Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 1. Halle (Saale), 1700.

Bild:
<< vorherige Seite
ARTIC. VI. SECTIO XXI.
er allen denen muß widerfahren lassen/ die sich nicht unwürdig gemacht haben/ der
gemeinde glieder mehr zu heissen.
11. Wann aber das unbußfertige hertz sich durch klahre zeugnüssen offen-
bahret/ und die so vielmalige zusagungen/ die immer falsch befunden wor-
den/ den glauben der künfftigen selbs schwächen/ der Prediger auch die gra-
dus admonitionum
in obacht genommen hat/ so hat er in GOttes nahmen
alsdann die sache an die kirche oder consistorium zu bringen/ und dero aus-
spruch oder hülffe zu suchen und zu erwarten. Wormit er dann sein gewissen
beruhigen mag/ und nicht sorgen darff/ daß die zulassung der unwürdigen nach
allem diesen angewandten fleiß sie recht würdig zu machen/ ihm vor GOTT
verantwortung geben/ oder zur sünde zugerechnet werden mögen.
12. Die wahrheit dieser dinge und sätze desto besser einzusehen/ haben wir
unterschiedliche reflexiones zu machen; 1. Wie unser liebste Heyland sich bey
dem ersten Abendmahl verhalten/ da er nicht nur den Judam, in welchen gar
der Teuffel bereits gefahren war/ wissentlich dazu lässet/ weil seine that noch
nicht zu offenbahrem ärgernüß und vollstreckung gekommen war/ sondern auch
bey den übrigen jüngern dergleichen gedult brauchet/ dero man sich wundern
solte: indem er sie auch dazu admittirt, da sie nicht allein in grosser unwissen-
heit des geheimnüsses seines todes und in irriger einbildung von dem irrdischen
reich Meßiä stunden/ sondern welches der hertzenkündiger wohl wußte/ das
hertz voller ehrgeitz hatten/ der/ so bald diese H. handlung vorbey war/ in offen-
bahren zanck ausbrach: zu geschweigen/ was noch in solcher nacht und fol-
genden tag von Petro und den übrigen Aposteln vorgegangen ist/ und wie er-
schrecklich sie sich geärgert haben. Damit uns der HERR weisen wollen/ daß
es nicht so wol als eine gnaden-belohnung und stärckung der bereits heiligen
und frommen/ als vielmehr artzney der krancken/ wo nur noch etwas von dem
leben/ oder einiger wahrer guter wille übrig ist/ angesehen werden müßte.
13. Was Paulum anlangt/ dessen göttliche weisheit allen Predigern zum
exempel dienet/ da er über den mißbrauch bey dem heiligen Abendmahl gegen
die Corinthier eiffert/ ob er wol in der gantzen epistel gnug zu erkennen giebet/
daß in derselben gemeine allzuviele gewesen/ bey denen keine krafft GOttes/
sondern allein eine äusserliche profession des Christenthums/ ja nicht bey allen
ein gantz ehrbares leben/ sich befunden/ so befiehlet er gleichwol eigentlich al-
lein den communicanten selbs/ daß sie sich prüffen solten/ und straffet nicht so
wol die nachläßigkeit der Prediger/ die die würdigkeit der communicanten prü-
fen solten/ als den offenbahren und ärgerlichen mißbrauch/ so in der gemeinde
vor-
k k
ARTIC. VI. SECTIO XXI.
er allen denen muß widerfahren laſſen/ die ſich nicht unwuͤrdig gemacht haben/ der
gemeinde glieder mehr zu heiſſen.
11. Wann aber das unbußfertige hertz ſich durch klahre zeugnuͤſſen offen-
bahret/ und die ſo vielmalige zuſagungen/ die immer falſch befunden wor-
den/ den glauben der kuͤnfftigen ſelbs ſchwaͤchen/ der Prediger auch die gra-
dus admonitionum
in obacht genommen hat/ ſo hat er in GOttes nahmen
alsdann die ſache an die kirche oder conſiſtorium zu bringen/ und dero aus-
ſpruch oder huͤlffe zu ſuchen und zu erwarten. Wormit er dann ſein gewiſſen
beruhigen mag/ und nicht ſorgen darff/ daß die zulaſſung der unwuͤrdigen nach
allem dieſen angewandten fleiß ſie recht wuͤrdig zu machen/ ihm vor GOTT
verantwortung geben/ oder zur ſuͤnde zugerechnet werden moͤgen.
12. Die wahrheit dieſer dinge und ſaͤtze deſto beſſer einzuſehen/ haben wir
unterſchiedliche reflexiones zu machen; 1. Wie unſer liebſte Heyland ſich bey
dem erſten Abendmahl verhalten/ da er nicht nur den Judam, in welchen gar
der Teuffel bereits gefahren war/ wiſſentlich dazu laͤſſet/ weil ſeine that noch
nicht zu offenbahrem aͤrgernuͤß und vollſtreckung gekommen war/ ſondern auch
bey den uͤbrigen juͤngern dergleichen gedult brauchet/ dero man ſich wundern
ſolte: indem er ſie auch dazu admittirt, da ſie nicht allein in groſſer unwiſſen-
heit des geheimnuͤſſes ſeines todes und in irriger einbildung von dem irrdiſchen
reich Meßiaͤ ſtunden/ ſondern welches der hertzenkuͤndiger wohl wußte/ das
hertz voller ehrgeitz hatten/ der/ ſo bald dieſe H. handlung vorbey war/ in offen-
bahren zanck ausbrach: zu geſchweigen/ was noch in ſolcher nacht und fol-
genden tag von Petro und den uͤbrigen Apoſteln vorgegangen iſt/ und wie er-
ſchrecklich ſie ſich geaͤrgert haben. Damit uns der HERR weiſen wollen/ daß
es nicht ſo wol als eine gnaden-belohnung und ſtaͤrckung der bereits heiligen
und frommen/ als vielmehr artzney der krancken/ wo nur noch etwas von dem
leben/ oder einiger wahrer guter wille uͤbrig iſt/ angeſehen werden muͤßte.
13. Was Paulum anlangt/ deſſen goͤttliche weisheit allen Predigern zum
exempel dienet/ da er uͤber den mißbrauch bey dem heiligen Abendmahl gegen
die Corinthier eiffert/ ob er wol in der gantzen epiſtel gnug zu erkennen giebet/
daß in derſelben gemeine allzuviele geweſen/ bey denen keine krafft GOttes/
ſondern allein eine aͤuſſerliche profesſion des Chriſtenthums/ ja nicht bey allen
ein gantz ehrbares leben/ ſich befunden/ ſo befiehlet er gleichwol eigentlich al-
lein den communicanten ſelbs/ daß ſie ſich pruͤffen ſolten/ und ſtraffet nicht ſo
wol die nachlaͤßigkeit der Prediger/ die die wuͤrdigkeit der communicanten pruͤ-
fen ſolten/ als den offenbahren und aͤrgerlichen mißbrauch/ ſo in der gemeinde
vor-
k k
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <list>
              <item><pb facs="#f1057" n="257"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b"><hi rendition="#aq"><hi rendition="#g">ARTIC.</hi> VI. <hi rendition="#g">SECTIO</hi> XXI.</hi></hi></fw><lb/>
er allen denen muß widerfahren la&#x017F;&#x017F;en/ die &#x017F;ich nicht unwu&#x0364;rdig gemacht haben/ der<lb/>
gemeinde glieder mehr zu hei&#x017F;&#x017F;en.</item><lb/>
              <item>11. Wann aber das unbußfertige hertz &#x017F;ich durch klahre zeugnu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en offen-<lb/>
bahret/ und die &#x017F;o vielmalige zu&#x017F;agungen/ die immer fal&#x017F;ch befunden wor-<lb/>
den/ den glauben der ku&#x0364;nfftigen &#x017F;elbs &#x017F;chwa&#x0364;chen/ der Prediger auch die <hi rendition="#aq">gra-<lb/>
dus admonitionum</hi> in obacht genommen hat/ &#x017F;o hat er in GOttes nahmen<lb/>
alsdann die &#x017F;ache an die kirche oder <hi rendition="#aq">con&#x017F;i&#x017F;torium</hi> zu bringen/ und dero aus-<lb/>
&#x017F;pruch oder hu&#x0364;lffe zu &#x017F;uchen und zu erwarten. Wormit er dann &#x017F;ein gewi&#x017F;&#x017F;en<lb/>
beruhigen mag/ und nicht &#x017F;orgen darff/ daß die zula&#x017F;&#x017F;ung der unwu&#x0364;rdigen nach<lb/>
allem die&#x017F;en angewandten fleiß &#x017F;ie recht wu&#x0364;rdig zu machen/ ihm vor GOTT<lb/>
verantwortung geben/ oder zur &#x017F;u&#x0364;nde zugerechnet werden mo&#x0364;gen.</item><lb/>
              <item>12. Die wahrheit die&#x017F;er dinge und &#x017F;a&#x0364;tze de&#x017F;to be&#x017F;&#x017F;er einzu&#x017F;ehen/ haben wir<lb/>
unter&#x017F;chiedliche <hi rendition="#aq">reflexiones</hi> zu machen; 1. Wie un&#x017F;er lieb&#x017F;te Heyland &#x017F;ich bey<lb/>
dem er&#x017F;ten Abendmahl verhalten/ da er nicht nur den <hi rendition="#aq">Judam,</hi> in welchen gar<lb/>
der Teuffel bereits gefahren war/ wi&#x017F;&#x017F;entlich dazu la&#x0364;&#x017F;&#x017F;et/ weil &#x017F;eine that noch<lb/>
nicht zu offenbahrem a&#x0364;rgernu&#x0364;ß und voll&#x017F;treckung gekommen war/ &#x017F;ondern auch<lb/>
bey den u&#x0364;brigen ju&#x0364;ngern dergleichen gedult brauchet/ dero man &#x017F;ich wundern<lb/>
&#x017F;olte: indem er &#x017F;ie auch dazu <hi rendition="#aq">admittirt,</hi> da &#x017F;ie nicht allein in gro&#x017F;&#x017F;er unwi&#x017F;&#x017F;en-<lb/>
heit des geheimnu&#x0364;&#x017F;&#x017F;es &#x017F;eines todes und in irriger einbildung von dem irrdi&#x017F;chen<lb/>
reich Meßia&#x0364; &#x017F;tunden/ &#x017F;ondern welches der hertzenku&#x0364;ndiger wohl wußte/ das<lb/>
hertz voller ehrgeitz hatten/ der/ &#x017F;o bald die&#x017F;e H. handlung vorbey war/ in offen-<lb/>
bahren zanck ausbrach: zu ge&#x017F;chweigen/ was noch in &#x017F;olcher nacht und fol-<lb/>
genden tag von Petro und den u&#x0364;brigen Apo&#x017F;teln vorgegangen i&#x017F;t/ und wie er-<lb/>
&#x017F;chrecklich &#x017F;ie &#x017F;ich gea&#x0364;rgert haben. Damit uns der HERR wei&#x017F;en wollen/ daß<lb/>
es nicht &#x017F;o wol als eine gnaden-belohnung und &#x017F;ta&#x0364;rckung der bereits heiligen<lb/>
und frommen/ als vielmehr artzney der krancken/ wo nur noch etwas von dem<lb/>
leben/ oder einiger wahrer guter wille u&#x0364;brig i&#x017F;t/ ange&#x017F;ehen werden mu&#x0364;ßte.</item><lb/>
              <item>13. Was Paulum anlangt/ de&#x017F;&#x017F;en go&#x0364;ttliche weisheit allen Predigern zum<lb/>
exempel dienet/ da er u&#x0364;ber den mißbrauch bey dem heiligen Abendmahl gegen<lb/>
die Corinthier eiffert/ ob er wol in der gantzen epi&#x017F;tel gnug zu erkennen giebet/<lb/>
daß in der&#x017F;elben gemeine allzuviele gewe&#x017F;en/ bey denen keine krafft GOttes/<lb/>
&#x017F;ondern allein eine a&#x0364;u&#x017F;&#x017F;erliche <hi rendition="#aq">profes&#x017F;ion</hi> des Chri&#x017F;tenthums/ ja nicht bey allen<lb/>
ein gantz ehrbares leben/ &#x017F;ich befunden/ &#x017F;o befiehlet er gleichwol eigentlich al-<lb/>
lein den <hi rendition="#aq">communicant</hi>en &#x017F;elbs/ daß &#x017F;ie &#x017F;ich pru&#x0364;ffen &#x017F;olten/ und &#x017F;traffet nicht &#x017F;o<lb/>
wol die nachla&#x0364;ßigkeit der Prediger/ die die wu&#x0364;rdigkeit der <hi rendition="#aq">communicant</hi>en pru&#x0364;-<lb/>
fen &#x017F;olten/ als den offenbahren und a&#x0364;rgerlichen mißbrauch/ &#x017F;o in der gemeinde<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">k k</fw><fw place="bottom" type="catch">vor-</fw><lb/></item>
            </list>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[257/1057] ARTIC. VI. SECTIO XXI. er allen denen muß widerfahren laſſen/ die ſich nicht unwuͤrdig gemacht haben/ der gemeinde glieder mehr zu heiſſen. 11. Wann aber das unbußfertige hertz ſich durch klahre zeugnuͤſſen offen- bahret/ und die ſo vielmalige zuſagungen/ die immer falſch befunden wor- den/ den glauben der kuͤnfftigen ſelbs ſchwaͤchen/ der Prediger auch die gra- dus admonitionum in obacht genommen hat/ ſo hat er in GOttes nahmen alsdann die ſache an die kirche oder conſiſtorium zu bringen/ und dero aus- ſpruch oder huͤlffe zu ſuchen und zu erwarten. Wormit er dann ſein gewiſſen beruhigen mag/ und nicht ſorgen darff/ daß die zulaſſung der unwuͤrdigen nach allem dieſen angewandten fleiß ſie recht wuͤrdig zu machen/ ihm vor GOTT verantwortung geben/ oder zur ſuͤnde zugerechnet werden moͤgen. 12. Die wahrheit dieſer dinge und ſaͤtze deſto beſſer einzuſehen/ haben wir unterſchiedliche reflexiones zu machen; 1. Wie unſer liebſte Heyland ſich bey dem erſten Abendmahl verhalten/ da er nicht nur den Judam, in welchen gar der Teuffel bereits gefahren war/ wiſſentlich dazu laͤſſet/ weil ſeine that noch nicht zu offenbahrem aͤrgernuͤß und vollſtreckung gekommen war/ ſondern auch bey den uͤbrigen juͤngern dergleichen gedult brauchet/ dero man ſich wundern ſolte: indem er ſie auch dazu admittirt, da ſie nicht allein in groſſer unwiſſen- heit des geheimnuͤſſes ſeines todes und in irriger einbildung von dem irrdiſchen reich Meßiaͤ ſtunden/ ſondern welches der hertzenkuͤndiger wohl wußte/ das hertz voller ehrgeitz hatten/ der/ ſo bald dieſe H. handlung vorbey war/ in offen- bahren zanck ausbrach: zu geſchweigen/ was noch in ſolcher nacht und fol- genden tag von Petro und den uͤbrigen Apoſteln vorgegangen iſt/ und wie er- ſchrecklich ſie ſich geaͤrgert haben. Damit uns der HERR weiſen wollen/ daß es nicht ſo wol als eine gnaden-belohnung und ſtaͤrckung der bereits heiligen und frommen/ als vielmehr artzney der krancken/ wo nur noch etwas von dem leben/ oder einiger wahrer guter wille uͤbrig iſt/ angeſehen werden muͤßte. 13. Was Paulum anlangt/ deſſen goͤttliche weisheit allen Predigern zum exempel dienet/ da er uͤber den mißbrauch bey dem heiligen Abendmahl gegen die Corinthier eiffert/ ob er wol in der gantzen epiſtel gnug zu erkennen giebet/ daß in derſelben gemeine allzuviele geweſen/ bey denen keine krafft GOttes/ ſondern allein eine aͤuſſerliche profesſion des Chriſtenthums/ ja nicht bey allen ein gantz ehrbares leben/ ſich befunden/ ſo befiehlet er gleichwol eigentlich al- lein den communicanten ſelbs/ daß ſie ſich pruͤffen ſolten/ und ſtraffet nicht ſo wol die nachlaͤßigkeit der Prediger/ die die wuͤrdigkeit der communicanten pruͤ- fen ſolten/ als den offenbahren und aͤrgerlichen mißbrauch/ ſo in der gemeinde vor- k k

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken01_1700
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken01_1700/1057
Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 1. Halle (Saale), 1700, S. 257. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken01_1700/1057>, abgerufen am 24.11.2024.