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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900.

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Begriffes. Dort gilt die Wahrheit, trotzdem sie relativ ist, hier grade,
weil sie es ist.

Ich begnüge mich hier, das relativistische Prinzip beispielsweise
für einige allgemeine Fragen des Erkennens überhaupt ausgeführt zu
haben -- nicht für die Inhalte desselben, sondern für die Form, in
der diese uns Wahrheit werden. Man hat vielfach die relativistische An-
schauung als eine Herabsetzung des Wertes, der Zuverlässigkeit und Be-
deutsamkeit der Dinge empfunden, wobei übersehen wird, dass nur das
naive Festhalten irgend eines Absoluten, das ja grade in Frage gestellt
ist, dem Relativen diese Stellung zuweisen könnte. Eher liegt es in
Wirklichkeit umgekehrt: durch die ins Unendliche hin fortgesetzte
Auflösung jedes starren Fürsichseins in Wechselwirkungen nähern wir
uns überhaupt erst jener funktionellen Einheit aller Weltelemente,
in der die Bedeutsamkeit eines jeden auf jedes andere überstrahlt.
Darum steht der Relativismus auch seinem extremen Gegensatz, dem
Spinozismus mit seiner allumfassenden substantia sive Deus, näher
als man glauben möchte. Dieses Absolute, das keinen anderen In-
halt hat als den Allgemeinbegriff des Seins überhaupt, schliesst dem-
nach in seine Einheit alles ein, was überhaupt ist. Die einzelnen
Dinge können nun allerdings kein Sein für sich mehr haben, wenn
alles Sein seiner Realität nach schon in jene göttliche Substanz ebenso
vereinheitlicht worden ist, wie es seinem abstrakten Begriff nach,
eben als Seiendes überhaupt, eine Einheit bildet. Alle singulären
Beständigkeiten und Substanzialitäten, alle Absolutheiten zweiter Ord-
nung sind nun so vollständig in jene eine aufgegangen, dass man direkt
sagen kann: in einem Monismus, wie dem Spinozischen, sind die sämt-
lichen Inhalte des Weltbildes zu Relativitäten geworden. Die um-
fassende Substanz, das allein übrig gebliebene Absolute, kann nun,
ohne dass die Wirklichkeiten inhaltlich alteriert würden, ausser Betracht
gesetzt werden -- die Expropriateurin wird expropriiert, wie Marx
einen formal gleichen Prozess beschreibt -- und es bleibt thatsächlich die
relativistische Aufgelöstheit der Dinge in Beziehungen und Prozesse
übrig. Dies also mag als Hinweisung auf einen philosophischen Stand-
punkt genügen, auf dem die Mannigfaltigkeit der Dinge eine letzte
Einheit der Betrachtung zu gewinnen vermag, und die die oben ge-
gebene Deutung des wirtschaftlichen Wertes in den weitesten Zu-
sammenhang einordnet. Indem der Grundzug aller erkennbaren Exi-
stenz, das Aufeinander-Angewiesensein und die Wechselwirkung alles
Daseienden den ökonomischen Wert aufnimmt und seiner Materie dieses
Lebensprinzip erteilt, wird nun erst das innere Wesen des Geldes
verständlich. Denn in ihm hat der Wert der Dinge, als ihre wirt-

Begriffes. Dort gilt die Wahrheit, trotzdem sie relativ ist, hier grade,
weil sie es ist.

Ich begnüge mich hier, das relativistische Prinzip beispielsweise
für einige allgemeine Fragen des Erkennens überhaupt ausgeführt zu
haben — nicht für die Inhalte desselben, sondern für die Form, in
der diese uns Wahrheit werden. Man hat vielfach die relativistische An-
schauung als eine Herabsetzung des Wertes, der Zuverlässigkeit und Be-
deutsamkeit der Dinge empfunden, wobei übersehen wird, daſs nur das
naive Festhalten irgend eines Absoluten, das ja grade in Frage gestellt
ist, dem Relativen diese Stellung zuweisen könnte. Eher liegt es in
Wirklichkeit umgekehrt: durch die ins Unendliche hin fortgesetzte
Auflösung jedes starren Fürsichseins in Wechselwirkungen nähern wir
uns überhaupt erst jener funktionellen Einheit aller Weltelemente,
in der die Bedeutsamkeit eines jeden auf jedes andere überstrahlt.
Darum steht der Relativismus auch seinem extremen Gegensatz, dem
Spinozismus mit seiner allumfassenden substantia sive Deus, näher
als man glauben möchte. Dieses Absolute, das keinen anderen In-
halt hat als den Allgemeinbegriff des Seins überhaupt, schlieſst dem-
nach in seine Einheit alles ein, was überhaupt ist. Die einzelnen
Dinge können nun allerdings kein Sein für sich mehr haben, wenn
alles Sein seiner Realität nach schon in jene göttliche Substanz ebenso
vereinheitlicht worden ist, wie es seinem abstrakten Begriff nach,
eben als Seiendes überhaupt, eine Einheit bildet. Alle singulären
Beständigkeiten und Substanzialitäten, alle Absolutheiten zweiter Ord-
nung sind nun so vollständig in jene eine aufgegangen, daſs man direkt
sagen kann: in einem Monismus, wie dem Spinozischen, sind die sämt-
lichen Inhalte des Weltbildes zu Relativitäten geworden. Die um-
fassende Substanz, das allein übrig gebliebene Absolute, kann nun,
ohne daſs die Wirklichkeiten inhaltlich alteriert würden, auſser Betracht
gesetzt werden — die Expropriateurin wird expropriiert, wie Marx
einen formal gleichen Prozeſs beschreibt — und es bleibt thatsächlich die
relativistische Aufgelöstheit der Dinge in Beziehungen und Prozesse
übrig. Dies also mag als Hinweisung auf einen philosophischen Stand-
punkt genügen, auf dem die Mannigfaltigkeit der Dinge eine letzte
Einheit der Betrachtung zu gewinnen vermag, und die die oben ge-
gebene Deutung des wirtschaftlichen Wertes in den weitesten Zu-
sammenhang einordnet. Indem der Grundzug aller erkennbaren Exi-
stenz, das Aufeinander-Angewiesensein und die Wechselwirkung alles
Daseienden den ökonomischen Wert aufnimmt und seiner Materie dieses
Lebensprinzip erteilt, wird nun erst das innere Wesen des Geldes
verständlich. Denn in ihm hat der Wert der Dinge, als ihre wirt-

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[74/0098] Begriffes. Dort gilt die Wahrheit, trotzdem sie relativ ist, hier grade, weil sie es ist. Ich begnüge mich hier, das relativistische Prinzip beispielsweise für einige allgemeine Fragen des Erkennens überhaupt ausgeführt zu haben — nicht für die Inhalte desselben, sondern für die Form, in der diese uns Wahrheit werden. Man hat vielfach die relativistische An- schauung als eine Herabsetzung des Wertes, der Zuverlässigkeit und Be- deutsamkeit der Dinge empfunden, wobei übersehen wird, daſs nur das naive Festhalten irgend eines Absoluten, das ja grade in Frage gestellt ist, dem Relativen diese Stellung zuweisen könnte. Eher liegt es in Wirklichkeit umgekehrt: durch die ins Unendliche hin fortgesetzte Auflösung jedes starren Fürsichseins in Wechselwirkungen nähern wir uns überhaupt erst jener funktionellen Einheit aller Weltelemente, in der die Bedeutsamkeit eines jeden auf jedes andere überstrahlt. Darum steht der Relativismus auch seinem extremen Gegensatz, dem Spinozismus mit seiner allumfassenden substantia sive Deus, näher als man glauben möchte. Dieses Absolute, das keinen anderen In- halt hat als den Allgemeinbegriff des Seins überhaupt, schlieſst dem- nach in seine Einheit alles ein, was überhaupt ist. Die einzelnen Dinge können nun allerdings kein Sein für sich mehr haben, wenn alles Sein seiner Realität nach schon in jene göttliche Substanz ebenso vereinheitlicht worden ist, wie es seinem abstrakten Begriff nach, eben als Seiendes überhaupt, eine Einheit bildet. Alle singulären Beständigkeiten und Substanzialitäten, alle Absolutheiten zweiter Ord- nung sind nun so vollständig in jene eine aufgegangen, daſs man direkt sagen kann: in einem Monismus, wie dem Spinozischen, sind die sämt- lichen Inhalte des Weltbildes zu Relativitäten geworden. Die um- fassende Substanz, das allein übrig gebliebene Absolute, kann nun, ohne daſs die Wirklichkeiten inhaltlich alteriert würden, auſser Betracht gesetzt werden — die Expropriateurin wird expropriiert, wie Marx einen formal gleichen Prozeſs beschreibt — und es bleibt thatsächlich die relativistische Aufgelöstheit der Dinge in Beziehungen und Prozesse übrig. Dies also mag als Hinweisung auf einen philosophischen Stand- punkt genügen, auf dem die Mannigfaltigkeit der Dinge eine letzte Einheit der Betrachtung zu gewinnen vermag, und die die oben ge- gebene Deutung des wirtschaftlichen Wertes in den weitesten Zu- sammenhang einordnet. Indem der Grundzug aller erkennbaren Exi- stenz, das Aufeinander-Angewiesensein und die Wechselwirkung alles Daseienden den ökonomischen Wert aufnimmt und seiner Materie dieses Lebensprinzip erteilt, wird nun erst das innere Wesen des Geldes verständlich. Denn in ihm hat der Wert der Dinge, als ihre wirt-

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Zitationshilfe: Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 74. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/98>, abgerufen am 24.11.2024.