Fürsichsein, sondern nur durch die Aufwendung eines anderen Gegen- standes zukommt, der für ihn hingegeben wird. Die wildwachsende Frucht, die ohne Mühe gepflückt und nicht in Tausch gegeben, son- dern unmittelbar genossen wird, ist kein wirtschaftliches Gut; sie kann als solches höchstens dann gelten, wenn ihre Konsumtion etwa einen anderweitigen wirtschaftlichen Aufwand erspart; wenn aber sämtliche Erfordernisse der Lebenshaltung auf diese Weise zu befriedigen wären, dass sich an keinen Punkt ein Opfer knüpfte, so würden die Menschen eben nicht wirtschaften, so wenig wie die Vögel oder die Fische oder die Bevölkerung des Schlaraffenlandes. Auf welchem Wege auch die beiden Objekte A und B zu Werten geworden seien: zu einem wirtschaftlichen Werte wird A erst dadurch, dass ich B dafür geben muss, B erst dadurch, dass ich A dafür erhalten kann -- wobei es, wie erwähnt, prinzipiell gleichgültig ist, ob das Opfer sich durch die Hingabe eines Wertes an einen anderen Menschen, also durch interindividuellen Tausch -- oder innerhalb des Interessenkreises des Individuums, durch die Aufrechnung von Bemühungen und Resultaten, vollzieht. An den Objekten der Wirtschaft ist schlechthin nichts zu finden, ausser der Bedeutung, die jedes direkt oder indirekt für unsere Konsumtion hat, und dem Austausch, der zwischen ihnen vorgeht. Da nun anerkanntermassen die erstere für sich allein noch nicht aus- reicht, den Gegenstand zu einem wirtschaftlichen zu machen, so kann ganz allein der letztere ihm die spezifische Differenz, die wir wirt- schaftlich nennen, zusetzen. Allein diese Trennung zwischen dem Werte und seiner wirtschaftlichen Bewegungsform ist eine künstliche. Wenn zunächst die Wirtschaft eine blosse Form in dem Sinne zu sein scheint, dass sie schon Werte als ihre Inhalte voraussetzt, um sie in die Ausgleichungsbewegung zwischen Opfer und Gewinn hineinziehen zu können, so lässt sich doch in Wirklichkeit derselbe Prozess, der die vorausgesetzten Werte zu einer Wirtschaft bildet, als Erzeuger der wirtschaftlichen Werte selbst folgendermassen darlegen.
Die Wirtschaftsform des Wertes steht zwischen zwei Grenzen: einerseits der Begehrung des Objekts, die sich an das antizipierte Be- friedigungsgefühl aus seinem Besitz und Genuss anschliesst, andererseits diesem Genuss selbst, der, genau angesehen, kein wirtschaftlicher Akt ist. Sobald man nämlich das eben Behandelte zugiebt -- was wohl allgemein geschieht --, dass die unmittelbare Konsumtion der wildwachsenden Frucht kein wirtschaftliches Thun und diese selbst also kein wirtschaftlicher Wert ist (ausser soweit sie eben die Pro- duktion wirtschaftlicher Werte erspart) -- so ist auch die Konsumtion eigentlich wirtschaftlicher Werte selbst nicht mehr wirtschaftlich: denn
Fürsichsein, sondern nur durch die Aufwendung eines anderen Gegen- standes zukommt, der für ihn hingegeben wird. Die wildwachsende Frucht, die ohne Mühe gepflückt und nicht in Tausch gegeben, son- dern unmittelbar genossen wird, ist kein wirtschaftliches Gut; sie kann als solches höchstens dann gelten, wenn ihre Konsumtion etwa einen anderweitigen wirtschaftlichen Aufwand erspart; wenn aber sämtliche Erfordernisse der Lebenshaltung auf diese Weise zu befriedigen wären, daſs sich an keinen Punkt ein Opfer knüpfte, so würden die Menschen eben nicht wirtschaften, so wenig wie die Vögel oder die Fische oder die Bevölkerung des Schlaraffenlandes. Auf welchem Wege auch die beiden Objekte A und B zu Werten geworden seien: zu einem wirtschaftlichen Werte wird A erst dadurch, daſs ich B dafür geben muſs, B erst dadurch, daſs ich A dafür erhalten kann — wobei es, wie erwähnt, prinzipiell gleichgültig ist, ob das Opfer sich durch die Hingabe eines Wertes an einen anderen Menschen, also durch interindividuellen Tausch — oder innerhalb des Interessenkreises des Individuums, durch die Aufrechnung von Bemühungen und Resultaten, vollzieht. An den Objekten der Wirtschaft ist schlechthin nichts zu finden, auſser der Bedeutung, die jedes direkt oder indirekt für unsere Konsumtion hat, und dem Austausch, der zwischen ihnen vorgeht. Da nun anerkanntermaſsen die erstere für sich allein noch nicht aus- reicht, den Gegenstand zu einem wirtschaftlichen zu machen, so kann ganz allein der letztere ihm die spezifische Differenz, die wir wirt- schaftlich nennen, zusetzen. Allein diese Trennung zwischen dem Werte und seiner wirtschaftlichen Bewegungsform ist eine künstliche. Wenn zunächst die Wirtschaft eine bloſse Form in dem Sinne zu sein scheint, daſs sie schon Werte als ihre Inhalte voraussetzt, um sie in die Ausgleichungsbewegung zwischen Opfer und Gewinn hineinziehen zu können, so läſst sich doch in Wirklichkeit derselbe Prozeſs, der die vorausgesetzten Werte zu einer Wirtschaft bildet, als Erzeuger der wirtschaftlichen Werte selbst folgendermaſsen darlegen.
Die Wirtschaftsform des Wertes steht zwischen zwei Grenzen: einerseits der Begehrung des Objekts, die sich an das antizipierte Be- friedigungsgefühl aus seinem Besitz und Genuſs anschlieſst, andererseits diesem Genuſs selbst, der, genau angesehen, kein wirtschaftlicher Akt ist. Sobald man nämlich das eben Behandelte zugiebt — was wohl allgemein geschieht —, daſs die unmittelbare Konsumtion der wildwachsenden Frucht kein wirtschaftliches Thun und diese selbst also kein wirtschaftlicher Wert ist (auſser soweit sie eben die Pro- duktion wirtschaftlicher Werte erspart) — so ist auch die Konsumtion eigentlich wirtschaftlicher Werte selbst nicht mehr wirtschaftlich: denn
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Fürsichsein, sondern nur durch die Aufwendung eines anderen Gegen-
standes zukommt, der für ihn hingegeben wird. Die wildwachsende
Frucht, die ohne Mühe gepflückt und nicht in Tausch gegeben, son-
dern unmittelbar genossen wird, ist kein wirtschaftliches Gut; sie kann
als solches höchstens dann gelten, wenn ihre Konsumtion etwa einen
anderweitigen wirtschaftlichen Aufwand erspart; wenn aber sämtliche
Erfordernisse der Lebenshaltung auf diese Weise zu befriedigen wären,
daſs sich an keinen Punkt ein Opfer knüpfte, so würden die Menschen
eben nicht wirtschaften, so wenig wie die Vögel oder die Fische
oder die Bevölkerung des Schlaraffenlandes. Auf welchem Wege auch
die beiden Objekte A und B zu Werten geworden seien: zu einem
wirtschaftlichen Werte wird A erst dadurch, daſs ich B dafür
geben muſs, B erst dadurch, daſs ich A dafür erhalten kann — wobei
es, wie erwähnt, prinzipiell gleichgültig ist, ob das Opfer sich durch
die Hingabe eines Wertes an einen anderen Menschen, also durch
interindividuellen Tausch — oder innerhalb des Interessenkreises des
Individuums, durch die Aufrechnung von Bemühungen und Resultaten,
vollzieht. An den Objekten der Wirtschaft ist schlechthin nichts zu
finden, auſser der Bedeutung, die jedes direkt oder indirekt für unsere
Konsumtion hat, und dem Austausch, der zwischen ihnen vorgeht.
Da nun anerkanntermaſsen die erstere für sich allein noch nicht aus-
reicht, den Gegenstand zu einem wirtschaftlichen zu machen, so kann
ganz allein der letztere ihm die spezifische Differenz, die wir wirt-
schaftlich nennen, zusetzen. Allein diese Trennung zwischen dem
Werte und seiner wirtschaftlichen Bewegungsform ist eine künstliche.
Wenn zunächst die Wirtschaft eine bloſse Form in dem Sinne zu sein
scheint, daſs sie schon Werte als ihre Inhalte voraussetzt, um sie in
die Ausgleichungsbewegung zwischen Opfer und Gewinn hineinziehen
zu können, so läſst sich doch in Wirklichkeit derselbe Prozeſs, der die
vorausgesetzten Werte zu einer Wirtschaft bildet, als Erzeuger der
wirtschaftlichen Werte selbst folgendermaſsen darlegen.
Die Wirtschaftsform des Wertes steht zwischen zwei Grenzen:
einerseits der Begehrung des Objekts, die sich an das antizipierte Be-
friedigungsgefühl aus seinem Besitz und Genuſs anschlieſst, andererseits
diesem Genuſs selbst, der, genau angesehen, kein wirtschaftlicher Akt
ist. Sobald man nämlich das eben Behandelte zugiebt — was
wohl allgemein geschieht —, daſs die unmittelbare Konsumtion der
wildwachsenden Frucht kein wirtschaftliches Thun und diese selbst
also kein wirtschaftlicher Wert ist (auſser soweit sie eben die Pro-
duktion wirtschaftlicher Werte erspart) — so ist auch die Konsumtion
eigentlich wirtschaftlicher Werte selbst nicht mehr wirtschaftlich: denn
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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 42. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/66>, abgerufen am 25.11.2024.
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