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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 1. Halle (Saale), 1700.

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Das erste Capitel.
non scriptam referimus hanc eorum constitutionem daher scheinet/ daß
P. Dez der sache selbs nicht trauet/ sondern auch darnach sich mehr auff die
tradition beruffet.

Was betrifft/ daß der Jesuit sich darauff beziehet/ wie die protesti-
rende bekennen/ daß man vor die todten beten möge/ und der lebendigen ge-
bet ihnen nützlich seye/ daher man auch vor sie zu opffern habe/ so solle so
bald jetzt von jenem gebet bey der vierdten forderung gehandelt werden/ da
sich auch zeigen wird/ daß unser gebet vor die todte gar einen andern zweck
habe/ als daß sich darauß auff ein vermeintes versöhn-opffer schliessen
liesse.

Also 4. auff die vierdte forderung zukoninten/ will P. Dez, daß wir auch
ein fegfeuer nach diesem leben glauben solten. Jch sehe seiner erweißthu-
me sonderlich drey. 1. Weil (wie zu ende der dritten forderung gedacht worden)
GOTT die sünde also vergebe/ daß der mensch gleichwol noch einige zeitliche
straffen nach der vergebung auszustehen habe/ wie das exempel Davids zei-
ge. Nun ist dieses zwahr die gemeine lehr der Papisten/ und der gantze
grund des fegfeuers/ aber wo sie recht untersuchet wird/ der göttlichen gna-
den-lehr gantz entgegen. So viel gestehen wir in der gantzen sache/ daß
GOtt sich bey vergebung der sünde freylich vorbehalte/ daß er zuweilen dem
menschen noch einige züchtigung zuschicket/ die aber gantz einer andern art
sind/ als die eigentlich so genannte straffen. Denn jene züchtigungen haben
zum zweck/ damit bey einem solchen menschen die buß so viel tieffer eingetru-
cket/ und beständig gemacht/ hingegen er von fernern sünden desto kräfftiger
verwahret werde: daher sind sie gnaden-wolthaten/ und werden den jeni-
gen/ zu der zeit/ so lang und in solchem maaß/ von GOtt dem himmlischen
Vater zugeschicket/ welchen/ wann/ wie lang und wie viel er dieselbe zu ge-
dachtem zweck nöthig findet/ daher er einiger gar darinnen schohnet/ wo er
dergleichen ihnen nicht nützlich oder nöthig erkennet. Diese zwecke aber ha-
ben nach dem abschiede eines menschen/ da die seele nunmehr ausser der ge-
fahr wiederum zu sündigen stehet/ keinen platz. Hingegen hats eine gantz
andere bewandnüß mit den eigentlich so genannten straffen/ die aus der gött-
lichen gerechtigkeit nach dem maaß des verbrechens müsten auferleget wer-
den/ und wo es nicht um die besserung des sünders/ sondern um die gnug-
thuung an göttliche gerechtigkeit zu thun müste seyn: dann auff solcher hy-
pothesi
ruhet das Päpstische fegfeuer. Es streitet aber dieselbe wider viele
glaubens-puncten 1. wider göttliche gerechtigkeit/ dero nicht gemäß seyn
würde/ noch straff zu fordern/ wo keine sünde mehr/ sondern dieselbe durch
die vergebung getilget ist. 2. Wider Christi vollkommene gnugthung/ denn
weil derselbe nicht nur unsere sünde/ sondern auch unsre straffen. Esa.

53/ 5. 6

Das erſte Capitel.
non ſcriptam referimus hanc eorum conſtitutionem daher ſcheinet/ daß
P. Dez der ſache ſelbs nicht trauet/ ſondern auch darnach ſich mehr auff die
tradition beruffet.

Was betrifft/ daß der Jeſuit ſich darauff beziehet/ wie die proteſti-
rende bekennen/ daß man vor die todten beten moͤge/ und der lebendigen ge-
bet ihnen nuͤtzlich ſeye/ daher man auch vor ſie zu opffern habe/ ſo ſolle ſo
bald jetzt von jenem gebet bey der vierdten forderung gehandelt werden/ da
ſich auch zeigen wird/ daß unſer gebet vor die todte gar einen andern zweck
habe/ als daß ſich darauß auff ein vermeintes verſoͤhn-opffer ſchlieſſen
lieſſe.

Alſo 4. auff die vierdte forderung zukoninten/ will P. Dez, daß wir auch
ein fegfeuer nach dieſem leben glauben ſolten. Jch ſehe ſeiner erweißthu-
me ſonderlich drey. 1. Weil (wie zu ende der dritten forderung gedacht worden)
GOTT die ſuͤnde alſo vergebe/ daß der menſch gleichwol noch einige zeitliche
ſtraffen nach der vergebung auszuſtehen habe/ wie das exempel Davids zei-
ge. Nun iſt dieſes zwahr die gemeine lehr der Papiſten/ und der gantze
grund des fegfeuers/ aber wo ſie recht unterſuchet wird/ der goͤttlichen gna-
den-lehr gantz entgegen. So viel geſtehen wir in der gantzen ſache/ daß
GOtt ſich bey vergebung der ſuͤnde freylich vorbehalte/ daß er zuweilen dem
menſchen noch einige zuͤchtigung zuſchicket/ die aber gantz einer andern art
ſind/ als die eigentlich ſo genannte ſtraffen. Denn jene zuͤchtigungen haben
zum zweck/ damit bey einem ſolchen menſchen die buß ſo viel tieffer eingetru-
cket/ und beſtaͤndig gemacht/ hingegen er von fernern ſuͤnden deſto kraͤfftiger
verwahret werde: daher ſind ſie gnaden-wolthaten/ und werden den jeni-
gen/ zu der zeit/ ſo lang und in ſolchem maaß/ von GOtt dem himmliſchen
Vater zugeſchicket/ welchen/ wann/ wie lang und wie viel er dieſelbe zu ge-
dachtem zweck noͤthig findet/ daher er einiger gar darinnen ſchohnet/ wo er
dergleichen ihnen nicht nuͤtzlich oder noͤthig erkennet. Dieſe zwecke aber ha-
ben nach dem abſchiede eines menſchen/ da die ſeele nunmehr auſſer der ge-
fahr wiederum zu ſuͤndigen ſtehet/ keinen platz. Hingegen hats eine gantz
andere bewandnuͤß mit den eigentlich ſo genannten ſtraffen/ die aus der goͤtt-
lichen gerechtigkeit nach dem maaß des verbrechens muͤſten auferleget wer-
den/ und wo es nicht um die beſſerung des ſuͤnders/ ſondern um die gnug-
thuung an goͤttliche gerechtigkeit zu thun muͤſte ſeyn: dann auff ſolcher hy-
potheſi
ruhet das Paͤpſtiſche fegfeuer. Es ſtreitet aber dieſelbe wider viele
glaubens-puncten 1. wider goͤttliche gerechtigkeit/ dero nicht gemaͤß ſeyn
wuͤrde/ noch ſtraff zu fordern/ wo keine ſuͤnde mehr/ ſondern dieſelbe durch
die vergebung getilget iſt. 2. Wider Chriſti vollkommene gnugthung/ denn
weil derſelbe nicht nur unſere ſuͤnde/ ſondern auch unſre ſtraffen. Eſa.

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[138/0154] Das erſte Capitel. non ſcriptam referimus hanc eorum conſtitutionem daher ſcheinet/ daß P. Dez der ſache ſelbs nicht trauet/ ſondern auch darnach ſich mehr auff die tradition beruffet. Was betrifft/ daß der Jeſuit ſich darauff beziehet/ wie die proteſti- rende bekennen/ daß man vor die todten beten moͤge/ und der lebendigen ge- bet ihnen nuͤtzlich ſeye/ daher man auch vor ſie zu opffern habe/ ſo ſolle ſo bald jetzt von jenem gebet bey der vierdten forderung gehandelt werden/ da ſich auch zeigen wird/ daß unſer gebet vor die todte gar einen andern zweck habe/ als daß ſich darauß auff ein vermeintes verſoͤhn-opffer ſchlieſſen lieſſe. Alſo 4. auff die vierdte forderung zukoninten/ will P. Dez, daß wir auch ein fegfeuer nach dieſem leben glauben ſolten. Jch ſehe ſeiner erweißthu- me ſonderlich drey. 1. Weil (wie zu ende der dritten forderung gedacht worden) GOTT die ſuͤnde alſo vergebe/ daß der menſch gleichwol noch einige zeitliche ſtraffen nach der vergebung auszuſtehen habe/ wie das exempel Davids zei- ge. Nun iſt dieſes zwahr die gemeine lehr der Papiſten/ und der gantze grund des fegfeuers/ aber wo ſie recht unterſuchet wird/ der goͤttlichen gna- den-lehr gantz entgegen. So viel geſtehen wir in der gantzen ſache/ daß GOtt ſich bey vergebung der ſuͤnde freylich vorbehalte/ daß er zuweilen dem menſchen noch einige zuͤchtigung zuſchicket/ die aber gantz einer andern art ſind/ als die eigentlich ſo genannte ſtraffen. Denn jene zuͤchtigungen haben zum zweck/ damit bey einem ſolchen menſchen die buß ſo viel tieffer eingetru- cket/ und beſtaͤndig gemacht/ hingegen er von fernern ſuͤnden deſto kraͤfftiger verwahret werde: daher ſind ſie gnaden-wolthaten/ und werden den jeni- gen/ zu der zeit/ ſo lang und in ſolchem maaß/ von GOtt dem himmliſchen Vater zugeſchicket/ welchen/ wann/ wie lang und wie viel er dieſelbe zu ge- dachtem zweck noͤthig findet/ daher er einiger gar darinnen ſchohnet/ wo er dergleichen ihnen nicht nuͤtzlich oder noͤthig erkennet. Dieſe zwecke aber ha- ben nach dem abſchiede eines menſchen/ da die ſeele nunmehr auſſer der ge- fahr wiederum zu ſuͤndigen ſtehet/ keinen platz. Hingegen hats eine gantz andere bewandnuͤß mit den eigentlich ſo genannten ſtraffen/ die aus der goͤtt- lichen gerechtigkeit nach dem maaß des verbrechens muͤſten auferleget wer- den/ und wo es nicht um die beſſerung des ſuͤnders/ ſondern um die gnug- thuung an goͤttliche gerechtigkeit zu thun muͤſte ſeyn: dann auff ſolcher hy- potheſi ruhet das Paͤpſtiſche fegfeuer. Es ſtreitet aber dieſelbe wider viele glaubens-puncten 1. wider goͤttliche gerechtigkeit/ dero nicht gemaͤß ſeyn wuͤrde/ noch ſtraff zu fordern/ wo keine ſuͤnde mehr/ ſondern dieſelbe durch die vergebung getilget iſt. 2. Wider Chriſti vollkommene gnugthung/ denn weil derſelbe nicht nur unſere ſuͤnde/ ſondern auch unſre ſtraffen. Eſa. 53/ 5. 6

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 1. Halle (Saale), 1700, S. 138. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken01_1700/154>, abgerufen am 22.11.2024.