das gottſelige leben ſo ernſtlich treibet/ als einer thun kan: Aber nicht ſo wol
aus dem geſetz/ und nur wie eine pflicht/ dazu wir getrieben werden muͤſten/
als vielmehr auff dieſe art/ daß es eine unausbleibliche frucht des wahren
glaubens ſeye/ und alſo/ daß der goͤttliche glaube/ wie er die gnade GOttes
ergreifft/ alſo auch in derſelben den menſchen alſo wiedergebaͤhre/ und zu ei-
nem gantz andern menſchen mache/ daß derſelbe alsdenn nicht anders koͤnne/
als aus ſolcher neuen art des geiſtes und nicht nur aus zwang des geſetzes/
gutes zu thun/ welche auch allein/ nicht aber jene erzwungene vor recht Gott
gefaͤllige wercke zu achten ſeyen. Wo aber ſolche wercke nicht folgen/ da ſeye
der wahre glaube nicht/ ſondern nur ein menſchlich gedicht und gedancken im
hertzen/ den aber des hertzens-grund nimmer erfahre/ wie er in der goͤldnen
vorrede der Epiſtel an die Roͤmer redet. Alſo hat der gottſelige Martinus Sta-
tius
in einem tractat von dem Chriſtenthum Lutheri ſtattlich aus lauter ſei-
nen worten ausgefuͤhret/ wie heilig der theure mann von der glaubens-krafft
auch in dem leben gelehret habe. Redet er dann gedachter maſſen zuweilen
hart von den wercken/ iſt ſolches alles von dem mißbrauch und der einſchie-
bung derſelben in die rechtfertigung zuverſtehen/ und muͤſſen wir gedencken/
wie hart der liebe Paulus ſelbs von dem goͤttlichen geſetz etliche mal rede/
nicht in abſicht auff ſolches an ſich ſelbs/ als auff den mißbrauch/ den die fal-
ſche Apoſtel damit trieben. Alſo wird wol Lutherus von ſolchen abſonder-
lichen pruͤfungen bey jeglicher tugend in uns meines entſinnens nicht eben ſo
vieles haben/ wo wir aber dasjenige wol behertzigen/ was er insgemein von
der art der wahren wercke/ und wie ſie aus dem innern/ nemlich dem glau-
ben/ der wiedergebuhrt und krafft des Heil. Geiſtes/ herkommen muͤſſen/ ſo
wird ſich der grund alles deſſen zeigen/ was mein buͤchlein von Natur und
Gnade in ſich faſſet. Daß aber nunmehr von der gottſeligkeit des lebens
mehr gehandelt werden muß/ iſt die urſach/ weil wir es nun meiſtens mit ei-
ner ſolchen zeit und perſonen zu thun haben/ welche ſich des Evangelii und
lehr des glaubens unrecht und mit unrechtem verſtand mißbrauchen/ da-
her wir ſo viel wider die wercke nicht reden doͤrffen/ denen die gerechtigkeit

bey-
K k 2
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[259/0275] SECTIO LV. thum hauptſaͤchlich zu beſtreiten war. Alſo redet Lutherus unterſchiedliche mal von dem glauben und weꝛcken alſo/ daß eꝛ ſcheinet jenen allein zu erheben/ und dieſe gaꝛ zuveꝛwerffen/ ſo gleichwol/ wo allemal alles zuſammen genom̃en wird/ ſeine meinung niemals/ ſondern was er gegen die wercke ſchreibet/ der einbildung von dero mitwirckung zur ſeligkeit entgegen geſetzt geweſen iſt. Jn welcher abſicht alle ſeine wort zu nehmen/ und ein ort aus dem andern zu er- klaͤhren ſind/ da ſich alles fein geben wird. Sonderlich weil der liebe mann gleichwol auch an ſo vielen orten (auch in der Kirchen-Poſtill/ wie etwa nur zur probe die predigt auff den mittwoch nach Oſtern auffzuſchlagen waͤre) das gottſelige leben ſo ernſtlich treibet/ als einer thun kan: Aber nicht ſo wol aus dem geſetz/ und nur wie eine pflicht/ dazu wir getrieben werden muͤſten/ als vielmehr auff dieſe art/ daß es eine unausbleibliche frucht des wahren glaubens ſeye/ und alſo/ daß der goͤttliche glaube/ wie er die gnade GOttes ergreifft/ alſo auch in derſelben den menſchen alſo wiedergebaͤhre/ und zu ei- nem gantz andern menſchen mache/ daß derſelbe alsdenn nicht anders koͤnne/ als aus ſolcher neuen art des geiſtes und nicht nur aus zwang des geſetzes/ gutes zu thun/ welche auch allein/ nicht aber jene erzwungene vor recht Gott gefaͤllige wercke zu achten ſeyen. Wo aber ſolche wercke nicht folgen/ da ſeye der wahre glaube nicht/ ſondern nur ein menſchlich gedicht und gedancken im hertzen/ den aber des hertzens-grund nimmer erfahre/ wie er in der goͤldnen vorrede der Epiſtel an die Roͤmer redet. Alſo hat der gottſelige Martinus Sta- tius in einem tractat von dem Chriſtenthum Lutheri ſtattlich aus lauter ſei- nen worten ausgefuͤhret/ wie heilig der theure mann von der glaubens-krafft auch in dem leben gelehret habe. Redet er dann gedachter maſſen zuweilen hart von den wercken/ iſt ſolches alles von dem mißbrauch und der einſchie- bung derſelben in die rechtfertigung zuverſtehen/ und muͤſſen wir gedencken/ wie hart der liebe Paulus ſelbs von dem goͤttlichen geſetz etliche mal rede/ nicht in abſicht auff ſolches an ſich ſelbs/ als auff den mißbrauch/ den die fal- ſche Apoſtel damit trieben. Alſo wird wol Lutherus von ſolchen abſonder- lichen pruͤfungen bey jeglicher tugend in uns meines entſinnens nicht eben ſo vieles haben/ wo wir aber dasjenige wol behertzigen/ was er insgemein von der art der wahren wercke/ und wie ſie aus dem innern/ nemlich dem glau- ben/ der wiedergebuhrt und krafft des Heil. Geiſtes/ herkommen muͤſſen/ ſo wird ſich der grund alles deſſen zeigen/ was mein buͤchlein von Natur und Gnade in ſich faſſet. Daß aber nunmehr von der gottſeligkeit des lebens mehr gehandelt werden muß/ iſt die urſach/ weil wir es nun meiſtens mit ei- ner ſolchen zeit und perſonen zu thun haben/ welche ſich des Evangelii und lehr des glaubens unrecht und mit unrechtem verſtand mißbrauchen/ da- her wir ſo viel wider die wercke nicht reden doͤrffen/ denen die gerechtigkeit bey- K k 2

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 1. Halle (Saale), 1700, S. 259. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken01_1700/275>, abgerufen am 24.11.2024.