Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 1. Halle (Saale), 1700.SECTIO XXIII. che disposition unterschiedlich/ und verfähret er nicht mit allen seinen kindernauff eine weise: indem bey einigen grosse und langwierige schmertzen vorher gehen/ ja sie gleich als durch eine hölle geführet werden/ auch wol lang zu kei- nem trost zu kommen vermögen. Bey andern gehet es gelinder her/ und wird kaum die krafft des gesetzes gespühret/ daß der trost des Evangelu gleich alles wieder heilet. Jn welchem unterscheid/ wir GOttes weise regierung zu ve- neriren und nicht zu richten haben. 2. Wo einer auff gröbliche art GOttes gnade wiederum von sich gestossen hat/ und eine zeitlang ausser derselben zu- gebracht/ finde ich nicht/ wie ein solcher ohne schmertzliche empfindung seiner sünden wiederum in die gnade zurück kehren möge. Wiewol ich auch darin- nen GOttes führung nichts vorschreiben will oder darff. 3. Bey denen/ die nun in dem glauben stehen/ verliehret das gesetz nicht alles straff-amt/ son- dern neben dem/ daß es uns den weg noch immer zeiget/ auff welchem wir nach dem willen GOttes in danckbarkeit vor das empfangene heil einher ge- hen müssen/ erinnert es uns noch allezeit unsrer sundlichen gebrechen/ und wo es versehen wird/ fühlen wir einige dessen bestraffung. 4. Jndessen bleibet gleichwol der glaube an JEsum und die stätige vorstellung dessen güter und geschenckten heils das vornehmste/ damit ein kind GOttes umgehet/ und sich darinnen übet/ auch ohne solche übung/ wo es nemlich des gesetzes forderung dasjenige seyn liesse/ mit dem es meistens umgienge/ nicht wol zu einer rech- ten und beständigen glaubens-freudigkeit kommen/ oder darinnen bleiben könte: woran ich sorge/ daß viele sich stossen/ und ihre gottseligkeit dadurch mehr hindern als fördern. 5. Ob es dann da und dort stolpert und aus schwachheit fället/ da das gewissen gleich schläget/ und also etwas von dem gesetz gefühlet wird/ hat ein glaubiger solches nicht aus dem sinn zu schlagen/ sondern auch solcher wirckung des guten geistes durch das gesetz einigen raum zu gönnen/ ja wo er mercket/ daß er offt an solchen stein anstosset/ länger dabey zu beharren/ daß der H. Geist eine heilsame traur drüber erwecke/ sich nicht allein darinnen vor GOtt zu demüthigen/ sondern auch dem fleisch auffs künfftige den kitzel desto besser zu vertreiben. Aber er hat doch solcher auch buß-traur allzulang nicht nachzuhängen/ damit sie nicht überhand nehme/ und so bald zu trachten/ daß die krafft des Evangelii in die reue einfliesse/ da- mit es ihm nemlich nicht so viel leid seye um des zorns und der straff der sün- den willen selbs/ als aus der liebe/ einen so lieben Vater beleidiget zu haben/ darinnen so bald auch eine übung des glaubens ist. 6. Ausser solchen fällenund in dem ordentlichen stand gehet der glaubige meistens allein mit dem glau- ben und Evangelio um/ und bleibet solches seine tägliche nahrung/ das gesetz aber sihet er mehr nur so fern/ als von weitem an/ daß es nur eine verwah- rung vor sicherheit bleibe. 7. Der gottselige Steph. Praetorius, und Statius aus X 2
SECTIO XXIII. che diſpoſition unterſchiedlich/ und verfaͤhret er nicht mit allen ſeinen kindernauff eine weiſe: indem bey einigen groſſe und langwierige ſchmertzen vorher gehen/ ja ſie gleich als durch eine hoͤlle gefuͤhret werden/ auch wol lang zu kei- nem troſt zu kommen vermoͤgen. Bey andern gehet es gelinder her/ und wird kaum die krafft des geſetzes geſpuͤhret/ daß der troſt des Evangelu gleich alles wieder heilet. Jn welchem unterſcheid/ wir GOttes weiſe regierung zu ve- neriren und nicht zu richten haben. 2. Wo einer auff groͤbliche art GOttes gnade wiederum von ſich geſtoſſen hat/ und eine zeitlang auſſer derſelben zu- gebracht/ finde ich nicht/ wie ein ſolcher ohne ſchmertzliche empfindung ſeiner ſuͤnden wiederum in die gnade zuruͤck kehren moͤge. Wiewol ich auch darin- nen GOttes fuͤhrung nichts vorſchreiben will oder darff. 3. Bey denen/ die nun in dem glauben ſtehen/ verliehret das geſetz nicht alles ſtraff-amt/ ſon- dern neben dem/ daß es uns den weg noch immer zeiget/ auff welchem wir nach dem willen GOttes in danckbarkeit vor das empfangene heil einher ge- hen muͤſſen/ erinnert es uns noch allezeit unſrer ſundlichen gebrechen/ und wo es verſehen wird/ fuͤhlen wir einige deſſen beſtraffung. 4. Jndeſſen bleibet gleichwol der glaube an JEſum und die ſtaͤtige vorſtellung deſſen guͤter und geſchenckten heils das vornehmſte/ damit ein kind GOttes umgehet/ und ſich darinnen uͤbet/ auch ohne ſolche uͤbung/ wo es nemlich des geſetzes forderung dasjenige ſeyn lieſſe/ mit dem es meiſtens umgienge/ nicht wol zu einer rech- ten und beſtaͤndigen glaubens-freudigkeit kommen/ oder darinnen bleiben koͤnte: woran ich ſorge/ daß viele ſich ſtoſſen/ und ihre gottſeligkeit dadurch mehr hindern als foͤrdern. 5. Ob es dann da und dort ſtolpert und aus ſchwachheit faͤllet/ da das gewiſſen gleich ſchlaͤget/ und alſo etwas von dem geſetz gefuͤhlet wird/ hat ein glaubiger ſolches nicht aus dem ſinn zu ſchlagen/ ſondern auch ſolcher wirckung des guten geiſtes durch das geſetz einigen raum zu goͤnnen/ ja wo er mercket/ daß er offt an ſolchen ſtein anſtoſſet/ laͤnger dabey zu beharren/ daß der H. Geiſt eine heilſame traur druͤber erwecke/ ſich nicht allein darinnen vor GOtt zu demuͤthigen/ ſondern auch dem fleiſch auffs kuͤnfftige den kitzel deſto beſſer zu vertreiben. Aber er hat doch ſolcher auch buß-traur allzulang nicht nachzuhaͤngen/ damit ſie nicht uͤberhand nehme/ und ſo bald zu trachten/ daß die krafft des Evangelii in die reue einflieſſe/ da- mit es ihm nemlich nicht ſo viel leid ſeye um des zorns und der ſtraff der ſuͤn- den willen ſelbs/ als aus der liebe/ einen ſo lieben Vater beleidiget zu haben/ darinnen ſo bald auch eine uͤbung des glaubens iſt. 6. Auſſer ſolchen faͤllenund in dem ordentlichen ſtand gehet der glaubige meiſtens allein mit dem glau- ben und Evangelio um/ und bleibet ſolches ſeine taͤgliche nahrung/ das geſetz aber ſihet er mehr nur ſo fern/ als von weitem an/ daß es nur eine verwah- rung vor ſicherheit bleibe. 7. Der gottſelige Steph. Prætorius, und Statius aus X 2
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0179" n="163"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b"><hi rendition="#aq"><hi rendition="#g">SECTIO XXIII</hi>.</hi></hi></fw><lb/> che <hi rendition="#aq">diſpoſition</hi> unterſchiedlich/ und verfaͤhret er nicht mit allen ſeinen kindern<lb/> auff eine weiſe: indem bey einigen groſſe und langwierige ſchmertzen vorher<lb/> gehen/ ja ſie gleich als durch eine hoͤlle gefuͤhret werden/ auch wol lang zu kei-<lb/> nem troſt zu kommen vermoͤgen. Bey andern gehet es gelinder her/ und wird<lb/> kaum die krafft des geſetzes geſpuͤhret/ daß der troſt des Evangelu gleich alles<lb/> wieder heilet. Jn welchem unterſcheid/ wir GOttes weiſe regierung zu <hi rendition="#aq">ve-<lb/> neri</hi>ren und nicht zu richten haben. 2. Wo einer auff groͤbliche art GOttes<lb/> gnade wiederum von ſich geſtoſſen hat/ und eine zeitlang auſſer derſelben zu-<lb/> gebracht/ finde ich nicht/ wie ein ſolcher ohne ſchmertzliche empfindung ſeiner<lb/> ſuͤnden wiederum in die gnade zuruͤck kehren moͤge. Wiewol ich auch darin-<lb/> nen GOttes fuͤhrung nichts vorſchreiben will oder darff. 3. Bey denen/ die<lb/> nun in dem glauben ſtehen/ verliehret das geſetz nicht alles ſtraff-amt/ ſon-<lb/> dern neben dem/ daß es uns den weg noch immer zeiget/ auff welchem wir<lb/> nach dem willen GOttes in danckbarkeit vor das empfangene heil einher ge-<lb/> hen muͤſſen/ erinnert es uns noch allezeit unſrer ſundlichen gebrechen/ und wo<lb/> es verſehen wird/ fuͤhlen wir einige deſſen beſtraffung. 4. Jndeſſen bleibet<lb/> gleichwol der glaube an JEſum und die ſtaͤtige vorſtellung deſſen guͤter und<lb/> geſchenckten heils das vornehmſte/ damit ein kind GOttes umgehet/ und ſich<lb/> darinnen uͤbet/ auch ohne ſolche uͤbung/ wo es nemlich des geſetzes forderung<lb/> dasjenige ſeyn lieſſe/ mit dem es meiſtens umgienge/ nicht wol zu einer rech-<lb/> ten und beſtaͤndigen glaubens-freudigkeit kommen/ oder darinnen bleiben<lb/> koͤnte: woran ich ſorge/ daß viele ſich ſtoſſen/ und ihre gottſeligkeit dadurch<lb/> mehr hindern als foͤrdern. 5. Ob es dann da und dort ſtolpert und aus<lb/> ſchwachheit faͤllet/ da das gewiſſen gleich ſchlaͤget/ und alſo etwas von dem<lb/> geſetz gefuͤhlet wird/ hat ein glaubiger ſolches nicht aus dem ſinn zu ſchlagen/<lb/> ſondern auch ſolcher wirckung des guten geiſtes durch das geſetz einigen raum<lb/> zu goͤnnen/ ja wo er mercket/ daß er offt an ſolchen ſtein anſtoſſet/ laͤnger dabey<lb/> zu beharren/ daß der H. Geiſt eine heilſame traur druͤber erwecke/ ſich nicht<lb/> allein darinnen vor GOtt zu demuͤthigen/ ſondern auch dem fleiſch auffs<lb/> kuͤnfftige den kitzel deſto beſſer zu vertreiben. Aber er hat doch ſolcher auch<lb/> buß-traur allzulang nicht nachzuhaͤngen/ damit ſie nicht uͤberhand nehme/<lb/> und ſo bald zu trachten/ daß die krafft des Evangelii in die reue einflieſſe/ da-<lb/> mit es ihm nemlich nicht ſo viel leid ſeye um des zorns und der ſtraff der ſuͤn-<lb/> den willen ſelbs/ als aus der liebe/ einen ſo lieben Vater beleidiget zu haben/<lb/> darinnen ſo bald auch eine uͤbung des glaubens iſt. 6. Auſſer ſolchen faͤllenund<lb/> in dem ordentlichen ſtand gehet der glaubige meiſtens allein mit dem glau-<lb/> ben und Evangelio um/ und bleibet ſolches ſeine taͤgliche nahrung/ das geſetz<lb/> aber ſihet er mehr nur ſo fern/ als von weitem an/ daß es nur eine verwah-<lb/> rung vor ſicherheit bleibe. 7. Der gottſelige <hi rendition="#aq">Steph. Prætorius,</hi> und <hi rendition="#aq">Statius</hi><lb/> <fw place="bottom" type="sig">X 2</fw><fw place="bottom" type="catch">aus</fw><lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [163/0179]
SECTIO XXIII.
che diſpoſition unterſchiedlich/ und verfaͤhret er nicht mit allen ſeinen kindern
auff eine weiſe: indem bey einigen groſſe und langwierige ſchmertzen vorher
gehen/ ja ſie gleich als durch eine hoͤlle gefuͤhret werden/ auch wol lang zu kei-
nem troſt zu kommen vermoͤgen. Bey andern gehet es gelinder her/ und wird
kaum die krafft des geſetzes geſpuͤhret/ daß der troſt des Evangelu gleich alles
wieder heilet. Jn welchem unterſcheid/ wir GOttes weiſe regierung zu ve-
neriren und nicht zu richten haben. 2. Wo einer auff groͤbliche art GOttes
gnade wiederum von ſich geſtoſſen hat/ und eine zeitlang auſſer derſelben zu-
gebracht/ finde ich nicht/ wie ein ſolcher ohne ſchmertzliche empfindung ſeiner
ſuͤnden wiederum in die gnade zuruͤck kehren moͤge. Wiewol ich auch darin-
nen GOttes fuͤhrung nichts vorſchreiben will oder darff. 3. Bey denen/ die
nun in dem glauben ſtehen/ verliehret das geſetz nicht alles ſtraff-amt/ ſon-
dern neben dem/ daß es uns den weg noch immer zeiget/ auff welchem wir
nach dem willen GOttes in danckbarkeit vor das empfangene heil einher ge-
hen muͤſſen/ erinnert es uns noch allezeit unſrer ſundlichen gebrechen/ und wo
es verſehen wird/ fuͤhlen wir einige deſſen beſtraffung. 4. Jndeſſen bleibet
gleichwol der glaube an JEſum und die ſtaͤtige vorſtellung deſſen guͤter und
geſchenckten heils das vornehmſte/ damit ein kind GOttes umgehet/ und ſich
darinnen uͤbet/ auch ohne ſolche uͤbung/ wo es nemlich des geſetzes forderung
dasjenige ſeyn lieſſe/ mit dem es meiſtens umgienge/ nicht wol zu einer rech-
ten und beſtaͤndigen glaubens-freudigkeit kommen/ oder darinnen bleiben
koͤnte: woran ich ſorge/ daß viele ſich ſtoſſen/ und ihre gottſeligkeit dadurch
mehr hindern als foͤrdern. 5. Ob es dann da und dort ſtolpert und aus
ſchwachheit faͤllet/ da das gewiſſen gleich ſchlaͤget/ und alſo etwas von dem
geſetz gefuͤhlet wird/ hat ein glaubiger ſolches nicht aus dem ſinn zu ſchlagen/
ſondern auch ſolcher wirckung des guten geiſtes durch das geſetz einigen raum
zu goͤnnen/ ja wo er mercket/ daß er offt an ſolchen ſtein anſtoſſet/ laͤnger dabey
zu beharren/ daß der H. Geiſt eine heilſame traur druͤber erwecke/ ſich nicht
allein darinnen vor GOtt zu demuͤthigen/ ſondern auch dem fleiſch auffs
kuͤnfftige den kitzel deſto beſſer zu vertreiben. Aber er hat doch ſolcher auch
buß-traur allzulang nicht nachzuhaͤngen/ damit ſie nicht uͤberhand nehme/
und ſo bald zu trachten/ daß die krafft des Evangelii in die reue einflieſſe/ da-
mit es ihm nemlich nicht ſo viel leid ſeye um des zorns und der ſtraff der ſuͤn-
den willen ſelbs/ als aus der liebe/ einen ſo lieben Vater beleidiget zu haben/
darinnen ſo bald auch eine uͤbung des glaubens iſt. 6. Auſſer ſolchen faͤllenund
in dem ordentlichen ſtand gehet der glaubige meiſtens allein mit dem glau-
ben und Evangelio um/ und bleibet ſolches ſeine taͤgliche nahrung/ das geſetz
aber ſihet er mehr nur ſo fern/ als von weitem an/ daß es nur eine verwah-
rung vor ſicherheit bleibe. 7. Der gottſelige Steph. Prætorius, und Statius
aus
X 2
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken01_1700 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken01_1700/179 |
Zitationshilfe: | Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 1. Halle (Saale), 1700, S. 163. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken01_1700/179>, abgerufen am 16.02.2025. |