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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900.

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das letztere unter den gegebenen Umständen mehr wert ist als das
erstere. Bestimmte Umstände aber gehören immer dazu, um an ein
Objekt ein Wertgefühl zu knüpfen, da jedes solche von dem ganzen
vielgliedrigen, in stetem Fluss, Anpassung und Umbildung begriffenen
Komplex unseres Fühlens getragen wird; ob diese Umstände einmalige
oder relativ beständige sind, ist offenbar prinzipiell gleichgültig.
Durch die Thatsache, dass der Hungernde das Kleinod fortgiebt, be-
weist er unzweideutig, dass ihm das Brot mehr wert ist. Das also ist
kein Zweifel, dass im Moment des Tausches, der Darbringung des
Opfers, der Wert des eingetauschten Gegenstandes die Grenze bildet,
bis zu der der Wert des Weggegebenen höchstens steigen kann. Ganz
unabhängig davon besteht die Frage, woher jenes erstere Objekt denn
seinen so erforderlichen Wert bezieht, und ob nicht etwa aus den dafür zu
bringenden Opfern, so dass die Äquivalenz zwischen Gewinn und Preis
gleichsam a posteriori und von dem letzteren aus hergestellt würde.
Wir werden gleich sehen, wie häufig der Wert auf diese unlogisch
erscheinende Weise psychologisch entspringt. Ist er aber einmal
zustande gekommen, so besteht freilich auch für ihn nicht weniger
als für den auf jede andere Weise konstituierten die psychologische
Notwendigkeit, ihn für ein mindestens ebenso grosses positives Gut zu
halten, wie die Aufopferung für ihn ein negatives ist. Thatsächlich
giebt es nun eine Reihe von Fällen, in denen das Opfer den Wert
des Zieles nicht nur steigert, sondern sogar allein hervorbringt. Es ist
zunächst die Lust der Kraftbewährung, der Überwindung von Schwierig-
keiten, ja oft die des Widerspruchs, die sich in diesem Prozess aus-
spricht. Der notwendige Umweg zur Erlangung gewisser Dinge ist
oft die Gelegenheit, oft aber auch die Ursache, sie als Werte zu
fühlen. In den Beziehungen der Menschen untereinander, am häufigsten
und deutlichsten in erotischen, bemerken wir, wie Reserviertheit, Gleich-
gültigkeit oder Abweisung grade den leidenschaftlichsten Wunsch,
über diese Hindernisse zu siegen, entflammen und uns zu Bemühungen
und Opfern veranlassen, deren uns das Ziel ohne diese Widerstände
sicher oft nicht würdig erschienen wäre. Für viele Menschen würde
die ästhetische Ausbeute der grossen Alpenbesteigungen nicht weiter be-
achtenswert sein, wenn sie nicht den Preis ausserordentlicher Mühen
und Gefahren forderte und erst dadurch Betonung, Anziehungskraft und
Weihe erhielte. Der Reiz der Antiquitäten und Kuriositäten ist oft
kein anderer; wenn keinerlei ästhetisches oder historisches Interesse
an ihnen haftet, so wird dieses durch die blosse Schwierigkeit ihrer
Erlangung ersetzt: sie sind so viel wert, wie sie kosten, was dann erst
sekundär so erscheint, dass sie so viel kosten, wie sie wert sind.

das letztere unter den gegebenen Umständen mehr wert ist als das
erstere. Bestimmte Umstände aber gehören immer dazu, um an ein
Objekt ein Wertgefühl zu knüpfen, da jedes solche von dem ganzen
vielgliedrigen, in stetem Fluſs, Anpassung und Umbildung begriffenen
Komplex unseres Fühlens getragen wird; ob diese Umstände einmalige
oder relativ beständige sind, ist offenbar prinzipiell gleichgültig.
Durch die Thatsache, daſs der Hungernde das Kleinod fortgiebt, be-
weist er unzweideutig, daſs ihm das Brot mehr wert ist. Das also ist
kein Zweifel, daſs im Moment des Tausches, der Darbringung des
Opfers, der Wert des eingetauschten Gegenstandes die Grenze bildet,
bis zu der der Wert des Weggegebenen höchstens steigen kann. Ganz
unabhängig davon besteht die Frage, woher jenes erstere Objekt denn
seinen so erforderlichen Wert bezieht, und ob nicht etwa aus den dafür zu
bringenden Opfern, so daſs die Äquivalenz zwischen Gewinn und Preis
gleichsam a posteriori und von dem letzteren aus hergestellt würde.
Wir werden gleich sehen, wie häufig der Wert auf diese unlogisch
erscheinende Weise psychologisch entspringt. Ist er aber einmal
zustande gekommen, so besteht freilich auch für ihn nicht weniger
als für den auf jede andere Weise konstituierten die psychologische
Notwendigkeit, ihn für ein mindestens ebenso groſses positives Gut zu
halten, wie die Aufopferung für ihn ein negatives ist. Thatsächlich
giebt es nun eine Reihe von Fällen, in denen das Opfer den Wert
des Zieles nicht nur steigert, sondern sogar allein hervorbringt. Es ist
zunächst die Lust der Kraftbewährung, der Überwindung von Schwierig-
keiten, ja oft die des Widerspruchs, die sich in diesem Prozeſs aus-
spricht. Der notwendige Umweg zur Erlangung gewisser Dinge ist
oft die Gelegenheit, oft aber auch die Ursache, sie als Werte zu
fühlen. In den Beziehungen der Menschen untereinander, am häufigsten
und deutlichsten in erotischen, bemerken wir, wie Reserviertheit, Gleich-
gültigkeit oder Abweisung grade den leidenschaftlichsten Wunsch,
über diese Hindernisse zu siegen, entflammen und uns zu Bemühungen
und Opfern veranlassen, deren uns das Ziel ohne diese Widerstände
sicher oft nicht würdig erschienen wäre. Für viele Menschen würde
die ästhetische Ausbeute der groſsen Alpenbesteigungen nicht weiter be-
achtenswert sein, wenn sie nicht den Preis auſserordentlicher Mühen
und Gefahren forderte und erst dadurch Betonung, Anziehungskraft und
Weihe erhielte. Der Reiz der Antiquitäten und Kuriositäten ist oft
kein anderer; wenn keinerlei ästhetisches oder historisches Interesse
an ihnen haftet, so wird dieses durch die bloſse Schwierigkeit ihrer
Erlangung ersetzt: sie sind so viel wert, wie sie kosten, was dann erst
sekundär so erscheint, daſs sie so viel kosten, wie sie wert sind.

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[40/0064] das letztere unter den gegebenen Umständen mehr wert ist als das erstere. Bestimmte Umstände aber gehören immer dazu, um an ein Objekt ein Wertgefühl zu knüpfen, da jedes solche von dem ganzen vielgliedrigen, in stetem Fluſs, Anpassung und Umbildung begriffenen Komplex unseres Fühlens getragen wird; ob diese Umstände einmalige oder relativ beständige sind, ist offenbar prinzipiell gleichgültig. Durch die Thatsache, daſs der Hungernde das Kleinod fortgiebt, be- weist er unzweideutig, daſs ihm das Brot mehr wert ist. Das also ist kein Zweifel, daſs im Moment des Tausches, der Darbringung des Opfers, der Wert des eingetauschten Gegenstandes die Grenze bildet, bis zu der der Wert des Weggegebenen höchstens steigen kann. Ganz unabhängig davon besteht die Frage, woher jenes erstere Objekt denn seinen so erforderlichen Wert bezieht, und ob nicht etwa aus den dafür zu bringenden Opfern, so daſs die Äquivalenz zwischen Gewinn und Preis gleichsam a posteriori und von dem letzteren aus hergestellt würde. Wir werden gleich sehen, wie häufig der Wert auf diese unlogisch erscheinende Weise psychologisch entspringt. Ist er aber einmal zustande gekommen, so besteht freilich auch für ihn nicht weniger als für den auf jede andere Weise konstituierten die psychologische Notwendigkeit, ihn für ein mindestens ebenso groſses positives Gut zu halten, wie die Aufopferung für ihn ein negatives ist. Thatsächlich giebt es nun eine Reihe von Fällen, in denen das Opfer den Wert des Zieles nicht nur steigert, sondern sogar allein hervorbringt. Es ist zunächst die Lust der Kraftbewährung, der Überwindung von Schwierig- keiten, ja oft die des Widerspruchs, die sich in diesem Prozeſs aus- spricht. Der notwendige Umweg zur Erlangung gewisser Dinge ist oft die Gelegenheit, oft aber auch die Ursache, sie als Werte zu fühlen. In den Beziehungen der Menschen untereinander, am häufigsten und deutlichsten in erotischen, bemerken wir, wie Reserviertheit, Gleich- gültigkeit oder Abweisung grade den leidenschaftlichsten Wunsch, über diese Hindernisse zu siegen, entflammen und uns zu Bemühungen und Opfern veranlassen, deren uns das Ziel ohne diese Widerstände sicher oft nicht würdig erschienen wäre. Für viele Menschen würde die ästhetische Ausbeute der groſsen Alpenbesteigungen nicht weiter be- achtenswert sein, wenn sie nicht den Preis auſserordentlicher Mühen und Gefahren forderte und erst dadurch Betonung, Anziehungskraft und Weihe erhielte. Der Reiz der Antiquitäten und Kuriositäten ist oft kein anderer; wenn keinerlei ästhetisches oder historisches Interesse an ihnen haftet, so wird dieses durch die bloſse Schwierigkeit ihrer Erlangung ersetzt: sie sind so viel wert, wie sie kosten, was dann erst sekundär so erscheint, daſs sie so viel kosten, wie sie wert sind.

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Zitationshilfe: Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 40. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/64>, abgerufen am 25.11.2024.