tiven Kulturen, sobald mehr als die dringendste Notdurft des Tages in Frage steht. Nun ist kein Zweifel, dass dies infolge -- allenfalls in Wechselwirkung mit -- der anderen Erscheinung stattfindet: der Ab- neigung des primitiven Menschen gegen den Tausch. Für diese sind mehrere Gründe geltend gemacht. Weil es jenem an einem objektiven und allgemeinen Wertmassstab fehlt, müsse er stets fürchten, im Tausche betrogen zu werden; weil das Arbeitsprodukt immer von ihm selbst und für ihn selbst hergestellt sei, entäussere er sich damit eines Teiles seiner Persönlichkeit und gebe den bösen Mächten Gewalt über sich. Vielleicht stammt die Abneigung des Naturmenschen gegen die Arbeit aus derselben Quelle. Auch hier fehlt ihm der sichere Massstab für den Tausch zwischen Mühe und Ertrag, er fürchtet auch von der Natur betrogen zu werden, deren Objektivität unberechenbar und schreckhaft vor ihm steht, ehe er in ausgeprobtem und geregeltem Austausch mit ihr auch sein eigenes Thun in die Distanz und Kategorie der Objek- tivität eingestellt hat. Das Versenktsein also in die Subjektivität des Verhaltens zum Gegenstand lässt ihm den Tausch -- naturaler wie interindividueller Art --, der mit Objektivierung der Sache und ihres Wertes zusammengeht, als unthunlich erscheinen. Es ist thatsächlich, als ob das erste Bewusstwerden des Objektes als solchen ein Angst- gefühl mit sich brächte, als ob man damit ein Stück des Ich als von ihm losgerissen empfände. Daher sogleich die mythologische und fetischistische Deutung, die das Objekt erfährt -- eine Deutung, die einerseits dieses Angstgefühl hypostasiert, ihm die einzige für den Primitivmenschen mögliche Begreiflichkeit giebt, andererseits aber es doch mildert und, indem es das Objekt vermenschlicht, es der Versöhnung mit der Subjektivität wieder näherbringt. Aus dieser Sach- lage erklären sich vielerlei Erscheinungen. Zunächst die Selbstver- ständlichkeit und Ehrenhaftigkeit des Raubes, des subjektiven und unnormierten Ansichreissens des grade Gewünschten. Noch weit über die homerische Zeit hinaus erhielt sich in zurückgebliebnen griechischen Landschaften der Seeraub als legitimer Erwerb, ja bei manchen primi- tiven Völkern gilt der gewaltsame Raub sogar für vornehmer als das redliche Bezahlen. Auch dies letztere ist durchaus verständlich: beim Tauschen und Bezahlen ordnet man sich einer objektiven Norm unter, vor der die starke und autonome Persönlichkeit zurückzutreten hat, wozu sie eben oft nicht geneigt ist. Daher überhaupt die Verachtung des Handels durch sehr aristokratisch-eigenwillige Naturen. Daher be- günstigt aber auch der Tausch die Friedlichkeit der Beziehungen unter den Menschen, weil sie in ihm eine intersubjektive, ihnen gleichmässig übergeordnete Sachlichkeit und Normierung anerkennen. Noch heute
tiven Kulturen, sobald mehr als die dringendste Notdurft des Tages in Frage steht. Nun ist kein Zweifel, daſs dies infolge — allenfalls in Wechselwirkung mit — der anderen Erscheinung stattfindet: der Ab- neigung des primitiven Menschen gegen den Tausch. Für diese sind mehrere Gründe geltend gemacht. Weil es jenem an einem objektiven und allgemeinen Wertmaſsstab fehlt, müsse er stets fürchten, im Tausche betrogen zu werden; weil das Arbeitsprodukt immer von ihm selbst und für ihn selbst hergestellt sei, entäuſsere er sich damit eines Teiles seiner Persönlichkeit und gebe den bösen Mächten Gewalt über sich. Vielleicht stammt die Abneigung des Naturmenschen gegen die Arbeit aus derselben Quelle. Auch hier fehlt ihm der sichere Maſsstab für den Tausch zwischen Mühe und Ertrag, er fürchtet auch von der Natur betrogen zu werden, deren Objektivität unberechenbar und schreckhaft vor ihm steht, ehe er in ausgeprobtem und geregeltem Austausch mit ihr auch sein eigenes Thun in die Distanz und Kategorie der Objek- tivität eingestellt hat. Das Versenktsein also in die Subjektivität des Verhaltens zum Gegenstand läſst ihm den Tausch — naturaler wie interindividueller Art —, der mit Objektivierung der Sache und ihres Wertes zusammengeht, als unthunlich erscheinen. Es ist thatsächlich, als ob das erste Bewuſstwerden des Objektes als solchen ein Angst- gefühl mit sich brächte, als ob man damit ein Stück des Ich als von ihm losgerissen empfände. Daher sogleich die mythologische und fetischistische Deutung, die das Objekt erfährt — eine Deutung, die einerseits dieses Angstgefühl hypostasiert, ihm die einzige für den Primitivmenschen mögliche Begreiflichkeit giebt, andererseits aber es doch mildert und, indem es das Objekt vermenschlicht, es der Versöhnung mit der Subjektivität wieder näherbringt. Aus dieser Sach- lage erklären sich vielerlei Erscheinungen. Zunächst die Selbstver- ständlichkeit und Ehrenhaftigkeit des Raubes, des subjektiven und unnormierten Ansichreiſsens des grade Gewünschten. Noch weit über die homerische Zeit hinaus erhielt sich in zurückgebliebnen griechischen Landschaften der Seeraub als legitimer Erwerb, ja bei manchen primi- tiven Völkern gilt der gewaltsame Raub sogar für vornehmer als das redliche Bezahlen. Auch dies letztere ist durchaus verständlich: beim Tauschen und Bezahlen ordnet man sich einer objektiven Norm unter, vor der die starke und autonome Persönlichkeit zurückzutreten hat, wozu sie eben oft nicht geneigt ist. Daher überhaupt die Verachtung des Handels durch sehr aristokratisch-eigenwillige Naturen. Daher be- günstigt aber auch der Tausch die Friedlichkeit der Beziehungen unter den Menschen, weil sie in ihm eine intersubjektive, ihnen gleichmäſsig übergeordnete Sachlichkeit und Normierung anerkennen. Noch heute
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tiven Kulturen, sobald mehr als die dringendste Notdurft des Tages in
Frage steht. Nun ist kein Zweifel, daſs dies infolge — allenfalls in
Wechselwirkung mit — der anderen Erscheinung stattfindet: der Ab-
neigung des primitiven Menschen gegen den Tausch. Für diese sind
mehrere Gründe geltend gemacht. Weil es jenem an einem objektiven
und allgemeinen Wertmaſsstab fehlt, müsse er stets fürchten, im Tausche
betrogen zu werden; weil das Arbeitsprodukt immer von ihm selbst
und für ihn selbst hergestellt sei, entäuſsere er sich damit eines Teiles
seiner Persönlichkeit und gebe den bösen Mächten Gewalt über sich.
Vielleicht stammt die Abneigung des Naturmenschen gegen die Arbeit
aus derselben Quelle. Auch hier fehlt ihm der sichere Maſsstab für
den Tausch zwischen Mühe und Ertrag, er fürchtet auch von der Natur
betrogen zu werden, deren Objektivität unberechenbar und schreckhaft
vor ihm steht, ehe er in ausgeprobtem und geregeltem Austausch mit
ihr auch sein eigenes Thun in die Distanz und Kategorie der Objek-
tivität eingestellt hat. Das Versenktsein also in die Subjektivität des
Verhaltens zum Gegenstand läſst ihm den Tausch — naturaler wie
interindividueller Art —, der mit Objektivierung der Sache und ihres
Wertes zusammengeht, als unthunlich erscheinen. Es ist thatsächlich,
als ob das erste Bewuſstwerden des Objektes als solchen ein Angst-
gefühl mit sich brächte, als ob man damit ein Stück des Ich
als von ihm losgerissen empfände. Daher sogleich die mythologische
und fetischistische Deutung, die das Objekt erfährt — eine Deutung,
die einerseits dieses Angstgefühl hypostasiert, ihm die einzige für
den Primitivmenschen mögliche Begreiflichkeit giebt, andererseits aber
es doch mildert und, indem es das Objekt vermenschlicht, es der
Versöhnung mit der Subjektivität wieder näherbringt. Aus dieser Sach-
lage erklären sich vielerlei Erscheinungen. Zunächst die Selbstver-
ständlichkeit und Ehrenhaftigkeit des Raubes, des subjektiven und
unnormierten Ansichreiſsens des grade Gewünschten. Noch weit über
die homerische Zeit hinaus erhielt sich in zurückgebliebnen griechischen
Landschaften der Seeraub als legitimer Erwerb, ja bei manchen primi-
tiven Völkern gilt der gewaltsame Raub sogar für vornehmer als das
redliche Bezahlen. Auch dies letztere ist durchaus verständlich: beim
Tauschen und Bezahlen ordnet man sich einer objektiven Norm unter,
vor der die starke und autonome Persönlichkeit zurückzutreten hat,
wozu sie eben oft nicht geneigt ist. Daher überhaupt die Verachtung
des Handels durch sehr aristokratisch-eigenwillige Naturen. Daher be-
günstigt aber auch der Tausch die Friedlichkeit der Beziehungen unter
den Menschen, weil sie in ihm eine intersubjektive, ihnen gleichmäſsig
übergeordnete Sachlichkeit und Normierung anerkennen. Noch heute
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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 53. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/77>, abgerufen am 26.11.2024.
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