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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900.

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eines durch Brauchbarkeit und Knappheit bestimmten Wertes. Damals
begannen die Turmuhren die Viertelstunden zu schlagen, und Sebastian
Franck, der mit am frühsten, wenn auch mit am pessimistischsten, die
revolutionierende Bedeutung des Geldes eingesehen hat, nennt auch
zuerst die Zeit ein teures Gut. Das entschiedenste Symbol für diese
ganzen Korrelationen ist die Börse. Hier haben die ökonomischen
Werte und Interessen, vollständig auf ihren Geldausdruck reduziert,
ihre und ihrer Träger engste lokale Vereinigung erreicht, um damit
ihre rascheste Ausgleichung, Verteilung, Abwägung zu gewinnen.
Diese doppelte Kondensiertheit: der Werte in die Geldform und des
Geldverkehrs in die Börsenform -- ermöglicht es, dass die Werte in
der kürzesten Zeit durch die grösste Zahl von Händen hindurchgejagt
werden: an der New-Yorker Börse wird jährlich der fünffache Betrag
der Baumwollernte in Spekulationen in Baumwolle umgesetzt, und schon
1887 verkaufte diese Börse fünfzigmal das Erträgnis des Jahres in
Petroleum: die Häufigkeit der Umsätze steigt in dem Masse, in dem
der Kurs eines Wertes schwankt -- ja, die Kursschwankungen waren
es, die im 16. Jahrhundert überhaupt erst ein regelmässiges Börsen-
geschäft in den "Königsbriefen", den fürstlichen Schuldverschreibungen,
entwickelten. Denn mit ihnen, die von dem wechselnden Kredit z. B.
der französischen Krone ausgingen, war ein ganz anderer Anstoss zu
Kauf und Verkauf gegeben, als bei Stabilität des Wertes bestanden
hatte. Die Möglichkeit, die das Geld gewährt, jeden Schätzungswechsel
unbedingt nachgiebig auszudrücken, muss diesen selbst unendlich steigern,
ja vielfach erzeugen. Und davon ist es nun sowohl Ursache wie Wir-
kung, dass die Börse, das Zentrum des Geldverkehrs und gleichsam der
geometrische Ort all jener Schätzungswechsel, zugleich der Punkt der
grössten konstitutionellen Aufgeregtheit des Wirtschaftslebens ist: ihr
sanguinisch-cholerisches Schwanken zwischen Optimismus und Pessi-
mismus, ihre nervöse Reaktion auf Ponderabilien und Imponderabilien,
die Schnelligkeit, mit der jedes den Stand verändernde Moment er-
griffen, aber auch wieder vor dem nächsten vergessen wird -- alles
dies stellt eine extreme Steigerung des Lebenstempos dar, eine fieber-
hafte Bewegtheit und Zusammendrängung seiner Modifikationen, in der
der spezifische Einfluss des Geldes auf den Ablauf des psychischen
Lebens seine auffälligste Sichtbarkeit gewinnt.

Endlich muss die Geschwindigkeit, die der Zirkulation des Geldes
gegenüber der aller anderen Objekte eigen ist, das allgemeine
Lebenstempo unmittelbar und in demselben Masse steigern, in dem das
Geld das allgemeine Interessenzentrum wird. Die Rundheit der
Münzen, infolge deren sie "rollen müssen", symbolisiert den Rhythmus

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eines durch Brauchbarkeit und Knappheit bestimmten Wertes. Damals
begannen die Turmuhren die Viertelstunden zu schlagen, und Sebastian
Franck, der mit am frühsten, wenn auch mit am pessimistischsten, die
revolutionierende Bedeutung des Geldes eingesehen hat, nennt auch
zuerst die Zeit ein teures Gut. Das entschiedenste Symbol für diese
ganzen Korrelationen ist die Börse. Hier haben die ökonomischen
Werte und Interessen, vollständig auf ihren Geldausdruck reduziert,
ihre und ihrer Träger engste lokale Vereinigung erreicht, um damit
ihre rascheste Ausgleichung, Verteilung, Abwägung zu gewinnen.
Diese doppelte Kondensiertheit: der Werte in die Geldform und des
Geldverkehrs in die Börsenform — ermöglicht es, daſs die Werte in
der kürzesten Zeit durch die gröſste Zahl von Händen hindurchgejagt
werden: an der New-Yorker Börse wird jährlich der fünffache Betrag
der Baumwollernte in Spekulationen in Baumwolle umgesetzt, und schon
1887 verkaufte diese Börse fünfzigmal das Erträgnis des Jahres in
Petroleum: die Häufigkeit der Umsätze steigt in dem Maſse, in dem
der Kurs eines Wertes schwankt — ja, die Kursschwankungen waren
es, die im 16. Jahrhundert überhaupt erst ein regelmäſsiges Börsen-
geschäft in den „Königsbriefen“, den fürstlichen Schuldverschreibungen,
entwickelten. Denn mit ihnen, die von dem wechselnden Kredit z. B.
der französischen Krone ausgingen, war ein ganz anderer Anstoſs zu
Kauf und Verkauf gegeben, als bei Stabilität des Wertes bestanden
hatte. Die Möglichkeit, die das Geld gewährt, jeden Schätzungswechsel
unbedingt nachgiebig auszudrücken, muſs diesen selbst unendlich steigern,
ja vielfach erzeugen. Und davon ist es nun sowohl Ursache wie Wir-
kung, daſs die Börse, das Zentrum des Geldverkehrs und gleichsam der
geometrische Ort all jener Schätzungswechsel, zugleich der Punkt der
gröſsten konstitutionellen Aufgeregtheit des Wirtschaftslebens ist: ihr
sanguinisch-cholerisches Schwanken zwischen Optimismus und Pessi-
mismus, ihre nervöse Reaktion auf Ponderabilien und Imponderabilien,
die Schnelligkeit, mit der jedes den Stand verändernde Moment er-
griffen, aber auch wieder vor dem nächsten vergessen wird — alles
dies stellt eine extreme Steigerung des Lebenstempos dar, eine fieber-
hafte Bewegtheit und Zusammendrängung seiner Modifikationen, in der
der spezifische Einfluſs des Geldes auf den Ablauf des psychischen
Lebens seine auffälligste Sichtbarkeit gewinnt.

Endlich muſs die Geschwindigkeit, die der Zirkulation des Geldes
gegenüber der aller anderen Objekte eigen ist, das allgemeine
Lebenstempo unmittelbar und in demselben Maſse steigern, in dem das
Geld das allgemeine Interessenzentrum wird. Die Rundheit der
Münzen, infolge deren sie „rollen müssen“, symbolisiert den Rhythmus

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[547/0571] eines durch Brauchbarkeit und Knappheit bestimmten Wertes. Damals begannen die Turmuhren die Viertelstunden zu schlagen, und Sebastian Franck, der mit am frühsten, wenn auch mit am pessimistischsten, die revolutionierende Bedeutung des Geldes eingesehen hat, nennt auch zuerst die Zeit ein teures Gut. Das entschiedenste Symbol für diese ganzen Korrelationen ist die Börse. Hier haben die ökonomischen Werte und Interessen, vollständig auf ihren Geldausdruck reduziert, ihre und ihrer Träger engste lokale Vereinigung erreicht, um damit ihre rascheste Ausgleichung, Verteilung, Abwägung zu gewinnen. Diese doppelte Kondensiertheit: der Werte in die Geldform und des Geldverkehrs in die Börsenform — ermöglicht es, daſs die Werte in der kürzesten Zeit durch die gröſste Zahl von Händen hindurchgejagt werden: an der New-Yorker Börse wird jährlich der fünffache Betrag der Baumwollernte in Spekulationen in Baumwolle umgesetzt, und schon 1887 verkaufte diese Börse fünfzigmal das Erträgnis des Jahres in Petroleum: die Häufigkeit der Umsätze steigt in dem Maſse, in dem der Kurs eines Wertes schwankt — ja, die Kursschwankungen waren es, die im 16. Jahrhundert überhaupt erst ein regelmäſsiges Börsen- geschäft in den „Königsbriefen“, den fürstlichen Schuldverschreibungen, entwickelten. Denn mit ihnen, die von dem wechselnden Kredit z. B. der französischen Krone ausgingen, war ein ganz anderer Anstoſs zu Kauf und Verkauf gegeben, als bei Stabilität des Wertes bestanden hatte. Die Möglichkeit, die das Geld gewährt, jeden Schätzungswechsel unbedingt nachgiebig auszudrücken, muſs diesen selbst unendlich steigern, ja vielfach erzeugen. Und davon ist es nun sowohl Ursache wie Wir- kung, daſs die Börse, das Zentrum des Geldverkehrs und gleichsam der geometrische Ort all jener Schätzungswechsel, zugleich der Punkt der gröſsten konstitutionellen Aufgeregtheit des Wirtschaftslebens ist: ihr sanguinisch-cholerisches Schwanken zwischen Optimismus und Pessi- mismus, ihre nervöse Reaktion auf Ponderabilien und Imponderabilien, die Schnelligkeit, mit der jedes den Stand verändernde Moment er- griffen, aber auch wieder vor dem nächsten vergessen wird — alles dies stellt eine extreme Steigerung des Lebenstempos dar, eine fieber- hafte Bewegtheit und Zusammendrängung seiner Modifikationen, in der der spezifische Einfluſs des Geldes auf den Ablauf des psychischen Lebens seine auffälligste Sichtbarkeit gewinnt. Endlich muſs die Geschwindigkeit, die der Zirkulation des Geldes gegenüber der aller anderen Objekte eigen ist, das allgemeine Lebenstempo unmittelbar und in demselben Maſse steigern, in dem das Geld das allgemeine Interessenzentrum wird. Die Rundheit der Münzen, infolge deren sie „rollen müssen“, symbolisiert den Rhythmus 35*

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Zitationshilfe: Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 547. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/571>, abgerufen am 23.11.2024.