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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 1. Halle (Saale), 1700.

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SECTIO XXXVIII.
eigenen offenbahrungen/ die sie vorgebe/ vernehme/ sondern alles bestehet
in einer ecstasi und fühlung freudiger wirckung des heiligen Geistes und et-
wa einiger trostgesichter. Da aber daß dergl. noch auch glaubigen kindern Got-
tes wiederfahren möge/ viel weniger zweifel bey sich hat/ als wo eigentliche
offenbarungen/ sonderlich in glaubens-sachen dazu kommen/ welches die sache
N. N. so viel schwehrer macht/ daß solcher ursach wegen noch immer daselbst
still stehen muß/ und zu keiner gewißheit kommen kan. Lasset uns in allen
diesen dingen dem HErrn dancken/ wo er einige seiner wunder erneuren wol-
te/ und bitten/ daß er uns dasjenige/ was in allen göttlich ist/ also erkant
werden lasse/ daß wir im glauben gestärcket/ und auf die künfftige zeiten be-
reitet werden: Er wolle aber auch dem satan nicht zu geben/ daß derselbe ent-
weder mit lästerungen was göttlich ist/ untertrucke/ noch hingegen seine lügen
und betrug irgend mit einmische. Die überschriebene fragen anlangende:
so halte ich davor/ daß in der vierdten bitte eigentlich das leibliche brodt ver-
standen werde/ 1. weil das wort epiousios, von epiouse (wie Act. 16/ 11.)
am besten herzuziehen/ und kein einig Griechisch wort/ so in ousios sich termi-
ni
ret/ in dem N. T. gefunden werden wird/ welches von ousia derivirte/ son-
dern die composita von diesem wort erst von den Philosophis formirt zuwerden
angefangen haben. 2. Weil keine andere bitte das zeitl. begreifft/ da wir doch/
weil wirs bedörffen/ ja es auch zuerbitten/ u. nicht nur stets ohne bitte anzuneh-
men haben. 3. Hingegen um Christum unserer seelen-brodt bitten wir in der
andern bitte/ da das reich GOttes auch Christum den könig mit allen seines
reiches schätzen in sich begreiffet. 4. Wiederum kommet einem schwehr vor/
die beyde so gar unterschiedene arten des brodts/ so nur in demblossen nahmen
überein kommen/ unter einem einigen wort zu verstehen. Dieses ist also mei-
ne meinung/ daß ich bey der gemeinen erklährung gern bleibe; Jndessen wä-
re es nicht allein lächerlich/ so man eine ketzerey aus der gegenmeinung machen
wolte/ sondern es ist nicht einmahl ein sonderlicher irrthum: indem man bey-
derseits eins ist/ daß wir Christum als das himmlische brodt beten sollen und
müssen/ und bestehet nur der unterschied darinnen/ daß ein theil Chri-
stum unter dem nahmen des täglichen brodts/ andere unter dem
nahmen des reichs GOTTES/ verstanden haben wollen. Nun
ist noch biß daher vor keinen lehr-irrthum/ viel weniger vor eine ketzerey ge-
halten worden/ wo dieser einen glaubens-articul in diesem/ der andere in ei-
nem andern spruch/ ausgedruckt zu seyn davor gehalten hat/ wo man in der
sache selbs eines ist. So wird also auch diese frage so vieles nicht auff sich
haben/ daß man über bejahung oder verneinung viel wesens machen/ oder
einander beschuldigen solte. Was 2. die frage anlangt/ ob das heilige A-

bend-

SECTIO XXXVIII.
eigenen offenbahrungen/ die ſie vorgebe/ vernehme/ ſondern alles beſtehet
in einer ecſtaſi und fuͤhlung freudiger wirckung des heiligen Geiſtes und et-
wa einiger tꝛoſtgeſichter. Da aber daß dergl. noch auch glaubigen kindeꝛn Got-
tes wiederfahren moͤge/ viel weniger zweifel bey ſich hat/ als wo eigentliche
offenbarungen/ ſonderlich in glaubens-ſachen dazu kommen/ welches die ſache
N. N. ſo viel ſchwehrer macht/ daß ſolcher urſach wegen noch immer daſelbſt
ſtill ſtehen muß/ und zu keiner gewißheit kommen kan. Laſſet uns in allen
dieſen dingen dem HErrn dancken/ wo er einige ſeiner wunder erneuren wol-
te/ und bitten/ daß er uns dasjenige/ was in allen goͤttlich iſt/ alſo erkant
werden laſſe/ daß wir im glauben geſtaͤrcket/ und auf die kuͤnfftige zeiten be-
reitet werden: Er wolle aber auch dem ſatan nicht zu geben/ daß derſelbe ent-
weder mit laͤſterungen was goͤttlich iſt/ untertrucke/ noch hingegen ſeine luͤgen
und betrug irgend mit einmiſche. Die uͤberſchriebene fragen anlangende:
ſo halte ich davor/ daß in der vierdten bitte eigentlich das leibliche brodt ver-
ſtanden werde/ 1. weil das wort ἐπιούσιος, von ἐπιούση (wie Act. 16/ 11.)
am beſten herzuziehen/ und kein einig Griechiſch wort/ ſo in οὐσιος ſich termi-
ni
ret/ in dem N. T. gefunden werden wird/ welches von οὐσία derivirte/ ſon-
dern die compoſita von dieſem woꝛt erſt von den Philoſophis formirt zuwerdẽ
angefangen haben. 2. Weil keine andere bitte das zeitl. begreifft/ da wir doch/
weil wirs bedoͤꝛffen/ ja es auch zuerbittẽ/ u. nicht nur ſtets ohne bitte anzuneh-
men haben. 3. Hingegen um Chriſtum unſerer ſeelen-brodt bitten wir in der
andern bitte/ da das reich GOttes auch Chriſtum den koͤnig mit allen ſeines
reiches ſchaͤtzen in ſich begreiffet. 4. Wiederum kommet einem ſchwehr vor/
die beyde ſo gar unterſchiedene arten des brodts/ ſo nuꝛ in dembloſſen nahmen
uͤberein kommen/ unter einem einigen wort zu verſtehen. Dieſes iſt alſo mei-
ne meinung/ daß ich bey der gemeinen erklaͤhrung gern bleibe; Jndeſſen waͤ-
re es nicht allein laͤcherlich/ ſo man eine ketzeꝛey aus deꝛ gegenmeinung machen
wolte/ ſondern es iſt nicht einmahl ein ſonderlicher irrthum: indem man bey-
derſeits eins iſt/ daß wir Chriſtum als das himmliſche brodt beten ſollen und
muͤſſen/ und beſtehet nur der unterſchied darinnen/ daß ein theil Chri-
ſtum unter dem nahmen des taͤglichen brodts/ andere unter dem
nahmen des reichs GOTTES/ verſtanden haben wollen. Nun
iſt noch biß daher vor keinen lehr-irrthum/ viel weniger vor eine ketzerey ge-
halten worden/ wo dieſer einen glaubens-articul in dieſem/ der andere in ei-
nem andern ſpruch/ ausgedruckt zu ſeyn davor gehalten hat/ wo man in der
ſache ſelbs eines iſt. So wird alſo auch dieſe frage ſo vieles nicht auff ſich
haben/ daß man uͤber bejahung oder verneinung viel weſens machen/ oder
einander beſchuldigen ſolte. Was 2. die frage anlangt/ ob das heilige A-

bend-
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[207/0223] SECTIO XXXVIII. eigenen offenbahrungen/ die ſie vorgebe/ vernehme/ ſondern alles beſtehet in einer ecſtaſi und fuͤhlung freudiger wirckung des heiligen Geiſtes und et- wa einiger tꝛoſtgeſichter. Da aber daß dergl. noch auch glaubigen kindeꝛn Got- tes wiederfahren moͤge/ viel weniger zweifel bey ſich hat/ als wo eigentliche offenbarungen/ ſonderlich in glaubens-ſachen dazu kommen/ welches die ſache N. N. ſo viel ſchwehrer macht/ daß ſolcher urſach wegen noch immer daſelbſt ſtill ſtehen muß/ und zu keiner gewißheit kommen kan. Laſſet uns in allen dieſen dingen dem HErrn dancken/ wo er einige ſeiner wunder erneuren wol- te/ und bitten/ daß er uns dasjenige/ was in allen goͤttlich iſt/ alſo erkant werden laſſe/ daß wir im glauben geſtaͤrcket/ und auf die kuͤnfftige zeiten be- reitet werden: Er wolle aber auch dem ſatan nicht zu geben/ daß derſelbe ent- weder mit laͤſterungen was goͤttlich iſt/ untertrucke/ noch hingegen ſeine luͤgen und betrug irgend mit einmiſche. Die uͤberſchriebene fragen anlangende: ſo halte ich davor/ daß in der vierdten bitte eigentlich das leibliche brodt ver- ſtanden werde/ 1. weil das wort ἐπιούσιος, von ἐπιούση (wie Act. 16/ 11.) am beſten herzuziehen/ und kein einig Griechiſch wort/ ſo in οὐσιος ſich termi- niret/ in dem N. T. gefunden werden wird/ welches von οὐσία derivirte/ ſon- dern die compoſita von dieſem woꝛt erſt von den Philoſophis formirt zuwerdẽ angefangen haben. 2. Weil keine andere bitte das zeitl. begreifft/ da wir doch/ weil wirs bedoͤꝛffen/ ja es auch zuerbittẽ/ u. nicht nur ſtets ohne bitte anzuneh- men haben. 3. Hingegen um Chriſtum unſerer ſeelen-brodt bitten wir in der andern bitte/ da das reich GOttes auch Chriſtum den koͤnig mit allen ſeines reiches ſchaͤtzen in ſich begreiffet. 4. Wiederum kommet einem ſchwehr vor/ die beyde ſo gar unterſchiedene arten des brodts/ ſo nuꝛ in dembloſſen nahmen uͤberein kommen/ unter einem einigen wort zu verſtehen. Dieſes iſt alſo mei- ne meinung/ daß ich bey der gemeinen erklaͤhrung gern bleibe; Jndeſſen waͤ- re es nicht allein laͤcherlich/ ſo man eine ketzeꝛey aus deꝛ gegenmeinung machen wolte/ ſondern es iſt nicht einmahl ein ſonderlicher irrthum: indem man bey- derſeits eins iſt/ daß wir Chriſtum als das himmliſche brodt beten ſollen und muͤſſen/ und beſtehet nur der unterſchied darinnen/ daß ein theil Chri- ſtum unter dem nahmen des taͤglichen brodts/ andere unter dem nahmen des reichs GOTTES/ verſtanden haben wollen. Nun iſt noch biß daher vor keinen lehr-irrthum/ viel weniger vor eine ketzerey ge- halten worden/ wo dieſer einen glaubens-articul in dieſem/ der andere in ei- nem andern ſpruch/ ausgedruckt zu ſeyn davor gehalten hat/ wo man in der ſache ſelbs eines iſt. So wird alſo auch dieſe frage ſo vieles nicht auff ſich haben/ daß man uͤber bejahung oder verneinung viel weſens machen/ oder einander beſchuldigen ſolte. Was 2. die frage anlangt/ ob das heilige A- bend-

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 1. Halle (Saale), 1700, S. 207. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken01_1700/223>, abgerufen am 28.11.2024.