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[Spalding, Johann Joachim]: Betrachtung über die Bestimmung des Menschen. 3. Aufl. Berlin, 1749.

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Allein auch ausser dem dienet die ganze Natur dazu, mein
Vergnügen zu vermehren. Seit dem ich angefangen habe,
keine Spur der Schönheit und Regelmäßigkeit nachläßig zu
übergehen, finde ich sie unendlich in allem, was ich um mich
sehe. Alles ist Ordnung; alles ist Proportion; alles ist folg-
lich ein neuer Gegenstand des Wolgefallens, der Liebe und der
Freude. Wie gleichgültig, wie verachtenswürdig sind mir jene
blendenden Schimmer des Ansehens und der Pracht, gegen
den lebendigen Glanz der wahrhaftig schönen Welt, gegen die
Eindrücke der Frölichkeit, der Ruhe und der Bewunderung
von einem grünen Gefilde, von einem rauschenden Bach, von
dem angenehmen Schrecken der Nacht, oder von dem maje-
stätischen Auftritt unzählbarer Welten! Selbst die nächsten
und gemeinsten Gestaltungen der Natur rühren mich mit einem
tausendfachen Ergetzen, wenn ich sie mit einer Sele empfinde,
die zur Freude und zum Bewundern aufgelegt ist, und die
nicht in sich selbst, in ihrer eigenen Verkehrtheit, den natür-
lichsten Samen des Unmuths träget. Diese meine Sele um-
fasset die ganze Natur mit einer höhern Art der Liebe, als die
von den Sinnen entspringet; darum ist auch ihre Befriedi-
gung nicht in diese engen und wandelbaren Gränzen einge-
schränkt. Jch verliere mich mit Lust in die Erwägung dieser
allgemeinen Schönheit, davon ich selbst ein nicht verunstal-
tender Theil zu seyn trachte.

Jndem ich aber diesen Gedanken, die mich so hoch sühren, im-
mer weiter folge, so gerathe ich auf einen Begriff, der mich zu ei-
ner noch weit erhabenern Bewunderung hinreisset. ---- We-
sen, die schon in ihren Einschränkungen so schön sind; Welten,
die in ihren veränderlichen Theilen und in ihrer zufälligen Ver-
bindung so viel Richtigkeit haben; ein Ganzes voller Ordnung,
von dem kleinesten Staube an bis zu der unermeßlichsten Aus-
dehnung, voller Regelmäßigkeit in allen seinen Gesetzen, der
Körper sowol, als der Geister; ein Ganzes, das so mannigfal-
tig, und doch durch den genauesten Zusammenhang Eines ist;

diß


Allein auch auſſer dem dienet die ganze Natur dazu, mein
Vergnuͤgen zu vermehren. Seit dem ich angefangen habe,
keine Spur der Schoͤnheit und Regelmaͤßigkeit nachlaͤßig zu
uͤbergehen, finde ich ſie unendlich in allem, was ich um mich
ſehe. Alles iſt Ordnung; alles iſt Proportion; alles iſt folg-
lich ein neuer Gegenſtand des Wolgefallens, der Liebe und der
Freude. Wie gleichguͤltig, wie verachtenswuͤrdig ſind mir jene
blendenden Schimmer des Anſehens und der Pracht, gegen
den lebendigen Glanz der wahrhaftig ſchoͤnen Welt, gegen die
Eindruͤcke der Froͤlichkeit, der Ruhe und der Bewunderung
von einem gruͤnen Gefilde, von einem rauſchenden Bach, von
dem angenehmen Schrecken der Nacht, oder von dem maje-
ſtaͤtiſchen Auftritt unzaͤhlbarer Welten! Selbſt die naͤchſten
und gemeinſten Geſtaltungen der Natur ruͤhren mich mit einem
tauſendfachen Ergetzen, wenn ich ſie mit einer Sele empfinde,
die zur Freude und zum Bewundern aufgelegt iſt, und die
nicht in ſich ſelbſt, in ihrer eigenen Verkehrtheit, den natuͤr-
lichſten Samen des Unmuths traͤget. Dieſe meine Sele um-
faſſet die ganze Natur mit einer hoͤhern Art der Liebe, als die
von den Sinnen entſpringet; darum iſt auch ihre Befriedi-
gung nicht in dieſe engen und wandelbaren Graͤnzen einge-
ſchraͤnkt. Jch verliere mich mit Luſt in die Erwaͤgung dieſer
allgemeinen Schoͤnheit, davon ich ſelbſt ein nicht verunſtal-
tender Theil zu ſeyn trachte.

Jndem ich aber dieſen Gedanken, die mich ſo hoch ſuͤhren, im-
mer weiter folge, ſo gerathe ich auf einen Begriff, der mich zu ei-
ner noch weit erhabenern Bewunderung hinreiſſet. —— We-
ſen, die ſchon in ihren Einſchraͤnkungen ſo ſchoͤn ſind; Welten,
die in ihren veraͤnderlichen Theilen und in ihrer zufaͤlligen Ver-
bindung ſo viel Richtigkeit haben; ein Ganzes voller Ordnung,
von dem kleineſten Staube an bis zu der unermeßlichſten Aus-
dehnung, voller Regelmaͤßigkeit in allen ſeinen Geſetzen, der
Koͤrper ſowol, als der Geiſter; ein Ganzes, das ſo mannigfal-
tig, und doch durch den genaueſten Zuſammenhang Eines iſt;

diß
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[16/0026] Allein auch auſſer dem dienet die ganze Natur dazu, mein Vergnuͤgen zu vermehren. Seit dem ich angefangen habe, keine Spur der Schoͤnheit und Regelmaͤßigkeit nachlaͤßig zu uͤbergehen, finde ich ſie unendlich in allem, was ich um mich ſehe. Alles iſt Ordnung; alles iſt Proportion; alles iſt folg- lich ein neuer Gegenſtand des Wolgefallens, der Liebe und der Freude. Wie gleichguͤltig, wie verachtenswuͤrdig ſind mir jene blendenden Schimmer des Anſehens und der Pracht, gegen den lebendigen Glanz der wahrhaftig ſchoͤnen Welt, gegen die Eindruͤcke der Froͤlichkeit, der Ruhe und der Bewunderung von einem gruͤnen Gefilde, von einem rauſchenden Bach, von dem angenehmen Schrecken der Nacht, oder von dem maje- ſtaͤtiſchen Auftritt unzaͤhlbarer Welten! Selbſt die naͤchſten und gemeinſten Geſtaltungen der Natur ruͤhren mich mit einem tauſendfachen Ergetzen, wenn ich ſie mit einer Sele empfinde, die zur Freude und zum Bewundern aufgelegt iſt, und die nicht in ſich ſelbſt, in ihrer eigenen Verkehrtheit, den natuͤr- lichſten Samen des Unmuths traͤget. Dieſe meine Sele um- faſſet die ganze Natur mit einer hoͤhern Art der Liebe, als die von den Sinnen entſpringet; darum iſt auch ihre Befriedi- gung nicht in dieſe engen und wandelbaren Graͤnzen einge- ſchraͤnkt. Jch verliere mich mit Luſt in die Erwaͤgung dieſer allgemeinen Schoͤnheit, davon ich ſelbſt ein nicht verunſtal- tender Theil zu ſeyn trachte. Jndem ich aber dieſen Gedanken, die mich ſo hoch ſuͤhren, im- mer weiter folge, ſo gerathe ich auf einen Begriff, der mich zu ei- ner noch weit erhabenern Bewunderung hinreiſſet. —— We- ſen, die ſchon in ihren Einſchraͤnkungen ſo ſchoͤn ſind; Welten, die in ihren veraͤnderlichen Theilen und in ihrer zufaͤlligen Ver- bindung ſo viel Richtigkeit haben; ein Ganzes voller Ordnung, von dem kleineſten Staube an bis zu der unermeßlichſten Aus- dehnung, voller Regelmaͤßigkeit in allen ſeinen Geſetzen, der Koͤrper ſowol, als der Geiſter; ein Ganzes, das ſo mannigfal- tig, und doch durch den genaueſten Zuſammenhang Eines iſt; diß

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Zitationshilfe: [Spalding, Johann Joachim]: Betrachtung über die Bestimmung des Menschen. 3. Aufl. Berlin, 1749, S. 16. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spalding_bestimmung_1749/26>, abgerufen am 21.11.2024.