Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Simmel, Georg: Stefan George. Eine kunstphilosophische Betrachtung. In: Die Zukunft, 26. Februar, Bd. 22 (1898), S. 386–396.

Bild:
<< vorherige Seite

diesen ist Alles so konzentrirt, daß alle nach anderen Richtungen hingehenden Bedeutungstrahlen verloschen sind. Nur die dem Centrum des Gedichtes zugewandte Seite ist durch das Bewußtsein beleuchtet, alles Andere ist dunkel, wie der Theil des Mondes, der der Sonne abgewandt ist. Dadurch erhalten diese Gedichte eine absolute Einheit des Gefühlstones, eine unvergleichliche Geschlossenheit der Stimmung. Man lese etwa das folgende Gedicht:

Jch weiß, Du trittst zu mir ins Haus
Wie Jemand, der, an Leid gewöhnt,
Nicht froh ist, wo zu Spiel und Schmaus
Die Saite zwischen Säulen dröhnt.
Hier schreitet man nicht laut, nicht oft,
Durchs Fenster dringt der Herbstgeruch.
Hier wird ein Trost Dem, der nicht hofft,
Und bangem Frager milder Spruch.
Beim Eintritt leis ein Händedruck,
Beim Weiterzug vom stillen Heim
Ein Kuß - und ein bescheidner Schmuck,
Als Gastgeschenk: ein zarter Reim.
[George, Stefan: Das Jahr der Seele. Berlin, 1897, S. [37].]

Man bemerke nur, wie das Wort "Kuß" hier wirkt, das sonst so vielerlei, ganz außerhalb des Kunstzweckes liegende Assoziationen zu wecken pflegt, die, so unbewußt sie seien, mit diesem in unlauteren Wettbewerb treten und ihm einen illegitimen Reiz hinzufügen. Es ist, als wenn der äußere Wohlklang seiner Verse nichts Anderes wäre als die Erscheinung oder die Folge dieser inneren Harmonisirung, die in dem Hörer keinen anderen seelischen Ton anklingen läßt als den, der zu dem Grundton des Ganzen harmonisch ist, und ihm jede Brücke verweigert, aus der Einheit des Kunstwerkes zu abseits liegenden Attraktionen seines Stoffes auszuschweifen. Oder auch umgekehrt mag es sich in Wirklichkeit verhalten: die unbeschreibliche Musik dieser Verse, ihr Fließen und Gleiten, das das Ohr niemals durch eine Rauheit, Stockung, Entgleisen aus der Tonart aufschreckt, die Verknüpftheit der Laute, deren jeder mit seinem Vorher und Nachher eine sinnlich nothwendige Klangeinheit bildet: Das ist wahrscheinlich das technische Mittel, das es George ermöglicht, alle Bedeutungen der Worte wie des Stoffes, die nicht genau dem Stimmungbild und dem einheitlichen Kunstzweck zugehören, von der psychologischen Mitwirkung auszuschließen.

Wenn nun mit Alledem gleichsam die Form dieser Lyrik beschrieben ist, so scheint ihre Bedeutung erst durch die des Kunstinhaltes nachzuweisen, der, nach Verbannung aller anderen Elemente, ihr Ein und Alles bildet. Allein diese Frage, die mit der nach der Schönheit und Größe des eigentlich dichterischen Talentes Stefan Georges zusammenfällt, geht nun vielmehr die

diesen ist Alles so konzentrirt, daß alle nach anderen Richtungen hingehenden Bedeutungstrahlen verloschen sind. Nur die dem Centrum des Gedichtes zugewandte Seite ist durch das Bewußtsein beleuchtet, alles Andere ist dunkel, wie der Theil des Mondes, der der Sonne abgewandt ist. Dadurch erhalten diese Gedichte eine absolute Einheit des Gefühlstones, eine unvergleichliche Geschlossenheit der Stimmung. Man lese etwa das folgende Gedicht:

Jch weiß, Du trittst zu mir ins Haus
Wie Jemand, der, an Leid gewöhnt,
Nicht froh ist, wo zu Spiel und Schmaus
Die Saite zwischen Säulen dröhnt.
Hier schreitet man nicht laut, nicht oft,
Durchs Fenster dringt der Herbstgeruch.
Hier wird ein Trost Dem, der nicht hofft,
Und bangem Frager milder Spruch.
Beim Eintritt leis ein Händedruck,
Beim Weiterzug vom stillen Heim
Ein Kuß – und ein bescheidner Schmuck,
Als Gastgeschenk: ein zarter Reim.
[George, Stefan: Das Jahr der Seele. Berlin, 1897, S. [37].]

Man bemerke nur, wie das Wort „Kuß“ hier wirkt, das sonst so vielerlei, ganz außerhalb des Kunstzweckes liegende Assoziationen zu wecken pflegt, die, so unbewußt sie seien, mit diesem in unlauteren Wettbewerb treten und ihm einen illegitimen Reiz hinzufügen. Es ist, als wenn der äußere Wohlklang seiner Verse nichts Anderes wäre als die Erscheinung oder die Folge dieser inneren Harmonisirung, die in dem Hörer keinen anderen seelischen Ton anklingen läßt als den, der zu dem Grundton des Ganzen harmonisch ist, und ihm jede Brücke verweigert, aus der Einheit des Kunstwerkes zu abseits liegenden Attraktionen seines Stoffes auszuschweifen. Oder auch umgekehrt mag es sich in Wirklichkeit verhalten: die unbeschreibliche Musik dieser Verse, ihr Fließen und Gleiten, das das Ohr niemals durch eine Rauheit, Stockung, Entgleisen aus der Tonart aufschreckt, die Verknüpftheit der Laute, deren jeder mit seinem Vorher und Nachher eine sinnlich nothwendige Klangeinheit bildet: Das ist wahrscheinlich das technische Mittel, das es George ermöglicht, alle Bedeutungen der Worte wie des Stoffes, die nicht genau dem Stimmungbild und dem einheitlichen Kunstzweck zugehören, von der psychologischen Mitwirkung auszuschließen.

Wenn nun mit Alledem gleichsam die Form dieser Lyrik beschrieben ist, so scheint ihre Bedeutung erst durch die des Kunstinhaltes nachzuweisen, der, nach Verbannung aller anderen Elemente, ihr Ein und Alles bildet. Allein diese Frage, die mit der nach der Schönheit und Größe des eigentlich dichterischen Talentes Stefan Georges zusammenfällt, geht nun vielmehr die

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div>
          <p><pb facs="#f0011" n="395"/>
diesen ist Alles so konzentrirt, daß alle nach anderen Richtungen hingehenden  Bedeutungstrahlen verloschen sind. Nur die dem Centrum des Gedichtes zugewandte Seite  ist durch das Bewußtsein beleuchtet, alles Andere ist dunkel, wie der Theil des Mondes,  der der Sonne abgewandt ist. Dadurch erhalten diese Gedichte eine absolute Einheit des  Gefühlstones, eine unvergleichliche Geschlossenheit der Stimmung. Man lese etwa das  folgende Gedicht:<lb/><cit><quote><lg type="poem"><lg n="1"><l>Jch weiß, Du trittst zu mir ins Haus</l><lb/><l>Wie Jemand, der, an Leid gewöhnt,</l><lb/><l>Nicht froh ist, wo zu Spiel und Schmaus</l><lb/><l>Die Saite zwischen Säulen dröhnt.</l><lb/></lg><lg n="2"><l>Hier schreitet man nicht laut, nicht oft,</l><lb/><l>Durchs Fenster dringt der Herbstgeruch.</l><lb/><l>Hier wird ein Trost Dem, der nicht hofft,</l><lb/><l>Und bangem Frager milder Spruch.</l><lb/></lg><lg n="3"><l>Beim Eintritt leis ein Händedruck,</l><lb/><l>Beim Weiterzug vom stillen Heim</l><lb/><l>Ein Kuß &#x2013; und ein bescheidner Schmuck,</l><lb/><l>Als Gastgeschenk: ein zarter Reim.</l><lb/></lg></lg></quote><bibl><supplied><ref target="http://www.deutschestextarchiv.de/george_seele_1897/47">George, Stefan: Das Jahr der Seele. Berlin, 1897, S. [37].</ref></supplied></bibl></cit> </p><lb/>
          <p>Man bemerke nur, wie das Wort &#x201E;Kuß&#x201C; hier wirkt, das sonst so vielerlei, ganz außerhalb des  Kunstzweckes liegende Assoziationen zu wecken pflegt, die, so unbewußt sie seien, mit diesem  in unlauteren Wettbewerb treten und ihm einen illegitimen Reiz hinzufügen. Es ist, als wenn  der äußere Wohlklang seiner Verse nichts Anderes wäre als die Erscheinung oder die Folge  dieser inneren Harmonisirung, die in dem Hörer keinen anderen seelischen Ton anklingen  läßt als den, der zu dem Grundton des Ganzen harmonisch ist, und ihm jede Brücke verweigert,  aus der Einheit des Kunstwerkes zu abseits liegenden Attraktionen seines Stoffes auszuschweifen.  Oder auch umgekehrt mag es sich in Wirklichkeit verhalten: die unbeschreibliche Musik dieser  Verse, ihr Fließen und Gleiten, das das Ohr niemals durch eine Rauheit, Stockung, Entgleisen  aus der Tonart aufschreckt, die Verknüpftheit der Laute, deren jeder mit seinem Vorher und  Nachher eine sinnlich nothwendige Klangeinheit bildet: Das ist wahrscheinlich das technische  Mittel, das es George ermöglicht, alle Bedeutungen der Worte wie des Stoffes, die nicht genau  dem Stimmungbild und dem einheitlichen Kunstzweck zugehören, von der psychologischen  Mitwirkung auszuschließen.</p><lb/>
          <p>Wenn nun mit Alledem gleichsam die Form dieser Lyrik beschrieben ist, so scheint ihre  Bedeutung erst durch die des Kunstinhaltes nachzuweisen, der, nach Verbannung aller  anderen Elemente, ihr Ein und Alles bildet. Allein diese Frage, die mit der nach der Schönheit  und Größe des eigentlich dichterischen Talentes Stefan Georges zusammenfällt, geht nun vielmehr  die<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[395/0011] diesen ist Alles so konzentrirt, daß alle nach anderen Richtungen hingehenden Bedeutungstrahlen verloschen sind. Nur die dem Centrum des Gedichtes zugewandte Seite ist durch das Bewußtsein beleuchtet, alles Andere ist dunkel, wie der Theil des Mondes, der der Sonne abgewandt ist. Dadurch erhalten diese Gedichte eine absolute Einheit des Gefühlstones, eine unvergleichliche Geschlossenheit der Stimmung. Man lese etwa das folgende Gedicht: Jch weiß, Du trittst zu mir ins Haus Wie Jemand, der, an Leid gewöhnt, Nicht froh ist, wo zu Spiel und Schmaus Die Saite zwischen Säulen dröhnt. Hier schreitet man nicht laut, nicht oft, Durchs Fenster dringt der Herbstgeruch. Hier wird ein Trost Dem, der nicht hofft, Und bangem Frager milder Spruch. Beim Eintritt leis ein Händedruck, Beim Weiterzug vom stillen Heim Ein Kuß – und ein bescheidner Schmuck, Als Gastgeschenk: ein zarter Reim. George, Stefan: Das Jahr der Seele. Berlin, 1897, S. [37]. Man bemerke nur, wie das Wort „Kuß“ hier wirkt, das sonst so vielerlei, ganz außerhalb des Kunstzweckes liegende Assoziationen zu wecken pflegt, die, so unbewußt sie seien, mit diesem in unlauteren Wettbewerb treten und ihm einen illegitimen Reiz hinzufügen. Es ist, als wenn der äußere Wohlklang seiner Verse nichts Anderes wäre als die Erscheinung oder die Folge dieser inneren Harmonisirung, die in dem Hörer keinen anderen seelischen Ton anklingen läßt als den, der zu dem Grundton des Ganzen harmonisch ist, und ihm jede Brücke verweigert, aus der Einheit des Kunstwerkes zu abseits liegenden Attraktionen seines Stoffes auszuschweifen. Oder auch umgekehrt mag es sich in Wirklichkeit verhalten: die unbeschreibliche Musik dieser Verse, ihr Fließen und Gleiten, das das Ohr niemals durch eine Rauheit, Stockung, Entgleisen aus der Tonart aufschreckt, die Verknüpftheit der Laute, deren jeder mit seinem Vorher und Nachher eine sinnlich nothwendige Klangeinheit bildet: Das ist wahrscheinlich das technische Mittel, das es George ermöglicht, alle Bedeutungen der Worte wie des Stoffes, die nicht genau dem Stimmungbild und dem einheitlichen Kunstzweck zugehören, von der psychologischen Mitwirkung auszuschließen. Wenn nun mit Alledem gleichsam die Form dieser Lyrik beschrieben ist, so scheint ihre Bedeutung erst durch die des Kunstinhaltes nachzuweisen, der, nach Verbannung aller anderen Elemente, ihr Ein und Alles bildet. Allein diese Frage, die mit der nach der Schönheit und Größe des eigentlich dichterischen Talentes Stefan Georges zusammenfällt, geht nun vielmehr die

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Rudolf Brandmeyer: Herausgeber
Universität Duisburg-Essen, Projekt Lyriktheorie (Dr. Rudolf Brandmeyer): Bereitstellung der Texttranskription. (2017-12-08T11:03:09Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Christian Thomas: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-12-08T11:03:09Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht übernommen; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: keine Angabe; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: nicht übernommen; Kustoden: nicht übernommen; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_george_1898
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_george_1898/11
Zitationshilfe: Simmel, Georg: Stefan George. Eine kunstphilosophische Betrachtung. In: Die Zukunft, 26. Februar, Bd. 22 (1898), S. 386–396, hier S. 395. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_george_1898/11>, abgerufen am 21.11.2024.