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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 1. Halle (Saale), 1700.

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ARTIC. VI. SECTIO IX.
Die IV. Frage.
Ob/ wann E. venerabile Consistorium metu majoris mali,
oder dem Demae ursach zu geben/ seine dienste zu resigniren/ der sonst
ratione scientiae der jugend wohl anstehet/ weder suspensionem,
noch excommunicationem per Majora zulassen wolte/ Timotheus
darbey acqviesciren/ und ihn solcher massen salva conscientia
absolvir
en könne und solle?

MO der Magistratus nicht dahin gebracht werden kan/ die Titio gegebene
erlaubnüß von seinem stand zu bleiben/ zu revociren/ und ihn zu den vori-
gen zu astringiren/ kan derselbe nicht ausgeschlossen werden: Timotheo aber
wäre zu rathen wegen des scrupels seines gewissens/ zu suchen/ daß man ihn sei-
nes beichtvater-amts erlassen/ und Titio einen andern beichtvater geben oder der-
gleichen zu wehlen freyheit ertheilen solte. Der HErr gebe allen seinen willen
zu erkennen/ ihrer eigenen und anderer gewissen zu schonen/ und zu thun/ was
das beste seye/ er wehre auch allen ärgernüssen kräfftiglich. Amen.

SECTIO IX.
Ob einer bey einem injurien proceß zur com-
munion
zu admittiren.

ES wird gefragt von Georgio, der mit Carolo in einem injurien processa
stehet/ und sich nicht versöhnen will/ daher die innerl. widrigkeit des gemü-
thes auch mit dem gebärden und andern anzeigungen bey dem gottesdienst
sich äussert/ ob solcher zum beichtstuhl und abendmahl zu admittiren seye.
Darauf erklähre meine Christliche meinung dahin. 1. Wo unsre gesamte verfas-
sungen recht nach den regeln Christi eingerichtet wären/ wäre der sache gantz leicht
gerathen/ denn die regeln Christi leiden wohl/ daß einen seinen guten nahmen vor der
Obrigkeit schütze/ nicht aber injurien proceße, welche wie sie auch in den legibus
eingeführet/ wahrhafftiger rache species sind/ darinnen man sich nicht nur schützet/
sondern eigentlich rächet/ und dem andern wehe zu thun begehret/ führe. Daher
gestehe ich gern/ daß ich einen solchen menschen ansehe/ als einen/ der in perpetuo
peccato
vor Gott stehe/ daher weder absolution noch heiligen abendmahls der fä-
hig seye. 2. Nachdem aber in unserm verwirten Christenthum auch dieses übel sich
findet/ daß dergleichen injurien proceße publice auctorisiret sind/ welches zwahr
die ordnung GOttes nicht ändert/ aber der Prediger (welche an die äusserliche
ordnungen auch gebunden sind/ und in verwaltung ihres amts die jenige admitti-

ren
ARTIC. VI. SECTIO IX.
Die IV. Frage.
Ob/ wann E. venerabile Conſiſtorium metu majoris mali,
oder dem Demæ urſach zu geben/ ſeine dienſte zu reſigniren/ der ſonſt
ratione ſcientiæ der jugend wohl anſtehet/ weder ſuſpenſionem,
noch excommunicationem per Majora zulaſſen wolte/ Timotheus
darbey acqvieſciren/ und ihn ſolcher maſſen ſalvâ conſcientiâ
abſolvir
en koͤnne und ſolle?

MO der Magiſtratus nicht dahin gebracht werden kan/ die Titio gegebene
erlaubnuͤß von ſeinem ſtand zu bleiben/ zu revociren/ und ihn zu den vori-
gen zu aſtringiren/ kan derſelbe nicht ausgeſchloſſen werden: Timotheo aber
waͤre zu rathen wegen des ſcrupels ſeines gewiſſens/ zu ſuchen/ daß man ihn ſei-
nes beichtvater-amts erlaſſen/ und Titio einen andern beichtvater geben oder der-
gleichen zu wehlen freyheit ertheilen ſolte. Der HErr gebe allen ſeinen willen
zu erkennen/ ihrer eigenen und anderer gewiſſen zu ſchonen/ und zu thun/ was
das beſte ſeye/ er wehre auch allen aͤrgernuͤſſen kraͤfftiglich. Amen.

SECTIO IX.
Ob einer bey einem injurien proceß zur com-
munion
zu admittiren.

ES wird gefragt von Georgio, der mit Carolo in einem injurien proceſſa
ſtehet/ und ſich nicht verſoͤhnen will/ daher die innerl. widrigkeit des gemuͤ-
thes auch mit dem gebaͤrden und andern anzeigungen bey dem gottesdienſt
ſich aͤuſſert/ ob ſolcher zum beichtſtuhl und abendmahl zu admittiren ſeye.
Darauf erklaͤhre meine Chriſtliche meinung dahin. 1. Wo unſre geſamte verfaſ-
ſungen recht nach den regeln Chriſti eingerichtet waͤren/ waͤre der ſache gantz leicht
gerathen/ denn die regeln Chriſti leidẽ wohl/ daß einen ſeinen guten nahmen vor der
Obrigkeit ſchuͤtze/ nicht aber injurien proceße, welche wie ſie auch in den legibus
eingefuͤhret/ wahrhafftiger rache ſpecies ſind/ darinnen man ſich nicht nur ſchuͤtzet/
ſondern eigentlich raͤchet/ und dem andern wehe zu thun begehret/ fuͤhre. Daher
geſtehe ich gern/ daß ich einen ſolchen menſchen anſehe/ als einen/ der in perpetuo
peccato
vor Gott ſtehe/ daher weder abſolution noch heiligen abendmahls deꝛ faͤ-
hig ſeye. 2. Nachdem aber in unſerm verwirten Chriſtenthum auch dieſes uͤbel ſich
findet/ daß dergleichen injurien proceße publice auctoriſiret ſind/ welches zwahr
die ordnung GOttes nicht aͤndert/ aber der Prediger (welche an die aͤuſſerliche
ordnungen auch gebunden ſind/ und in verwaltung ihres amts die jenige admitti-

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[215/1015] ARTIC. VI. SECTIO IX. Die IV. Frage. Ob/ wann E. venerabile Conſiſtorium metu majoris mali, oder dem Demæ urſach zu geben/ ſeine dienſte zu reſigniren/ der ſonſt ratione ſcientiæ der jugend wohl anſtehet/ weder ſuſpenſionem, noch excommunicationem per Majora zulaſſen wolte/ Timotheus darbey acqvieſciren/ und ihn ſolcher maſſen ſalvâ conſcientiâ abſolviren koͤnne und ſolle? MO der Magiſtratus nicht dahin gebracht werden kan/ die Titio gegebene erlaubnuͤß von ſeinem ſtand zu bleiben/ zu revociren/ und ihn zu den vori- gen zu aſtringiren/ kan derſelbe nicht ausgeſchloſſen werden: Timotheo aber waͤre zu rathen wegen des ſcrupels ſeines gewiſſens/ zu ſuchen/ daß man ihn ſei- nes beichtvater-amts erlaſſen/ und Titio einen andern beichtvater geben oder der- gleichen zu wehlen freyheit ertheilen ſolte. Der HErr gebe allen ſeinen willen zu erkennen/ ihrer eigenen und anderer gewiſſen zu ſchonen/ und zu thun/ was das beſte ſeye/ er wehre auch allen aͤrgernuͤſſen kraͤfftiglich. Amen. SECTIO IX. Ob einer bey einem injurien proceß zur com- munion zu admittiren. ES wird gefragt von Georgio, der mit Carolo in einem injurien proceſſa ſtehet/ und ſich nicht verſoͤhnen will/ daher die innerl. widrigkeit des gemuͤ- thes auch mit dem gebaͤrden und andern anzeigungen bey dem gottesdienſt ſich aͤuſſert/ ob ſolcher zum beichtſtuhl und abendmahl zu admittiren ſeye. Darauf erklaͤhre meine Chriſtliche meinung dahin. 1. Wo unſre geſamte verfaſ- ſungen recht nach den regeln Chriſti eingerichtet waͤren/ waͤre der ſache gantz leicht gerathen/ denn die regeln Chriſti leidẽ wohl/ daß einen ſeinen guten nahmen vor der Obrigkeit ſchuͤtze/ nicht aber injurien proceße, welche wie ſie auch in den legibus eingefuͤhret/ wahrhafftiger rache ſpecies ſind/ darinnen man ſich nicht nur ſchuͤtzet/ ſondern eigentlich raͤchet/ und dem andern wehe zu thun begehret/ fuͤhre. Daher geſtehe ich gern/ daß ich einen ſolchen menſchen anſehe/ als einen/ der in perpetuo peccato vor Gott ſtehe/ daher weder abſolution noch heiligen abendmahls deꝛ faͤ- hig ſeye. 2. Nachdem aber in unſerm verwirten Chriſtenthum auch dieſes uͤbel ſich findet/ daß dergleichen injurien proceße publice auctoriſiret ſind/ welches zwahr die ordnung GOttes nicht aͤndert/ aber der Prediger (welche an die aͤuſſerliche ordnungen auch gebunden ſind/ und in verwaltung ihres amts die jenige admitti- ren

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 1. Halle (Saale), 1700, S. 215. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken01_1700/1015>, abgerufen am 18.12.2024.