existiert im Orient und vielfach sogar in Italien der Begriff des ange- messenen Preises nicht, der für Käufer wie Verkäufer eine Schranke und Fixierung der subjektiven Vorteile bilde. Jeder verkauft so teuer und kauft so billig, wie er es vom Gegenpart durchsetzen kann, der Tausch ist ausschliesslich subjektive Aktion zwischen zwei Personen, deren Ausgang nur von der Schlauheit, der Begierde, der Beharrlich- keit der Parteien, aber nicht von der Sache und ihrem überindividuell begründeten Verhältnis zum Preise abhängt. Darin eben bestünde ein Geschäft -- so setzte mir ein römischer Antiquitätenhändler ausein- ander -- dass der Kaufmann zu viel forderte und der Käufer zu wenig böte und man sich so allmählich bis zu einem acceptabeln Punkt einander näherte. Hier sieht man also deutlich, wie sich das objektiv Angemessene aus dem Gegeneinander der Subjekte herausstellt -- das Ganze ein Hinein- ragen der vortauschlichen Verhältnisse in eine schon durchgängige, aber noch nicht zu ihrer Konsequenz gelangte Tauschwirtschaft. Hier liegt wohl auch das letzte Motiv für die sakralen Formen, die gesetzliche Fixiertheit, die Sicherung durch Öffentlichkeit und Tradition, mit der das Kaufgeschäft in allen frühen Kulturen ausgestattet ist. Hiermit erreichte man die aus dem Wesen des Tausches geforderte Über-Sub- jektivität, die man noch nicht durch das sachliche Verhältnis der Ob- jekte selbst herzustellen wusste. Solange der Tausch und die Idee, dass es zwischen den Dingen so etwas wie Wertgleichheit gebe, noch etwas Neues war, wäre es zu einer Verständigung überhaupt nicht ge- kommen, wenn je zwei Individuen untereinander sie hätten treffen müssen. Deshalb finden wir überall und bis tief in das Mittelalter hinein nicht nur Öffentlichkeit der Tauschgeschäfte, sondern vor allem genaue Festsetzungen über die Austauschquanten der gebräuchlichen Waren, denen kein Kontrahentenpaar sich durch private Abmachungen entziehen durfte. Freilich ist diese Objektivität eine mechanische und äusserliche, die sich auf Motive und Mächte ausserhalb des einzelnen Tauschaktes stützt. Die sachlich angemessene enthebt sich solcher apriorischen Festlegung und bezieht in die Berechnung die Gesamt- heit der besonderen Umstände ein, die durch jene Form vergewaltigt wurden. Aber Absicht und Prinzip sind die gleichen: die übersub- jektive Wertfixierung im Tausche, die eben später nur einen sach- licheren, immanenteren Weg fand. Der von Individuen frei und selb- ständig vollzogene Tausch setzt eine Taxierung nach in der Sache ge- legenen Massstäben voraus, und darum muss in dem vorhergehenden Stadium der Tausch inhaltlich fixiert und diese Fixierung sozial garan- tiert sein, weil sonst dem Individuum jeder Anhaltspunkt für die Schätzung der Gegenstände gefehlt hätte; wie wohl das gleiche Motiv
existiert im Orient und vielfach sogar in Italien der Begriff des ange- messenen Preises nicht, der für Käufer wie Verkäufer eine Schranke und Fixierung der subjektiven Vorteile bilde. Jeder verkauft so teuer und kauft so billig, wie er es vom Gegenpart durchsetzen kann, der Tausch ist ausschlieſslich subjektive Aktion zwischen zwei Personen, deren Ausgang nur von der Schlauheit, der Begierde, der Beharrlich- keit der Parteien, aber nicht von der Sache und ihrem überindividuell begründeten Verhältnis zum Preise abhängt. Darin eben bestünde ein Geschäft — so setzte mir ein römischer Antiquitätenhändler ausein- ander — daſs der Kaufmann zu viel forderte und der Käufer zu wenig böte und man sich so allmählich bis zu einem acceptabeln Punkt einander näherte. Hier sieht man also deutlich, wie sich das objektiv Angemessene aus dem Gegeneinander der Subjekte herausstellt — das Ganze ein Hinein- ragen der vortauschlichen Verhältnisse in eine schon durchgängige, aber noch nicht zu ihrer Konsequenz gelangte Tauschwirtschaft. Hier liegt wohl auch das letzte Motiv für die sakralen Formen, die gesetzliche Fixiertheit, die Sicherung durch Öffentlichkeit und Tradition, mit der das Kaufgeschäft in allen frühen Kulturen ausgestattet ist. Hiermit erreichte man die aus dem Wesen des Tausches geforderte Über-Sub- jektivität, die man noch nicht durch das sachliche Verhältnis der Ob- jekte selbst herzustellen wuſste. Solange der Tausch und die Idee, daſs es zwischen den Dingen so etwas wie Wertgleichheit gebe, noch etwas Neues war, wäre es zu einer Verständigung überhaupt nicht ge- kommen, wenn je zwei Individuen untereinander sie hätten treffen müssen. Deshalb finden wir überall und bis tief in das Mittelalter hinein nicht nur Öffentlichkeit der Tauschgeschäfte, sondern vor allem genaue Festsetzungen über die Austauschquanten der gebräuchlichen Waren, denen kein Kontrahentenpaar sich durch private Abmachungen entziehen durfte. Freilich ist diese Objektivität eine mechanische und äuſserliche, die sich auf Motive und Mächte auſserhalb des einzelnen Tauschaktes stützt. Die sachlich angemessene enthebt sich solcher apriorischen Festlegung und bezieht in die Berechnung die Gesamt- heit der besonderen Umstände ein, die durch jene Form vergewaltigt wurden. Aber Absicht und Prinzip sind die gleichen: die übersub- jektive Wertfixierung im Tausche, die eben später nur einen sach- licheren, immanenteren Weg fand. Der von Individuen frei und selb- ständig vollzogene Tausch setzt eine Taxierung nach in der Sache ge- legenen Maſsstäben voraus, und darum muſs in dem vorhergehenden Stadium der Tausch inhaltlich fixiert und diese Fixierung sozial garan- tiert sein, weil sonst dem Individuum jeder Anhaltspunkt für die Schätzung der Gegenstände gefehlt hätte; wie wohl das gleiche Motiv
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[54/0078]
existiert im Orient und vielfach sogar in Italien der Begriff des ange-
messenen Preises nicht, der für Käufer wie Verkäufer eine Schranke
und Fixierung der subjektiven Vorteile bilde. Jeder verkauft so teuer
und kauft so billig, wie er es vom Gegenpart durchsetzen kann, der
Tausch ist ausschlieſslich subjektive Aktion zwischen zwei Personen,
deren Ausgang nur von der Schlauheit, der Begierde, der Beharrlich-
keit der Parteien, aber nicht von der Sache und ihrem überindividuell
begründeten Verhältnis zum Preise abhängt. Darin eben bestünde ein
Geschäft — so setzte mir ein römischer Antiquitätenhändler ausein-
ander — daſs der Kaufmann zu viel forderte und der Käufer zu wenig
böte und man sich so allmählich bis zu einem acceptabeln Punkt einander
näherte. Hier sieht man also deutlich, wie sich das objektiv Angemessene
aus dem Gegeneinander der Subjekte herausstellt — das Ganze ein Hinein-
ragen der vortauschlichen Verhältnisse in eine schon durchgängige, aber
noch nicht zu ihrer Konsequenz gelangte Tauschwirtschaft. Hier liegt
wohl auch das letzte Motiv für die sakralen Formen, die gesetzliche
Fixiertheit, die Sicherung durch Öffentlichkeit und Tradition, mit der
das Kaufgeschäft in allen frühen Kulturen ausgestattet ist. Hiermit
erreichte man die aus dem Wesen des Tausches geforderte Über-Sub-
jektivität, die man noch nicht durch das sachliche Verhältnis der Ob-
jekte selbst herzustellen wuſste. Solange der Tausch und die Idee,
daſs es zwischen den Dingen so etwas wie Wertgleichheit gebe, noch
etwas Neues war, wäre es zu einer Verständigung überhaupt nicht ge-
kommen, wenn je zwei Individuen untereinander sie hätten treffen
müssen. Deshalb finden wir überall und bis tief in das Mittelalter
hinein nicht nur Öffentlichkeit der Tauschgeschäfte, sondern vor allem
genaue Festsetzungen über die Austauschquanten der gebräuchlichen
Waren, denen kein Kontrahentenpaar sich durch private Abmachungen
entziehen durfte. Freilich ist diese Objektivität eine mechanische und
äuſserliche, die sich auf Motive und Mächte auſserhalb des einzelnen
Tauschaktes stützt. Die sachlich angemessene enthebt sich solcher
apriorischen Festlegung und bezieht in die Berechnung die Gesamt-
heit der besonderen Umstände ein, die durch jene Form vergewaltigt
wurden. Aber Absicht und Prinzip sind die gleichen: die übersub-
jektive Wertfixierung im Tausche, die eben später nur einen sach-
licheren, immanenteren Weg fand. Der von Individuen frei und selb-
ständig vollzogene Tausch setzt eine Taxierung nach in der Sache ge-
legenen Maſsstäben voraus, und darum muſs in dem vorhergehenden
Stadium der Tausch inhaltlich fixiert und diese Fixierung sozial garan-
tiert sein, weil sonst dem Individuum jeder Anhaltspunkt für die
Schätzung der Gegenstände gefehlt hätte; wie wohl das gleiche Motiv
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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 54. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/78>, abgerufen am 26.11.2024.
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