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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900.

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begriffes, der Relativität entrückt scheinen, weil sich zwar alles an
ihnen misst, sie selbst aber nicht mehr gemessen werden -- kein ge-
ringerer Irrtum, als wenn man zwar den fallenden Apfel von der Erde,
die Erde aber nicht von dem Apfel angezogen glaubt. Endlich wird
uns eine der einzelnen Linie für sich zukommende Länge dadurch vor-
getäuscht, dass wir an ihren einzelnen Teilen schon die Mehrheit
der Elemente haben, in deren Relation die Länge besteht. Denken
wir uns, dass es in der ganzen Welt nur eine einzige Linie gäbe, so
würde diese überhaupt nicht "lang" sein, da es ihr an der Korrelation
mit einer anderen fehlte, -- weshalb man denn auch anerkanntermassen
von der Welt als einem Ganzen keine Massbestimmung aussagen kann,
weil sie nichts ausser sich hat, in Relation womit sie eine Grösse
haben könnte. In dieser Lage aber befindet sich thatsächlich jede
Linie, solange sie ohne Vergleich mit anderen, bezw. ohne Vergleich
ihrer Teile untereinander betrachtet wird: sie ist weder kurz noch
lang, sondern noch jenseits der ganzen Kategorie. Diese Analogie
also, statt die Relativität des wirtschaftlichen Wertes zu widerlegen,
verdeutlicht sie vielmehr.

Wenn wir die Wirtschaft, wie wir müssen, als einen Spezialfall
der allgemeinen Lebensform des Tausches, der Hingabe gegen einen
Gewinn ansehen, so werden wir schon von vornherein auch innerhalb
ihrer das Vorkommnis vermuten: dass der Wert des Gewinnes nicht
sozusagen fertig mitgebracht wird, sondern dem begehrten Objekt teil-
weise oder sogar ganz erst durch das Mass des dafür erforderlichen
Opfers zuwächst. Diese ebenso häufigen wie für die Wertlehre wich-
tigen Fälle scheinen freilich einen inneren Widerspruch zu beherbergen;
denn sie lassen uns das Opfer eines Wertes für Dinge bringen, die
uns an sich wertlos sind. Vernünftigerweise gebe doch niemand einen
Wert dahin, ohne einen mindestens gleich hohen dafür zu erhalten,
und dass umgekehrt das Ziel seinen Wert erst durch den Preis, den
wir dafür geben müssen, erhalte, könne nur in der verkehrten Welt
vorkommen. Nun ist das für das unmittelbare Bewusststein schon zu-
treffend, ja zutreffender als jener populäre Standpunkt in anderen
Fällen meint. Thatsächlich kann der Wert, den ein Subjekt für einen
anderen aufgiebt, für dieses Subjekt selbst, unter den thatsächlichen
Umständen des Augenblicks, niemals grösser sein als der, den es ein-
tauscht. Aller entgegengesetzte Schein beruht auf der Verwechslung
des wirklich vom Subjekt empfundenen Wertes mit demjenigen, der
dem betreffenden Tauschgegenstand nach der sonstigen durchschnitt-
lichen oder als objektiv erscheinenden Taxierung zukommt. So giebt
jemand in Hungersnot ein Kleinod für ein Stück Brot fort, weil ihm

begriffes, der Relativität entrückt scheinen, weil sich zwar alles an
ihnen miſst, sie selbst aber nicht mehr gemessen werden — kein ge-
ringerer Irrtum, als wenn man zwar den fallenden Apfel von der Erde,
die Erde aber nicht von dem Apfel angezogen glaubt. Endlich wird
uns eine der einzelnen Linie für sich zukommende Länge dadurch vor-
getäuscht, daſs wir an ihren einzelnen Teilen schon die Mehrheit
der Elemente haben, in deren Relation die Länge besteht. Denken
wir uns, daſs es in der ganzen Welt nur eine einzige Linie gäbe, so
würde diese überhaupt nicht „lang“ sein, da es ihr an der Korrelation
mit einer anderen fehlte, — weshalb man denn auch anerkanntermaſsen
von der Welt als einem Ganzen keine Maſsbestimmung aussagen kann,
weil sie nichts auſser sich hat, in Relation womit sie eine Gröſse
haben könnte. In dieser Lage aber befindet sich thatsächlich jede
Linie, solange sie ohne Vergleich mit anderen, bezw. ohne Vergleich
ihrer Teile untereinander betrachtet wird: sie ist weder kurz noch
lang, sondern noch jenseits der ganzen Kategorie. Diese Analogie
also, statt die Relativität des wirtschaftlichen Wertes zu widerlegen,
verdeutlicht sie vielmehr.

Wenn wir die Wirtschaft, wie wir müssen, als einen Spezialfall
der allgemeinen Lebensform des Tausches, der Hingabe gegen einen
Gewinn ansehen, so werden wir schon von vornherein auch innerhalb
ihrer das Vorkommnis vermuten: daſs der Wert des Gewinnes nicht
sozusagen fertig mitgebracht wird, sondern dem begehrten Objekt teil-
weise oder sogar ganz erst durch das Maſs des dafür erforderlichen
Opfers zuwächst. Diese ebenso häufigen wie für die Wertlehre wich-
tigen Fälle scheinen freilich einen inneren Widerspruch zu beherbergen;
denn sie lassen uns das Opfer eines Wertes für Dinge bringen, die
uns an sich wertlos sind. Vernünftigerweise gebe doch niemand einen
Wert dahin, ohne einen mindestens gleich hohen dafür zu erhalten,
und daſs umgekehrt das Ziel seinen Wert erst durch den Preis, den
wir dafür geben müssen, erhalte, könne nur in der verkehrten Welt
vorkommen. Nun ist das für das unmittelbare Bewuſststein schon zu-
treffend, ja zutreffender als jener populäre Standpunkt in anderen
Fällen meint. Thatsächlich kann der Wert, den ein Subjekt für einen
anderen aufgiebt, für dieses Subjekt selbst, unter den thatsächlichen
Umständen des Augenblicks, niemals gröſser sein als der, den es ein-
tauscht. Aller entgegengesetzte Schein beruht auf der Verwechslung
des wirklich vom Subjekt empfundenen Wertes mit demjenigen, der
dem betreffenden Tauschgegenstand nach der sonstigen durchschnitt-
lichen oder als objektiv erscheinenden Taxierung zukommt. So giebt
jemand in Hungersnot ein Kleinod für ein Stück Brot fort, weil ihm

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[39/0063] begriffes, der Relativität entrückt scheinen, weil sich zwar alles an ihnen miſst, sie selbst aber nicht mehr gemessen werden — kein ge- ringerer Irrtum, als wenn man zwar den fallenden Apfel von der Erde, die Erde aber nicht von dem Apfel angezogen glaubt. Endlich wird uns eine der einzelnen Linie für sich zukommende Länge dadurch vor- getäuscht, daſs wir an ihren einzelnen Teilen schon die Mehrheit der Elemente haben, in deren Relation die Länge besteht. Denken wir uns, daſs es in der ganzen Welt nur eine einzige Linie gäbe, so würde diese überhaupt nicht „lang“ sein, da es ihr an der Korrelation mit einer anderen fehlte, — weshalb man denn auch anerkanntermaſsen von der Welt als einem Ganzen keine Maſsbestimmung aussagen kann, weil sie nichts auſser sich hat, in Relation womit sie eine Gröſse haben könnte. In dieser Lage aber befindet sich thatsächlich jede Linie, solange sie ohne Vergleich mit anderen, bezw. ohne Vergleich ihrer Teile untereinander betrachtet wird: sie ist weder kurz noch lang, sondern noch jenseits der ganzen Kategorie. Diese Analogie also, statt die Relativität des wirtschaftlichen Wertes zu widerlegen, verdeutlicht sie vielmehr. Wenn wir die Wirtschaft, wie wir müssen, als einen Spezialfall der allgemeinen Lebensform des Tausches, der Hingabe gegen einen Gewinn ansehen, so werden wir schon von vornherein auch innerhalb ihrer das Vorkommnis vermuten: daſs der Wert des Gewinnes nicht sozusagen fertig mitgebracht wird, sondern dem begehrten Objekt teil- weise oder sogar ganz erst durch das Maſs des dafür erforderlichen Opfers zuwächst. Diese ebenso häufigen wie für die Wertlehre wich- tigen Fälle scheinen freilich einen inneren Widerspruch zu beherbergen; denn sie lassen uns das Opfer eines Wertes für Dinge bringen, die uns an sich wertlos sind. Vernünftigerweise gebe doch niemand einen Wert dahin, ohne einen mindestens gleich hohen dafür zu erhalten, und daſs umgekehrt das Ziel seinen Wert erst durch den Preis, den wir dafür geben müssen, erhalte, könne nur in der verkehrten Welt vorkommen. Nun ist das für das unmittelbare Bewuſststein schon zu- treffend, ja zutreffender als jener populäre Standpunkt in anderen Fällen meint. Thatsächlich kann der Wert, den ein Subjekt für einen anderen aufgiebt, für dieses Subjekt selbst, unter den thatsächlichen Umständen des Augenblicks, niemals gröſser sein als der, den es ein- tauscht. Aller entgegengesetzte Schein beruht auf der Verwechslung des wirklich vom Subjekt empfundenen Wertes mit demjenigen, der dem betreffenden Tauschgegenstand nach der sonstigen durchschnitt- lichen oder als objektiv erscheinenden Taxierung zukommt. So giebt jemand in Hungersnot ein Kleinod für ein Stück Brot fort, weil ihm

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Zitationshilfe: Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 39. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/63>, abgerufen am 24.11.2024.