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Simmel, Georg: Stefan George. Eine kunstphilosophische Betrachtung. In: Die Zukunft, 26. Februar, Bd. 22 (1898), S. 386–396.

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Von glühender und banger Bitte Stammeln,
Von halben Seufzern, hingehaucht im Düster,

Und nichts von Wünschen, die auf untern Sprossen
Des festlichen Altars vernehmlich wimmern -
Du faßtest fragend, kalt und unentschlossen
Den Edelstein aus Gluthen, Thränen, Schimmern.
[George, Stefan: Das Jahr der Seele. Berlin, 1897, S. [8].]

Und:

Jahrestag.
O Schwester, nimm den Krug aus grauem Thon,
Begleite mich! Denn Du vergaßest nicht,
Was wir in frommer Wiederholung pflegten.
Heut sind es sieben Sommer, daß wirs hörten,
Als wir am Brunnen schöpfend uns besprachen:
Uns starb am selben Tag der Bräutigam.
Wir wollen an der Quelle, wo zwei Pappeln
Mit einer Fichte in den Wiesen stehn,
Jm Krug aus grauem Thone Wasser holen.
[George, Stefan: Die Bücher der Hirten- und Preisgedichte · der Sagen und Sänge und der hängenden Gärten / [Zeichnung von Jan Toorop]. In: Ders.: Gesamt-Ausgabe der Werke, Bd. 3. Berlin, 1930, S. [11].]

Jn allen Künsten bedeutet die Befreiung von dem Beisatz stofflicher Reize eine Verfeinerung und Reinheit der ästhetischen Durchbildung. Der schlimmste Fall des Gegentheiles ist es, wenn Historienbilder und historische Dramen ihre Bedeutsamkeit und ihr Jnteresse ausschließlich den Gefühls- und Gedankenmassen verdanken, die etwa durch die Vorstellung Alexanders oder Konradins oder Luthers assoziativ erregt werden. Nicht anders steht es mit dem Genrebild, das durch die Darstellung eines an sich amusanten Vorganges seinen Erfolg gewinnt. Wenn der Jnhalt eines Kunstwerkes auch in anderer als künstlerischer Form gegeben werden kann und auch in dieser als Reiz wirkt, so beweist Das, daß der Genuß des Kunstwerkes kein blos äthestischer, daß sein Sieg mit Hilfstruppen von fremder Herkunft erkämpft ist. Die Forderung, daß der Reiz, den die Materie des Kunstwerkes jenseits seiner Kunstform besitzt, von ihm ausgeschlossen werde, ist dennoch nicht so einfach begründbar. Denn zunächst: so sicher kein Kunstwerk von diesem stofflichen Reiz allein leben kann, so unbedenklich scheint es, ihn seinen rein ästhetischen Qualitäten noch sozusagen als opus superrogativum hinzuzufügen. Jn der That zeigen schönste Gedichte Goethes einen Gehalt an Gedanken, die auch in anderer als der poetischen Form von der größten und reizvollsten Bedeutsamkeit wären, so daß die Gesammtwirkung des Gedichtes, unbeschadet seiner künstlerischen Vollendung, sich doch aus dieser und der selbständigen Bedeutung seines Stoffes zusammensetzt. Wenn man nun den Gedichten Georges gegenüber empfindet, daß ihr Jnhalt durchaus nicht in irgend einer anderen als der poetischen Gestalt einen Reiz, ja nur Bestandfähigkeit bewahren könne und das Gedankliche in ihnen mit dem rein Artistischen steht und fällt, so scheint Das ihre Bedeutsamkeit doch mehr herab- als heraufzusetzen.

Von glühender und banger Bitte Stammeln,
Von halben Seufzern, hingehaucht im Düster,

Und nichts von Wünschen, die auf untern Sprossen
Des festlichen Altars vernehmlich wimmern –
Du faßtest fragend, kalt und unentschlossen
Den Edelstein aus Gluthen, Thränen, Schimmern.
[George, Stefan: Das Jahr der Seele. Berlin, 1897, S. [8].]

Und:

Jahrestag.
O Schwester, nimm den Krug aus grauem Thon,
Begleite mich! Denn Du vergaßest nicht,
Was wir in frommer Wiederholung pflegten.
Heut sind es sieben Sommer, daß wirs hörten,
Als wir am Brunnen schöpfend uns besprachen:
Uns starb am selben Tag der Bräutigam.
Wir wollen an der Quelle, wo zwei Pappeln
Mit einer Fichte in den Wiesen stehn,
Jm Krug aus grauem Thone Wasser holen.
[George, Stefan: Die Bücher der Hirten- und Preisgedichte · der Sagen und Sänge und der hängenden Gärten / [Zeichnung von Jan Toorop]. In: Ders.: Gesamt-Ausgabe der Werke, Bd. 3. Berlin, 1930, S. [11].]

Jn allen Künsten bedeutet die Befreiung von dem Beisatz stofflicher Reize eine Verfeinerung und Reinheit der ästhetischen Durchbildung. Der schlimmste Fall des Gegentheiles ist es, wenn Historienbilder und historische Dramen ihre Bedeutsamkeit und ihr Jnteresse ausschließlich den Gefühls- und Gedankenmassen verdanken, die etwa durch die Vorstellung Alexanders oder Konradins oder Luthers assoziativ erregt werden. Nicht anders steht es mit dem Genrebild, das durch die Darstellung eines an sich amusanten Vorganges seinen Erfolg gewinnt. Wenn der Jnhalt eines Kunstwerkes auch in anderer als künstlerischer Form gegeben werden kann und auch in dieser als Reiz wirkt, so beweist Das, daß der Genuß des Kunstwerkes kein blos äthestischer, daß sein Sieg mit Hilfstruppen von fremder Herkunft erkämpft ist. Die Forderung, daß der Reiz, den die Materie des Kunstwerkes jenseits seiner Kunstform besitzt, von ihm ausgeschlossen werde, ist dennoch nicht so einfach begründbar. Denn zunächst: so sicher kein Kunstwerk von diesem stofflichen Reiz allein leben kann, so unbedenklich scheint es, ihn seinen rein ästhetischen Qualitäten noch sozusagen als opus superrogativum hinzuzufügen. Jn der That zeigen schönste Gedichte Goethes einen Gehalt an Gedanken, die auch in anderer als der poetischen Form von der größten und reizvollsten Bedeutsamkeit wären, so daß die Gesammtwirkung des Gedichtes, unbeschadet seiner künstlerischen Vollendung, sich doch aus dieser und der selbständigen Bedeutung seines Stoffes zusammensetzt. Wenn man nun den Gedichten Georges gegenüber empfindet, daß ihr Jnhalt durchaus nicht in irgend einer anderen als der poetischen Gestalt einen Reiz, ja nur Bestandfähigkeit bewahren könne und das Gedankliche in ihnen mit dem rein Artistischen steht und fällt, so scheint Das ihre Bedeutsamkeit doch mehr herab- als heraufzusetzen.

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[393/0009] Von glühender und banger Bitte Stammeln, Von halben Seufzern, hingehaucht im Düster, Und nichts von Wünschen, die auf untern Sprossen Des festlichen Altars vernehmlich wimmern – Du faßtest fragend, kalt und unentschlossen Den Edelstein aus Gluthen, Thränen, Schimmern. George, Stefan: Das Jahr der Seele. Berlin, 1897, S. [8]. Und: Jahrestag. O Schwester, nimm den Krug aus grauem Thon, Begleite mich! Denn Du vergaßest nicht, Was wir in frommer Wiederholung pflegten. Heut sind es sieben Sommer, daß wirs hörten, Als wir am Brunnen schöpfend uns besprachen: Uns starb am selben Tag der Bräutigam. Wir wollen an der Quelle, wo zwei Pappeln Mit einer Fichte in den Wiesen stehn, Jm Krug aus grauem Thone Wasser holen. George, Stefan: Die Bücher der Hirten- und Preisgedichte · der Sagen und Sänge und der hängenden Gärten / [Zeichnung von Jan Toorop]. In: Ders.: Gesamt-Ausgabe der Werke, Bd. 3. Berlin, 1930, S. [11]. Jn allen Künsten bedeutet die Befreiung von dem Beisatz stofflicher Reize eine Verfeinerung und Reinheit der ästhetischen Durchbildung. Der schlimmste Fall des Gegentheiles ist es, wenn Historienbilder und historische Dramen ihre Bedeutsamkeit und ihr Jnteresse ausschließlich den Gefühls- und Gedankenmassen verdanken, die etwa durch die Vorstellung Alexanders oder Konradins oder Luthers assoziativ erregt werden. Nicht anders steht es mit dem Genrebild, das durch die Darstellung eines an sich amusanten Vorganges seinen Erfolg gewinnt. Wenn der Jnhalt eines Kunstwerkes auch in anderer als künstlerischer Form gegeben werden kann und auch in dieser als Reiz wirkt, so beweist Das, daß der Genuß des Kunstwerkes kein blos äthestischer, daß sein Sieg mit Hilfstruppen von fremder Herkunft erkämpft ist. Die Forderung, daß der Reiz, den die Materie des Kunstwerkes jenseits seiner Kunstform besitzt, von ihm ausgeschlossen werde, ist dennoch nicht so einfach begründbar. Denn zunächst: so sicher kein Kunstwerk von diesem stofflichen Reiz allein leben kann, so unbedenklich scheint es, ihn seinen rein ästhetischen Qualitäten noch sozusagen als opus superrogativum hinzuzufügen. Jn der That zeigen schönste Gedichte Goethes einen Gehalt an Gedanken, die auch in anderer als der poetischen Form von der größten und reizvollsten Bedeutsamkeit wären, so daß die Gesammtwirkung des Gedichtes, unbeschadet seiner künstlerischen Vollendung, sich doch aus dieser und der selbständigen Bedeutung seines Stoffes zusammensetzt. Wenn man nun den Gedichten Georges gegenüber empfindet, daß ihr Jnhalt durchaus nicht in irgend einer anderen als der poetischen Gestalt einen Reiz, ja nur Bestandfähigkeit bewahren könne und das Gedankliche in ihnen mit dem rein Artistischen steht und fällt, so scheint Das ihre Bedeutsamkeit doch mehr herab- als heraufzusetzen.

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Rudolf Brandmeyer: Herausgeber
Universität Duisburg-Essen, Projekt Lyriktheorie (Dr. Rudolf Brandmeyer): Bereitstellung der Texttranskription. (2017-12-08T11:03:09Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Christian Thomas: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-12-08T11:03:09Z)

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Bogensignaturen: nicht übernommen; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: keine Angabe; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: nicht übernommen; Kustoden: nicht übernommen; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




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Zitationshilfe: Simmel, Georg: Stefan George. Eine kunstphilosophische Betrachtung. In: Die Zukunft, 26. Februar, Bd. 22 (1898), S. 386–396, hier S. 393. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_george_1898/9>, abgerufen am 24.11.2024.