Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 1. Halle (Saale), 1700.Das erste Capitel. SECTIO XX. Von sünde haben und sünde thun/ schwachheit- und boßheit-sünden. WAß die distinction bey Johanne zwischen sünde haben und sünde wider
Das erſte Capitel. SECTIO XX. Von ſuͤnde haben und ſuͤnde thun/ ſchwachheit- und boßheit-ſuͤnden. WAß die diſtinction bey Johanne zwiſchen ſuͤnde haben und ſuͤnde wider
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Das erſte Capitel.
SECTIO XX.
Von ſuͤnde haben und ſuͤnde thun/ ſchwachheit-
und boßheit-ſuͤnden.
WAß die diſtinction bey Johanne zwiſchen ſuͤnde haben und ſuͤnde
thun betrifft/ iſts eine ſache/ welche fleißigen aufmerckens wohl
wuͤrdig/ ſo viel mehr weil es eine heut zutag ſo viel noͤthigere lehre
angehet/ als ſicherer die leute auf unrechtem verſtand der heiligen lehr von
dem allein ſeligmachenden glauben heut zu tag ſind. Dann wo mein Hr.
Pf. recht genau wahrnehmen wird/ ſo bilden ihnen die leute eine ſolche art
ſelig zu werden ein/ daß der menſch etwas von Chriſto und ſeinem verdienſt
gehoͤret/ geleſen/ gelernet habe/ glaube daß es wahr ſeye/ und ſich darnach
eine ſtarcke perſuaſion darauf mache/ daß er ſelig werde/ ohne daß er ge-
dencke/ es muͤſſte ſein ſinn/ art und gantzes leben geaͤndert werden: Jene
perſuaſion welche aus menſchlicher vernunfft gemacht wird/ und
ein menſchliches gedicht iſt/ halten ſie vor den wahren glauben/ wel-
cher doch gar viel einander werck/ und eine rechte ſolche goͤttliche wir-
ckung iſt/ darinne das hertz gantz geaͤndert und gleich wie der verſtand mit
einem himmliſchen liecht erleuchtet/ alſo auch der wille zu einer eifrigen be-
gierde des guten und haß des boͤſen gebracht wird. Welche art des glau-
bens unſer theurer Lutherus in der lobwuͤrdigen vorrede uͤber die Epiſtel an
die Roͤmer ſehr ſtattlich und zu einer kraͤfftigen beſchaͤmung aller ſichern her-
tzen/ beſchrieben hat. Hingegen gedencket der groͤſte hauff/ daß ihn jener
menſchliche wahn/ und ſichere einbildung bey einem ſolchen glauben ſelig
mache/ da er ſich zwahr vor oͤffentlicher ſchande und dergleichen laſtern/ die
etwa in der obrigkeit ſtraff fallen/ huͤten muͤſſe/ und ein ſolches leben fuͤhren/
welches auf das hoͤchſte dem leben der erbarn Heiden (ſo doch noch ſo viel tau-
ſend Chriſten beſchaͤmet) gleich ſeye; aber das ſeye nicht eben vonnoͤthen/ daß
er ſich gantz alles ſuͤnden dienſtes begebe/ und ein vor allemal mit ernſt ſich zu
GOttes gehorſam ergebe. Da hingegen die gantze ſchrifft ſonderlich N. T.
uns bezeuget/ daß dieſes eine frucht des leidens und der erloͤſung Chriſti
ſeye/ daß wir in der that der ſuͤnden dienſt abſterben/ und ein heiliges unſtraͤf-
liches leben fuͤhren ſollen und koͤnnen. Da iſt nun dieſe liebe lehr Johannis
fleißig zu treiben und von groſſer krafft bey ſichern leuten. Wann man ih-
nen zeigt aus c. 1. daß zwahr wahr ſeye/ Chriſten haben ſuͤnde/ ſie tra-
gen ihr ſuͤndliches fleiſch noch an ſich/ ſie fuͤhlen deſſen luͤſten/ wider welche ſie
ſtreiten/ und koͤnnen nicht allemal ſo genugſam ſich huͤten/ daß ſie nicht et-
wa mit einigem ausbruch derſelben uͤbereilet wuͤrden/ daruͤber ſie aber nicht
nur ſo bald hertzlich erſchreckẽ/ ſondern mit ſo viel ernſtlicherm vorſatz ſich dar-
wider
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